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6. In persona Christi capitis: Priesterliches Dienstamt

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Von Andreas Unfried

Es kann hier in diesem Zusammenhang nicht um eine umfassende Theologie des priesterlichen Amtes gehen. Doch ist es andererseits augenfällig, dass eine Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Umbruchphase der kirchlichen Sozialgestalt in unserem Land nicht an diesem Aspekt vorbeigehen kann. Schließlich ist der grassierende Priestermangel mindestens eine (viele würden sogar sagen: die entscheidende) treibende Kraft hinter allen Umbrüchen und Abbrüchen. Vom Priestermangel redet man in der deutschen Kirche schon solange ich denken kann. In meiner Jugend meinte man damit allerdings Situationen, in denen in einer Gemeinde kein Kaplan mehr eingesetzt werden konnte oder wo ein Pfarrer sich genötigt sah, die Nachbargemeinde in Personalunion mit zu übernehmen. An Situationen, als Pfarrer die Leitung von acht oder sogar mehr Gemeinden übernehmen zu sollen, hätten selbst wir kritische Studenten während unseres Studiums noch nicht geglaubt, gaben uns stattdessen der Erwartung hin, dass die organisatorischen Sachzwänge über kurz oder lang ein theologisches Umdenken erzwingen würden, was die Zugangswege zum Weihesakrament bzw. die Aufgaben und Vollmachten der Laientheologen betrifft. Stattdessen haben wir in den vergangenen 20 Jahren erlebt, wie ein immer größerer Pragmatismus in der Ausgestaltung der praktischen Seelsorge einherging mit einer deutlich restaurativen Tendenz in der offiziellen Theologie. Auf die Veränderungen, die das Berufsbild der Laientheologen dadurch erfuhr, wird im nächsten Kapitel einzugehen sein. Hier soll zunächst das Augenmerk auf den Priesterberuf gelenkt werden.

Das Wesen des Priesteramts in der Kirche beschreibt das Lexikon der katholischen Dogmatik in der Aufnahme der Lehraussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils („Lumen Gentium“ und „Presbyterorum ordinis“) als ein hierarchisch gegliedertes Dienstamt in der Kirche in den Dimensionen Verkündigung, Heiligung (durch die Feier der Sakramente) sowie der Leitung der Gemeinde und von Einzelnen. In diesen Bereichen wirken die Priester im Auftrag des Bischofs zum Wohle der Gemeinden. Seinen Sinn findet das priesterliche Amt im Dienen. Der Priester kann in doppelter Hinsicht als Repräsentant gesehen werden: Einerseits repräsentiert er der Gemeinde gegenüber Jesus Christus (Handeln „in persona Christi capitis“), andererseits repräsentiert er der Gesellschaft gegenüber die Kirche. Die Akzentuierung des Priestertums als Opferpriestertum wurde vom Konzil durch dessen Einbettung in das umfassender verstandene Dienstamt eher zurückgenommen (und damit in seiner kontroverstheologischen Sprengkraft entschärft). In abgeleitetem Sinne (unbeschadet der einzigen Mittlerschaft Christi) darf der Priester dennoch weiterhin als „Mittler“ gelten (Lumen Gentium 14).

Nun ist zu beobachten, dass die nachkonziliare Praxis des priesterlichen Dienstes eine zunehmende Verengung erfahren hat. Waren die Dimensionen des Priesters als Mittler und als Repräsentant von vornherein eher Nebenaspekte des vorherrschenden Priesterbilds des Gemeindeleiters, so hat sich über die Jahre auch darin noch einmal eine immer stärkere Fokussierung auf das Charisma der Leitung ergeben. Dies wäre womöglich zu verschmerzen gewesen, hätte es nicht durch die Not erzwungen auch innerhalb dieses eingeschränkten Priesterbilds zusätzlich noch einmal eine Verengung auf einen (wenngleich zentralen Aspekt) priesterlichen Handelns gegeben, nämlich auf das Charisma der Leitung hin. Der Pfarrer, der nolens volens in Gehorsam gegenüber seinem Bischof und aus Verantwortungsgefühl für die Gemeindemitglieder die Seelsorge in der zweiten und meist bald der dritten Pfarrei übernahm, tat es beinahe immer „unter Beibehaltung seiner bisherigen Aufgaben“ und (was folgenreicher war) in Beibehaltung der gleichen Vorstellung vom priesterlichen Dienst. Wer sich bisher als Seelsorger seiner Gemeinde verstanden hatte, der wollte dies nun auch für zwei oder mehr Gemeinden sein. Die zusätzlichen Termine im Kalender versuchte man mit besserem Zeitmanagement in den Griff zu bekommen bzw. dadurch, dass man sich Mühe gab, pastorale Felder zu vereinheitlichen. Statt bei einem Pfarrfest präsent zu sein, ging der Pfarrer jetzt auf drei. Vielleicht blieb er dort nicht mehr so lange wie früher, was ihm dann den Vorwurf eintrug, er habe kein rechtes Interesse mehr an seiner Gemeinde. Statt ein Mitarbeiterfest für die Ehrenamtlichen auszurichten, versuchte der Pfarrer es nun mit mehreren, bei denen man ja das Unterhaltungsprogramm angleichen konnte (mit ähnlichen Ergebnissen wie oben; der Versuch, es allen recht zu machen, lief – und läuft – so auf tragische Weise ins Leere). Verstärkt wurde und wird diese Entwicklung (die ja keineswegs abgeschlossen ist) durch die Bildung größerer Pastoraler Räume oder Seelsorgeeinheiten und den ständigen Druck der Strukturdiskussionen. Aus dem Gemeindepfarrer wurde so der priesterliche Leiter. Natürlich feiert der auch weiterhin Gottesdienste – aber bitte nicht länger als 55 Minuten. Die nächste Gemeinde wartet. Natürlich ist er weiterhin in der Verkündigung tätig – aber aus Zeitmangel muss es öfters schon mal die Predigt von vor drei Jahren tun. Natürlich steht er weiter für persönliche Seelsorgsgespräche zur Verfügung – aber man muss halt erst einmal einen Termin bei ihm ergattern respektive genug Mut aufbringen, den Pfarrer, der ja so wenig Zeit hat, mit den eigenen Anliegen zu belästigen.

Nimmt es wunder, dass diese Entwicklung, ganz abgesehen von der Zölibatsdiskussion, dem Priesterberuf nicht zuträglich sein kann? Welcher junge Mann, selbst wenn er die Herausforderung eines ehelosen Lebens um des Himmelreiches willen für sich annehmen möchte, sollte in der gegenwärtigen Gestalt des Priesterberufs eine attraktive Perspektive für sein Leben und einen persönlichen Weg der Nachfolge Jesu sehen? Muss man sich darum wundern, dass von den wenigen Priesterkandidaten und jungen Priestern heute immerhin eine ganze Reihe sich nicht auf die Rolle des priesterlichen Leiters festlegen lassen wollen (und womöglich auch nicht viel Talent in dieser Beziehung besitzen), was andererseits die prekäre Situation für die Bistumsleitungen noch verschärft?

Ich möchte mit diesen Überlegungen nicht dahingehend missverstanden werden, dass man sie als Argument für die Beibehaltung des Pflichtzölibats hernehmen könnte. In der Tat fehlen unserer Kirche heute Priester. Und genauso unabweislich gibt es in unserer Kirche weiterhin eine ganze Anzahl junger Menschen, die vielfältige Gnadengaben des Heiligen Geistes in sich tragen, die fruchtbar gemacht werden könnten, wenn sie auch dazu die nötige Ausbildung und den nötigen Auftrag der Kirche bekämen. Allen Versuchen zum Trotz, die Diskussion um den Pflichtzölibat und erweiterte Zugangswege zum Priestertum für beendet zu erklären, halte ich fest daran, dass eine Kirche, die so handelt, in Gefahr steht, sich dem Anruf des Heiligen Geistes zu verweigern. Allerdings liegen die Dinge längst nicht so klar und eindimensional, dass mit der Aufhebung des Pflichtzölibats auf einmal alle kirchlichen Probleme behoben wären. Für die beklagenswerte Verengung des Priesterbilds auf den leitungsstarken Organisator von Großpfarreien kommt allerdings unabhängig von der Diskussion um die Zugangswege zum Priestertum eine andere Perspektive in den Blick: Die Bildung von – dezentral organisierten – Großpfarreien setzt eine namhafte Zahl von Priestern frei für eine andere Ausprägung ihres priesterlichen Dienstes. Es wird zukünftig neben den leitenden Pfarrern eine erhebliche Zahl von „mitarbeitenden Priestern“ geben. Bisher gibt es wenig Praxis, was die Berufsrolle dieser priesterlichen Mitarbeiter anbetrifft. Im Pastoralteam der hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger werden sie Kollegen von Pastoral- oder Gemeindereferenten und -referentinnen sein. Dennoch wird die Priesterweihe ihren Dienst immer auch abheben von dem der anderen. Es bestünde so zumindest die Chance, derzeit wenig akzentuierte Dimensionen des Priestertums zurückzugewinnen, sei es in Bezug auf die Einzelseelsorge oder für die Repräsentanz von Kirche in säkularen Feldern der Gesellschaft. Nicht zuletzt könnte für die würdige und sprechende Feier der Liturgie neues Terrain gewonnen werden.

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