Читать книгу Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik - Andreas Suchanek - Страница 16
11. Der Bund des Sehenden Auges
ОглавлениеAlex stöhnte.
Er hatte schon einige Hangover erlebt, aber das war der bisher schlimmste. Warum lag er auf dem Boden? Steinboden?! Die Erinnerung kehrte jäh zurück. Er fuhr in die Höhe. Eine furchtbar dumme Idee, wie er sofort feststellte. Der Schwindel nahm schlagartig zu, die Übelkeit ebenso.
»Tief durchatmen«, kam es von Chris. »Hab ich auch schon hinter mir. Würde dir ja mit 'nem Hangover-Zauber helfen, aber unsere Magie ist komplett ausgeschaltet.«
Nur langsam klärten sich Alex' Gedanken. »Wie jetzt, ich werde frisch zum Magier, und prompt stiehlt jemand meine Kraft?« Er blickte umher.
Er realisierte die dumpfe Leere im Inneren. Das Sigil war nicht länger erreichbar. Kurz wallte Panik auf. Es fühlte sich an, als habe eine grausame Macht von einem Augenblick zum nächsten einen seiner Sinne ausgeschaltet. Wie musste es da erst Chris ergehen, der seit Jahren daran gewöhnt war, auf magische Essenz zuzugreifen?
Er schob das Gefühl der Machtlosigkeit beiseite. Vorsichtig, um den Schwindel nicht erneut auszulösen, blickte er sich um.
Sie saßen in einem Kerker. Die Wände bestanden aus grob behauenem Stein, Feuchtigkeit und Schimmel. Ein einzelnes Gitterfenster ließ etwas Licht hereinfallen, das jedoch nicht von draußen kam. Fackelschein erhellte das Verlies. Ein monotoner Singsang hallte zu ihnen herab.
»An was erinnerst du dich?«, fragte Chris.
Vorsichtig schob Alex sich an der Wand entlang in die Höhe. »Tanzen, geile Cocktails. Ich wollte gerade einer echt heißen Braut einen Zaubertrick vorführen. Und dann … waren das Mönche?!«
»Jap«, kam es zurück. Erst jetzt sah er die Schrammen und blauen Flecke auf dem Gesicht des anderen. »Dieselben, die den Folianten haben. Irgendwie konnten sie unsere Magie vollständig ausschalten. Leider sind sie auch im Nahkampf ziemlich gut.«
»Wie hab ich mich geschlagen?«
»Einer kam von hinten und hat dir eins übergezogen.«
»Toll.« Alex schnaubte. »Die Sache wird echt immer besser. Gehören die zu den … Schattenkämpfern?«
Chris schüttelte den Kopf. »Wenn das so wäre, hätten sie uns getötet. Nein. Das ist eine ganz andere Gruppe. Eine, von der ich noch nie etwas gehört habe.«
Schritte erklangen.
Alex stieß sich von der Wand ab, um einen würdevolleren Anblick zu bieten. Der Schwindel kam prompt wieder, er taumelte und ging in die Knie.
Drei Kuttenträger erschienen. Besagte Kutten bestanden aus grobem Stoff, gingen in Kapuzen über. Letztere waren zurückgeschlagen. Jeder der Neuankömmlinge hatte eine Glatze. In die Stirn war ein Auge geritzt.
»Mein Name ist Huan«, sagte der Größte mit überraschend sanfter Stimme. »Bitte folgt uns und verzichten auf Gewalt, eure Magie liegt unter einem Dämpfungsfeld.«
»Was soll das alles? Wieso sind wir hier?«, fragte Chris.
»Fragen sind überflüssig«, kam es von Huan.
»Ich weiß schon, warum ich Atheist bin«, knurrte Alex.
Mit Chris folgte er den Mönchen. Sie gingen einfach voraus, völlig unbeeindruckt davon, zwei Gegner im Rücken zu haben. Wie leicht hätten sie nun zuschlagen und fliehen können. Alex verwarf den Gedanken. Wenn das die Typen waren, die gegen Jen und Mark gekämpft hatten, waren sie ebenfalls Magier. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie wichtig dieser Wall war, der die Welt der Magie von jener der Nimags trennte. Nichtmagier hätten keine Chance in einem derartigen Kampf.
Sie stiegen die Stufen empor und gelangten in eine gewaltige Halle. Bemalte Fenster liefen in drei Metern Höhe einmal ringsum. Auf ihnen waren keine religiösen Motive zu erkennen, wie das in Kirchen der Fall war, sondern Szenen, in denen Magie eingesetzt wurde. Da war eine Gruppe von zwölf, die um ein Symbol herum gruppiert waren. Eine gewaltige Mauer. Ein schwarzer Steinquader.
Das muss dieser Onyxstein sein, von dem Jen erzählt hat, überlegte Alex.
Auf einer ringsum laufenden Galerie standen Kuttenträger dicht an dicht. Sie waren es, die den monotonen Singsang erzeugten. Erst jetzt begriff er, dass es sich um magische Klänge handelte. Die Säulen, die die Galerie stützten, waren mit Ornamenten verziert, die verschiedenen Sprachen entliehen schienen. Einige davon begriff er instinktiv, andere entzogen sich seinem Verständnis.
Im Zentrum des Raumes stand ein steinerner Altar, an dessen Seiten ebenfalls Symbole eingelassen waren. Im Näherkommen spürte Alex ein seltsames Zupfen in seinem Inneren, als würden gierige Tentakel nach etwas greifen, das Teil seines Ichs war.
»Du kannst es bereits spüren, nicht wahr?«, fragte Huan. »Dann behält der Foliant recht.«
»Dieser Fetzen muss euch ja sehr wichtig sein«, stieß Chris hervor. »Wenn ihr dafür sogar einen von uns tötet.«
Verblüfft hielt Huan inne. Beinahe wäre Alex im vollen Lauf gegen ihn geprallt. »Wir haben euren Gefährten nicht getötet. Das war sie.«
»Sie?«
»Die Schattenfrau. Sie hat die Wächter getötet und den Illusionierungszauber durchlässig gemacht. Wir befürchteten bereits das Schlimmste, doch als wir das Ziel erreichten, war der Foliant noch immer dort. Die Falle, die euren Freund getötet hat, stammt von ihr, nicht von uns.«
»Aber … warum?«, stotterte Chris.
Alex' Verwirrung stieg. Schattenfrau? Was war eine Schattenfrau?
»Wegen ihm«, sagte Huan und deutete auf Alex.
»Hä?«
Chris starrte verdutzt herüber. »Ich verstehe nicht.«
»Das musst du auch nicht, Lichtkämpfer. Sobald wir hier fertig sind, darfst du gehen. Niemand wird dich aufhalten, niemand dich verletzen.«
Alex beschlich ein verdammt ungutes Gefühl, als er begriff, dass Huan in der Einzahl gesprochen hatte. »Du meinst: ›Wir‹ dürfen gehen?«
»Das tut mir ausgesprochen leid, aber du wirst die Zitadelle nicht verlassen«, kam es zurück. »Wir werden dich nun töten.«
Alex fuhr zusammen.
Chris behielt äußerlich seine Ruhe. »Warum?«
»Es gibt Wissen, das für niemanden auf dem Erdenrund bestimmt ist. Euer Rat wusste das. Daher verbarg er den Folianten. Vor uns und den anderen. Doch jetzt ist er da. Gerade rechtzeitig.«
Alex starrte auf den Altar.
In den Stein waren kleine Gräben eingelassen. Zweifellos, damit das Blut ablaufen konnte. Großartig. Er suchte fieberhaft nach einem Ausweg, fand jedoch keinen.
Chris hingegen schien nicht länger gewillt zu sein, stillzuhalten. Er sprang nach vorne, schlug den beiden Begleitern die Füße weg und griff nach Huans Hals. Seine Finger schlossen sich. Der Mönch röchelte. Seltsamerweise taten dies die am Boden Liegenden ebenfalls.
Eine leuchtende Energieaureole fuhr aus Huans Brust, traf Chris und schleuderte ihn quer durch den Raum. Knochen knackten, als er an eine der Säulen prallte und zu Boden fiel. Blut lief aus seinem Mund, sein Arm stand in seltsamem Winkel ab.
Im ersten Augenblick war Alex überzeugt davon, dass der Lichtkämpfer tot war.
Quatsch. Kann er gar nicht. Da ist kein Aurafeuer.
Er wollte zu ihm laufen, um zu helfen. Doch Huan ließ es nicht zu. Er hob die Arme, eine unsichtbare Kraft packte Alex. Er flog auf den Steinquader, wurde auf die Platte gepresst.
»Ich weiß, dass du nichts dafür kannst.« Huans Stimme hatte einen widerlich sanften Klang angenommen, als spreche er zu einem Kind, das es nicht besser wusste. »Hundertsechsundsechzig Jahre sind vergangen, und was einst im Angesicht des Wandels prophezeit wurde, wird Wirklichkeit. Sie greift nach der Macht, um den Kreis zu vollenden. Das darf nicht geschehen.«
»Boah, Alter, von diesem Gefasel bekommt man Kopfschmerzen.« Alex hätte ihm gerne eine verpasst.
»Gesprochen wie ein Nimag, der du sein solltest.« Huan zog eine unterarmlange Klinge hervor.