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Germering bei München

Mai 2015


Chloé schlug seufzend die Augen auf. Die Nacht war angenehm gewesen, der Schlaf erquicklich. So ausgeruht und wohl wie heute, hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Sie könnte Bäume ausreißen.

Bevor sie aufstand, gähnte sie herzhaft und streckte die Glieder. Ein Ritual, das sich, mit kleinen Abweichungen, jeden Morgen wiederholte.

Jetzt gab sie sich einen Ruck, warf die Steppdecke schwungvoll zur Seite und verließ das angenehm warme Bett, das sie an manchen Tagen am liebsten mitgenommen hätte. Das wäre sicher ein witziger Anblick, wenn sie im Klassenzimmer im Bett gelegen hätte.

„Bartenberg, schnarchen Sie nicht!“, hörte sie ihre Lehrerin im Geist ärgerlich rufen. „Wenn Sie schon mitten im Unterricht schlafen, sollten Sie sich wenigstens still verhalten! Sie stören den Unterricht!“

Die Schulstunden waren derzeit stets einschläfernd. So kurz vor dem Abitur hatte Chloé Mühe, jede Stunde wachen Auges durchzustehen. Wenn ich einmal wirklich mit dem Bett angerückt käme, dachte Chloé amüsiert, würden die anderen Schüler es mir nachmachen. Das Klassenzimmer würde zum Schlafsaal werden.

Sie stellte sich erneut ihre Lehrerin vor fünfundzwanzig Betten vor. „Bartenberg, seien Sie still! Sie stören unseren Schlaf!“

Chloé schüttelte schmunzelnd den Kopf. Was du dir so zusammenspinnst, dachte sie, während sie einen Blick aus dem Fenster warf. Es war ein wunderschöner, sommerlicher Morgen.

Das dunkelrote Schlafshirt, das Chloé trug, war ziemlich kurz, wodurch ihre langen, schlanken Beine großartig zur Geltung kamen. Außerdem war der Stoff so dünn, dass man die Konturen ihres Körpers erkennen konnte. Darunter hatte sie ein gleichfarbiges Spitzenhöschen an. Ihre langen blauschwarzen Haare waren durch ein Gummiband zu einem Pferdeschwanz gebunden. Henri verglich sie manchmal mit einer ägyptischen Prinzessin. Ihre grünen Augen funkelten, als sie an ihren Freund dachte.

Sie ging ins Bad, zog sich aus und stieg in die Duschkabine. Vorsichtig drehte sie das Wasser auf, denn der erste Schwall war immer kalt, und sie hatte keine Lust, ihn voll abzubekommen. Als das Wasser warm wurde, drehte sie ganz auf und drückte Duschgel in ihre hohle Hand. Mit streichelnden Bewegungen verteilte sie es auf ihrem nackten Körper. Durch diese Berührungen empfand sie plötzlich prickelnde Gefühle und hatte erneut das Bild ihres Freundes vor den Augen. Henri!, dachte Chloé. Schon wieder Henri.

Sie dachte sehr oft an ihn. Der Tag begann und endete mit ihm. Selbst in der Schule konnte sie nicht verhindern, dass sich ihre Phantasie mit ihm beschäftigte.

„Bartenberg, wo sind Sie schon wieder mit ihren Gedanken?“, wetterte ihre Lehrerin häufig.

„Na, wo schon?“, war sie manchmal versucht zu antworten. „Bei Henri natürlich!“

Als Chloé wenig später, zwar dezent geschminkt, aber im engen Minirock, die Küche betrat, warf ihr ihre Mutter einen missbilligenden Blick zu.

„Findest du, dass das die richtige Kleidung für die Schule ist?“

„Enge Röcke sind modern, Mutti“, erwiderte Chloé und setzte sich an den Küchentisch. „Außerdem habe ich hübsche Beine. Warum soll ich die verstecken?“

„Du bist immerhin achtzehn Jahre alt und ihr habt Lehrer, die nur unwesentlich älter sind.“

„Die sind Röcke in der Schule gewohnt“, gab Chloé unbekümmert zurück. Sie belegte sich gerade eine Scheibe Toast, als ihr Handy klingelte.

„Na, du!“, rief Henri gut gelaunt in sein Smartphone.

„Na, du selber“, gab Chloé keck zurück.

„Gut geschlafen?“

„Hervorragend.“

„Von mir geträumt?“

Sie kicherte. „Nein, einen Alptraum hatte ich nicht.“

„Das wagst du nur zu sagen, weil du nicht vor mir stehst. Du bist ein schlimmes Mädchen. Ich werde dich bei der nächsten Gelegenheit übers Knie legen.“

„Und was weiter?“

„Das wirst du dann schon sehen. Apropos sehen. Treffen wir uns nach der Schule?“

„Hatten wir das nicht abgemacht?“, fragte Chloé verwundert.

„Ich wollte mich nur vergewissern, dass es dabei bleibt“, meinte Henri. „Außerdem wollte ich deine Stimme hören.“

„Du bist süß“, kicherte sie amüsiert. „Denkst du daran, dass wir heute Abend zu Lisas Party eingeladen sind.“

„Klar, ich frage Cedric, ob er mir seinen Wagen leiht.“

„Okay. Bis später dann.“


Die Schulstunden zogen sich wie zähflüssiger Sirup. Schrecklich war die letzte Stunde Geschichte. Sie musste die Verbindung der ägyptischen Götter zu den griechischen und römischen lernen. So viele Götter! Chloé schwirrte bereits der Kopf. Da war der katholische Glaube schon bedeutend einfacher.

Sie kam kaum dazu, an Henri zu denken, aber wenn er ihr ganz kurz einfiel, wurde sie von einem Gefühl angenehmer Vorfreude erfüllt. Sie war sehr gern mit ihm allein. Wenn seine Eltern in der Arbeit waren, sein älterer Bruder Cedric in der Universität, nutzten sie das immer aus. Ein leises Lächeln erschien auf Chloés Lippen.

„Bartenberg, was gibt es da zu grinsen?“, wollte ihre Lehrerin wissen, die in ihrem Leben wohl noch nie gelacht hatte.

„Nichts“, antwortete Chloé rasch, und dann war die Stunde endlich um.

„Heute hatte sie dich mal wieder im Visier“, sagte Martin, der übergewichtige Klassenprimus beim Verlassen des Schulgebäudes mitfühlend.

Chloé zuckte gleichmütig die Schultern. „Das Schuljahr ist fast vorüber, danach werde ich sie hoffentlich nie wieder sehen.“

„Sie kann verdammt lästig sein.“

„Ich habe gelernt, mit ihr zu leben.“

„Kommst du heute auch auf die Party von Lisa?“, fragte Martin.

„Ja, klar. Lisa ist meine beste Freundin.“

„Stimmt“, meinte Martin. „Radeln wir ein Stück gemeinsam? Wir haben doch den gleichen Weg.“

„Heute nicht, ich treffe mich gleich mit Henri.“

„Mein Pech.“ Das Bedauern in seiner Stimme war ernst gemeint, denn Martin war seit drei Jahren in Chloé verliebt. Deshalb versuchte er auch immer, ihr irgendeinen Gefallen zu tun. Aber seit kurzer Zeit gab es Henri. Martin wusste, dass es ihm nie möglich sein würde, Henri auszubooten, aber er war so ehrlich, zuzugeben, dass er es versucht hätte, wenn er auch nur die geringste Chance gewittert hätte.

„Bis heute Abend“, sagte er noch zu Chloé, drehte sich dann um und verschwand. Sie blickte ihm kurz nachdenklich hinterher, hob dann ihren Kopf und beobachtete eine Wolkengruppe, die über Germering zog. Dann entdeckte sie am Himmel eine schwarze Krähe, die zu einem Sturzflug direkt auf den Müllcontainer des Schulhofes ansetzte. Chloé sah ihr nach, bis die Krähe über den Zaun auf das Nachbargrundstück abdrehte.

Dann verharrte ihr Blick plötzlich auf einem Punkt. Ihre Augen weiteten sich vor Verwunderung und Schreck.

Was war das?

Da stand ein seltsamer, fremdwirkender Mann. Er sah aus wie ein Seemann, trug eine grobe Leinenhose, ein weißes Hemd, dazu eine schwarze Kapitänsmütze.

Sein Blick war auf das Schulgebäude gerichtet. Der Kinnbart schimmerte rötlich in der Sonne. Chloé konnte einfach nicht ihren Blick abwenden. Sie spürte, dass der fremde Mann ihr mittlerweile direkt in die Augen blickte. Nein, er sah eher durch sie hindurch. Sie hatte das Gefühl, dass sein Blick bis in das tiefste Innere ihrer Seele vordrang.

Dann hörte sie seine Stimme! Sie klang weich und harmonisch.

Amanda ...

Es klang wie ein Liebeslied, leise und doch eindringlich ... fordernd!

Amanda. Amanda. Komm zu mir, Amanda. Komm. Komm!

Chloés Herz klopfte wild und ein unbestimmtes Glücksgefühl jagte angenehme Schauer über ihren Rücken. Ihr Blut pulsierte schneller.

Plötzlich strömte auf Chloé eine Flut merkwürdiger Erinnerungen ein. Sie sah sich auf einem großen Segelschiff mit Kanonen bewaffnet, vor dem Hintergrund eines Hafens. Eine Erinnerung schien jedoch stärker zu sein als alle anderen. Sie sah ein schönes Gesicht mit Kinnbart. Die tiefliegenden Augen waren voll männlichem Begehren, ein verschmitztes, verführerisches Lächeln strahlte sie an. Sie spürte die Wärme seiner Umarmung, die erste aufregende sanfte Berührung seiner Lippen.

Ja, Amanda, ich bin hier. Ich bin wieder da. Meine Amanda.

Schnell drehte sie sich um und rannte zu ihrem Fahrrad, sprang auf und radelte davon. Nur weg von diesem merkwürdigen Mann. Eine kleine Taubenschar stieg mit klatschenden Flügelschlägen hoch und ließ sich auf die Dächer der umliegenden Häuser nieder. Die Luft war warm und die Sonne zeigte ihre Kraft. Das Fahrrad rollte über eine Bodenschwelle, die zur Verkehrsberuhigung beitragen sollte, und einige Meter danach hielt sie an. Sie stieg ab und schüttelte ihre lange schwarze Mähne. Die Gedanken an den unheimlichen Mann am Schulgelände hatte sie bereits verdrängt.

An einem der Fenster im Erdgeschoss tauchte Henri auf. Sie winkte ihm zu und er lächelte zurück. Mit seinen regelmäßigen weißen Zähnen hätte er für eine Zahncreme Reklame machen können. Henri verschwand vom Fenster um Chloé die Haustür zu öffnen.

Ein leichtes Kribbeln überlief sie, als sie eintrat. Henri gab der Tür einen lässigen Stoß und nahm Chloé in die Arme. Er drückte sie so fest, dass ihr die Luft wegblieb. Aber nur ganz kurz.

Dann küsste er sie mit hungrigen, warmen Lippen. „Schön, dass du endlich da bist“, flüsterte er leise. „Ich wurde schon ein bisschen nervös, hatte dich früher erwartet.“

„So ungeduldig?“

„Natürlich! Du hast mir gefehlt.“

„Aber wir waren doch erst gestern zusammen auf dem Volksfest“, meinte sie, freute sich aber über seine Worte.

„Das ist schon viel zu lange her“, erklärte Henri. Er konnte ihr schlecht erklären, dass er gefühlte Wochen in Indien verbracht hatte. Von Dämonenkämpfen und Seeschlachten würde sie kein Wort glauben, ihn für verrückt oder betrunken halten. Außerdem durfte er kein Wort verraten, sonst würde er die Spielrunden automatisch verlieren.

Er nahm Chloés Hand und zog sie mit sich nach oben. Sein Zimmer war nicht sehr groß, aber urgemütlich. An den Wänden hingen Bilder von Bayern München. Chloé fand das weniger romantisch, wollte ihm jedoch seine Liebe zu Fußball nicht nehmen. Henri spielte selbst als Linksverteidiger in der Bayernliga Süd beim SC Fürstenfeldbruck.

Im CD-Player lief langsame Musik, die Lamellenjalousie war zur Hälfte heruntergezogen. Ein weiches, angenehmes Dämmerlicht erfüllte den Raum und machte ihn zu einer intimen, weltentrückten Insel.

Henri setzte sich mit Chloé aufs Bett und zog sie eng an sich. Sie liebte es, wenn er sie mit langsamen, zärtlichen Berührungen streichelte. In solchen Momenten wünschte sie sich, dass die Zeit stehenbleiben würde. Die Liebe war für sie ein Gericht, das man langsam und bewusst genießen sollte, häppchenweise, Bissen für Bissen.

Als er gefühlvoll an ihrem Ohrläppchen knabberte, erschauerte sie und ihre Lippen trafen sich erneut zu einem zärtlichen Kuss.

„Ich kann dein Herz fühlen“, sagte Henri leise. „Es schlägt sehr schnell.“

„Deines etwa nicht?“

„Doch“, gab er zu. „Meines auch.“

Chloé rieb ihr Kinn an seiner Schulter und hatte den Wunsch, sich in Henri zu verkriechen. Es war schön, mit ihm zusammen zu sein, und ganz besonders genoss sie es, wenn sie völlig ungestört waren.

Sie hatte zu Hause auch ihr eigenes Zimmer, das größer als Henris war, sogar mit einem eigenen angrenzenden Badezimmer. Aber ständig hatte sie Angst, dass ihre Mutter oder ihre Schwester Michelle im falschen Moment hereinplatzen könnten. Sie stellte sich immer die Katastrophe vor, wenn ihre Mutter ahnungslos ins Zimmer kam und sie nackt in Henris Armen überraschte. Niemals wollte sie das wirklich erleben. Sie würde vor Scham im Erdboden versinken. Dass sie alt genug dafür war, Henri liebte und dadurch ein Recht auf all das hatte, würde ihre Mutter nicht gelten lassen.

Henri atmete heftiger. Seine zärtlichen Bemühungen erregten Chloé sehr. Selten hatte sie sich so wohl und begehrt gefühlt. Sie seufzte wohlig, er wusste genau, was ihr gefiel. Als er den Versuch unternahm, seine Hand unter ihr Shirt zu schieben, hinderte sie ihn nicht.

Schließlich richtete er sich auf und betrachtete Chloés makellosen Körper. „Ich kann mich an dir einfach nicht sattsehen.“

Sie schmunzelte. „Ich habe nichts dagegen.“ Liebevoll strich sie ihm über das Haar.

„Hast du es gern, wenn dich ein Mann ansieht? Was empfindest du dabei?“

„Es ist ein angenehmes Gefühl, zu erkennen, dass man begehrt wird. Geht es dir nicht genauso? Was empfindest du, wenn du im Freibad zum Schwimmbecken schlenderst und merkst, wie dir ein hübsches Mädchen bewundernd nachsieht?“

„Es schmeichelt mir“, antwortete Henri.

„Das Gleiche spielt sich in mir ab.“

„Scheint so, als wären beide Geschlechter gar nicht so verschieden.“

„Beides sind Menschen.“

Henri grinste. „Was du nicht sagst.“

„Ich werde jetzt fahren, Henri. Ich möchte mich doch für die Party noch hübsch machen, damit ich dir gefalle.“

„Hier in meinem Bett gefällst du mir am besten“, antwortete er grinsend.

„Schlingel!“ Sie knuffte ihn zärtlich in die Seite. „Hast du das Auto von Cedric bekommen?“

„Ja, klar. Mein Bruder schläft heute bei Laura und braucht den Wagen nicht.“

„Gut, ich würde ungern mit meinem Kleid auf dem Rad fahren. Kommst du mich um halb acht abholen?“

„Ja, klar.“

Wenig später verabschiedete sie sich von Henri und radelte nach Hause.

Die Rückkehr der Dämonen, Teil 2 (Louisville/USA, 1926)

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