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»Was sich lohnt«: das wichtigste Verhaltenskriterium

Die ökonomische Verhaltenstheorie geht davon aus, dass Menschen sich eingeschränkt rational eigennutzmaximierend verhalten; eingeschränkt rational und nicht vollständig rational, weil sie nie alle Informationen zur Verfügung haben, die sie bräuchten, um perfekte Entscheidungen treffen zu können. Für die betriebliche Praxis hat die Annahme rationalen Verhaltens weitreichende Konsequenzen. Denn wer kennt nicht das alltägliche Kopfschütteln über Kollegen, die »schon wieder« etwas gemacht haben, »was doch einfach nicht wahr sein kann« – wobei die Formulierungen oft erheblich prägnanter sind.

Wenn man jedoch annimmt, dass sich alle Menschen im Unternehmen rational verhalten, dann kann man sich nicht mehr über diese Kollegen ärgern. Denn wenn deren Verhalten unverständlich ist, dann kann das ja nur an fehlenden Hintergrundinformationen liegen. Und die verbleibende Frage ist nur noch, ob den betreffenden Kollegen notwendige Informationen fehlten, um eine gute und sinnvolle Entscheidung zu treffen, oder ob einem selbst wichtige Kenntnisse fehlen, um deren Verhaltensweise verstehen zu können.

2.1 Rationalität trotz ständiger Konflikte im Unternehmen?

In Sinne einer konstruktiven Zusammenarbeit im Unternehmen ist es eine gute Idee, stets von rationalem Verhalten aller Beteiligten auszugehen. Rationalität bedeutet aber nicht, »dass das Individuum in jedem Augenblick optimal handelt, dass es also gleichsam wie ein wandelnder Computer durch die Welt schreitet, der immer die beste aller vorhandenen Möglichkeiten blitzschnell ermittelt. […] Rationalität bedeutet in diesem Modell lediglich, dass das Individuum, wenn es seinen Intentionen folgt, prinzipiell in der Lage ist, gemäß seinem relativen Vorteil zu handeln, d.h. seinen Handlungsraum abzuschätzen und zu bewerten, um dann entsprechend zu handeln.«2

Hinter diesem Rationalitätsbegriff steht die aus ökonomischer Sichtweise geleitete Annahme, dass Individuen mit ihrem Handeln immer einen für sich selbst erwünschten und durch ihr zielgerichtetes Handeln erwartbaren persönlichen Nutzen realisieren wollen. Der angestrebte Nutzen entstammt dabei aus einem über einen gewissen Zeitraum stabilen Katalog bestimmter Ziele und Wünsche (Präferenzen), deren Realisierbarkeit allerdings durch widrige Umstände (Restriktionen) geschmälert wird.

Der Vorteil dieser ökonomischen Sichtweise auf das menschliche Verhalten ist, dass auf diese Weise nahezu jedes Verhalten erklärt werden kann. Es kann sogar prognostiziert werden, sofern man sowohl die individuellen Ziele als auch die diesen entgegenwirkenden äußeren Umstände kennt.

Das Verhalten seiner Mitarbeiter einschätzen und prognostizieren zu können, ist für ein Unternehmen natürlich hochinteressant. Denn mit dem Verhalten der Mitarbeiter wird damit ein großer Teil der für den Unternehmenserfolg entscheidenden Einflussfaktoren und Stellgrößen prognostizierbar. Vor allem aber können Führungskräfte das Verhalten ihrer Mitarbeiter im Sinne des Unternehmens beeinflussen, wenn die Annahme stimmt, dass Menschen einen mehr oder weniger klar gegliederten Katalog von Wünschen und Zielen haben, der ihre Handlungen bestimmt.

Es gibt jedoch auch Kritik an der Annahme eines unmittelbaren und zwangsläufigen Zusammenhangs zwischen bestimmten Verhaltensintentionen und dem anschließenden tatsächlichen Verhalten. Denn unter dieser Annahme ist prinzipiell jedes Verhalten rational erklärbar und die ökonomische Verhaltenstheorie damit ohne nennenswerten Erkenntnismehrwert der Beliebigkeit ausgesetzt, wie folgende Beispiele zeigen: Das Streben nach Wohlstand? Nur eine Funktion von beruflichen Zielen und begünstigenden Rahmenbedingungen. Enge Zusammenarbeit mit Kollegen? Lediglich Resultat einer Präferenz für Gruppenmitgliedschaft. Ethisch einwandfreies Verhalten bis hin zu Whistle-blowing oder aber das Gegenteil: unethischer Ökonomismus? Jede dieser Entscheidungen ist ebenso rational begründbar wie ihr Gegenteil. Es kommt nur auf den individuellen Katalog von Präferenzen an sowie auf die äußeren Restriktionen.

Letztlich stellt die Rationalitätsannahme nichts weiter fest, als dass »menschliches Handeln zweckgerichtet oder absichtsgeleitet ist, und dass es im Lichte der Präferenzen […], auf denen die Entscheidung des Handelnden beruht, Sinn macht, verständlich ist. Wie exzentrisch auch immer die Präferenzen [… ] eines Handelnden sein mögen, solange sein Handeln mit ihnen logisch konsistent ist, ist es [… ] als rational anzusehen«3. Damit sind selbst Konflikte zwischen Personen rational erklärbar. Denn wenn der Grund für den Konflikt unterschiedliche Informationen sind, dann handelt jeder der beiden Kontrahenten selbst während des Konfliktes noch rational, weil er mangels notwendiger Hintergrundinformationen die Verhaltensweise seines Gegenübers ja gar nicht verstehen kann; oder aber weil er die Informationen zwar ebenfalls hat, aber anders interpretiert.

Wenn Rationalität jedoch nur eine Frage der Verfügbarkeit von Informationen ist und selbst Konflikte als Ergebnis unvollständiger Informationen rational erklärt werden können, dann hat der Begriff der Rationalität zur Erläuterung und zum Verständnis des Verhaltens von Menschen im Unternehmen eigentlich keine Bedeutung mehr. Schließlich ist jedes Verhalten rational. Dennoch ist der Rationalitätsbegriff in der Unternehmenspraxis von höchster Wichtigkeit, denn wenn jedes Verhalten im Unternehmen rational erklärbar ist, sofern man die Ziele des Handelnden kennt, dann besteht kein Grund mehr, Konflikte mit Kollegen, Vorgesetzten oder sogar untergebenen Mitarbeitern emotional auszutragen. In solchen Konfliktsituationen sollten die Beteiligten vielmehr einen Schritt zurück treten und nach rational erklärbaren Gründen für das Verhalten ihres Kontrahenten suchen. Sie werden mit Sicherheit fündig und können destruktive Emotionalität in proaktive und kooperative Zielorientierung übertragen. Konflikte sind damit zwar nicht ausgeschlossen, werden aber mit mehr unternehmerischem Verständnis geführt.

2.2 Der Nutzen des Nutzenprinzips

Da jedes privatwirtschaftliche Unternehmen nach ökonomischen Grundprinzipien organisiert ist, muss der unternehmerische Nutzen stets die Grundlage allen menschlichen Handelns und aller sozialer Interaktion im Unternehmen sein. Und da sich Menschen einzig auf Grund bestimmter persönlicher Nutzenüberlegungen für die Mitarbeit in einem Unternehmen entscheiden, haben auch sie ein Interesse an der Etablierung des Prinzips der Nutzenmaximierung als gemeinsames Handlungsmuster aller Akteure im Unternehmen. Wie lassen sich dann aber die latenten und oftmals auch offen ausgetragenen Konflikte zwischen Kollegen und ganzen Abteilungen im Unternehmen erklären? Sie mögen rational begründbar sein, nutzenstiftend sind sie jedoch meistens nicht.

Ein Kernelement der ökonomischen Verhaltenstheorie ist die Annahme einer unabhängigen Nutzenfunktion; die Annahme also, dass Menschen ihren eigenen Nutzen unabhängig vom daraus entstehenden Nutzen oder auch Schaden für Andere verfolgen. Sollte der eigene Nutzen anderen Menschen zum Schaden gereichen, dann ist das zwar nicht intendiert, wird aber gegebenenfalls billigend in Kauf genommen. Nach der ökonomischen Verhaltenstheorie kann aber selbst das nicht zum Problem werden, da alle Menschen zur gleichen Zeit daran arbeiten, ihren persönlichen Nutzen zu realisieren, und auch nur solange im Unternehmen mitarbeiten, wie ihre persönliche Zielerreichung (= Nutzenmaximierung) gewährleistet ist. Dabei akzeptieren sie, dass ihr eigener Nutzen nicht immer sofort realisierbar ist. Aber zumindest wollen und müssen sie in der Lage sein, die Erreichbarkeit ihres persönlichen Vorteils in einem annehmbaren Zeitraum und mit hinreichender Sicherheit prognostizieren zu können.

Bei strenger Auslegung dieser Denkrichtung dürften Konflikte zwischen Kollegen allenfalls temporär auftreten, müssten aber innerhalb einer überschaubaren Zeitspanne aufgelöst sein. Denn andernfalls würde doch der unterlegene Kontrahent das Feld räumen, da er sich mit seinen eigenen Zielen nicht durchsetzen konnte. Die Erfahrung zeigt aber, dass das nicht der Fall ist. Und die Erklärung, dass der Verlierer eines innerbetrieblichen Konfliktes es halt so lange versucht, bis er sich doch irgendwann durchsetzen konnte, ist nicht stichhaltig, wie Hirschmans »Exit-and-Voice«-Modell zeigt: Hirschman hat untersucht, unter welchen Bedingungen Menschen, die eine Änderung einer für sie nachteiligen Unternehmenssituation wünschen, ihre Stimme erheben, um diese Änderungen herbeizuführen (Voice), oder aber andernfalls abzuwandern und ein neues Betätigungsfeld in einer anderen Organisation suchen (Exit).4 Letzteres ist insbesondere dann zu erwarten, wenn eine kleine Gruppe von besonders einflussreichen Personen ihre Machtstellung im Unternehmen nutzt, um ihre Ziele selbst dann durchzusetzen, wenn dies zum (dauerhaften) Schaden anderer Organisationsteilnehmer und vielleicht sogar der Organisation als solcher wäre. Hierzu stellt Hirschman fest: »Sofern Abwanderung unter diesen Umständen überhaupt möglich ist, könnte es die Waffe werden, die typischerweise von der ›stillen Mehrheit‹ genutzt wird. […] Abwanderung könnte sogar die einzige Möglichkeit der Verteidigung der Machtlosen nicht nur gegen Verschlechterungen sein, sondern sogar noch grundsätzlicher gegen jegliche, von den durchsetzungsfähigeren Personen initiierten Veränderungen, die nicht in ihrem Interesse sind.«5

Es ist also durchaus problematisch, die soziale Interaktion einzig unter dem Primat einer alles überlagernden Nutzenfunktion zu betrachten. In Hirschmans Beispiel, in dem sich eine kleine Gruppe von machtvollen Mitarbeitern (beispielsweise höheren Führungskräften) ihren Vorteil zu Lasten einer größeren Gruppe weniger privilegierter Personen sichert, ist deren Verhalten nicht alleine durch das Nutzenprinzip erklärbar. Denn in arbeitsteiligen Organisationen wäre die in diesem Beispiel offensichtliche Ausübung von Macht gegenüber der »silent majority« aus Nutzenüberlegungen nicht logisch. Erstens würde Machtausübung unter Inkaufnahme des Schadens Anderer langfristig auch den eigenen Nutzen unterminieren, weil Menschen sich aus der Kooperationsbeziehung entweder vollständig entfernen und das Unternehmen wechseln, wie Hirschman ausführt, oder zumindest innerlich kündigen. Und zweitens ist zur Ausübung von Macht per definitionem generell ein Verzicht auf subjektive Nutzenmaximierung notwendig, da Machtausübung den Einsatz von Ressourcen erfordert, die der Realisierung des persönlichen Nutzens dann nicht mehr zur Verfügung stehen. Und Macht ist ja an sich noch kein Zweck, es ist allenfalls ein strategisch einsetzbares Mittel zum Zweck und damit zunächst ressourcenkonsumierend.

Das Denkmodell des homo oeconomicus, der nach der ökonomischen Verhaltenstheorie so rational wie möglich versucht, seinen persönlichen Nutzen zu maximieren, steht damit nicht nur auf Grund der Beliebigkeit des Rationalitätsbegriffs in der Kritik, sondern auch auf Grund des Versuchs, menschliche Interaktion in Organisationen allein mit eigennützigen Kalkülen der beteiligten Personen zu erklären und andere Verhaltensmaßstäbe außer acht zu lassen. Denn oftmals steht gar nicht der persönliche Nutzen oder vielleicht noch die Machtfülle des Handelnden im Vordergrund. Das Interesse könnte ganz anderen Überlegungen gelten: beispielsweise der Herstellung von sozialem Konsens und der Etablierung einer solidarischen Gemeinschaft im Unternehmen; oder auch der persönlichen Integrität der Handelnden und der Berücksichtigung ethischer Standards.6

Das Nutzenprinzip ist also keineswegs die einzig denkbare Handlungslogik. Solidaritäts- und Integritätsüberlegungen können gleichermaßen Antriebsfeder menschlichen Verhaltens in Organisationen sein.

Das alles überlagernde Primat der individuellen Nutzenmaximierung, wie es die ökonomische Verhaltenstheorie vorsieht, scheint also der Realität sozialer Interaktion zwischen den Menschen in Organisationen nicht gerecht zu werden; noch nicht einmal in privatwirtschaftlichen Unternehmen, in denen die aufeinander abgestimmten Handlungen der Organisationsmitglieder einzig der Maximierung des Nutzens der Organisation und ihrer Mitglieder dienen.

Auch in arbeitsteiligen Organisationen kann man sich nicht nur auf das Verhalten und die Intentionen Einzelner konzentrieren, sondern muss stets das Ergebnis ihrer Handlungen in Kooperationsbeziehungen mit anderen Personen berücksichtigen. Dabei zeigt sich, dass rein individuelle Nutzenüberlegungen nicht zum Erfolg führen können, weil die Akteure letztlich doch zusammen arbeiten müssen und deshalb darauf angewiesen sind, sich untereinander abzustimmen. Diese Abstimmung kann aber nur erfolgreich sein, wenn jeder Beteiligte seine eigenen Interessen bis zu einem gewissen Grad zurück stellt, und zwar nicht nur temporär, sondern durchaus auch dauerhaft, wie folgendes Fallbeispiel zeigt.

Fallbeispiel 1: Arrows Unmöglichkeitstheorem

»A, B, C sind drei Alternativen, und 1, 2, 3 sind drei Individuen. Angenommen Individuum 1 präferiert A gegenüber B, und B gegenüber C (und damit A gegenüber C); Individuum 2 präferiert B gegenüber C, und C gegenüber A (und damit B gegenüber A); und Individuum 3 präferiert C gegenüber A, und A gegenüber B (und damit C gegenüber B). Dann präferiert eine Mehrheit A gegenüber B, und zugleich präferiert eine Mehrheit B gegenüber C. Man kann also feststellen, dass alle drei Individuen zusammen als Gemeinschaft A gegenüber B, und B gegenüber C präferieren. Wenn das Verhalten der Gemeinschaft als rational angenommen werden soll, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass A gegenüber C präferiert wird. Aber tatsächlich präferiert eine Mehrheit in der Gemeinschaft C gegenüber A.«7

Wenn jeder der drei Beteiligten ausschließlich seinen jeweiligen Präferenzen folgt, seinen ganz persönlichen Nutzenüberlegungen also, dann würde:

– Individuum 1 auf Alternative A bestehen,

– Individuum 2 auf Alternative B, und

– Individuum 3 auf Alternative C.

Die Gemeinschaft als solche kommt dann allerdings nie zu einem gemeinsamen Ergebnis. In einer Mehrheitsentscheidung würden sie sich gemeinsam für Alternative A entscheiden, weil zwei der drei Individuen Alternative A gegenüber B vorziehen (Individuum 1 und 3) und ebenfalls zwei Individuen Alternative B gegenüber C präferieren (Individuum 1 und 2). Dazu kann es aber nur kommen, wenn eine Mehrheit der Individuen ihre Präferenzen aufgibt. Individuum 2 müsste sich darauf einlassen, Alternative A gegenüber B vorzuziehen, und Individuum 3 müsste entgegen seiner Präferenzen Alternative B gegenüber C akzeptieren. Zwei der drei Individuen und damit die Mehrheit der Beteiligten müsste im Interesse der Gemeinschaft nachgeben.

Alle Akteure sind zur Umsetzung ihrer jeweiligen Interessen darauf angewiesen, sich mit ihren Gesprächspartnern zu einigen. Eigennutzmaximierung gegen die anderen Akteure funktioniert also nicht. Andererseits ist die Vorstellung, dass eine Einigung nur unter Vernachlässigung der eigenen Ziele möglich ist, auch nicht attraktiv, noch dazu, wenn es die Mehrheit der Aktuere betrifft. Nicht umsonst wird diese Konstellation als Unmöglichkeitstheorem bezeichnet.

Fallbeispiel 1 zeigt, dass selbst reine Nutzenmaximierer zur Durchsetzung ihres eigenen Nutzens auf andere, kooperativere Verhaltensweisen zurückgreifen müssen. Damit ist offensichtlich, dass individuelles Verhalten auch in privatwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur von individueller Nutzenmaximierung bestimmt werden kann, sondern dass auch Gemeinschaftshandeln mit dem Wunsch nach Solidarität und sozialem Konsens sowie das dem Nutzenprinzip diametral entgegenstehende Integritätsprinzip mit ethischen Standards eine wesentliche Rolle spielen müssen. Und dennoch ist die Realisierung der eigennützigen Motive einziger Zweck der Mitarbeit im Unternehmen.

Dieser Widerspruch muss aufgelöst werden, weil viele Konflikte aus genau diesem Missverständnis resultieren. Einerseits wird von den Mitarbeitern erwartet, dass sie sich für die Interessen des Unternehmens engagieren, andererseits sind ihnen ihre persönlichen Ziele naturgemäß wichtiger. Bedenkt man weiterhin, dass nach Arrows Unmöglichkeitstheorem nicht beides gleichzeitig realisierbar ist, und dass darüber hinaus jeder Akteur seine persönlichen Interessen ganz bewusst vernachlässigen müsste, um zu einem Konsens mit den Kollegen zu kommen, dann werden viele Abstimmungsprobleme in den Unternehmen plötzlich nicht nur erklärbar; sie sind sogar unausweichlich.

Zur Auflösung dieser Konflikte müssen die Abhängigkeiten zwischen den unterschiedlichen Handlungsprinzipien beachtet werden. Jeder Mitarbeiter in einem Unternehmen macht seine Mitarbeit davon abhängig, ob er durch seinen Einsatz seine persönlichen Wünsche realisieren kann; worin auch immer diese Wünsche bestehen: sei es Karriereaufstieg und viel Geld, ein angenehmes Betriebsklima oder ethisch einwandfreies Handeln. Dafür wird er alle ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen einsetzen, und zwar unabhängig von den Interessen seiner Kollegen. Natürlich ist hierfür normalerweise auch sozialer Konsens und solidarisch-gemeinschaftliches Handeln sowie ein gewisses Maß an Integrität notwendig, aber letztlich ist es eigennutzorientiertes Handeln in Reinstform.

Im privatwirtschaftlichen Kontext steht das Nutzenprinzip also über den Prinzipien von Solidarität und Integrität. Dieses Primat des Nutzenprinzips ist gerechtfertigt, weil ausschließlich eigennützige Motive ursächlich für die Entscheidung eines Menschen zur Mitarbeit im Unternehmen sind. Mit möglichst geringen persönlichen Opportunitätskosten soll die Mitarbeit im Unternehmen einen möglichst großen persönlichen Nutzen hervorbringen. Und die Entscheidung zur Mitarbeit in dem einen Unternehmen und nicht in einem der vielen anderen Unternehmen beruht allein auf der Überlegung, die eigenen Ziele in diesem Unternehmen mit vermutlich geringerem Aufwand erreichen zu können als in den anderen. Letztlich ist also ausschließlich das Nutzenprinzip handlungsleitend bei der Entscheidung für die Mitarbeit in einem Unternehmen. Solidarität und Integrität sind ausschließlich Mittel zum Zweck der Realisierung persönlicher Ziele, aber nicht Selbstzweck.

Das nutzengeleitete Kalkül geht dabei folgendermaßen: Brauche ich andere Menschen, um meine Ziele zu realisieren? Wenn nein, dann tue ich nur, was mir nützt, unabhängig davon, was andere davon halten. Dieses Kalkül ist typisch für Mitarbeiter, die in beruflichen Stationen jeweils nur ein bis zwei Jahre bleiben und parallel dazu bereits den nächsten Karriereschritt vorbereiten. Auch diese Menschen brauchen selbstverständlich die Kooperation anderer, aber sie finden immer Mittel und Wege, deren Unterstützung beispielsweise mit Hilfe von Versprechungen zu erhalten, wohl wissend, dass sie auf Grund ihrer kurzen Verweildauer mit großer Wahrscheinlichkeit die Versprechen nicht mehr werden einlösen müssen. Typisch hierfür sind mittlere Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern im Gegenzug für überdurchschnittlichen Einsatz eine attraktive Karriereentwicklung versprechen, dann aber »vergessen«, dieses Versprechen ihrem Nachfolger mit auf den Weg zu geben, der sich dann prompt nicht daran gebunden fühlt.

Interessant ist nun, inwieweit das Solidaritäts- und das Integritätsprinzip bei der Realisierung des eigenen Nutzens helfen können. Denn sowohl bei solidarischem als auch bei integrem Verhalten steht nicht das ICH, sondern das DU im Vordergrund. Und damit ist die Gefahr groß, dass bei dieser Art der Interaktion mit anderen die eigenen Ziele aus dem Blickfeld geraten.

Zunächst zum Anspruch, trotz eigennütziger Motive solidarisch mit anderen Personen zu sein: Für das Unternehmen mit seiner arbeitsteiligen Organisationsstruktur ist Solidarität unter Kollegen und das daraus ableitbare gemeinschaftliche Handeln unbedingt notwendig. Für den einzelnen Mitarbeiter hat es aber bei weitem nicht den gleichen Stellenwert. Solidarität mit Kollegen ist für den einzelnen Mitarbeiter nur vorstellbar, wenn es ihm persönlich nützt. Die Nützlichkeit von solidarischem, gemeinschaftlichem Handeln ist für die betreffende Person aber keineswegs so selbstverständlich wie für das Unternehmen. Das zeigt auch das zuvor genannte Beispiel der Führungskräfte, die während ihres Aufstiegs jeweils nur kurz in den verschiedenen Stationen verweilen. Solidarisch-gemeinschaftliches Handeln ist aus Mitarbeitersicht also nicht unbedingt Selbstzweck. Das muss es jedoch auch nicht sein. Es ist vollkommen ausreichend, wenn das Solidaritätsprinzip dem Nutzenprinzip untergeordnet ist und gemeinschaftliches Handeln »nur« eigennützigen Zielen dient. Wichtig ist einzig, dass Solidarität mit anderen Personen im Unternehmen und gemeinschaftliches Handeln dieser Personen überhaupt stattfindet, denn davon hängt in einer arbeitsteiligen Organisationsstruktur der Erfolg des Unternehmens ab. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich für jeden Beteiligten persönlich lohnt.

Wie verhält es sich nun mit dem Integritätsprinzip? Die Einhaltung bestimmter ethischer Werte und moralischer Standards darf nicht davon abhängen, dass dies für einzelne Personen von Vorteil ist. Denn dann wäre ethisches Verhalten im Unternehmen und damit des Unternehmens als solchem dem Zufall überlassen – und mittelfristig damit auch der Erfolg des Unternehmens. Auf der anderen Seite zeigt die Erfahrung jedoch auch, dass ethische und moralische Standards insbesondere dann missachtet werden, wenn der daraus ableitbare Nutzen für die Entscheidungsträger nicht offensichtlich ist. Selbst wenn also das Integritätsprinzip nicht allein dafür da ist, einem persönlichen Nutzen zu dienen, so wird es in der Unternehmenspraxis dennoch nur dann Anwendung finden, wenn es für die handelnden Personen von Vorteil ist.

So unwohl einem bei der Feststellung sein mag: integres Verhalten setzt persönlichen Nutzen aus diesem Verhalten voraus. Das gilt für individuelles Verhalten innerhalb eines Unternehmens ebenso wie für das Verhalten eines Unternehmens als solchem. Beispielsweise wird der Einsatz von Schwarzgeld umso wahrscheinlicher, je unumgänglicher dies für die Realisierung der von der Unternehmensleitung gesetzten persönlichen Ziele der Akteure erscheint. Auch der laxe Umgang mit Umweltrisiken wird umso wahrscheinlicher, je eher dies von den Anteilseignern, Kunden und sonstigen Interessengruppen toleriert, wenn nicht teils sogar aus ökonomischen Gründen begrüßt wird. Ob man diesem Problem nur mit Belohnung bei integrem Verhalten und mit Strafe bei dessen Gegenteil begegnen kann, ist fraglich. Denn generell gilt: integres Verhalten kann von Menschen im Unternehmen oder von Unternehmen als solchen nur erwartet werden, wenn der Vorteil aus derartigem Verhalten für die Beteiligten ebenfalls deutlich gemacht werden kann. So wünschenswert es wäre, Integrität als Selbstzweck zu betrachten; die nutzengeleiteten Grundkonstellationen im Unternehmen können nicht wegdiskutiert werden. Akzeptiert man diese jedoch und bindet sie in das persönliche Handlungskalkül ein, dann wird integres Verhalten in und von Unternehmen durchaus wahrscheinlich; zwar nicht als Selbstzweck, sondern nur wenn es sich lohnt, aber immerhin.

2.3 Opportunistischer Eigennutz: warum auch nicht?

Nutzen ist, was sich lohnt – für den Mitarbeiter aus seiner individuellen Perspektive und für das Unternehmen auf organisationaler Ebene, wobei auch letzteres aus individueller Perspektive betrachtet werden kann, denn »Nutzen für das Unternehmen« ist nichts weiter als eine Umschreibung für den individuellen Nutzen derjenigen, die in der Autokratie des Unternehmens oberste Verfügungsgewalt haben. Wenn man davon spricht, was sich lohnt, dann spricht man also prinzipiell von individuellen Nutzenvorstellungen.

Dennoch lebt ein Unternehmen natürlich maßgeblich von der Bereitschaft aller Mitarbeiter zu integrem und solidarisch-gemeinschaftlichem Handeln; von ihrer Bereitschaft also, eigene Interessen auch mal zugunsten Anderer zurück zu stellen. Wenn Kollegen oder Nachbarabteilungen sich beispielsweise mit der Bitte um Hilfestellung an eine Person als Fachexperten wenden, dann ist es aus Kollegialität normalerweise selbstverständlich, ihnen zu helfen, auch wenn die betreffende Person selbst daraus keinen Nutzen ziehen kann, sondern im Gegenteil Zeit opfert, die ihr bei der Erledigung ihrer eigenen Aufgaben fehlt.

Selbstverständlich ist diese Art altruistischer Unterstützung von Kollegen aber nur, wenn der Wunsch zu helfen Teil des Wertesystems der entsprechenden Person ist, wenn es also ihre Intention ist, hilfreich sein zu können. Andernfalls wäre es unlogisch, eigene Zeit für andere zu opfern.

Einzige Ausnahme von dieser Regel ist Hilfe für Kollegen, weil man sich selbst davon einen zukünftigen Vorteil verspricht. Dann hat die Hilfestellung allerdings einen kalkulierenden Hintergrund. Sie ist nicht mehr altruistisch, sondern auch wiederum eigennützig, weil sie dazu dient, die eigenen Wünsche und Ziele – in diesem Fall hilfreich sein zu wollen – zu realisieren. Für das Unternehmen ist solcher Art »kalkulierender Altruismus« sehr viel wertvoller, als »echter« Altruismus, weil er verlässlicher ist. Auf echten Altruismus der Mitarbeiter zu bauen, ist mit untragbaren Risiken verbunden. Kalkulierender Altruismus hingegen ist nichts anderes als Eigennutz, weil er dazu dient, vorhandene Verhaltensintentionen zu realisieren.

Es ist immer sinnvoll, Mitarbeitern einen Grund zu geben, sich so zu verhalten, wie es für eine funktionierende Zusammenarbeit im Unternehmen notwendig ist. Andererseits sind Mitarbeiter ihrerseits selbstverständlich auch ohne ständige Angebote des Unternehmens in der Pflicht, sich um die unternehmerischen Notwendigkeiten zu bemühen. Die Möglichkeit eingeräumt zu bekommen, seine persönlichen Ziele opportunistisch und eigennützig realisieren zu können, erfordert ein hohes Maß an Verantwortungs- und Leistungsbereitschaft, denn Verhaltensweisen, die dem Unternehmen schaden, sind oft weder unmittelbar sanktionierbar, noch in jedem Fall kontrollierbar.

Um das Risiko von Fehlverhalten zu reduzieren, ist es daher wichtig, das gewünschte Verhalten – wie beispielsweise die angesprochenen kollegialen Unterstützungsleistungen – als Teil der unternehmerischen Prozessabläufe zu offizialisieren und in die Zielvereinbarungen der entsprechenden Mitarbeiter aufzunehmen. Dann kann sich das Unternehmen tatsächlich auf die gewünschte Verhaltensweise seiner Mitarbeiter verlassen. Ziel sollte es sein, eine Organisation aufzubauen, in der sich die verschiedenen Teile der Organisation ihrer internen Kunden-Lieferanten-Beziehungen bewusst sind und sich entlang dieser innerbetrieblichen Kundenstrukturen selbst steuern. Denn dann ist das Eigeninteresse aller Beteiligten als interne Kunden in den Kooperationsbeziehungen automatisch fest verankert und Führungskräfte müssen sich im operativen Tagesgeschäft kaum mehr einmischen.

Opportunistischer Eigennutz ist die eigentliche Triebfeder allen menschlichen Handels in privatwirtschaftlichen Unternehmen; in Organisationen also, in denen die Menschen nur zusammenkommen, um Ziele, die sie bereits vor Eintritt in die Organisationen deutlich und klar formuliert haben, zu realisieren. Die Degradierung der persönlichen Ziele der Mitarbeiter als zweit- oder drittrangig gegenüber den unternehmerischen Aufgaben wird von Mitarbeitern daher selbstverständlich als ungerecht empfunden.

Die persönlichen Ziele als Priorität gegenüber den Unternehmenszielen zu betrachten ist ein Zeichen dafür, dass sich das Unternehmen und seine Mitarbeiter auf Augenhöhe begegnen und die Wünsche des Gegenüber als wesentlich und damit unterstützungswürdig anerkennen – nicht aus altruistischer Freundlichkeit, sondern schlicht aus eigenem Interesse. In diesem Sinne ist es wichtig, Opportunismus und Eigennutz nicht länger als negativ besetzte Begriffe zu verstehen, sondern vollkommen wertneutral als eine Selbstverständlichkeit in funktionierenden Kooperationsbeziehungen zu etablieren.

Jeder Mitarbeiter, unabhängig von seiner jeweiligen Position und Macht, verlässt sich intuitiv darauf, tun zu können, was für ihn selbst gut ist. Die Möglichkeit hierzu wird bereits den Bewerbern um eine Anstellung mit der Entscheidung, ihn als Mitarbeiter im Unternehmen zu akzeptieren, ausdrücklich zugestanden. Denn nur auf dieser Basis unterschreibt ein Bewerber einen Arbeitsvertrag. Die Möglichkeit, ergänzend zu den Unternehmenszielen auch persönliche Ziele verfolgen zu können, ist also in jedem privatwirtschaftlichen Unternehmen Teil der grundlegenden Übereinkunft darüber, was im Unternehmen als gerecht gilt.

Ob opportunistischer Eigennutz Mitarbeitern als primäres Ziel zugestanden wird, das aus deren Sicht noch wichtiger ist als das Unternehmensziel, ist also keine Frage mehr. Es ist Teil der grundlegenden Übereinkunft, auf der die Existenz des Unternehmens als solchem beruht. Und ob nun in einer bestimmten Situation das Unternehmen oder der Mitarbeiter mehr Macht hat als der jeweils andere: es lohnt sich, diese Macht nicht auf Kosten des Gegenübers auszuspielen. Denn die Möglichkeit aller Akteure zur opportunistischer Eigennutzmaximierung ist notwendig.

Danke für Ihr Verständnis

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