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3. Der Aufbau der Einführung: historisch und systematisch
ОглавлениеWie trägt man dem in einem Band wie dem vorliegenden Rechung?
Wir hatten das vorangegangene Kapitel mit einer Frage begonnen. Sie lautet: „Eine Einführung in die Philosophie für Theologen?“ Diese Frage ist offenkundig nicht vollständig. Sie kann auf unterschiedliche Weise vervollständigt werden und dann beispielsweise lauten: Wozu brauchen wir und was soll eine solche Einführung? Welche Funktionen hat sie zu erfüllen, auf welche Weise hat sie dies zu tun und wie hat sie folglich aufgebaut zu sein?
Die Beantwortung all dieser möglichen Frageinhalte ist Aufgabe des vorliegenden Bandes selbst. Sie hat, selbstverständlich, auch vor dem Hintergrund zu erfolgen, dass bereits eine Vielzahl von Einführungen in die Philosophie und ihre Teilgebiete vorliegt. Warum bedarf es also noch einer weiteren? Und: Hat diese dann einen spezifischen Zugang zum Philosophieren beziehungsweise zu Spielarten der Philosophie zu vermitteln, der sich von dem von Nichttheologen unterscheidet? Als Einführung in die Philosophie für Theologen hat der Band sicherlich zumindest zum Teil anderen Erfordernissen zu gehorchen als eine allgemeine Einführung ins Philosophieren, und er hat daher durchaus einen spezifischen Weg zu suchen, der, im besten Falle, so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal aufweist. Gleichzeitig kann und darf es keinen spezifischen Zugang von Theologen zum Handwerk des Philosophierens überhaupt im Sinne einer Reduktion der methodischen Standards für die Korrektheit, Gültigkeit und Transparenz philosophischer Argumente geben, also ein spezifisch theologisches Philosophieren, weil dieses, wenn es den allgemeinen Regeln der Philosophie nicht genügen würde, überhaupt keine Philosophiewäre.
Das bedeutet also einerseits, dass der vorliegende Band keine allgemeine Einführung in die Philosophie, ihre Teilbereiche und die allgemeinen Regeln des philosophischen Argumentierens ist, und dass er auch kein homogenes Themenfeld abdeckt, wie dies bei Einführungen in die Metaphysik, Ethik, Rechtsphilosophie oder Ähnlichem der Fall wäre. Gerade die Reihe der Einführungen in die Philosophie der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft verfügt hier über vorzügliche Bände, denen nicht einfach ein weiterer hinzugefügt werden soll, der das dort Gesagte verdoppelt. Die Aufgabe besteht vielmehr darin, zunächst an das Philosophische in der Theologie überhaupt heranzuführen, es zu identifizieren und dann, von hier aus, diejenigen Aspekte des Philosophierens sichtbar zu machen, die als Voraussetzung einer wissenschaftlich verfahrenden Theologie relevant sind.
Deshalb trägt unser Band auch den Untertitel „Eine Einführung“. Dieser ist durchaus mit Bedacht gewählt; denn ebenso wie die Anfangsfrage unterschiedlich verstanden –und selbstverständlich unterschiedlich beantwortet – werden kann, gibt es eine Vielzahl von Wegen, die wir einschlagen können um in das Feld der Philosophie einzuführen.
Wir versuchen also zu zeigen, welche Relevanz Philosophie für die Theologie als Wissenschaftsdisziplin immer schon besitzt. Dabei wollen wir uns nicht darauf beschränken, formale Regularien vorzuführen, die zunächst als Hinführung zum Geschäft des philosophisch korrekten Argumentierens fungieren können. Im Vordergrund steht deshalb auch nicht die Frage, wie heutige Philosophie argumentativ mit den Problemen der heutigen theologischen Diskussionen umgeht. Auch hierzu liegen Einführungen bereits in ausreichendem Maße vor. Das Anliegen des vorliegenden Bandes ist es vielmehr, zukünftige Theologen dafür zu sensibilisieren, dass der gesamte große Fundus theologischer Überzeugungen, Lehrmeinungen und Fragestellungen immer schon vollständig von Philosophie durchdrungen war und dass die zweitausendjährige Geschichte der christlichen Theologie von Anfang an eine Geschichte der gegenseitigen Beeinflussung beider Disziplinen ist. Seitens der Philosophie wird diese Beeinflussung heute allerdings weitgehend nur noch historisch erfasst, weil sich Philosophie in einem mühsamen Prozess von der Theologie emanzipieren musste. Und tatsächlich ist die Abhängigkeit der Theologie von der Fähigkeit einer philosophischen Rechtfertigung und Begründung ihrer Thesen und Meinungen heute im Wesentlichen einseitig, weil umgekehrt von einer Abhängigkeit der Philosophie von theologischen Einflüssen nicht mehr in nennenswertem Umfang gesprochen werden kann.
Es geht im Folgenden also nicht in erster Linie darum, formale Aspekte der Argumentationsstrukturen herauszuarbeiten, mit denen philosophische Positionen vertreten wurden und werden, sondern es geht vor allem um die Darstellung der materialen Seite klassischer metaphysischer Systeme, deren Einfluss auf das theologische Denken bedeutsam war und ist. Der Band versucht so deutlich zu machen, dass Philosophie im Rahmen des Theologiestudiums kein bloßes Beiwerk ist, kein Nebenfach, das unabhängig neben oder parallel zu dem eigentlichen Fach Theologie bestehen würde. Wenn wir also keine allgemeine Einführung in die Philosophie bringen, wie sie für Philosophiestudenten sinnvoll wäre, stellen wir eben jene besonderen Aspekte der Philosophie in den Vordergrund, die sich mit theologischen Fragen berühren und deren formale Gestalt sowie ihr terminologisches Gewand betreffen. Dass wir, trotz des Kant’schen Diktums vom ‚philosophieren lernen‘, keine technische Anleitung zum angewandten Philosophieren geben und stattdessen für das Philosophische sensibilisieren wollen, das in der Theologie steckt, bedeutet aber zugleich auch, dass es diesem Buch auch nicht zusteht, eigene Positionen zu vertreten, sondern dass es sich darauf zu beschränken hat, historische Erscheinungsformen der Philosophie (und auch die heutige Philosophie ist eine solche historische Erscheinungsform) zu referieren und, soweit möglich, in ihrem Begründungszusammenhang darzustellen. Insbesondere werden wir darauf verzichten, in religionsphilosophischen Fragen eigene Positionen zu beziehen. Anders ausgedrückt: Es ist nicht der Zweck dieses Bandes, formale Instrumentarien zur Stützung philosophischer oder theologischer Positionen bereitzustellen. Tatsächlich beabsichtigen wir vor allem nicht, argumentative Instrumente zur Verfügung zu stellen, die dabei helfen könnten, theologische Inhalte als plausibel oder Sätze der Metaphysik als sinnvoll darzustellen. Dies wäre allenfalls Gegenstand einer Religionsphilosophie, die wir hier nicht zu entfalten haben. Überhaupt gehört die Frage, ob Glaubensüberzeugungen, darunter auch die basale der Existenz eines Seienden, wie es im christlich-theistischen Gottesbegriff gedacht wird, plausibel sind oder nicht, ausdrücklich nicht zu den Themen, zu denen wir eine eigene Position zu beziehen haben. Im Gegenteil haben wir streng dem Gebot der Neutralität zu folgen, weil es uns primär darum zu gehen hat, das Philosophische im Theologischen aufzudecken und zu benennen, ohne uns darum in den Dienst einer Apologese zu stellen. Der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar spricht gelegentlich von einer ‚knienden Theologie‘. Philosophie hat diese Phase überwunden, und das bedeutet: Philosophie darf nicht knien.
Der vorliegende Band bietet also keine argumentative Handreichung für Theologen, um ihre Annahmen philosophisch zu stützen. Vielmehr kann er nur ein Mittel sein um das Bewusstsein für jene Probleme zu schärfen, denen die Theologie vor dem Tribunal der natürlichen Vernunft begegnen muss und denen zu begegnen vor dem Hintergrund einer sich mittlerweile vollständig säkular verstehenden Philosophie zunehmend schwierig wird. Wer sich ernsthaft mit Theologie beschäftigt, muss sich auch den kritischen Fragen einer philosophischen Argumentation stellen, welche die Entwicklung der Ausgestaltung auch der theologischen Lehrgebäude als Ausdruck ihrer Abhängigkeit vom Begriffsgerüst der Philosophie und schließlich von deren vollständiger Historizität darlegt.
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Philosophie ist, wie wir oben bereits andeutungsweise ausgeführt haben, weder ein starres Gebilde noch ein umfassendes System, an dem eine Forschergemeinschaft arbeitsteilig bauen würde, um irgendwann zu so etwas wie einem endgültigen Ergebnis zu gelangen, das das weitere philosophische Arbeiten sich erübrigen lassen würde. Endgültige Wahrheit mit dem Anspruch der finalen Beantwortung all jener Fragen, die sich, abhängig von den ideengeschichtlichen Kontexten, in die sie eingebettet sind, je neu und anders stellen, kann mittels der Philosophie nicht erlangt werden. Wenn es aber die Philosophie nicht gibt, sondern nur eine Vielzahl von Philosophien, philosophischen Ansätzen, Meinungen und Diskussionen, und wenn die philosophische Arbeit je die Befassung mit Problemständen ist, die selbst Erzeugnisse der Arbeit ihrer Vorgänger sind, kann eine Erörterung der Rolle des philosophischen Denkens für die Theologie nicht umhin, deren historischen Charakter stets mitzubedenken. Als begriffliche Arbeit ist das Philosophieren damit zugleich immer auch der Historizität eben jener Begriffe unterworfen, mit denen sie operiert. Auch deshalb wäre es, wenn sich die allgemeine Frage nach der Philosophie laut Kant als Frage nach dem Philosophieren stellt, wenig sinnvoll, nur eine allgemeine Einleitung ins heutige Geschäft des Philosophierens und in dessen derzeitige Verfahrensregeln vorzulegen – abgesehen davon, dass die Standards begründeter Argumentation und begrifflicher Klarheit selbstverständlich von dauerhafter Geltung sein müssen.
Wenn Wittgenstein recht damit hat, dass die Bedeutung von Wörtern sich nur aus ihrer Verwendung im Vollzug eines kommunikativen Akts ergibt, dann gilt dies in besonderer Weise auch für philosophische Begriffe, deren Bedeutung sich je aus dem ideengeschichtlichen Kontext ihres Entstehens und ihrer Verwendung definiert; und dann können diese nicht anders als in ebendiesem Entstehungszusammenhang verstanden werden. Es gilt folglich, diesen ideengeschichtlichen Zusammenhang des Entstehens zumindest für jene philosophischen Begriffe wenigstens ansatzweise zu beleuchten, die auch theologisch Relevanz besitzen. Der vorliegende Band kann dies naturgemäß nur in exemplarischen Fällen leisten.
Die Auseinandersetzung mit Philosophie als einer für die Theologie hoch relevanten Disziplin umfasst daher historische und systematische Fragestellungen gleichermaßen, die nicht voneinander getrennt werden können. Das bedeutet zunächst, dass die historischen Fragen, mit denen wir es zu tun haben, niemals museal zu betrachten sind, dass wir sie also niemals nennen, nur weil sie historische Fakten sind, sondern dass sie immer auf ihren systematischen Gehalt hin untersucht werden müssen, der sich, im Falle der Theologie, nicht zuletzt in der Ausgestaltung theologischer Überzeugungen beziehungsweise dogmatischer Gehalte auswirkt. Museal ist eine philosophische Position – ebenso wie eine theologische oder jede andere – dann und nur dann, wenn sie argumentativ überwunden, also widerlegt und dadurch wirkungslos ist und wenn sie auch zum Verständnis begriffs- und ideengeschichtlicher Zusammenhänge nichts mehr beiträgt. Die Analyse ideengeschichtlicher Zusammenhänge, das heißt die Betrachtung historischer Spielarten von Philosophie, dient so immer auch dem Verständnis eben jener Vorgänge, aus denen sich die heutige Art, philosophisch zu fragen und zu forschen, herleitet; denn philosophische Fragen entstehen immer aus einer Verbindung grundsätzlicher Erkenntnisinteressen mit den Vorgaben tradierter Problemstände, die nicht zuletzt die Perspektive vorgeben, aus der die Gegenstände unseres Interesses betrachtet werden.
Zugleich zeigt sich, dass das Entstehen neuer philosophischer Positionen und Argumente immer zumindest auch den Charakter der Lösungssuche für derart gegebene Problemstände trägt. Wenn Philosophie aber immer Problemlösung im Sinne einer antwortenden Reaktion auf bisher ungeklärte oder unbefriedigend geklärte, historisch entstandene Fragen ist, dann müssen zu ihrem Verständnis immer auch diese Fragen und ihre Genese offengelegt werden. Ein ahistorisches Verfahren wäre, wie das diesem Band vorangestellte Motto besagt, ein erster Schritt hin zum philosophischen Dilettantismus, weil philosophische Fragen, deren Historizität beziehungsweise deren historische Genese vollständig im Dunkeln bleibt, gleichsam in der Luft hängen und sich über kurz oder lang der Beliebig- und Belanglosigkeit überantworten.
Gleiches gilt für die Theologie. Theologie ist keine Wissenschaft, die sich neu erfinden würde. Gerade die Darstellung der Relation von Philosophie und Theologie in Johannes Pauls oben zitierter Enzyklika zeichnet das Bild einer historisch gewachsenen Disziplin, deren Bestände weit in die Antike zurückreichen. Und auch die systematische Theologie, die zeitgemäße Darstellungs- und Ausdrucksformen sucht, um Theologie als Wissenschaft auf der Höhe heutiger Standards zu betreiben, transportiert im Wesentlichen jene Fundus theologischer Überzeugungen, die das Erbe ihrer frühen Verschmelzung mit der griechischen Denktradition dokumentiert.
Im Falle der Theologie besitzt diese Sichtweise eine große Tragweite; denn sie besagt, dass auch die Herausbildung der Interpretationen derjenigen Gehalte, die im christlichtheologischen Verständnis als geoffenbart angesehen werden, ein historischer Vorgang ist, der in hohem Maße in Abhängigkeit zu dem philosophischen Kontext steht, in den diese Gehalte gestellt werden.
Tatsächlich ist es plausibel, dass nur durch die Verbindung mit dem begrifflichen Denken der hellenischen Philosophie die christlich-theistischen Inhalte zu sich und zu einer wissenschaftsfähigen Form kommen konnten. Als systematische Form theologischen Denkens hat das philosophische Begriffssystem der Zeit somit selbstverständlich zentralen Einfluss auf die theologischen Inhalte selbst. Dass dies umgekehrt ebenso der Fall ist, lässt sich beispielhaft an der umfangreichen Tradition der trinitätsspezifischen Überlegungen ablesen, die, im Anschluss an Augustinus, auch auf die Anthropologie einwirken – und, insbesondere, am Beispiel des Begriffs der ‚Person‘, dessen gewichtige Rolle im philosophischen Denken zumindest eine seiner Initialzündungen in der Offenbarungslehre der Christologie und ihrer Zwei-Naturen-Lehre findet.
Provokant ausgedrückt: Wäre die Kompatibilität der neuen christlichen Offenbarungstheologie mit der Philosophie der Zeit, also der späten Antike, nicht in so hohem Maße gegeben gewesen, dass sich die neue christliche Glaubensrichtung mit ihr harmonisch verbinden konnte, wäre die Geschichte des jungen Christentums anders – und vermutlich deutlich weniger erfolgreich – abgelaufen. Und wäre die Philosophie der Zeit (Kompatibilität vorausgesetzt) eine andere als die des Neuplatonismus gewesen, hätte sich die christliche Theologie inhaltlich sicherlich vollständig anders entwickelt, als sie es tatsächlich getan hat. Das Christentum sähe heute vermutlich anders aus.
§ 55 der oben bereits ausführlich zitierten Enzyklika „Fides et Ratio“ von Johannes Paul II. gibt unseren historisch orientierten Überlegungen recht, indem er die „Geringschätzung für die klassische Philosophie, aus deren Begriffspotential sowohl das Glaubensverständnis als auch die dogmatischen Formulierungen ihrer Begriffe geschöpft haben“, als „latenten Fideismus“61 deutet und damit das Gewicht auch der Kenntnis historischer Formen der Philosophie aufzeigt. Ohne sie ist eine kompetente Beurteilung theologischer Aussagen nicht möglich, weil diese unter anderem die Fähigkeit voraussetzt, theologische Positionen als Ausdruck historisch bedingter Wechselwirkungen mit der Philosophie erkennbar zu machen: eben weil die Theologie, ebenso wie die Philosophie, ein Produkt der Zeit ist. Der spezifische Zugang einer Einführung in die Philosophie für Theologen kann und sollte daher der einer Mischung aus systematischen und historischen Überlegungen sein, den wir tatsächlich für unser Projekt wählen. Über den Verzicht auf Formalisierungen und lehrbuchartige Anleitungen haben wir bereits berichtet, und unser Band ist daher über weite Strecken eher einem essayistischen Stil verpflichtet. Wenn es dabei gelingt zu zeigen, dass Philosophie in der Theologie eben nicht nur formal in der Gestalt methodisch korrekter Argumentationen und begrifflicher Analysen, sondern dass sie material durch die theologische Rezeption philosophischer Inhalte beeinflusst ist, und wenn es gelingt nachvollziehbar zu machen, dass die Fragen, die sich die heutige Theologie stellt, auch und in hohem Maße Wirkungen von Philosophien sind, die zwar heute nicht mehr im selben Sinne vertreten werden, die also nicht als „wahr“ gelten können, die aber dennoch, eben in der Generierung neuer Fragen und der auf diese gegebenen Antworten, wirksam sind und bleiben, hat sich das gewählte Verfahren bewährt. Die Herausforderung, vor die sich Theologen vor diesem Hintergrund gestellt zu sehen haben, ist möglicherweise die Einsicht, welche auch den Kerngehalt des Mottos unseres Bandes widerspiegelt:
veritas filia temporis.