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3 Samstag

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Sabine Herrmann hatte sich auf sieben Uhr angemeldet, um zusammen mit ihrem Mann Robi und zwei Helfern die Sachen aufzuräumen. Lena hatte ihrerseits gestern bei ihrer Unterhaltung angeboten, dabei zu helfen – sie hätte ja Zeit und sei nicht ganz ungeschickt. Schliesslich sei sie momentan vor allem im Gastgewerbe tätig, hatte sie Sabine gestern erzählt.

Es ging schnell und leere Flaschen, Geschirr, Besteck und all die Tischwäsche waren weggeräumt. Bald blieben nur die Stehtische und ein paar Stühle, die in den Camion mussten. Nicht einmal der Gestank von kaltem Zigarettenrauch erinnerte an den gestrigen Abend – das war vor acht Jahren noch anders gewesen, erinnerte sich Lena. Zum Schluss, versicherte Sabine, werde alles sauber gemacht, die Putzequipe sollte um zehn Uhr hier sein.

Aline kam später dazu und schob Möbel und einige Gegenstände wieder dorthin, wo sie ihrer Meinung nach hingehörten. Alles hatte seinen Platz in ihrem Haus.

Die kleine Crew um Sabine verabschiedete sich, als Patrick in halboffenem Hemd und barfuss in der Küche auftauchte.

«Bist du sicher, dass nirgendwo Scherben herumliegen?», fragte Aline, während sie sich den zweiten Kaffee zubereitete.

Nach kurzer Zeit kam Patrick mit rotgestreiften Schlappen zurück, trank drei, vier Gläser Wasser und machte sich seinerseits einen Espresso. Lena hatte Sabine bis zum Gartentor begleitet und suchte jetzt im Speiseschrank nach etwas, was ihrem biologischen Anspruch genügte.

Aline ihrerseits fand ihr Bananenjoghurt und meinte:

«Was für eine Seltenheit … oh Mist …» Sie war mit dem weiten Ärmel ihres Morgenrocks am Griff des Kühlschranks hängen geblieben. Das Joghurt fiel ihr aus der Hand, zerplatzte am Boden und hinterliess eine Schweinerei.

«Passt irgendwie alles zusammen …», murrte Patrick schlecht gelaunt. Lena riss Küchenpapier von der Rolle.

«Nicht weiter schlimm», fand sie, «was meintest du mit ‹Seltenheit›?»

«Dass wir alle drei gleichzeitig in der Küche sind», sagte Aline und half Lena beim Aufputzen.

«Erstaunt mich auch…», sagte Patrick, dann zu Lena:

«Vor allem, dass du schon auf bist!»

Lena verdrehte die Augen. Aline überspielte die sich anbahnende Stichelei.

«Ich finde, wir müssten das mehr tun … zum Beispiel mal wieder zusammen essen. So wie das eine Familie üblicherweise tut. Wann haben wir – wir drei – zum letzten Mal zusammen um den Tisch gesessen?»

«War auch schwierig in letzter Zeit mit all den Wahlveranstaltungen», murrte Patrick.

«Die sind jetzt vorbei. Also: Warum machen wir das nicht jeweils am Mittwoch?», schlug Aline vor.

Lena goss Bio-Saft in ein grosses Glas:

«Was willst du jetzt noch etwas anfangen, was wir seit Jahren nicht hatten? In ein paar Wochen bin ich eh weg.» Lena schien nicht begeistert.

«Dann erst recht», fand Aline.

«Und wenn sie nicht will?» Patrick verband seine Aussage mit einem gespielt bedauernden Ausdruck.

Aline stand vor dem Küchenkalender, den Ernst jeweils pünktlich zum Jahreswechsel an seine guten Freunde verschickte. Er zeigte nebst den Wochentagen, gekonnt skizzierte Eindrücke von seinen Reisen.

«Es bleiben drei Mittwoche», zählte sie, «das wären mehr gemeinsame Nachtessen, als wir während der letzten sechs Monate hatten.»

«Versuchen wir’s. Wenn’s klappt ist gut, sonst halt nicht.» Lena spülte das leere Glas aus.

«Mit dieser Einstellung wird das nichts», fügte Patrick an.

«Was haben wir überhaupt zu reden miteinander? Wir reden ja nie – nie zu dritt.» Lena fuhr weiter: «Seit jeher haben wir nie zu dritt geredet. Immer nur du mit Mama, ich mit Mama, Mama mit dir, ich mit dir … Letzteres allerdings immer seltener.» Aline versuchte, den Moment zu retten.

«Eben – genau darum machen wir jetzt diese Nachtessen.»

«Stumme Dreisamkeit, reizvoll.» Lena biss in einen Apfel.

«Mit andern fällt’s dir jedenfalls nicht schwer, zu quatschen …», sagte Patrick.

«Was heisst da quatschen?»

«Ja … von der Höchli konntest du offenbar nicht genug kriegen, gestern Abend.»

«Was soll denn das? Muss ich dich etwa fragen, mit wem ich reden darf? Du jedenfalls fielst nicht gerade als grosser Entertainer auf …»

Alines gute Laune war weg:

«Jetzt hört doch auf mit dieser dauernden ‹Anöderei›. Ihr vermiest einem den Tag, bevor er angefangen hat! Eben hatte ich noch alle Fenster offen und schon kann man die Luft mit dem Messer abschneiden.»

«Ein postpubertärer Ausbruch – dagegen kann man nichts tun», grinste Patrick.

«Wie kannst du so gemein sein», Lenas Gesicht war weiss vor Wut – «wie kann ein Vater überhaupt derart fies sein … und das seit Wochen, nein, seit Monaten. Beleidigen, lächerlich machen, erniedrigen … mehr kannst du nicht. Was verdammt nochmal habe ich dir zuleide getan?»

Aline lehnte bleich am Kühlschrank und zitterte. Patrick atmete schwer und hatte eine Gesichtsfarbe, als hätte er soeben einen halben Liter Weisswein in nüchternen Magen geschüttet.

«Eben, wenig bis nichts hast du getan. Höchste Zeit, dass du mit zweiundzwanzig Jahren etwas anfängst. Auch wenn’s Biologie ist … was soll’s. Allemal besser als bis elf Uhr im Bett liegen und nachts mit irgendwelchen Mikrofonen im See herumstochern.»

Lena war verschwunden.

Aline tat, was sie noch nie getan hatte, seit Patrick sie kannte.

Sie begann zu schreien. So laut, dass es in den Ohren weh tat.

Mit krebsrotem Hals und gelblich weissem Gesicht stand sie wie angegossen vor dem blauen Kühlschrank und schrie. Es schien, eine Minute lang.

Patrick wusste nicht, was tun, fasste sich an den Nacken und tappte wortlos auf die Veranda.

Nach ihrem Schreien sank Aline zusammen. Für eine, zwei Minuten weinte sie tonlos, angelehnt an den Kühlschrank. Schliesslich stand sie unsicher auf und suchte Lena. Sie fand sie in ihrem Zimmer. Lena lag auf ihrem Bett, schaute kurz auf, als ihre Mutter ins Zimmer trat. Für eine Weile sagten beide nichts. Aline blickte aus dem Fenster: Bäume, der Rasen, der fast nur aus Klee bestand, Schilf, das alte Bootshaus. Der See lag ruhig da, es bewegte sich nichts, ausser einer Katze, die merkwürdig unentschlossen über den Rasen ging.

Alines gerötete Augen schauten ins Leere: «Erinnerst du dich, wie nah ihr euch wart?»

Lena sagte nichts.

Aline: «Erinnerst du dich?»

Sie drehte sich vom Fenster weg und fragte Lena direkt.

«Weisst du, was dazwischen passiert ist?»

Lena: «Dazwischen?»

«Eben, zwischen dieser Zeit und jetzt?» Lena sass im Bett auf.

«Ich habe seine Erwartungen nicht erfüllt.»

Aline dachte nach.

«Und?»

«Und? Bin eine erwachsene Frau geworden.» Aline versuchte ein Lächeln.

«Da dran ist doch nichts falsch.»

Lena: «Das nicht, aber …»

«Aber?», fragte Aline.

«Aber seither sind meine Gefühle für ihn durcheinander.»

«Das hast du mir schon mal erzählt.»

«Und du hast es auch letztes Mal nicht verstanden.»

Sie möchte jetzt alleine sein, sagte Lena und legte sich wieder aufs Kissen.

Aus der Distanz hörte man einen Staubsauger aufheulen. Offenbar hatte Patrick die Putzequipe ins Haus gelassen.

Schiffbruch

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