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3. Es war nicht immer so, wie es ist: Pfarrseelsorge im Wandel

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Von Mathias Wolf

Die Kirche in unserem Land befindet sich bereits seit Jahren in einem leisen, aber nicht minder gravierenden Wandel. Das geht auch an der äußeren (Sozial-)gestalt der Kirche nicht spurlos vorüber. Die Jahrzehnte wachsender Gemeinden und Einnahmen, hoher Kirchenbesucherzahlen, selbstverständlichen persönlichen Engagements und starker Jahrgänge sind vorbei. Diese Aufwärtsbewegungen waren bedingt durch die außerordentliche Situation in der Folge des Krieges wie Werteverlust, millionenfaches Leid, Wirtschaftswachstum, Bevölkerungsbewegungen sowie -wachstum, die 68er Bewegung sowie Aufbruchstimmung in Konzil und Synode. Wir erkennen heute: Kirchengeschichtlich gesehen waren diese Jahrzehnte eine Ausnahme und singuläre Erscheinung am Ende der Phase des Kulturkampfes mit seinen geschlossenen katholischen Milieus.

In unserem Gedächtnis allerdings sind diese Phänomene der letzten Jahrzehnte aber oft normgebend im Sinne eines Idealbildes von „Pfarrgemeinde“. Der Abschied von diesem Idealbild fällt allen schwer. Beim Blick in die Bistumslandschaft in Deutschland entsteht der Eindruck, als habe auf der Leitungsebene operative Hektik und in einigen Fällen sogar offene Panik eingesetzt. Es werden in aller Eile Strukturen, die über Jahrhunderte das Kirchesein am Ort unter verschiedensten Umständen ermöglichten, aufgelöst. Es wirkt so, als geschehe dies, weil die hergebrachten Strukturen nicht mehr so „funktionieren“ wie in den letzten Jahrzehnten und das vermeintliche Idealbild nicht mehr erfüllen.

Der Blick in den Rückspiegel der Geschichte kann in der aktuellen Umbruchsituation vielleicht ein wenig mehr dazu beitragen, nicht die Orientierung zu verlieren.

Kirche und Glaube gab es auch vor unserer Zeit in oft noch größeren Gebieten mit wesentlich weniger Personal als heute und in unterschiedlichster Ausprägung vor Ort. Ein Wandel dieser Struktur ist also aus historischer Sicht nichts Neues. Ein durchgängiges Kontinuum über die Geschichte hinweg war die Pfarreistruktur – in welchen Zuschnitten auch immer. Die Christen waren bemüht, eine Pfarrei zu bilden, und haben dies oft auch unter größten Entbehrungen ermöglicht. So haben Pfarreien die Jahrhunderte der Religionskriege und der Säkularisation, des Gläubigen-, Geld- und Personalmangels überlebt oder sich immer wieder neu gegründet.

Ein weiteres Phänomen wirkt heute zusätzlich bedrängend: der Priestermangel. Es gibt nicht mehr genug Priester, die als Pfarrer einer Pfarrei und der Eucharistiefeier vorstehen können und so viele (kleine) Pfarreien versorgen können. Das Projekt der massiven Reduzierung der Pfarreien ist dann oft der Versuch, die verbliebenen Priester zu entlasten und ihnen zugleich den größtmöglichen Einfluss zu erhalten. Es scheint ganz pragmatisch das Dilemma des Priestermangels zu lösen. Der erwünschte Effekt bleibt aber meist aus, da oft nur noch mehr Zusammenbrüche der verbleibenden Priester die Folge sind.

Angesichts dieser Veränderungen stehen wir vor der Herausforderung, die Kirche vor Ort und überörtlich so aufzustellen und zu organisieren, dass sie den Herausforderungen der Gegenwart gewachsen ist und zugleich ohne Priester und Eucharistiefeier überlebensfähig ist. Dies nicht, weil Priester und Eucharistiefeier nicht wichtig oder wünschenswert wären – das Gegenteil ist der Fall –, sondern weil sie aufgrund der bischöflichen Vorgaben einfach nicht mehr vorhanden sein werden.

Diese Herausforderung wird sich nicht durch Strukturen bewältigen lassen, die auf die wenigen Priester passgenau zugeschnitten sind. Was nottut, ist, die Kirche wieder auf die Füße zu stellen und sie zur Sache vieler zu machen. Das wird nur gelingen, wenn die Gläubigen in größtmöglicher Verantwortung ehrlich beteiligt werden und ihnen eine wie auch immer geartete Heimat im Glauben ermöglicht wird. Hierzu wird es nicht unbedingt Pfarrfeste, Pfarrgemeinderäte oder große Pfarrheime brauchen. Die Pfarreien der Jahrhunderte zuvor haben auch ohne all das lebendig sein können. Aber es wird Menschen brauchen, die da, wo sie leben (am Ort oder in ihren sozialen Milieus), gemeinsam dem Glauben eine Relevanz für ihr persönliches Leben einräumen. Wir stehen in unserer Zeit vor der Herausforderung, plausibel von Gott jenseits der Logik innerweltlicher Brauchbarkeit1, Nützlichkeit und permanenter Opitimierung zu sprechen.

Was die aktuellen Veränderungen allerdings von jenen der Vergangenheit unterscheidet, ist die rasende Geschwindigkeit der gesellschaftlichen Umbrüche und der Erodierungsprozess der verfassten Kirche in der westeuropäischen Gesellschaft der Moderne. Die Gründe hierfür sind vielseitig. Zahlreiche Religionssoziologen stellen sich der Suche nach den Ursachen im Inneren und Äußeren. Bei ehrlicher Sichtweise zeigt sich: Die verfasste Kirche befindet sich in einem Erosionsprozess, wie er in seinen äußeren Auswirkungen vielleicht zum letzten Mal in der Folge der Reformation in unseren Breiten stattfand. Dies bedeutet in der Konsequenz: Das tridentinische Organisationsmodell der Kirche, wie es in der Gegenreformation entwickelt, im CIC festgeschrieben und in der Folge des Kulturkampfes in Deutschland idealtypisch durchaus auch mit Erfolg umgesetzt wurde, ist an sein definitives Ende gekommen. Das Bild vom Pfarrer als „guten Hirten“ („pastor proprius“ der Pfarrei) – unzählige Male auf Pfarrhäusern dargestellt – und der „Herde“ der Gläubigen, die von ihm „betreut“ wird, hat längst keinen Anhaltspunkt mehr in der Realität und spukt dennoch in den Köpfen und Herzen vieler herum. So schmerzlich es ist: Wir müssen uns davon verabschieden. Neues muss sich entwickeln. Die Kirche ist unterwegs zu einem neuen Organisationsmodell – jenseits des vom Konzil von Trient entworfenen. Wir dürfen gespannt sein, wie es aussehen wird.2

1 H. J. Höhn, Herder Korrespondenz 4/2011; S. 180.

2 Einen ersten Einblick, wie es anders sein könnte, gibt R. Bucher im Herder Korrespondenz Spezial „Pastoral im Umbau“, April 2011, 6 ff.

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