Читать книгу Die Rückkehr der Dämonen, Teil 2 (Louisville/USA, 1926) - Andreas Parsberg - Страница 6
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ОглавлениеDer heutige Tag sollte einer der heißesten im Jahr werden. Daher war Chloé dankbar, den Nachmittag im Germeringer Freibad zu verbringen. Die meiste Zeit plantschten sie im Schwimmbecken.
Anna hatte einen Wasserball mitgebracht. In einer Dreier-Anordnung warfen sie sich den Ball zu und versuchten, ihn direkt weiterzuspielen. Chloé strampelte mit den Beinen, um sich über Wasser zu halten, hechtete ein paarmal halbherzig nach dem Ball, während ihr die Anfeuerungsrufe und gequälten Aufschreie ihrer Freundinnen in den Ohren dröhnten.
Dann bekam sie plötzlich eine Gänsehaut an den Armen. Das Wasser war schlagartig kalt geworden. Chloé befiel ein Gefühl erstickender Enge.
Sie sah nach oben. Auf der Tribüne saß Simon Peel und lächelte zu ihr hinunter. Er trug erneut seine Seemannsjacke und lehnte lässig mit angezogenem Knie an der Wand.
Hallo, Amanda.
Chloé packte entsetzt ihre Freundin Anna an der Schulter, die gerade an ihr vorbeischwamm. „Dort oben sitzt ein merkwürdiger Mann und beobachtet mich“, flüsterte sie aufgeregt. „Da oben, schau!“
Anna hob den Kopf und auch Chloé sah erneut nach oben. Eine Welle der Angst jagte durch ihren Körper.
Die Tribüne war leer!
„Wo sollte jemand sein?“, fragte Anna unsicher.
Chloé konnte sich nicht vom Anblick der leeren Tribüne losreißen und so übersah sie den Ball, der direkt hinter ihr aufschlug. Lisa stöhnte gequält auf. Chloé schwamm zum Ball, wandte sich herum und holte zum Wurf aus.
Amanda!
In Chloés Kopf begann es sich zu drehen. Ihre Glieder wurden matt und ihre Augen weiteten sich voller Entsetzen.
Simon Peel stand bis zu den Hüften im Wasser, in den Händen hielt er ein längeres Stück Holz. Er sah sie mit leuchtenden Augen an.
Komm zu mir, Amanda, komm. Komm ...
„Nein!“, schrie Chloé zitternd. „Nein!“
Ihre beiden Freundinnen blickten sie verwundert an, ein hektisches Stimmengewirr erklang. Warum schrie Chloé so laut?
Plötzlich geschah es!
Chloé spürte, wie zwei Hände ihre Taille umfassten. Es waren kalte, leblose Hände. Dann wurde sie von einer unwiderstehlichen Kraft nach unten gezogen. Instinktiv hielt sie die Luft an, als sie untertauchte. Sie sank tiefer und tiefer, bis der Druck des Wassers in ihrem Kopf ein schmerzhaftes Dröhnen auslöste. In der Dunkelheit war es Chloé unmöglich, irgendetwas zu sehen, sie spürte lediglich die Umklammerung eines eisigen Armes um ihre Taille und dann den gnadenlosen Griff wachsgleicher Finger an ihrem Kinn.
Küss mich, Geliebte. Küss mich, Amanda.
Die Berührung der kalten, unsichtbaren Lippen verursachte in ihr ein solches Gefühl des Ekels, dass sie sich fast übergeben musste. Plötzlich drang Wasser in ihren Mund. Sie rang nach Luft, als es sich einen Weg durch ihre Kehle bahnte. Ihr Herz schien plötzlich bersten zu wollen und ihre Lungen schmerzten so heftig, dass sie fast die Besinnung verlor.
Wie eine Wilde kämpfte sie darum, an die Oberfläche zu gelangen. Aber es war unmöglich. Ringsum war nichts als Wasser. Das kalte, unbarmherzige Wasser, das ihre Lungen anfüllte und in ihre Adern zu dringen schien, als wolle es jeden Funken Leben aus ihrem Körper spülen.
Dann hörte Chloé auf, sich zu wehren. Ihre Glieder wollten ihr einfach nicht mehr gehorchen. Das Einzige, was sie schließlich noch fühlen konnte, war der eisige Druck der Lippen auf ihrem Mund. Sie war eins mit dem Wasser in einem zeitlosen, unbegrenzten Raum. Das Gefühl des Kusses verblasste zur Erinnerung. Wenig später verlosch auch diese Erinnerung und Chloé versank im Nichts.
Am Rand des Universums zeigte sich ein schmaler, aber doch gleißend heller Lichtstreifen. Dann setzten die Schmerzen ein, unerträgliche Schmerzen. Sie würgte und musste sich erbrechen.
„So ist es gut, Chloé. Noch mal! Spuck alles aus!“
Nach und nach erwachten ihre Sinne wieder zum Leben. Sie roch Chlor. Ihre Glieder kamen ihr schwer vor. Die Fliesen des Freibads fühlten sich kühl und feucht an. Sie hatte einen unangenehmen Geschmack von Chlorwasser und Erbrochenem im Mund.
Schließlich schlug sie die Augen auf und stellte fest, dass sie bäuchlings auf dem Boden lag, umringt von ihren besorgt auf sie hinunterblickenden Freundinnen. Neben ihrer Schulter entdeckte sie die muskulösen Waden eines Mannes. Als sie ihren Kopf etwas zur Seite drehte, erkannte sie den Bademeister. Dann spürte sie, wie er mit seinen großen Händen gleichmäßig zwischen ihre Schulterblätter drückte.
Chloé musste husten und Wasser quoll ihr aus Mund und Nase. Keuchend rang sie nach Luft.
„So ist es gut. Atmen Sie, junge Frau. Kommen Sie, nicht nachlassen!“
„Wird sie es schaffen?“, fragte Lisa ängstlich.
„Ja, sicher“, antwortete der Bademeister und half Chloé, sich auf den Rücken zu drehen. „Ich habe euch Mädchen schon hundertmal gesagt, ihr sollt im Schwimmbecken keinen Unsinn treiben. Jetzt seht ihr mal, was dabei passieren kann! Lasst euch das eine Lehre sein!“
Chloé blinzelte und legte zum Schutz gegen das blendende Licht den Arm über ihre Stirn. Langsam blickte sie sich im Kreis ihrer Freundinnen um, wobei sie alle Mühe hatte, nicht erneut das Bewusstsein zu verlieren.
Henri ließ es sich nicht nehmen, Chloé am späten Abend nach Hause zu bringen. Sie waren gemeinsam im Kino gewesen und hatten sich den Film „Seelen“ angesehen. Manchmal kam sich Henri auch so vor, als hätte eine fremde Macht seinen Körper übernommen.
Dann blickte er wieder zu Chloé. Ihre Augen blickten sorgenvoll, etwas stimmte nicht. Noch immer spürte er seine gewaltige Furcht, als er erfahren hatte, dass sie fast im Freibad ertrunken wäre. Sie konnte oder wollte ihm nicht sagen, was genau geschehen war. Chloé beruhigte ihn den ganzen Abend mit fadenscheinigen Erklärungen, aber er spürte, dass sie nicht die volle Wahrheit sagte. Aber warum? Vertraute sie ihm nicht mehr?
„Es scheint niemand zu Hause zu sein“, meinte sie, als sie vor der Villa ihrer Eltern parkten. „Jedenfalls brennt kein Licht.“
„Soll ich bei dir bleiben, bis sie kommen? Du wirkst bedrückt, vielleicht ist es besser, wenn du nicht alleine bist.“
Chloés Augen leuchteten auf. „Ja, komm mit! Ich hätte wirklich ein ungutes Gefühl, wenn ich allein in dem großen Haus bleiben müsste.“
Schnell schloss sie die Haustür auf und machte Licht. Unverzüglich gingen sie in den ersten Stock, in welchem Chloés Zimmer lag. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, zog er sie an sich und küsste sie.
Erschrocken fuhr sie zurück, als sie seine kalten Hände spürte. Noch immer spürte sie die Angst vor dem kalten Wasser, als die eisigen Hände sie in die Tiefe zogen.
„Hey! Stopp! Das solltest du gleich lernen, berühre meine nackte Haut niemals mit Eishänden! Das nimmt mir jede Lust und Erregung.“
„Werde ich mir merken, Liebes“, schmunzelte er. „Wie soll ich sie mir denn wärmen?“
„Komm her, du Frosch!“
Sie nahm seine Hände in ihre und rieb sie langsam. Währenddessen beugte sie sich vor und küsste ihn sanft auf den Mund.
„Hm, du schmeckst wundervoll.“
„Nach was denn?“, fragte er neugierig nach.
„Nach mehr, nach viel mehr!“
Henri drückte sie fest an sich. „Ich bin so froh, dass es dich gibt, Liebes. Schon beim Aufwachen freue ich mich darauf, dich zu sehen. Schade, dass wir nicht zusammen einschlafen und gemeinsam aufstehen.“
Chloé antwortete nicht und bedeckte sein Gesicht mit kleinen, verspielten Küssen.
„Nicht mehr reden, Schatz! Küss mich lieber“, bat sie ihn.
Chloé schmiegte sich an ihn. Es war so schön, in seinen Armen zu liegen und gestreichelt zu werden. Am liebsten hätte sie wie eine Katze geschnurrt, so wohl fühlte sie sich bei ihm.
Henri küsste ihre Augen, ihre Nase und ihren Mund und Chloé genoss die wohlige Wärme, die seine Zärtlichkeit in ihr hervorrief.
Ganz behutsam streichelten seine Hände über ihren Rücken, ihre Arme und den Hals. Sich weiter vorzutasten, wagte er noch nicht.
Chloé nahm seine Hand und legte sie sich auf ihren Bauch.
Henri zögerte nur kurz, dann wollte er sich nicht länger zurückhalten. Sanft schob er seine Hand unter ihr Shirt und streichelte ihre nackte Haut. Als seine Fingerspitzen ihren Büstenhalter berührten, erzitterte Chloé erregt. Henri wollte seine Hand zurückziehen, dachte, etwas falsch gemacht zu haben, doch Chloé schüttelte unwillig den Kopf.
„Bleib genau dort“, flüsterte sie ihm zwischen zwei Küssen zu.
Nur zu gern kam Henri ihrer Bitte nach. Plötzlich waren seine Hände überall. Chloé genoss seine Liebkosungen und stöhnte leise. Mit geschlossenen Augen lag sie da und konzentrierte sich auf die herrlichen Schauer, die seine Berührungen in ihrem Körper hervorriefen.
Ich liebe ihn!, schoss es ihr durch den Kopf. Allein der Gedanke machte sie überaus glücklich.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen!
„Oh ... Verzeihung ... ich ...“
Ein Schwall eiskalten Wassers hätte nicht schlimmer sein können. Chloé fuhr hoch, Henri zog seine Hand von ihrem erregten Körper. Im Türrahmen stand Michelle, die drei Jahre ältere Schwester von Chloé. Sie warf ihre langen blonden Haare zurück. Ihre blauen Augen glitzerten belustigt, mit einem leicht hochnäsigen Ausdruck.
„Ich hoffe, ich habe euch nicht erschreckt“, flötete Michelle und man merkte ihr an, dass es ihr nicht im Geringsten peinlich war, ihre jüngere Schwester und deren Freund gestört zu haben.
„Kannst du nicht anklopfen?“, fragte Chloé schroff und schluckte. Sie musste sich räuspern, spürte einen Kloß im Hals. „Immerhin ist dies mein Zimmer, in dem du nichts zu suchen hast!“
Michelle lächelte. Sie war ein sehr attraktives Mädchen mit ebenmäßigen Gesichtszügen, langen blonden Haaren und einem durchtrainierten, schlanken Körper.
„Hätte ich gewusst, was ihr hier treibt, hätte ich sicher nicht deine Tür geöffnet“, erwiderte Michelle. „Wenn ich Menschen beim Sex beobachten möchte, blicke ich in den Spiegel über meinem Bett und spanne nicht bei meiner unerotischen Schwester!“
„Miststück!“, fauchte Chloé. „Außerdem hatten wir keinen Sex!“
„Dachte ich mir bereits“, sprach Michelle weiter, „dafür bist du sicher auch zu doof!“
„Blöde Kuh!“
„Fettarsch!“
„Also bitte“, unterbrach Henri die beiden Schwestern. „Jetzt ist es aber wieder gut.“
„Und was bist du für einer?“, fragte Michelle und ließ ihre abschätzenden Blicke über Henri gleiten.
„Ähh ... ich bin Henri.“
„Doch nicht etwa Cedrics kleiner Bruder?“, fragte sie und zog ihre Augen zu schmalen Schlitzen.
„Doch.“
Michelle drehte ihren Kopf und funkelte Chloé an. „Du bist mit einem der Vogt-Jungs zusammen.“
„Klar, warst du doch auch, wie ich hörte“, antwortete Chloé.
„Cedric ist ein Arsch!“
„Hey, mal langsam“, fauchte Henri. „Du sprichst über meinen Bruder.“
Michelle versuchte, sich innerlich zu beruhigen. „Was macht Cedric?“
„Er studiert an der LMU in München.“
„Ist er noch mit dieser Ziege Laura zusammen?“
„Ja.“
„Laura ist keine Ziege“, warf Chloé ein. „Ich mag sie.“
„Das glaube ich gerne“, sagte Michelle bissig. „Du hast ja deinen schlechten Geschmack bereits bewiesen.“
„Miststück!“
„Fettarsch!“
„Jetzt reicht es aber!“, donnerte Henri.
„Ist mir auch zu blöd, mit Kindern zu diskutieren“, meinte Michelle. „Macht da weiter, wo ihr begonnen habt, auch wenn ich wenig Aussicht auf Erfolg sehe.“ Sie drehte sich um, donnerte die Tür von Chloés Zimmer zu und verschwand ebenso schnell, wie sie erschienen war.
„Es tut mir leid, Henri.“
„Man kann sich seine Familie doch nicht aussuchen.“
Der ganze Reiz des Augenblicks, die beginnende Erotik, alles war verschwunden. Michelle hatte es geschafft, ihrer Schwester den Nachmittag zu verderben.