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Teil 1 Allgemeines › I. Internetstrafrecht – ein neues Phänomen in der strafrechtlichen Praxis

I. Internetstrafrecht – ein neues Phänomen in der strafrechtlichen Praxis

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In der rechtswissenschaftlichen Literatur[1] und in der strafrechtlichen Praxis[2] hat sich der Begriff „Internetstrafrecht“ längst etabliert. Der 27. Strafverteidigertag hatte sich bereits im März 2003 in einer stark frequentierten Arbeitsgruppe mit „Internetkriminalität“ befasst.[3] „Straftaten und Strafverfolgung im Internet“ bildeten ein Hauptthema des 69. Deutschen Juristentages 2012 in München[4], die jährliche Herbsttagung des Bundeskriminalamts beschäftigte sich 2013 mit „Cybercrime – Bedrohung, Intervention, Abwehr“.[5]

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All dies legt vielleicht die Vermutung nahe, durch die gewachsene Bedeutung des Internets sei inzwischen ein weiteres nebenstrafrechtliches Gebiet entstanden, ähnlich etwa dem Umwelt- oder dem Steuerstrafrecht. In der Tat wären in diesem Zusammenhang ja neue, „internetspezifische“ Tatbestände im materiellen Strafrecht denkbar, aber auch neue Regelungen im Strafverfahrensrecht, die insbesondere neuartige, gerade auf das Internet zugeschnittene Ermittlungseingriffsbefugnisse beinhalten könnten

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Ein so verstandenes „Internetstrafrecht“ existiert jedoch bislang allenfalls in Ansätzen. Mit Ausnahme der §§ 7 ff. des Telemediengesetzes (TMG) gibt es internetspezifische Normen, die die strafrechtliche Verantwortlichkeit der am Internet Beteiligten regeln, bisher nicht. Die meisten Straftatbestände, die man als „internetrelevant“ bezeichnen kann (zu ihnen unten Rn. 147 ff.), haben auch schon vor der „Erfindung“ des Internets existiert und in Theorie und Praxis keineswegs nur ein Schattendasein gefristet, so dass die Einschätzung, es handele sich bei den Delikten im Internet um „alte Straftaten mit neuen Mitteln“,[6] nicht ganz abwegig erscheint. Dies gilt etwa für Betrug und Beleidigung ebenso wie für die im Zusammenhang mit dem „Internetstrafrecht“ am meisten diskutierten Straftaten mit sexuellem oder politischem Hintergrund. Nur vereinzelt ist es bislang zu Neuerungen gekommen, bei denen auch und gerade an Internet-Sachverhalte gedacht ist bzw. an unerwünschte neuartige Phänomene, die sich „im Netz“ herausgebildet haben bzw. dort besonders auffällig geworden sind. So ist etwa der Tatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB in erster Linie als Reaktion auf einschlägige Vorfälle in Internet-Chatrooms zu verstehen (auch wenn man dies der Vorschrift mit ihrem fragwürdigen Bezug auf den überkommenen „Schriften“-Begriff des § 11 Abs. 3 StGB vielleicht nicht gleich ansieht).[7] Und auch § 303b Abs. 1 Nr. 2 StGB ist nicht zuletzt auf internettypische Angriffsformen („Denial-of-Service-Attacken“) gemünzt.[8]

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Dennoch ist es gerechtfertigt, die juristische Befassung mit Straftaten im Internet als eine Art „Spezialisierung“ nicht nur in der Rechtswissenschaft, sondern auch in der Strafverteidigerpraxis anzusehen. Zum einen hat sich durch das Internet eine neue Qualität strafrechtlich relevanten Verhaltens[9] herausgebildet. Die Tatbegehung ist schnell und flüchtig und unterscheidet sich schon dadurch erheblich von vergleichbaren Delikten im Bereich der traditionellen Medien (Zeitung, Rundfunk und Fernsehen). Das Internet ist geprägt von außerordentlicher Datenvielfalt, von Globalisierung und Anonymität. Die Täter im Netz agieren häufig transnational, da das neue Medium Ländergrenzen nicht kennt. Während bei den traditionellen Medien die Funktionen und Verantwortlichkeiten eindeutig unterschieden werden können, sind die Grenzen zwischen Urheber, Herausgeber und Konsumenten von Informationen im Internet fließend geworden.[10]

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Zudem lässt sich der Missbrauch des Internets zu Straftaten auf bestimmte Verhaltensgrundtypen zurückführen, die eng mit der Technik des neuen Mediums zusammenhängen: Das Bereitstellen von Daten (Einspeisung in das Datennetz, Ermöglichung des Zugriffs durch Dritte), das Setzen von Links auf eigene oder fremde Inhalte, der Transport von Daten durch das Netz und die Durchführung von so genannten Spiegelungen (Abgleich und Kopieren von Datenbeständen des Ursprungsservers auf mindestens einen weiteren Server).[11] Bei diesen Mustern handelt es sich um Tatbegehungsweisen, die den Straftaten außerhalb des Internets fremd sind.

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Schließlich ziehen die neuartigen Formen strafbaren Verhaltens im Netz aber auch neue rechtliche Probleme nach sich, die sich allenfalls partiell mit dem Strafrecht außerhalb des Mediums Internet überschneiden. Hierzu zählen im Bereich des materiellen Rechts beispielsweise die Verantwortlichkeit des Anbieters für fremde Inhalte im Zusammenhang mit der netzspezifischen Hyperlink-Technik[12], die zu Problemen bei der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe einerseits, zwischen Tun und Unterlassen andererseits, geführt hat, oder etwa die gesetzliche Einschränkung der Haftung des Internet Service Providers.

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Hinzu kommen neue strafprozessuale Fragen, von der Strafverfolgung durch anlassunabhängige polizeiliche Recherchen im Internet bis hin zu neuen (zwar nicht internetspezifischen, aber dennoch internetrelevanten) gesetzlichen Regelungen, wie sie etwa die Erhebung von Verkehrsdaten (§ 100g StPO) darstellt.

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Die Rechtsentwicklung hat in vielen Bereichen des Internetstrafrechts durchaus an Fahrt aufgenommen. Das gilt nicht nur auf nationaler, sondern nicht zuletzt auch auf internationaler bzw. europäischer Ebene – und dies wiederum auch mit Rückwirkungen auf die Strafgesetzgebung in Deutschland. Das gilt etwa für die Budapester „Convention on Cybercrime“ (CCC) vom 23.11.2001, der sich inzwischen die meisten Mitgliedstaaten des Europarates (aber auch einige weitere Staaten wie Japan oder USA) angeschlossen haben,[13] sowie für verschiedene Rahmenbeschlüsse aus der früheren „Dritten Säule“ der EU bzw. – seit dem Vertrag von Lissabon – EU-Richtlinien.[14]

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Dem Verteidiger hat sich somit ein weites Feld der Befassung mit neuen Sachverhalten und neuem Recht eröffnet. Es ist abzusehen, dass die weiter zunehmende Bedeutung des neuen Mediums in der gesellschaftlichen Praxis sich in Zukunft auch stärker im gerichtlichen Alltag widerspiegeln wird, als dies lange Zeit der Fall war.

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