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In der Bar

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Ich hätte gewarnt sein müssen, als ich ihr Selbstporträt sah, hätte mir denken können, ein Altersunterschied von mehr als dreißig Jahren ist keine Basis für ein wie auch immer geartetes Verhältnis. Allenfalls für eine kurze Affäre! Für eine Affäre fühlte ich mich selbstredend jung genug. Ich gehe schließlich nicht am Stock und halte mich so gut es geht durch Sport fit, dabei hänge ich noch immer der Illusion nach, damit meinen schleichenden körperlichen Verfall aufhalten zu können. Die Lachfältchen um die Augen und die weißen Haare an den Schläfen finde ich, eitel wie ich bin, kleidsam. Sie schien genau in mein Beuteschema zu passen. Ich war verwirrt, entzückt und erschrocken. War dies meiner längeren Enthaltsamkeit zuzuschreiben? Doch der Reihe nach.

Ich hatte mich mit meinem Freund Bernd in dieser Schwabinger Kneipe verabredet. Ein richtiger Männerabend sollte es werden, mit viel Bier und lästerlichem Gequatsche. Ja, auch Männer brauchen das von Zeit zu Zeit. Leider hatten wir eine winzige Kleinigkeit übersehen. An diesem Freitagabend wurde das Fußball-Europameisterschaftsspiel Deutschland gegen Griechenland ausgetragen. Halb München feierte im Freien. In der Leopoldstraße, Münchens Fan-Meile, auf der der FC Bayern zur Meisterschaftsfeier vom Stadion zum Marienplatz seinen Autokorso veranstaltete, ballten sich die Menschentrauben. Fröhlich schwenkten die siegessicheren Fans ihre Deutschlandfähnchen, trugen alberne Mützen und töteten mir den Nerv mit dem markerschütternden Geheule der Vuvuzelas. Bier floss in Strömen. Die Frauen trugen auf den Wangen schwarz-rot-gelbe Kriegsbemalung. Man konnte direkt Angst bekommen. Ich war froh kein Grieche zu sein, sonst hätten mich die Fußball-Groupies womöglich noch zu Gyros verwurstet.

Ritschi, der Wirt stand auf einer wackeligen Leiter und spannte eine Riesenleinwand an der einzig freien Wand auf, dorthin projizierte er mit einem Beamer die Kämpfe vom Spielfeld direkt in den engen Gastraum. Näher konnten wir dem Geschehen auf dem Rasen im Stadion auch nicht sein. Der Lärm aus den Lautsprechern in allen vier Ecken des Lokals und das an und abschwellende Gejohle der Gäste erstickten jede Unterhaltung. Wir machten den mühsamen Versuch, den Radau zu überschreien, doch als unsere Stimmen heiser wurden, gaben wir entnervt auf. Wir hockten auf den schaukelnden Barhockern in einer Nische direkt am Tresen. Von dort konnten wir den Raum mit dem bodentiefen Schaufenster überblicken. Wir hatten den Rücken frei, konnten zwischendurch einen flüchtigen Blick auf die Leinwand werfen. Im Vega schenkten sie Augustiner Export in den winzigen Null-Komma-Dreiunddreißiger-Flaschen, ohne Glas aus. Nicht gerade mein Stil und in Bayern eigentlich ein Sakrileg. Wo wir uns doch oberhalb des Weißwurstäquators schon aufregen, wenn dort das Bier nur in Null-Komma-Vierer-Gläsern ausgeschenkt wird.

In den ruhigeren Spielabschnitten versuchten wir ein paar abgehackte Sätze zu tauschen.

„Wie läuft‘s mit den Frauen?“, schrie Bernd.

„Nicht besonders.“

Warum sollte ich meinem Freund etwas vormachen? Er hätte mir eine andere Behauptung ohnehin nicht geglaubt.

„Ganz schön schwierig die Richtige zu finden, in deinem Alter.“

Ich nickte in den aufbrausenden Jubel über eine gelungene Flanke.

Mein letzter Besuch in einer Schwabinger Kneipe lag Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück. Die Erinnerung daran erfüllt mich noch heute mit Scham und das nicht nur wegen meines Brummschädels am nächsten Tag. Seit ich fünfzig geworden bin bevorzuge ich ein gediegeneres Ambiente. Mittags pünktlich um zwölf Uhr dreißig esse ich in einem der angesagten Schnellimbisse in den Fünf Höfen. Unter den schlipstragenden Bänkern fühle ich mich wohl und die meist jungen Tippsen haben eine gewisse Klasse, besonders wenn sie einen eng geschnittenen Hosenanzug tragen. Je unnahbarer desto besser. Amüsant zu sehen, wie sie sich auf ihren Job etwas einbilden, sich gar für etwas Besonderes halten, nur weil sie in einem Büro mit schicken Designermöbeln sitzen. Abends knalle ich mich lieber mit einem Bier vor den Fernseher. Früher, in meiner Jugend, ja, da kannte ich das Revier, wusste jede Boazn zu benennen und wen ich dort treffen konnte. Gegenüber, zum Beispiel wo jetzt ein Spanier Essen und Folklore auftischt, hockte auf einer winzigen Bühne der Bluesbarde Willy Michl. Sang zur Gitarre schräge Lieder. Der gwamperte Indianerfreak. Ich kaufte mir sogar seine Platte. So eine schwarze Vinylscheibe, die heute kein Jugendlicher mehr kennt. Blues goes to Mountain. Er singt das Titellied noch immer, knapp dreißig Jahre später. Ich hörte ihn erst neulich wieder auf dem Tollwood-Festival und war sentimental gerührt.

Ich saß in der Blase meiner Freunde dicht an dicht, lauschte den verschrobenen Texten, eine anständige Halbe in der Hand, ein Mädel an der Seite, das sich an mich schmiegte, träumte von grenzenloser Freiheit und gefährlichen Abenteuern in fernen Ländern. Ausgrabungen in Peru oder im Zweistromland, Wüstenexpeditionen mit Jeep und Zelt. Wahr geworden ist von all diesen Fantasien nichts. Verreise ich heute, dann am liebsten als Pauschaltourist in ein Viersternehotel mit Vollpension in einem Nobelkurort.

Das Leben hat mich zurechtgebogen. Ohne es zu merken bin ich gealtert. Ich träume nicht mehr von Urwaldexpeditionen zu menschenfressenden Kannibalen oder von fernen verheißungsvollen Ländern und Städten unter einer sengenden Sonne, mit geheimnisumwobenen Namen wie Timbuktu oder Surabaja, die so klangen als seien sie den Märchen aus tausendundeiner Nacht entsprungen. Ich stand nie an den Ufern des Urubamba und spürte die Gischt der Wasserfälle in meinem Gesicht. Heute denke ich an Fünfsterneresorts unter Palmen an schimmernden muscheldurchwebten Sandstränden am indischen Ozean. Wo rechtwinklig aufgereihte Liegestühle am gechlorten Pool und samtweichen Badetüchern locken, liebevoll umsorgt von aufmerksamen, mandeläugigen Kellnerinnen. Mich schaudert, wenn ich an die wackeligen Luftmatratzen meiner Jugend in windschiefen Zelten denke. Wir Deutschen belegen schon im Morgengrauen die besten Plätze mit unseren Handtüchern. Wegen dieser Unsitte stehen wir sogar im Urlaub um sechs Uhr früh auf, wenn alle anderen Touristen noch selig ihren Rausch ausschlafen. Wo bitte ist da der Unterschied zu unserem werktäglichen Wecker-Gebimmel? Wir führen einen stillen Kleinkrieg um eine lächerliche Liege. Engländer und Franzosen quittieren diese Unsitte mit einem spöttischen Lächeln. Wir haben zwei Kriege verloren, doch die Schlacht um die besten Liegen gewinnen wir noch immer. Sommer für Sommer. Wäre doch gelacht.

Schwabing hat seinen Glanz, seine Magie dem Kommerz geopfert. Wo früher ein schmuddeliger Stehausschank sein kümmerliches Dasein fristete, verbrannte Currywurst in Ketchup-Soße dahin schrumpelte, steht heute ein thailändischer Schnellimbiss. Oder ein Inder, aus dessen Küche es nach exotischen Gewürzen duftet serviert Tandoori. An der Ecke, noch schlimmer, eine Champagner-Lounge mit roten Plüschsesseln und Samtvorhängen. In den einst urigen Standln des Elisabethmarktes residiert heute italienische Feinkost und auf den Schiefertafeln stehen so klangvolle Namen wie Pecorino oder Brebicon, vielleicht auch Chaource, um nur einige der unzähligen Käsespezialitäten zu nennen.

Ich erkenne das Viertel kaum wieder. Mein Schwabing, in dem ich aufgewachsen bin, wo ich als Schüler gierig auf Liebe und Leben um die Häuser zog, hat sich gehäutet wie ein Chamäleon und ich weiß nicht ob mir diese Metamorphose gefällt. Der verwinkelte Taschenbuchladen in der Nordendstraße neben der Schauburg ist einem noblen Goldschmiedeladen mit blitzendem Geschmeide in der Auslage gewichen. Einzig die Namen der Straßen sind geblieben, erinnern mich daran wie es hier in meiner Jugend einmal ausgesehen hat.

Wehmütige Gedanken überfielen mich mit ungeahnter Macht. Meine Augen suchten nach einem Fixpunkt, einem Gegenstand, an dem ich meine verblassenden Erinnerungen festzurren konnte. Dunkel fiel mir ein, die Kneipe in der wir hockten beherbergte vor fünfzig Jahren einen Milchladen. Ich blickte irrlichternd aus dem Fenster. Mein Blick blieb an einer jungen Frau hängen, die auf dem Gehsteig bei den dicht an die Hauswand gepappten Klappstühlen lehnte. Die Stammgäste kannten das Mädchen. Sie entrollte ein plakatähnliches Papier, zeigte es der Runde und lächelte dabei unsicher. Ein bezauberndes Lächeln in einem, von wilden Locken umrahmten, schmalen Gesicht. Sofort erwachte mein Jagdinstinkt. Sie passte in mein Beuteschema: jung, neugierig auf Erfahrungen mit Männern und sie würde nicht bleiben. Welches junge Mädchen verknallt sich schon in einen alten Mann? Über kurz oder lang würde sie einen gleichaltrigen Jungen kennenlernen, mit dem sie sich wieder aus dem Staub machte, spekulierte ich, vom Bier schon leicht benebelt. Ich gab mich keinen Illusionen hin, dachte an meine Regel Nummer Eins. Sie war gewiss keine dieser atemberaubenden sterilen Schönheiten entsprungen aus einem Hochglanzmagazin, doch ihr Schmollmund zog mich in seinen Bann. Er strahlte, leicht aufgeworfen, Sinnlichkeit aus. Ihr Lächeln unbefangen und doch herausfordernd, als riefe sie: mir gehört die Welt. Wenig später tauchte sie, angetan mit einer schwarzen Schürze auf der ein in oranger Farbe aufgedruckter Totenkopf prangte, auf dem eine Kochmütze schaukelte, hinter dem Tresen auf, schnappte sich die schmutzigen Gläser und trug sie in die Küche.

Lahm schoss ein Tor und das Gejohle der Zuschauer gellte schmerzhaft in meinen Ohren.

„Noch ein Bier?“, sprach sie mich an.

Ihre vibrierende Altstimme gefiel mir. Ich mag keine Frauen mit piepsigen Quiekestimmchen, wie sie im Fernsehen in dummen Castingshows herumhüpfen. Ich nickte. Sie schnippte den Kronkorken gekonnt in den Abfalleimer, stellte das Bier vor mir auf die Theke. Mit einem Auge schon wieder beim Spiel.

Kleine Biere stillen kaum den Durst, im Gegenteil und so blieb es nicht bei dem einen. Verstohlen musterte ich sie aus den Augenwinkeln. Ihre großen Rehaugen fielen mir auf, die vorwitzig durch die verwuschelten, fast schwarzen Haarsträhnen lugten. Ich schätzte sie deutlich jünger als meine Kinder, aber was besagte das schon. Fielen ihr die Haare in die Stirn zog sie den Mund schief und blies die Locken zur Seite, was allerliebst aussah.

Die meisten Menschen macht Bier träge, wenn nicht gar dumm. Dann werden die Späße mit jeder Maß plumper und anzüglicher. Um das zu sehen braucht man sich nur in die Schwemme des Hofbräuhauses zu verirren. Mich dagegen macht der Gerstensaft, ab einer gewissen Menge, gesprächig. Vielleicht löst der Alkohol die mir lästige Schüchternheit beim Flirten mit einer Frau. Als sie wieder zu uns blickte, mit jenem geübten Blick einer Kellnerin, der blitzschnell feststellt, ob noch Flüssigkeit in der Flasche ist, sprach ich sie an.

„Was hast du für ein Bild herumgezeigt, draußen vor der Kneipe? Darf ich es auch sehen?“

Sie musterte mich, lächelte ein verschmitztes Lachen.

„Ich kenne euch nicht. Zuerst sagt mir, wer ihr seid.“

Sonderlich geistreich antwortete ich nicht. Ich war so verdattert darüber, dass sie mich überhaupt zur Kenntnis nahm.

„Das ist der Vater vom Wirt“, stotterte ich und deutete mit dem Finger auf meinen Freund Bernd, der neben mir saß.

„Und ich, ich bin Anwalt.“

Warum stellte ich mich mit meinem Beruf vor? Wollte ich damit etwa Eindruck schinden? Meine Antwort erschien mir tollpatschig. Kein guter Start für einen Flirt. Warum nannte ich nicht einfach meinen Namen? Vorsicht? Scheu? Doch wovor? Sie schien trotzdem zufrieden zu sein, huschte in die Küche und kam mit einer Rolle grauen Papiers zurück, so eines, mit dem man normalerweise Pakete einwickelt.

„Es ist ein Selbstbildnis“, erklärte sie ernsthaft und ihre Stimme kämpfte gegen den Lärm aus den Boxen an. Sie entrollte das Machwerk, schien stolz darauf zu sein. Nach einem ersten flüchtigen Blick, verschluckte ich mich wie ein Baby an meinem Bier. Bernd klopfte mir so lange hilfreich auf den Rücken bis mir die Tränen in die Augen traten. Ich hatte noch nie, wirklich nie, ein so scheußliches, abgrundtief hässliches Machwerk gesehen. Dabei kann mich nicht einmal ein Otto Dix schrecken. Und das will etwas heißen. In der modernen Malerei kenne ich mich ein wenig aus. Ich liebe die Impressionisten mit ihren hingetupften Frühlingsfarben und auch einem Picasso kann ich etwas abgewinnen. Auf den zweiten Blick jedoch ging eine seltsame Faszination vom Aquarell der jungen Frau aus.

Ein riesiger Kopf im Profil, mit einem überdimensionierten stilisierten Frauenauge. Eine fliehende Stirn, der Mund nur angedeutet. Darunter hing ein kleiner Körper, nackt mit zur Seite hin ausgebreiteten Ärmchen. Die Scham kaum sichtbar und offensichtlich zu einem späteren Zeitpunkt übermalt, denn einzelne geringelte schwarze Haare waren noch schattenhaft zu erahnen. Zierliche Beinchen. Aber die Füße, riesig. Nein, keine Füße, das beschreibt es nicht zutreffend. Da blitzten gigantische Klauen, die einem Adler alle Ehre gemacht hätten. Gekrümmte Krallen, gegenständig, die sich in ein imaginäres Opfer zu bohren schienen. Das Bild in ockerfarbenem Gelb gehalten, der Hintergrund lehmfarben, ähnlich einer verblichenen Höhlenmalerei aus dem Neolithikum.

„Sieht aus wie ein Fresko der Azteken oder der Mayas, zumindest vom Gesicht her.“

„Kenne ich nicht.“

„Ich habe Bilderhandschriften der Mayas, gemalt auf brüchigem Hirschleder, im Britischen Museum gesehen. Die sehen so ähnlich aus.“

„Du bist weit in der Welt herumgekommen.“

„Schon, leider hat es für Mexiko noch nicht gereicht. Bist du Kunststudentin?“

„Erraten, ich gehe in eine private Malschule. Das ist unsere Hausaufgabe.“

Ich legte den Kopf schief und bestaunte das monströse Werk.

„Gefällt es dir?“

Ich hätte sie anlügen müssen, aber schön ist etwas anderes. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich zögerte und sie verstand auch ohne Worte.

„Ich hänge es in die Küche.“

Hoffentlich wird die Milch davon nicht sauer, dachte ich.

Sie rollte enttäuscht das Bild wieder zusammen und räumte es in einen Nebenraum.

„Sieht aus wie ein Greif“, meinte ich.

Sie sah mich ratlos an.

„Na, ein Falke, ein Raubvogel“, half ich ihr auf die Sprünge.

„Wie kommst du darauf?“

„Die Klauen“, sagte ich, „solche Klauen haben nur Raubvögel. Damit schlagen sie ihre Beute.“

Ohrenbetäubendes Gejohle. Deutschland hatte erneut ein Tor geschossen. Die Griechen begannen mir leid zu tun. Die Indianerfrau musste Getränke ausreichen. Jedes Tor, gleich auf welcher Seite, wurde ausgiebig begossen, denn das macht den Reiz dieses Spiels aus. Ich folgte ihr mit meinen Blicken, ungeniert, fand sie begehrenswert. Die strubbeligen Haare, der schlanke Leib, die neugierigen Augen, die zu sagen schienen: hier bin ich, Leben, überrasche mich. Vor allem aber faszinierte mich ihre Art, mit der sie mich zutraulich und schnippisch zugleich in ihren Bann zog. Mein Alter schien sie nicht abzustoßen, auch meine, für die Örtlichkeit unangemessene Kleidung aus Sakko und blaugestreiftem Businesshemd störte sie nicht. Ich war froh, wenigstens meine Fliege zu Hause im Schrank vergessen zu haben.

Ich hätte gewarnt sein müssen!

Die Klauen, mächtig und zupackend verrieten überdeutlich ihre Einstellung. Und die hieß Beute machen. Doch die Bierchen trübten meinen sonst so analytischen Verstand, zudem schmeichelte es mir, dass sie mir ihre Aufmerksamkeit schenkte. Mit den Jahren wird man bescheiden, dankbar für jede auch noch so armselige Zuwendung. Damals dachte ich nicht im Traum daran mich an sie zu binden, zu jung, zu anstrengend. Sicher pilgerte sie jeden Abend in die Disko, bis in die frühen Morgenstunden abtanzen bei lauter Musik. Trotzdem fühlte ich ein eigenartiges Fieber in meinem Bauch rumoren. Ich kannte dieses Gefühl, hatte es aber lange Jahre nicht mehr so intensiv gespürt. Der kleine bunte Wurm meiner Phantasie bohrte sich in meine Gehirnwindungen ohne, dass ich etwas dagegen tun konnte. Die Griechen schossen ein Tor. Lähmende Stille. Da hinein fragte ich.

„Wie alt bist du?“

Peinlich. Ich fürchtete jeder im Raum könnte mich hören. Die Worte waren noch nicht ganz heraus, da hätte ich mich auf die Zunge beißen können. Ihr jedoch schien die indiskrete Frage nichts auszumachen.

„Vierundzwanzig, ganz schön alt, nicht.“

Ich lächelte. Was konnte sie vom Alter wissen, vom Leben, mit vierundzwanzig.

„Noch ein Bierchen?“

Bernd und ich nickten. Sie zog die Kühlschranktür auf, stellte zwei August vor uns auf den Tisch. Der Dampf perlte auf den kühlen Flaschen.

Vorsicht, warnte mich meine innere Stimme. Vorsicht, das geht ins Auge. Was ist mit deinen ehernen Vorsätzen. Aber das Spiel war zu reizvoll und ich hatte es so lange nicht mehr gespielt, war völlig aus der Übung. Sie lehnte mit dem Rücken an der Theke, die Ellbogen auf den Tresen gestützt, sah mich unverwandt an. Durch ihre seitlich geschlitzte Tunika blitzte ein Streifchen blanker Busen, notdürftig gehalten von einer schwarzen Büstenhebe. Ein einziger verstohlener Blick auf das junge knospende Gewächs genügte um all meine guten Vorsätze über den Haufen zu werfen.

„Hast du eine künstlerische Vision?“, fragte ich. „Einen Traum, den du in dunklen Nächten immer wieder hervorkramst?“

Sie musterte mich, dachte wohl: was will der alte Spinner?

„Jeder Künstler muss eine Vision haben“, fuhr ich hastig fort. Meine Ausführungen schienen sie zu interessieren.

„Wieso?“

„Ein echter Künstler brennt innerlich, ringt mit jeder Faser seines Seins um sein Werk.“

Sie drehte sich zu ihrer Kollegin, einer hochgewachsenen, kühlen Blonden, die hinter der Bar hantierte.

„Das solltest du dir anhören“, rief sie hinüber. Der Rest ging im Getöse des nächsten Tores unter. Soviel konnte ich ihren Gesten entnehmen. Auch ihre Freundin studierte Malerei.

Mein Freund und ich stiegen auf einen fruchtigen Merlot um. Bernd vertilgte in der Zwischenzeit drei Schälchen mit Knabberzeug und zwei Schüsselchen mit schwarzen Oliven. Ich hoffte auf einen Snack. Aber Fehlanzeige, die Küche blieb heute geschlossen. Zu blöd, ich hatte nichts zum Abendbrot gegessen. Bier ohne eine deftige Grundlage steigt in den Kopf. Daran hätte ich denken können.

Das Spiel wurde abgepfiffen, der Lärmpegel ebbte ab. Die Gäste drängten an die Bar, deckten sich mit Getränken ein. Die Kindfrau hatte mächtig zu tun, mixte Cocktails, schenkte Bier und Wein aus, hüpfte mit den schmutzigen Gläsern in die Küche, befüllte die Spülmaschine. Sie tat es mit Hingabe, hatte Freude an ihrer Arbeit. Als sie wieder mit einem randvollen Tablett, auf dem die Gläser leise klirrten, in die Küche huschte, bremste ich sie.

„Du musst dein Sujet immer wieder malen“, sagte ich und hielt sie am Arm fest. „Wieder und wieder, bis du deinen persönlichen Ausdruck gefunden hast. Große Künstler haben ihr Lieblingsmotiv ständig gemalt dabei gelernt und beobachtet, wie es sich verändert, vervollkommnet. Monet zum Beispiel hat dutzende von Bildern mit leuchtenden Seerosen, seinen Lieblingsblumen, gemalt. Manche sogar bei Nacht. Und eines ist schöner als das andere. Er ließ in seinem Garten in Giverny sogar extra einen Teich für sie anlegen.“

Sie stellte das Tablett auf den Tresen, rückte dicht neben mich. Ich konnte den flüchtigen Hauch ihrer Duschlotion erahnen. Lemongrass.

„Woher weißt du das?“

„Ich befasse mich in meiner Freizeit ein wenig mit Kunst. Da lernt man schnell. Alle Künstler ringen um ihr Werk. Sie sind nie zufrieden, überarbeiten es ständig, feilen daran herum. Sei es nun ein Bild, oder ein Roman.“

Nachdenklich nahm sie ihr Tablett wieder auf.

„Kunst hat nur eine Aufgabe: Gefühle zu wecken. Wenn das gelingt, hat sich der Sinn eines Werkes verwirklicht“, dozierte ich weiter.

Sie maß mich mit einem eigenartig fragenden Blick, schnappte kurz nach Luft und ließ mich stehen.

Bernd musste am nächsten Tag zu nachtschlafender Zeit aufstehen, damit er rechtzeitig am Flughafen in eine der ersten Maschinen einchecken konnte. Er hatte einen wichtigen Geschäftstermin in Kanada wahrzunehmen. Wir sollten gehen, meinte er. Mir war es recht, denn ich hatte mir einen leichten Schwips angetrunken. Wir zahlten, rutschten von unseren Hockern. Im Hinausgehen steckte ich ihr meine Visitenkarte zu.

„Wenn du dein Bild wieder gemalt hast, oder ein anderes, ruf mich an, ich würde es gerne sehen“, stotterte ich, mit ungewohntem Mut. Ich staunte über meine Verwegenheit, glaubte aber nicht, sie je wieder zu sehen. In meinem Alter finden solche Abenteuer meist nur noch in der Fantasie statt. Die laue Luft der Sommernacht klärte meinen wirren Kopf. Sollte ich nun jubeln oder mich schämen oder nichts dergleichen? Schweigend stolperten wir durch die Georgenstraße zu U-Bahnhaltestelle. Auf der Leopoldstraße umringte uns ein Pulk jubelnder, siegestrunkener Fußballfans. Sie schwenkten ihre Deutschlandfahnen wie entfesselt, lagen sich lachend in den Armen. Die Griechen in Café nebenan machten betretene Gesichter, versteckten schamhaft ihre blau-weißen Fähnchen unter den Bistrotischen.

Seit dieser Nacht lässt mich ihr Bild nicht mehr los. Der Geier bohrt seine Klauen in mein Fleisch. Ich weiß, es ist Wahnsinn und doch sehne ich mich danach sie wiederzusehen. Das Traumbild ihres halb entblößten Busens verfolgt mich bis in den Schlaf.

Heiße Tage - liebestolle Nächte

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