Читать книгу Robert und Tina - Andreas O. Müller - Страница 7
ОглавлениеMontag, 30. April
Scoglietto bleibt an Steuerbord, es geht nach Westen, nach Korsika. Da wollen wir ganz rum, in den kommenden Wochen, entgegen dem Uhrzeigersinn, wie es der Wind und das Wetter so hergeben.
Aus dem Logbuch der Hanseatica: Bewölkung vier Viertel, Nimbostratus, Wind aus südlicher Richtung, zwei bis drei Beaufort. Scirocco mit Regenwolken also. Was da drin lauert, wissen wir. Ich meine die Massen an Regen. Bloß nicht ausquetschen diese Dinger, lieber Petrus. Angenehm warm wenigstens. Die Decksplanken feucht von Tau.
Groß hoch, Genua hinterher, und rüber damit nach Steuerbord. Wir haben südlichen Wind bei Kurs West, das kann das Schiff gut in Fahrt bringen. Maschine läuft mit, bringt schon noch einen Knoten mehr. Es eilt aber nicht. Nur mal weg von Elba. Wird noch so an die sieben Meilen sein, bis ihre Küste achtern wegbleibt.
Sécurité - Meldung von Grasse Radio: coup de vent mit neun Beaufort im Golf de Lyon. Mal wieder. Das klingt jetzt aber ganz anders. Übles Revier da oben. Mistral sage ich nur. Das Rhonetal als Windkanal. So geht das. Kann uns egal sein hier im Süden. So schnell wälzt sich kein Schwell nach Süden bis zu uns.
Ab und zu hustet der Motor. Klemmender Gaszug. Besser nicht übertreiben am ersten Tag. Wir steuern Marciana Marina an, eine halbe Tagesreise. Nicht mal. Reicht doch, immer langsam. Der massive Steinzylinder des Turms am Nordende des Hafens. Torre degli Appiani, um 1560, vermutet man. Am Kopf der Nordmole Felsbrocken als Wellenbrecher. Abstand halten. Anweisungen im Hafenhandbuch. Auf der Innenseite der Mole Platz zum Anlegen, direkt unterhalb des Turmes vor Buganker auf fünf Meter Wasser.
„Kenn´ ich, die Ecke. Auch Macinaggio gleich nebenan. Küstenrevierschein im vergangenen Jahr, Prüfungsfahrt mit Bojemanöver. Halse und Wende vormachen, Ankermanöver und so was. Und das ganz in weiss, knackig braune Haut. Augen zu, Knoten schlingen bis zum Abwinken, Palstek, die Schlange im See, all das. Muß wie im Schlaf sitzen, wenn’s mal drauf ankommt. Dann die Navigation! Mann, da hab´ ich’s ihnen aber gezeigt. Kulmination, Ekliptik, Alhidade, hab´ ich ihnen alles um die Ohren gehauen. Und um Punkt zwölf das Mittagsbesteck. Nein du Dussel, nicht Messer und Gabel. Die Breitengradbestimmung mit dem Sextanten. Die Sonne runterholen. Lach´ nicht so blöd, so heißt das nun mal. Ging alles glatt. Da kam richtig Begeisterung auf. So war das. Hochstimmung, kann man sagen. Der Schein war in der Tasche, gleich im Anschluß, klar. Superfete am Abend. Leider noch ohne Tina damals. „Stimmt’s Schatz?“ Kein Kommentar. Ja, und dann die Sache mit Klaus am nächsten Tag, noch in Siegerlaune. Hätte ich mir sparen können. Hat mich ganz schön runter gezogen. Und keine Tini dabei zum Trösten.
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Paolo der Italiener kommt aus Portoferraio angerattert, gehört zur Club-Crew. Hat uns schon in levantinischer Lässigkeit durch die Papierflut gelotst, bei unserer Ankunft. Vorteile der modernen Welt, das Funkgerät an Bord. An dem klemmt glücklicherweise mal nichts. Vielleicht wäre jetzt der Germane besser. Aber der ist, glaube ich, auch kein Mechaniker. Immerhin alle gutwillig. Eingehende Begutachtung des klemmenden Gaszuges. Passiert aber nicht viel, im Motorraum. Klemmt weiter, glaube ich.
Nachmittags in der Umgebung. Spaziergang am kleinen Strand, grade mal hundert Meter lang. Vollgepackt mit Sonnenschirmen und Liegen, dicht beieinander in sechs Reihen hintereinander. Die nördliche Hälfte leer heute. Aber Gnade Gott in zwei Monaten. Da sitzt dann alles voll, und das auf Kies, auf Kiesel, mein´ ich. Es gibt aber noch zwei andere Strände in der Nähe, einer sogar mit Sand. Ist nicht unser Problem. Beton - Nixe auf einem Felsen, das Modell hatte wohl eine Akromegalie. Kennst du nicht?
Kletterspaß am felsigen Bett eines Sturzbaches, kein Wasser, aber feuchter Lehm. Kröten? Lurche? Im ganzen zu trocken, schätze ich. Dornige Ginsterbüsche beidseits. Unterhalb der ersten Häuser parkt ein rostiges Fahrrad am Hang. Christian übernimmt die technische Überprüfung, die negativ ausfällt, erwartungsgemäß. Es reicht aber für eine Fotodokumentation. Weiter oben eine noch nicht in Betrieb genommene Sommervilla. Fantastisch wilder Bewuchs mit einer Bougainville. Weiter Meerblick über den Hafen mit dem Wehrturm bis über die Bucht und auf das wechselnd grüne und blaue Meer. Lilo pflückt einen wunderschönen, artenreichen Frühlingsstrauß, argwöhnisch von Tina beobachtet.
„Für wen sind die denn?“, fragt sie harmlos. Auffällig betontes „die“. Es kommt aber keine Antwort. Das macht die Sache nicht besser. Meine Süße kommt zu mir herüber und legt ihren Arm um meine Taille.
„Magst du solche wilden Dinger?“
„Kommt drauf an,“ sage ich bewußt zweideutig. Aber diesmal beißt sie nicht an. Im Gegenteil.
„Ich bringe dich um!“ zischt sie.
Es muß sie sehr beschäftigen, denn sie übersieht, daß da ein versteckter Eingang in das heruntergekommene Gemäuer ist. So eine Gelegenheit würde sie sich unter ausgewogenen Bedingungen sicher nicht entgehen lassen. Ich wohl auch nicht.
Sehr zu ihrem Leidwesen werden die Wildblumen tagelang in einem Einmachglas auf dem Kajüttisch stehen, noch ergänzt durch einen Fliederzweig, der einen weiterer Dorn in ihrem Fleisch bedeutet. Aber so ganz ernst nimmt sie es dann doch nicht. Genug Gelegenheiten, das zu beweisen, ergeben sich immer wieder, zufällig oder geplant. Alles hat seinen eigenen Reiz. Ich hätte auch nicht gewußt, wie ich sie in ihrem Kummer auffangen soll, psychisch natürlich.
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Zum späteren Nachmittag hin reichlich Zeit für eine weitere Wanderung. Marciana soll es sein. Altes Bergdorf, gut für ein Seebären - Abendessen. Spaziergang in die Dämmerung. Tina läuft sich eine Blase an den Fuß. Mitleid abgelehnt. Trost wird akzeptiert. Hält sich mutig, die Arme, trotz Schmerzen. Der Weg wird wegen einer Fehlpeilung immer länger. Einfach nur bergauf, das reicht eben nicht. Ein zotteliger Hund, geboren aus dem Nichts, begleitet uns schon die ganze Zeit. Letztes Jahr war ich auch mal hier oben, an einem segelfreien Sonntag, mit ´nem Mietwagen. Hier oben in Marciana. Auf der Straße, nicht so hier durch das Gestrüpp. Schmale, blumengefüllte Gassen, recht eng überall zwischen den groben Hausmauern. Stattliches Patrizierhaus am Ende einer der Häuserschluchten. Der Hund, gestreichelt, aber ungefüttert, plötzlich weg.
Dunkelheit bei unsere Ankunft da oben. Tina etwas am Ende, die Blase ist aufgeplatzt. „Mann, die Fußblase, nicht die Fruchtblase. Hörst Du schlecht? Sie ist doch nicht schwanger, die Blase am Fuß!“ Mißverständnis, schallendes Gelächter. Ziemlich schmerzhaft, denke ich. Tapfer, wie sie mithält. Trotzdem. Verträumter Blick, irgendwie Mutteraugen. Moment mal! Doch nicht etwa… Tief in ihren blauen Augen, da ist etwas, das ich noch nie bemerkt habe.
Meine Liebste macht eine gute Figur beim Essen und Trinken in einem der beiden Lokale des Dorfes. Pizza, Meeresfrüchte, Salate, hinterher Eis. Tina lacht wieder. Unsere Crew In einem Nebenzimmer, dessen eine Türe auf eine große, baumumstandene Terrasse führt. Im Hauptraum die obligatorische Theke, an einem Gestell an der Wand der Farbfernseher, dröhnend, Wild - West - Lärm. Verlorene, gelangweilte Gesichter. Besonders die wenigen jungen Leute können einem leid tun, hier oben in den von Seeklima gequälten Bergen. Niemanden interessiert hier die grüne Scirocco - Vegetation.
Schon dreiundzwanzig Uhr dreißig. Lilo und Tina in ein Taxi und ab zum Hafen. Chris und ich unermüdlich, seemannshart auf dem Weg. Mitternacht, Hafenstraße, Wiedersehen mit den Mädels. Alle müde, aber sonst alles in Ordnung. Desinfektion der Blase, Verband drüber, fertig. Keine Saison, keine Dusche, sowieso zu spät. Diesmal lebe die Einzelkoje. C´est la vie. Così è la vita.