Читать книгу Die Rückkehr der Dämonen, Teil 2 (Louisville/USA, 1926) - Andreas Parsberg - Страница 4

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Chloé nahm sich Zeit, während sie sich schminkte. Sie wollte auf der Party ihrer Freundin Lisa hübsch aussehen. Bevor sie das Bad verließ, bürstete sie ihr langes blauschwarzes Haar so lange, bis es glänzte. In ihrem Zimmer streifte sie ihren weißen Frotteemantel von den Schultern, trat nackt vor den Schrank, öffnete ihn und überlegte, welches Kleid sie anziehen sollte. Das Rote natürlich, gar keine Frage, raunte ihr eine innere Stimme zu. Der angenehme Chiffon-Stoff würde sich großartig an ihren schlanken Körper schmiegen. Du siehst darin sexy aus, das weißt du doch, erklärte ihre innere Stimme abschließend.

„Okay“, murmelte sie lächelnd zu ihrem Spiegelbild. „Das dunkelrote Chiffonkleid.“

Sie nahm es aus dem Schrank und legte es aufs Bett.

„Henri wird es gefallen“, meinte sie grinsend, während sie in ihre Unterwäsche schlüpfte. Vorsichtig streifte sie das Kleid über ihren Kopf und strich es an den Hüften glatt. Noch der schwarze Gürtel und fertig.

Im Wohnzimmer warf sie einen Blick auf die leise tickende Pendeluhr. Halb acht. Um acht sollte die Party beginnen. Auf der Straße hupte jemand dreimal kurz.

Chloé lief zum Fenster, schob den Vorhang zur Seite und erblickte Henri. Groß, schlank und attraktiv lehnte er am Wagen seines Bruders und lächelte ihr zu. Mit einer knappen Geste fragte er, ob er noch ins Haus kommen sollte. Sie schüttelte den Kopf. Nicht nötig. Sie war fertig, brauchte nur noch in ihre Schuhe zu schlüpfen.

Als Chloé aus dem Haus trat, kam Henri lächelnd auf sie zu und zog sie an sich. „Du siehst bezaubernd aus“, flüsterte er und küsste sie zärtlich auf den Mund. Chloé konnte dieser Moment nicht lange genug andauern. Sie genoss seine Umarmung, die Berührungen und seine Lippen.

„Freust du dich auf die Party?“, fragte er, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten.

Sie nickte. „Und du?“

Er grinste. „Ich kann es kaum noch erwarten. Lisa hat sicher ein leckeres Büfett hergerichtet. Da werde ich kräftig zuschlagen. Ich habe heute nur gefrühstückt. Außerdem hatte ich heute Nachmittag Frauenbesuch, der mich viel Kraft gekostet hat.“

Chloé lachte. „Wie kann man ständig nur an Essen denken.“

„Ich habe halt einen gesegneten Appetit“, erwiderte er. „Zum Glück setze ich kein Fett an. Ich will doch nicht, dass du mich verlässt, weil dir meine Figur nicht mehr gefällt.“

„Ich werde dich auch mit einem Bauch lieben“, schmunzelte sie.

„Na also, dann kann ich ohne Gewissen am Büfett zuschlagen“, meinte er zufrieden, öffnete die Beifahrertür und ließ Chloé einsteigen.


Sie waren nicht die ersten Gäste. Das große Haus von Lisas Eltern dröhnte bereits vor lauter Musik. Lisa empfing ihre Gäste an der Tür. Diejenigen, die sie besonders mochte, begrüßte sie mit einem Küsschen, zu den anderen sagte sie: „Hallo, schön, dass ihr da seid!“

Chloé und Henri wurden natürlich geküsst. Henri deshalb, weil er zu Chloé gehörte. Und Chloé, weil sie Lisas beste Freundin war.

„Ist das Büfett bereits aufgebaut?“, erkundigte sich Henri grinsend.

Chloé stieß ihm ihren Ellenbogen in die Seite. „Ich muss mich wegen dir echt schämen!“, wies sie ihn zurecht.

„Warum denn?“, entgegnete er. „Hunger ist eine absolut menschliche Regung.“

Lisa seufzte bedauernd. „Diesmal gibt es leider kein Büfett, Henri.“

Er sah sie enttäuscht an. „Kein Büfett? Mädchen, das kannst du mir nicht antun, mir hängt der Magen bereits in den Kniekehlen.“

„Ich werde sehen, ob ich noch irgendwo ein Stück altes Brot für dich auftreiben kann“, meinte Lisa.

„Altes Brot!“ Henris Stimme klang beinahe panisch.

„Frisches Brot ruft bei Männern ohnehin nur Blähungen hervor, habe ich zuletzt in einer Zeitschrift gelesen“, erklärte Lisa. Aber dann konnte sie nicht länger ernst bleiben. Sie lachte und erklärte, dass es natürlich ein Büfett gebe.

„Ich hoffe, ihr amüsiert euch gut“, meinte sie dann, immer noch kichernd, und schob die beiden ins Haus.

„Genau das haben wir vor“, erklärte Henri, dem ein Stein vom Herzen gefallen war. Er hatte sich bereits mit einer trockenen Scheibe Brot in der Hand gesehen. „Wir werden Stimmung in die Bude bringen, gleich nachdem ich mich ordentlich gestärkt habe.“

„Du musst dich aber ranhalten“, lachte Lisa.

„Wieso?“, fragte Henri argwöhnisch.

„Weil ich vorhin gesehen habe, wie sich der Martin einen Teller geholt hat“, antwortete Lisa amüsiert. „Und du weißt ja, was der verdrücken kann.“

„Warum hast du diesen Vielfraß eingeladen?“, fragte Henri vorwurfsvoll.

„Weil er eine Stimmungskanone ist“, rechtfertigte sich Lisa.

„Er ist schlimmer als ein Schwarm Heuschrecken“, ächzte Henri.

Chloé verdrehte die Augen. „Er wird dir schon etwas übriglassen. Großer Gott, du denkst wirklich nur ans Essen.“


Martin, der Primus der Oberstufe, aß gerne und bewegte sich wenig, und das sah man ihm auch an. Während sich andere mit Diäten quälten, stand er zu seiner Leibesfülle und war nicht bereit, auch nur das Geringste dagegen zu unternehmen. Er hielt nichts von Jogging, Schwimmen oder Radfahren, pflegte lieber seine angeborene Faulheit und die vielen Pfunde, die er sich im Laufe der Jahre angeschlemmt hatte. Seine Freizeit verbrachte er vor dem Computer, entwickelte neue Programme oder Spiele.

Gerade schaufelte er mehrere Pasteten auf seinen Teller.

„Hallo, Martin“, begrüßte ihn Henri.

Martin sah kurz auf. „Oh, Henri, auch schon da?“

„Wie du siehst“, antwortete er. „Ab jetzt gehört dir nur noch das halbe Büfett!“

Martin grinste. „Für dich schränke ich mich gern ein. Hast du schon den Lachs probiert?“

„Ich bin eben erst gekommen!“

„Hol dir mal ein Stück“, empfahl ihm Martin. „Schmeckt phantastisch.“ Er küsste seine Fingerspitzen. „Ich habe nur eines zu beanstanden: Die Teller sind viel zu klein. Man kriegt kaum was drauf.“

„Dann musst dich halt bewegen und öfter ans Büfett gehen“, meinte Henri.

„Das werde ich tun, darauf kannst du dich verlassen.“ Martin lachte mit vollem Mund. „Ich hab im Internet ein paar tolle Witze gefunden, die erzähle ich aber erst, wenn ich ausreichend gegessen habe.“

Martin war bekannt für seine guten Witze, die er hervorragend erzählen konnte. Das war einer der Gründe, dass er fast zu jeder Party eingeladen wurde.

„Sag mal, auf welcher Internetseite findest du immer die neuesten Witze?“

Martin warf sich in die dicke Brust. „Ich erfinde sie selbst.“

„Blödsinn!“

„Tatsache“, behauptete Martin.

„Du willst mir nur deine Quelle nicht verraten“, brummte Henri.

Martin grinste. „Du hast es erfasst.“ Er ging auf eine große Couch zu und setzte sich.

Neben Henri flötete jemand. „Hallo, Henri! Schön, dich zu sehen.“

Henri drehte den Kopf und schaute direkt in die großen, braunen Augen von Jennifer Scheele.

„Hallo, Jenny“, lächelte er. Sein Blick fiel auf ihr offenherziges Dekolleté. „Donnerwetter!“

Sie atmete tief ein und ihr üppiger Busen hob sich. „Ich denke, ich kann mich sehen lassen“, meinte sie, auf ein Kompliment aus.

„Unbedingt!“, bestätigte Henri. „Ich sehe absolut nichts, was du verstecken müsstest.“

„Tanzt du später mal mit mir?“, fragte sie mit einem verführerischen Augenaufschlag.

„Ähh ... ja, aber ich bin mit Chloé da.“

„Na und? Wir wollen doch nur tanzen, oder hattest du andere Pläne mit mir?“

„Ich? Pläne? Nein, ich wollte mich nur am Büfett stärken.“

Sie kicherte. „Ich habe eine Schwäche für starke Männer.“


Chloé hatte zwei „beste Freundinnen“. Die eine war Anna Krüger, die andere war die Gastgeberin Lisa Schröder. Die drei Mädchen hatten sich immer etwas zu sagen, hatten die gleichen Interessen und einen ähnlichen Geschmack. Ständig gab es etwas zu bequatschen. Geheimnisse gab es kaum voreinander.

Daher hatte Henri auch gleich das Weite gesucht, als die Mädchen begannen, den neuesten Klatsch auszutauschen. Das Büfett war ihm lieber, als Mädchen beim Lästern zuzuhören.

Die Party lief inzwischen auf vollen Touren. Alle Gäste, die Lisa eingeladen hatte, waren eingetroffen, und die Gastgeberin brauchte sich um nichts mehr zu kümmern. Es gab einen Jungen aus der Jahrgangsstufe, der sich um die Musik kümmerte, und einen anderen, der die Getränke ausschenkte. Das Büfett war inzwischen recht unansehnlich geworden. Die Gäste hatten ordentlich darin gewütet.

Nun waren alle satt und zufrieden. Auch Martin! Er war zur Hochform aufgelaufen, erzählte Witze und organisierte Gesellschaftsspiele.

Die drei Freundinnen ließen sich von der Hektik um sie herum nicht beeindrucken. Sie waren beim Thema Schulferien angekommen.

„Die Melanie will im August mit einem Rucksack durch Thailand reisen“, erzählte Lisa. „Sie hat mich gefragt, ob ich mitfahre.“

Chloé schüttelte den Kopf. „Das würde dir niemals gefallen.“

„Wieso nicht?“, fragte Lisa trotzig.

„Weil du dafür nicht geschaffen bist“, behauptete Anna.

„Woher wollt ihr das denn wissen?“

„Ich kenne dich doch“, erklärte Chloé. „Du würdest deinen Rucksack schon bald verfluchen, und dir schnellstmöglich ein Hotel mit Pool suchen.“

„Kann sein, ich kann es mir halt nicht vorstellen. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich Menschen in der Sonne liegen oder im Meer baden, auf Surfbrettern über die Wellen reiten.“

„Ein Urlaub in den schneebedeckten Alpen würde mich jetzt mehr reizen. Immer wenn es so heiß ist, träume ich von Schnee“, erwiderte Chloé verträumt. „Dicke Eiszapfen vor den Fenstern, Eisblumen an den Scheiben, Schlittenfahren, Spaziergänge in verschneiten Wäldern, die Hänge auf den Skiern herunterwedeln ...“

„Bloß weil du so toll Ski fährst“, erwiderte Anna. „Ich würde auch lieber in einen Pool springen, mir von einem hübschen Jungen einen Cocktail bringen lassen. Wenn er brav ist, dürfte er mir auch den Rücken mit Sonnencreme einreiben.“

Chloé lachte. „Na gut, das würde mir jetzt auch gefallen.“ Sie ließ ihren Blick schweifen, suchte Henri, konnte ihn aber nirgendwo sehen.


Jennifer Scheele hatte die Sache raffiniert eingefädelt: Sie beauftragte mehrere Mädchen, mit Henri anzustoßen, und als er ein wenig angesäuselt war, machte sie sich an ihn heran. Ihr war klar, dass er als Sportler wenig Alkohol vertrug. Außerdem wusste sie, dass sie im Normalfall bei Henri nicht landen würde, dazu war er zu sehr in Chloé verliebt. Aber vielleicht würde sich eine Chance bieten, wenn er unter Alkoholeinfluss stand, plante sie heimtückisch.

„Ich habe dich beobachtet“, sagte sie schmollend zu Henri. „Du hast mit allen möglichen Mädchen angestoßen, nur mit mir nicht.“

Henri grinste. „Nur kein Neid, Jenny! Wenn du möchtest, trinke ich selbstverständlich auch auf deine Gesundheit.“

Sie zauberte sogleich zwei Gläser mit Wodka Lemmon herbei, wobei sie absichtlich mehr Alkohol zugefügt hatte, als üblich wäre. Nachdem sie ihre Gläser geleert hatten, erinnerte ihn Jennifer daran, dass er versprochen hatte, mit ihr zu tanzen.

„Aber das tue ich doch gerne“, erklärte er.

Auf ihr verabredetes Zeichen verdunkelte der DJ die Beleuchtung und spielte einen Schmusesong. Jennifer schmiegte sich eng an Henri und legte ihren Kopf an seine Schulter. Er hätte aus Stein sein müssen, wenn ihn das kalt gelassen hätte. Sie wusste genau, wie sie vorgehen musste. Während sie sich unmissverständlich an ihm rieb, kraulte sie seinen Nacken und seufzte sehnsüchtig.

„Du tanzt großartig“, meinte Henri mehr aus Höflichkeit, da er das Gefühl hatte, in dieser Situation etwas sagen zu müssen. Ein trübes Alkoholnebelgespinst hatte sich über seinen Geist gebreitet. Seine Bewegungen waren nicht mehr so geschmeidig, wie sonst üblich.

„Du führst hervorragend“, erwiderte sie lächelnd. „Ich erkenne immer sofort, was du willst.“

Er grinste. „Weißt du das wirklich?“

„Aber klar doch“, antwortete sie schmunzelnd.

„Und was will ich?“

„Du hättest gerne noch etwas zu trinken, wohl auch noch eine der köstlichen Pasteten vom Büfett. Dann würdest du dich gerne ausruhen, nachdem du so fleißig getanzt hast.“

„Du hast Recht“, gab er zu. „Woher weißt du das?“

„Ich kenne euch süße Jungs doch“, flüsterte sie in sein Ohr. „Komm mit, ich weiß, wo du es dir bequem machen kannst.“

„Ähh, ja? Wo denn?“

Sie griff nach seiner Hand und hauchte: „Komm, ich zeig ̉s dir.“


„Wollt ihr einen Cocktail?“, fragte Anna, stand auf und schritt zur Bar, nachdem Chloé und Lisa verneinend mit dem Kopf geschüttelt hatten.

„Wie läuft ̉s mit David?“, erkundigte sich Chloé. Der neue Freund von Lisa hieß David Becker. Er gehörte seit Langem zur Clique und ging in die Nebenklasse. Zwischen Lisa und ihm hatte es aber erst vor Kurzem gefunkt.

Lisa nickte zufrieden. „Sehr gut. Wir verstehen uns blendend. Er kann irrsinnig komisch sein. Ich muss manchmal lachen, dass mir die Tränen kommen.“

„Wo ist er denn?“, fragte Chloé nach. „Ich habe ihn noch nicht gesehen.“

„Er hat einen Einsatz mit dem THW. In Puchheim sind Keller mit Grundwasser vollgelaufen. Jetzt haben sie Angst, dass aus den Tanks Erdöl austritt. Er wird wohl gerade an einer Pumpe stehen und von mir träumen.“

„Für diesen Job braucht man ein widerstandsfähiges Nervenkostüm“, meinte Chloé.

„Man gewöhnt sich wahrscheinlich daran“, nahm Lisa an.

„Das könnte ich mir nicht vorstellen, aber ich finde es prima, wenn Menschen etwas für andere tun.“

„Aber David ist genau der richtige Mann für diesen Job“, sagte Lisa. „Wenn ein Mensch Hilfe braucht, darf man nicht die Nerven verlieren, sondern muss einen kühlen Kopf bewahren.“

„Liebst du ihn?“, fragte Chloé nach.

Lisa nickte. „Ja, das tue ich. Sehr sogar.“

Chloé neigte sich ein wenig vor. „Hast du schon mit ihm geschlafen?“

Lisa schüttelte den Kopf. „Dazu war noch keine Gelegenheit, wir sind doch erst seit kurzer Zeit ein festes Paar.“

„Würdest du es tun, wenn er dich fragt?“, erkundigte sich Chloé.

„Jederzeit“, hauchte Lisa so selig, als hätte es ihr David soeben selbst vorgeschlagen.

Anna kam mit einem orangefarbenen Cocktail zurück. „Hör mal, Lisa, wieso siehst du plötzlich so verzückt aus?“, fragte sie.

Chloé erzählte ihr, worüber sie gerade gesprochen hatten. Anna lachte. „Dann ist ja alles klar. Übrigens, Chloé, du solltest dich ein wenig um Henri kümmern. Mir kam an der Bar zu Ohren, dass es die blöde Jennifer auf ihn abgesehen hat, und du weißt ja, wie die vorgeht, wenn sie sich einen Jungen in den Kopf gesetzt hat.“

Chloé zog die Augenbrauen zusammen. „Da geht sie glatt über Leichen. Ich verstehe nicht, warum du dieses mannstolle Miststück eingeladen hast, Lisa.“

„Ich möchte meinen männlichen Gästen eben etwas bieten“, erklärte Lisa.

Chloé war unruhig geworden. Eigentlich traurig, dass sie sich wegen Henri Gedanken machen musste. Aber so genau kannte sie ihn auch noch nicht. Wie würde er auf andere Mädchen reagieren, wenn er Alkohol trank? Wäre er empfänglich für die körperlichen Reize einer Jennifer Scheele?

Sie beschloss, wachsam zu sein!


Jennifer Scheele lehnte neben der Küchentür an der Wand. Ihr Atem ging schnell und sie genoss das herrliche Gefühl, als ihre Fingerspitzen über die festen Gesäßbacken von Henri strichen. Sie wollte ihn! Aber noch war er nicht so weit, das erkannte sie.

Jennifer schob ihre Zungenspitze in sein Ohr und kitzelte ihn. Henri wollte etwas sagen, konnte sich aber nicht genau entscheiden, was. Er stammelte wirre Worte, spürte, wie sich alles vor ihm drehte. Mit Verwunderung stellte er fest, dass sich vor seinen Augen eine gewaltige weibliche Oberweite befand. Neugierig beobachtete er das Heben und Senken des Busens, es erinnerte ihn an die Lady Lovibond im Golf von Bengalen. Der Alkohol hatte ihm so stark zugesetzt, dass er nicht mehr wusste, wo er sich befand. Verwirrende Bilder tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Er dachte an Amanda, überlegte, wie es ihr nach seiner Abreise ergangen war. Ohne sie hätte er das erste Spiel niemals gewonnen.

Jennifer nutzte seinen willenlosen Zustand und seine geistige Abwesenheit hemmungslos aus. Sie presste ihre Lippen auf seinen Mund und versuchte, ihre Zunge zwischen seine Zähne zu schieben. Durch den Schleier einer Nebelwand vernahm er die Laute ihrer Erregung. Er spürte außer einer beginnenden Übelkeit keine Gefühle.

Jennifer nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und spielte mit ihrer Zungenspitze in seinem Mund. Henri roch den betörenden Duft, den sie verströmte, und musste aufstoßen. Der Alkohol setzte ihm immer stärker zu. Er hätte niemals eine andere Frau berührt, wenn er nüchtern gewesen wäre. Genau das wusste Jennifer, deshalb hatte sie mit einer erheblichen Menge Wodka nachgeholfen.

Und sie war mit dem Ergebnis zufrieden!

Keuchend vergrub er sein heißes Gesicht in ihrem Ausschnitt. Er dachte keinen Augenblick daran, wie peinlich es für sie werden konnte, wenn plötzlich jemand die Küche betrat. Aber Jennifer dachte daran. Sie dachte an alles! Und sie fand, dass sie ihn inzwischen genügend aufgeheizt hatte, um ihm vorschlagen zu können, nach oben zu gehen...


Laut dröhnte die Musik aus den großen Stereoboxen. Chloé hatte Henri noch nicht gefunden. Sie ging von einem Raum in den anderen. Warum hatten die Eltern von Lisa nur eine so große Villa!, dachte sie genervt. Überall waren Gäste, unterhielten sich, tranken, scherzten, lachten.

Der übergewichtige Martin nahm Kurs auf sie. „Hey, Chloé, was sollen denn die Kummerfalten auf deiner Stirn? Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?“

Chloés Stirn glättete sich. „Nein.“

„Irgendein Problem?“

„Ich suche bloß Henri“, antwortete sie. „Hast du ihn gesehen?“

Martin schüttelte den Kopf. „Mir fiel nur auf, dass Jenny ihm ständig Cocktails gemixt hat und Henri einiges trank. Vielleicht ist er besoffen und jetzt ist ihm schlecht. Soll ich dir helfen, ihn zu suchen?“

„Ist nicht nötig“, wehrte sie ab.

„Lisas Eltern haben ein großes Haus, ich helfe dir gerne.“

„So groß nun auch wieder nicht“, gab sie lächelnd zurück. „Wenn sich Henri nicht in Luft aufgelöst hat, werde ich ihn finden.“

„Alles Gute!“, meinte Martin und nahm wieder in einem Sessel Platz.

Im Arbeitszimmer von Lisas Vater lagen Anna und Marcel auf der Ledercouch. Anna, halb entkleidet, stieß einen erschrockenen Schrei aus, als Chloé zur geöffneten Tür hereinblickte. Ihre Wangen waren feuerrot.

„Oh! Entschuldige bitte, Anna“, sagte Chloé bedauernd, grinste ihre Freundin kurz an und schloss schnell wieder die Tür.

„Ich habe gehört, du suchst Henri“, sagte jemand hinter ihr.

Chloé drehte sich um. Das Licht spiegelte sich so sehr in Thomas Möllers dicken Brillengläsern wider, dass Chloé seine Augen nicht sehen konnte. Er liebte es, Gerüchte in Umlauf zu setzen. Seine Augen waren nicht die Besten, aber mit seinen scharfen Ohren hörte er angeblich das Laub fallen.

„Ja“, antwortete sie. „Hast du ihn gesehen?“

„Ich würde es mal in der Küche versuchen“, riet er ihr. „Aber ich glaube, er ist nicht allein.“


Jennifer Scheele setzte alles ein, was sie zu bieten hatte, und das war nicht wenig!

„Lass uns nach oben gehen“, flüsterte sie. „Ich möchte mehr von dir. Gib mir alles, was du hast! Komm, wir schleichen uns die Treppe hinauf und schließen uns in einem der Gästezimmer ein, damit wir ungestört sind.“

Sie griff nach seiner Hand und drückte sie auf ihre Brust.

„Fühle meine Weiblichkeit, ich brenne für dich. Lass uns das Feuer der Leidenschaft gemeinsam löschen. O Henri, du bist ein so erotischer Mann! Ich halte es nicht mehr aus.“

Es gab wohl kaum einen Mann, der den Verführungskünsten der attraktiven Jennifer widerstanden hätte. Bei ihr war noch jeder schwach geworden, den sie aufs Korn genommen hatte. Und nun war Henri Vogt dran! Dass er einer anderen gehörte, störte Jennifer nicht, eher im Gegenteil, das machte die Verführung noch interessanter. Es erregte sie, den Besitz einer anderen zu benutzen. Für Jennifer war nur maßgebend, was sie wollte!

Plötzlich öffnete sich die Küchentür.

Chloé trat ein, zog ihre Augen zu schmalen Schlitzen und schien ihre Krallen auszufahren. Ihr blieb das Herz stehen, als sie sah, wie betrunken Henri bereits war. Er hatte weder seine Umgebung noch seinen Körper unter Kontrolle und schwankte bedenklich. Sie konnte sehen, wie Jennifer ihren Freund intensiv befummelte und die Situation schamlos ausnutze.

Henri hatte sie noch nicht bemerkt, aber Jennifer wusste, dass sie da war, und sie schaute Chloé ungeniert und triumphierend in die Augen. Irgendwann bemerkte Henri, dass sie nicht mehr allein waren. Er drehte sich um und blickte Chloé an. Schweiß perlte auf seiner Stirn und seine Augen glänzten wie im Fieber. Er war wie vom Donner gerührt, schämte sich dafür, dass Chloé ihn in einem angetrunkenen Zustand sah.

Chloé starrte ihn enttäuscht und wutentbrannt an. Dann schritt sie langsam auf Jennifer zu.

„Habe ich euch gestört?“, fragte sie frostig, nachdem sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.

„Natürlich störst du“, antwortete Jennifer bissig. „Wir wollten gerade in ein Gästezimmer gehen. Henri ist ja so wild und gierig darauf, meinen Körper zu befriedigen.“

„Ach ja?“ Die Augen von Chloé blitzten gefährlich, dann drehte sie sich zu Henri. „Du bist also scharf auf ihren Körper?“

„Hä?“, stammelte er lallend. „Was für ein Körper?“

„Na, das Miststück neben dir meinte gerade, dass du wild auf ihren unförmigen Körper bist.“

„Ähh ...“, meinte Henri. Zu mehr kam er nicht, denn Jennifer trat entschlossen einen Schritt nach vorne.

„Wer ist hier ein Miststück?“, fauchte sie zornig.

„Du blöde Kuh natürlich!“

Jennifer begann, am ganzen Körper zu zittern. Ihre Wut machte sich in roten Wangen und aufgeblähten Nasenflügeln bemerkbar.

Chloé beachtete sie nicht weiter. Sie drehte sich zu Henri, der sich schwankend am Küchenschrank festhielt. Er glaubte, sich auf der Lady Lovibond bei Orkan und hohem Seegang zu befinden.

„Komm, ich werde dich besser nach Hause fahren“, meinte sie.

„Ja, Kapitän. Sir!“, antwortete Henri, der glaubte Simon Peel, den Kapitän der Lady Lovibond vor sich zu haben.

„Ich sollte dich besser ins Bett bringen, du wirst morgen gewaltige Kopfschmerzen haben. Los, komm!“, bestimmte Chloé dominant.

Henri nickte, löste sich vom Kühlschrank und erlitt dabei fast einen Schwindelanfall, als sich die Küche plötzlich drehte. Der Seegang wurde immer stärker, vermutete er.

„Er bleibt bei mir!“, schrie Jennifer, noch immer zornig. Sie war sich noch unsicher, was ihre Wut wirklich ausgelöst hatte. War es die Unterbrechung, das Schimpfwort „Miststück“ oder der Ausdruck „unförmiger Körper“ gewesen? Sie trat vor Chloé und schubste sie einen Schritt zurück. „Er bleibt bei mir.“

Chloé wollte es nicht tun! Aber es geschah, ohne dass sie ihre Bewegungen steuern konnte. Sie holte aus und traf die rechte Wange von Jennifer mit ihrer flachen Hand. Das getroffene Mädchen stieß einen Schrei des Schmerzes und der Verwunderung aus und taumelte zwei Schritte zurück. Sie stieß gegen den Küchentisch, stolperte, drehte sich einmal und landete mit dem Gesäß auf dem Fußboden.

Chloé beachtete die gestürzte Jennifer nicht weiter, ergriff die Hand von Henri und zog ihn hinter sich aus der Küche. Sie verabschiedete sich kurz von ihren Freundinnen, schob den schwankenden Henri aus dem Haus, drängte ihn in das Auto von Cedric und fuhr ihn nach Hause.

Dort eingetroffen, erkannte sie, dass in der Küche noch Licht brannte. Nach ihrem Klingeln öffnete Cedric, der um zwei Jahre ältere Bruder von Henri, die Haustür.

„Hallo, Cedric“, begrüßte ihn Chloé. „Schön, dass du zu Hause bist. Henri sagte, dass du heute bei Laura schlafen wolltest.“

„Hi, Chloé“, antwortete Cedric und lächelte sie freundlich an. „Wir haben kurzfristig die Pläne geändert. Laura bleibt heute Nacht hier. Ist etwas geschehen?“

„Könntest du mir bitte helfen? Dein Bruder liegt betrunken in deinem Auto und schnarcht. Allein schaffe ich es niemals, ihn in sein Bett zu bringen.“

Cedric blickte sie verwundert an, dann begann er zu lachen.

„Du meinst wirklich meinen kleinen Bruder Henri? Den Henri, der so über Alkohol schimpft? Den Henri, der mir erzählte, er würde sich niemals einen Rausch antrinken?“

„Ich glaube, wir meinen beide den Gleichen“, antwortete Chloé und begann auch zu lachen. Erneut wunderte sie sich über die erstaunliche Ähnlichkeit der beiden Brüder. Sie hatten eindeutig die gleichen Augen.

„Das will ich sehen“, meinte Cedric, schlüpfte in Turnschuhe und trat, gefolgt von Chloé, neben das Auto. Henri saß auf dem Beifahrersitz, hatte seinen Kopf an die Scheibe gelehnt und schlief.

„Was hat er denn getrunken?“

„Ich vermute mal Wodka, aber ich war nicht dabei“, antwortete Chloé.

„Wart ihr nicht gemeinsam auf der Party?“

„Doch, aber ich habe mit Anna und Lisa geratscht. Henri wollte sich etwas vom Büfett holen.“

„Davon wird man aber nicht so betrunken.“

„Stimmt, ich fand ihn eine Stunde später in der Küche. Henri lehnte betrunken am Kühlschrank und die blöde Jennifer Scheele überprüfte die Festigkeit seiner Muskeln.“

„Ähh ...“, meinte Cedric leicht stotternd. „Welche Muskeln?“

„Also bitte, Cedric!“, antwortete Chloé, musste jedoch über ihre eigene Wortwahl grinsen. „Sie befummelte seine Bauchmuskeln unter dem Hemd. Henri schien davon nichts mitbekommen zu haben, so betrunken war der.“

„Ob ihm das leidtut?“

Chloé funkelte ihn zornig an. „Sollten ihm die Berührungen einer Jennifer Scheele gefallen haben, bekommt er von mir ein Andenken verpasst, das er niemals wieder vergessen wird.“

Cedric musste lachen. Er mochte die Freundin seines Bruders, sie war ehrlich, direkt und offen.

„Hör auf zu lachen! Ich habe neunzig Kilogramm alkoholisierte Masse in deinem Auto liegen. Dein Bruder gehört ins Bett oder möchtest du, dass er deinen Wagen vollkotzt!“

Cedric erschrak. Nein, der Mageninhalt seines Bruders im Auto war das Letzte, das er sich wünschte. Er öffnete die Tür und schüttelte Henri, in der Hoffnung, er würde wach werden.

„Ist etwas geschehen?“, fragte eine weibliche Stimme von der Haustür. Cedric drehte sich um und strahlte das schlanke Mädchen an.

„Mein Bruder ist betrunken.“

„Henri?“, rief Laura, die Freundin von Cedric, verwundert aus.

„Ich habe es zuerst auch nicht glauben wollen. Aber es scheint wirklich geschehen zu sein.“

„Hallo, Chloé“, rief Laura, noch immer ungläubig über den Zustand von Henri. Chloé ging zur Haustür und begrüßte die Freundin von Cedric, die ihr vom ersten Moment an sympathisch gewesen war.

„Magst du einen Tee?“

„Ja, gerne“, antwortete Chloé.

„Bring du deinen Bruder ins Bett, Cedy“, meinte Laura. „Wir warten in der Küche.“

„Okay.“

Die Rückkehr der Dämonen, Teil 2 (Louisville/USA, 1926)

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