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II. Der Musikeinsatz im Französischunterricht im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung II. 1 Die Hochzeit der Grammatik-Übersetzungs-Methode und die Folgen für den Musikeinsatz

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Der Einsatz von musischen Elementen im Französischunterricht wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts zugunsten der Grammatik-Übersetzungs-Methode weitgehend zurückgedrängt, wobei die zentrale Bedeutung der Grammatik durch die formale Bildungstheorie gerechtfertigt wurde.1 Parallel dazu etablierte sich im Gegensatz zum holistischen Einsprachigkeitsprinzip bei den Philanthropen2 und den Grammaires des Dames3 eine konsequente Zweisprachigkeit. Das zeigte sich im zeitgenössischen Französischunterricht darin, dass hauptsächlich übersetzt wurde. Marcus Reinfried fasst dieses Spannungsfeld folgendermaßen zusammen:

Das methodische Spektrum zwischen der kognitiven Durchdringung der Zielsprache und der ganzheitlichen Sprachpräsentation konstituierte sich nun in einer neuen Weise: Die synthetische Grammatik-Übersetzungsmethode, die es bereits in vorangegangenen Jahrhunderten gegeben hatte, bildete nach wie vor (in verbesserter Form) den einen Eckpfeiler des Spektrums. Die sogenannte „analytische Methode“, eine streng wörtliche Übersetzungsmethode, bildete nun den neuen Eckpfeiler; sie steht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland für den ganzheitlichen Pol beim schulischen Fremdsprachenlernen.4

Die beiden bekanntesten Vertreter der synthetischen Grammatik-Übersetzungs-Methode waren die beiden Lehrwerkautoren Johann Valentin Meidinger5 und Carl Ploetz.6 Diese Methode kann als klassisch-deduktiv7 bezeichnet werden und arbeitet vor allem mit Einzelsätzen. Im Gegensatz zu Meidinger führte Ploetz bereits im frühen Anfangsunterricht Sätze in der Zielsprache sowie Übersetzungen vom Französischen ins Deutsche ein. Ploetz folgte dem didaktischen Grundsatz vom Einfachen zum Komplexen, der das Prinzip Vom Eigenen zum Fremden ergänzt.8 Dadurch ergibt sich eine didaktische Progression der Lernziele, wobei Ploetz auch die Aussprache9 unter seinen Grammatikregeln berücksichtigte. Demgegenüber war die „analytische“10 Übersetzungsmethode von James Hamilton11 und Joseph Jacotot12 holistisch, nutzte authentische Texte und folgte einer intuitiven Lernkonzeption:13

Cette méthode est – avant tout dans l’enseignement de départ – déductive, atomiste, et utilise majoritairement des phrases indépendantes. À l’opposé, la méthode de traduction dite analytique d’Hamilton qui a trouvé un grand écho en Allemagne est de type holistique; elle repose sur une conception d’acquisition intuitive et fait usage de textes authentiques.14

Abb. 12:

Charles TOUSSAINT / Johann Gustav Ludwig LANGENSCHEIDT, Methode Toussaint-Langenscheidt. Brieflicher Sprach- (und Sprech-) Unterricht für das Selbststudium der französischen Sprache. Berlin: Langenscheidt 1903, S. 34.

Ihre methodischen Konzeptionen, die beide Autoren unabhängig voneinander entwickelten, wurden als Variationen ein und derselben Methode angesehen. Das trifft vor allem für den Elementarunterricht zu. Hier wurden von Anfang an längere authentische Texte übersetzt. Die Übersetzungen erfolgten satz- oder abschnittsweise sowohl von der Fremdsprache in die Muttersprache (version) als auch von der Muttersprache in die Fremdsprache (thème). Diese Rückübersetzung (Retroversion) diente der häuslichen Nachbereitung der Schüler. Als Vorbild diente die Interlinearversion, wobei der französische Teil des Textes mithilfe eines Kartons abgedeckt und dann zeilenweise wieder aufgedeckt wurde. Diese Technik wurde auch in der Methode Toussaint-Langenscheidt15 angewendet. Im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht vergrößern sich dann allerdings die Unterschiede zwischen Hamiltons und Jacotots Methode: Bei Jacotot läuft das Unterrichtsgespräch meist einsprachig und stärker inhaltsbezogen ab als bei Hamilton, wobei der Transfer zur Eigentätigkeit der Schüler eine wichtige Rolle spielt. Hamilton und Jacotot

beobachteten bei ihrer Methode den naturgemäßen Gang, wie der Fremde in einem fremden Lande oder die Kinder eine Sprache erlernen […], daß sie nämlich beide

1 dem Schüler gleich von Anfang an die Sprache als eine lebendige, Gedanken enthaltende vorführen, also lauter sprachganze Sätze geben, weil die Sprache eher als die Grammatik, das Concrete eher als die Abstraction, die Praxis eher als die Theorie ist; und daß sie

2 den Schüler die Gesetze der fremden Sprache möglichst selbständig erkennen und auffinden lassen, weil dieß für ihn […] förderlicher sei, als wenn er sich gleich von Anfang an mit dem abstracten Inhalte einer Grammatik herumzuschlagen habe und weil dadurch das ganze Verhältniß des Lehrers zu den Schülern heiterer, frischer und unmittelbarer werde.16

Unter den Schlagwörtern „Tout est dans tout: Toutes les intelligences sont égales“, „Tous les hommes ont une égale intelligence; tout homme a reçu de Dieu la faculté de pouvoir s’instruire“ erweiterte Jacotot seine zunächst nur auf den Leseunterricht in der Muttersprache („Langue maternelle“, 1823) konzipierten Unterricht auf andere Fächer wie Mathematik, Fremdsprachen („Langue étrangère“, 1829), Philosophie, Metaphysik und Musik:

De son chant. Un musicien parlerait de la mélodie des sons; un poète de la prosodie et des vers que chantait Calypso; un physiologiste examinerait si on chante avec un instrument à cordes, etc.

Un philologue dirait: il y a une édition de telle année où se trouve cette variante: Du doux dans sa voix, il y ajouterait mille conferatur, et il aurait le prix de quelque part.17

Muster, Ausgangspunkt und Ziel ist für Jacotot Fénélons Télémaque. Dabei

soll die erste Seite des Buches solange betrachtet, geübt und wiederholt werden, bis sie „unbewußtes Eigentum des Schülers geworden ist, ebenso soll das ganze Werk Kristallisationspunkt für das gesamte Wissen bilden nach dem Grundsatze „Apprends bien un livre et rapportes-y tous les autres.“18

Die methodischen Ansätze in den Lehrbüchern von Johann Heinrich Philipp Seidenstücker19 und Franz Ahn20 zeigen wie Ploetz eine schülergerechte grammatische Progression und favorisieren einen induktiven Grammatikunterricht. Beide Autoren befinden sich damit „zwischen dem ganzheitlichen und dem synthetischen Pol des Sprachenlernens“.21 Ahn plädiert wie die Philanthropen in den 1780er Jahren für eine Spracherlernung durch den Sprachgebrauch. Das Lernen von Regeln wird ausgeschlossen. Neben Übersetzungen sollen alle Grundfertigkeiten berücksichtigt werden. In seinem Praktischen Lehrgang, der in den Jahren 1834 und 1839 erschien, bietet Ahn

kleine Lektionen mit je einer neuen Regel und wenigen Vokabeln; hieraus werden französische bzw. englische und deutsche Sätze geformt, die dem Leben entnommen sind; die sehr kurze Grammatik ist gesondert. Die Aussprache soll praktisch gelehrt werden; Regeln werden nicht gegeben, sondern am Schlusse eine Aussprachebezeichnung, die sich an die Schreibung anschließt. Im zweiten Teile haben wir eine zusammenhängende Geschichte, ferner kleine Beschreibungen, Briefe, Anekdoten in der fremden und in deutscher Sprache, auch Idiotismen und Redensarten.22

Ahn stellt im Vorwort des von ihm herausgegebenen Französischen Lesebuchs für Gymnasien und höhere Bürgerschulen23 die Grundsätze der didaktischen Progression vom Einfachen zum Komplexen sowie vom Leichteren zum Schwereren dar, wobei vor allem das letztere Prinzip dem Grundsatz Vom Eigenen zum Fremden entspricht.24 Es wird darauf hingewiesen, dass die

meisten bisher in Deutschland erschienenen französischen Chrestomathieen und Lesebücher[n] […] den Ansprüchen, welche man in unseren Tagen an solche Schriften zu machen berechtigt ist, keineswegs genügen können. Nicht nur ermangeln sie der unumgänglich nothwendigen Fortschreitung vom Leichteren zum Schwereren, sondern sie sind auch, mit wenigen Ausnahmen, aus unlauteren oder sehr dürftigen Quellen geschöpft und scheinen überhaupt, in Auswahl und Anordung, das Werk der Uebereilung und des bloßen Zufalls zu sein.25

Bei der Auswahl des Stoffes bietet Ahn in „drei verschiedenen Kursus“ zunächst Einzelsätze, die klassischen Schriftstellern gewidmet und nach den Hauptabschnitten der Sprachlehre geordnet sind. Darauf folgen Anekdoten und naturhistorische Stücke. Der zweite Kursus beginnt mit leichten Fabeln von Fénélon, Lesage, d’Antelmy sowie Voltaire und schließt mit kurzen, authentischen (literarischen) Briefen ab, z. B. von Rollin an Friedrich den Großen bei seiner Thronbesteigung. Der (komplexe) dritte Kursus umfasst erzählende, beschreibende, belehrende und rednerische Prosa. Das Lesebuch schließt mit einer 26-seitigen Poetischen Darstellung mit der Funktion eines Appendice, der einen Vorläufer des Anhangs mit Gedichten und Liedern darstellt, wie sie in den Französisch- und Englischlehrwerken ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich waren. Die Gedichte und Fabeln werden nummeriert und mit dem deutschen Titel versehen. Darauf folgt der Text in der Fremdsprache. Neben Fabeln von Lafontaine wie Die Grille und die Ameise findet man Gedichte von Dubos, Legouvé, Chénedollé und anderen zeitgenössischen Autoren wie Delille26. Unter der Nummer 17. Die Macht des Gesanges wird auch der Bereich der Musik im Rahmen der Künste thematisiert:

Dans ses noirs ateliers, sous son toit solitaire,

Tu charmes le travail, tu distrais la misère.

Que fait le laboureur conduisant ses taureaux?

Que fait le vigneron sur ses brûlants coteaux?

Le mineur enfoncé sous ses voûtes profondes?

Le berger dans les champs, le nocher sur les ondes?

Le forgeron domptant les métaux enflammés?

Ils chantent, l’heure vole, et leurs maux sont charmés.27

Die acht abgedruckten Verse stellen einen Auszug und damit eine Didaktisierung des 27 Seiten umfassenden Gedichts L’imagination von Jacques Delille dar. Die oben genannten Beispiele zeigen, dass es zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen methodischen Pluralismus gab, obwohl dieser Pluralismus eingeschränkt wurde durch die Tendenz zur Übersetzung. Nach dem Vorbild des Lateinunterrichts war der Trend zur synthetischen Grammatik-Übersetzungs-Methode besonders stark an den klassischen Gymnasien, an den Realgymnasien und teilweise an den neusprachlichen Oberrealschulen. An den Realschulen und teilweise auch an den höheren Mädchenschulen bildeten sich Ansätze zur direkten Methode heraus.28

Musikeinsatz im Französischunterricht

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