Читать книгу Am Sandpass - Andreas Nolte - Страница 8
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ОглавлениеSeit dem Unfall kann Freddy nicht mehr richtig schlafen. Kaum eine Nacht ohne diesen Traum: Auf der Autobahn der Stahlträger, der vom LKW rutscht und die Schädel ihrer Eltern zerschmettert; ihre kopflosen Körper, noch angeschnallt, während die Feuerwehr Freddy auf dem Rücksitz befreit. Jedes Mal ist sie nassgeschwitzt beim Aufwachen; jedes Mal rast ihr Herz; und wie jedes Mal wird sie nicht wieder einschlafen können. Sie schaute auf den Wecker: Viertel vor zwei.
Sie zog sich Pullover und Hose über den Pyjama und verließ leise ihr Zimmer. Sie hatte eins der leerstehenden Hotelzimmer bekommen, und auch den Schlüssel zur Eingangstür des Hotels.
Auf der Straße: Da, wo Laternen brennen, sieht es fast so aus, als wäre das hier eine richtige Stadt. Aber so still, dass man denkt, hier kann niemand leben. Ganz anders als dort, wo sie herkommt, einer Stadt, die niemals schläft.
Es war kühl. Sie ging schneller, damit ihr wärmer wurde. Die Straße endete in einem Wendekreis, dahinter schütteres Buschwerk; wo Sabel endet beginnt sofort die Wildnis. Ein sternenklarer Himmel, die Silhouette der Berge zeichnete sich als mächtiger Schatten unter dem Himmel ab. Da irgendwo– sie hörte Schritte. Im Dunkeln erkannte sie einen Mann. Jedes Mal wenn er an einem parkenden Auto vorbeiging, war da ein Quietschen zu hören, ein Geräusch wie wenn ein Fingernagel über die Schultafel kratzt.
Er war nur noch einige Schritte entfernt, als er sie bemerkte. Abrupt blieb er stehen und wandte sich um, als wolle er weglaufen. Es war der Autohändler. Weil er seine Mütze tief ins Gesicht gezogen hatte, hatte sie ihn nicht gleich erkannt. „Guten Abend“, sagte sie.
Er zögerte, steckte seine Hand in die Tasche; die Hand, die eben noch an den Autos entlang streifte. Er machte einige Schritte auf sie zu. Sein Lächeln war erzwungen: „Was machen denn so junge Frauen wie Sie nachts allein auf der Straße?“
Sollte sie ihn fragen, was so ältere Männer wie er nachts alleine auf der Straße machen? Sie sagte: „Ich kann nicht schlafen.“
„Da geht`s Ihnen wie mir“, antwortete er. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen Cassiopeia.“ Er hatte die Straße schon halb überquert und winkte ihr, ihm zu folgen: „Hier auf der Seite sind keine Laternen. Da kann man besser sehen.“
Sie zögerte, dann folgte sie. Er trat noch ein paar Schritte weiter weg von den Lampen und zeigte Richtung Horizont: „Da über den Bergen, sehen Sie das W am Himmel? Da, wo so viele Sterne sind, sehen Sie? Das ist die Milchstraße, sie zieht sich durch Cassiopeia.“ Er erzählte, dass dieses Sternbild schon in der Antike bekannt war, erzählte von den Mythen und einiges mehr. „Wenn sie die Spitze in der Mitte des W verlängern, finden Sie den Polarstern. Das ist Norden. Dann können Sie sich auch in der Dunkelheit immer orientieren.“
Als er aufhörte zu reden, sagte sie: „Das ist ja interessant.“
„Ja, ich könnte Ihnen noch viel mehr erzählen. Aber ich glaube, ich langweile Sie.“
„Nein. – Nein, wirklich nicht.“ Wie anstrengend es ist, Interesse für etwas zu zeigen – ist es ihr doch seit DA immer so, als sei ein Teil ihrer Seele wie unter Narkose. Es macht ihr Angst; und gleichzeitig ist sie froh, dass sie nichts mehr spüren muss.
Der Autohändler ging zur Straße zurück: „Musst du– darf ich DU sagen?“
„Wenn Sie wollen.“
„Musst du nicht morgen zur Schule? Die fängt doch wieder an.“ Sie solle doch einfach versuchen zu schlafen. Ob er sie begleiten dürfe, da sie denselben Weg hätten.
Sie ließ ihn voran gehen. Als sie zur Hauptstraße kamen, war dort ein Lachen zu hören. Freddy sah nicht sofort, woher es kam. Es war auch kein fröhliches Lachen, eher wie ein Anfall. Zwei, drei Sekunden HAHAHA, dann Stille, dann wieder. Der Autohändler war schon ein paar Schritte weitergegangen. „Was ist das?“ fragte sie.
Er deutete die Straße hinab. Und richtig: Da hinten saß jemand auf der Bordsteinkante. Der Mann hielt seinen Arm ausgestreckt, um als Anhalter mitgenommen zu werden. Um diese Uhrzeit kommen aber keine Autos vorbei.
„Wo will er hin?“ fragte sie.
„Nach Hause. Er wohnt draußen, ein paar Kilometer vor der Stadt. Dort war mal eine Tankstelle.“
„Und wieso wartet er jetzt?“
„Du musst wissen: Hemingway– er ist nicht ganz dicht.“
„Hemingway?“
„So nennt er sich. Oder irgendwer hat ihn mal so genannt; ich weiß nicht genau.“
„Ist er von Geburt an so– ich meine, so seltsam?“
„Nein. Drogen, Alkohol, alles mögliche; weißt du, das zerfrisst dir dein Gehirn.“
„Er tut mir Leid“, sagte sie.
„Hast du Angst?“
„Wegen dem Lachen?“
„Wahrscheinlich sind das die Witze, die ihm die Gespenster erzählen. Lass uns weitergehen.“
Auf einmal wurde sie sehr müde; so müde, dass einem alles egal wird und man endlich nicht mehr nachdenken muss.
Am Hotel sagte Ralph zu ihr: „Schlaf gut.“ Sollte er noch warten, bis sie reingegangen war? Es könnte aufdringlich wirken. Als sie den Schlüssel aus ihrer Hosentasche zog, wandte er sich um, ohne auf ihren Gruß zu warten.
Er war schon fast zu Hause angelangt, da hörte er ein Auto. Es war ein Wohnmobil, so groß wie ein Lastwagen. Das Nummernschild stammte aus einer fremden Region, Ralph kannte die Buchstabenkombination nicht. Als das Fahrzeug an Ralph vorbei fuhr, drosselte der Fahrer das Tempo– um nach dem Weg zu fragen? Aber der Wagen hielt nicht an, sondern bog an der nächsten Ecke ab in Richtung Stadion.
Seine Frau schlief fest, als er das Schlafzimmer betrat. Der Lichtspalt vom Bad reichte ihm, sich auszuziehen. Als er lag, zog er sich die Decke über den Kopf. Das verhinderte aber nicht, dass die Gedanken zu ihm drangen. Was hatte er da nur gemacht, eben auf dem Spaziergang? Ob das Mädchen etwas bemerkt hat?