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aa) Sonderrechtscharakter des Integrationsrechts insgesamt?

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Eine Betrachtung der Entwicklung des europäischen Gemeinschaftsrechts im Lichte der Frühzeit des staatlichen Verwaltungsrechts fördert bemerkenswerte Parallelen zu Tage. Diese Parallelen zeigen, wie problematisch die legitimationserheischende Qualifizierung des Gemeinschaftsrechts als ein neues ius commune[57] sowie ein ähnlich ausgerichtetes verfassungsrechtliches Narrativ der Gemeinschaft[58] sind. Das herrschaftsorientierte Verständnis des Verwaltungsrechts als Sonderrecht der Exekutive[59] bietet ein alternatives und deutlich kritischeres Deutungsmuster zum Verständnis der unionalen Rechtsschicht im europäischen Rechtsraum, zunächst einmal als ein Sonderrecht der europäischen Integration insgesamt. Eine enge Verbindung zum französischen Recht besteht durchaus: Erinnert sei nur an die paradigmatische Rolle des Conseil d’État für den Europäischen Gerichtshof sowie an die jahrzehntelange französische Führung der europäischen Entwicklung.[60]

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Das Integrationsrecht schließt in den Mitgliedstaaten die Anwendung des allgemein anzuwendenden (sprich: mitgliedstaatlichen) Rechts aus.[61] Der Zugriff der gemeinen (mitgliedstaatlichen) Gerichte auf dieses neue Recht ist eng beschnitten. Nach Art. 274 AEUV bleiben zwar die Zuständigkeiten der nationalen Gerichte in Streitsachen, bei denen die Gemeinschaft (nunmehr Union) Partei ist, unberührt, soweit der Vertrag keine Zuständigkeit des Gerichtshofs begründet. Die Auffangzuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte für das „allgemeine Recht“ erfasst jedoch allein den Bereich der privatrechtlichen Rechtsbeziehungen,[62] lässt also Anklänge an das erkennen, was im Absolutismus unter dem Fiskusbegriff vor die Gerichte gebracht werden konnte.[63]

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Große Teile des Gemeinschafts- und bis heute des Unionsrechts sind ein administratives Steuerungsrecht, über dessen Rechtmäßigkeit allein Einrichtungen des neuen Hoheitsträgers entscheiden können. Dieses Monopol ist in den Verträgen nicht ausdrücklich niedergeschrieben, sondern wurde seitens des EuGH eingeführt und durch Hinweis auf die Notwendigkeit eines einheitlichen Rechtsraums gerechtfertigt.[64] Zudem hat der EuGH dem Interesse der Durchsetzung des neuen Rechts und des Gelingens des Integrationsprozesses, zumindest bis in die nahe Vergangenheit, eine hohe Präferenz zugemessen.[65] In dieser Perspektive ähnelt das Gemeinschaftsrecht weniger einem neuen ius commune denn einem neuen Sonderrecht, mit dem ein gubernativ-administrativer „Komplex“ gesellschaftliche Transformation im Lichte einer neuen politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Einheit betreibt; es bestehen so durchaus Parallelen zur Staatsbildung der Neuzeit, welche die Beiträge in IPE III schildern.

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Im akademischen Bereich zeigen sich ebenso Parallelen. So wie die Fürsten der Neuzeit inspirieren und unterstützen die europäischen Institutionen kongeniale akademische Einrichtungen. Das Collège d’Europe mit Standorten in Brügge und Natolin bildet die vielleicht wichtigste wissenschaftliche Ausbildungsstätte für den europäischen Beamtennachwuchs. Das Europäische Hochschulinstitut in Florenz wurde ebenfalls in Ausrichtung auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet.[66] Bedeutsam für die wissenschaftliche Begleitung der Entfaltung des europäischen Rechts sind zudem die Jean-Monnet-Lehrstühle an staatlichen Universitäten sowie die Forschungsfinanzierung aus Mitteln des EU-Haushalts.

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Wenn das Integrationsrecht also deutliche Momente eines Sonderrechts aufweist, so ist doch auf die Grenzen dieser Parallelisierung hinzuweisen. Sie hat Erkenntniswert vor allem für die Vergangenheit, für den Entwicklungspfad des Unionsrechts. Das Verständnis des Gemeinschaftsrechts insgesamt als ein bürokratisches Sonderrecht büßt in dem Maße an Überzeugungskraft ein, in dem sich der administrative Zweckverband Hans Peter Ipsens[67] demokratisiert und parlamentarisiert. Für den europäischen Rechtsschutz ist festzuhalten, dass über die Jahre der Zugang zum EuGH erleichtert und Asymmetrien in dessen Beurteilungen mitgliedstaatlichen und europäischen Rechts abgebaut wurden.[68] Zudem nehmen in den meisten Mitgliedstaaten die Höchstgerichte eine Kompetenz für sich in Anspruch, unionale Akte an verfassungsrechtlichen Maßstäben zu messen und im Extremfall unangewendet zu lassen.[69]

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Mit Blick auf die wissenschaftliche Disziplinenbildung ist festzuhalten, dass das Fach Europarecht, das die gesamte Rechtsentwicklung in der Europäischen Union begleitet und die Disziplin dieses Sonderrechts sein könnte, massiven Erosionsprozessen unterliegt. Anders als noch vor 20 Jahren kann ein Wissenschaftler heute kaum noch die gesamte europäische Rechtsentwicklung im Blick haben. Vielmehr kommt es zu einer disziplinären Auffächerung, und zwar entlang der etablierten mitgliedstaatlichen Disziplinen: So verfestigen sich zunehmend spezifische akademische Fächer zum europäischen Privatrecht, europäischen Strafrecht, europäischen Verfassungsrecht und eben Unionsverwaltungsrecht, Letzteres bestehend aus dem Recht der EU-Eigenverwaltung sowie den unionsrechtlichen Vorgaben für die mitgliedstaatlichen Verwaltungen (auch als Gemeinschaftsverwaltungsrecht bezeichnet).[70]

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