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b) Zur disziplinären Ausrichtung im europäischen Rechtsraum

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Es findet sich somit in der Gründung und Entwicklung des Verwaltungsrechts als wissenschaftlicher Disziplin ein emanzipatorischer Impetus, der zu einer gemeineuropäischen Identität des Faches beitragen kann. Eine solche Identität erscheint angezeigt angesichts der strukturellen Legitimationskrise des Unionsrechts und der Gefahr, dass die Bürokratien im europäischen Verbund sich in ihrem Netz selbstbezüglich verfangen und die Rechtsunterworfenen aus dem Blick verlieren. Auch geht es, ähnlich wie zu Zeiten des Sonderrechts des 18. Jahrhunderts, um die effiziente Verwirklichung hoheitlicher Aufgaben im Rahmen eines politischen Projekts, einen Binnenmarkt, eine Währungszone, einen einheitlichen Rechtsraum zu schaffen, nunmehr nicht auf nationaler, sondern europäischer Ebene. Die Politiken des Dritten Teils des AEU-Vertrags bezwecken gesellschaftliche Steuerung und Transformation, denen gegenüber der Einzelne sich bisweilen nur mühsam als Rechtssubjekt positionieren kann.

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Der emanzipatorische Gehalt des Begriffs Verwaltungsrecht sollte im europäischen Rechtsraum in Erinnerung gerufen und als Verpflichtung begriffen werden. Es wäre ein Verlust, ihn auf das Unionsrecht ohne diese kritische Spitze anzuwenden; sie sollte in die normative Konstruktion von Verwaltung im europäischen Rechtsraum eingehen.[115] Im heutigen rechtlichen und wissenschaftlichen Kontext kann dies dogmatisch am ehesten mittels einer Konstitutionalisierung des Unionsverwaltungsrechts erfolgen, also einer verfassungsrechtlichen Ausrichtung des sekundärrechtlichen Materials an Verfassungsprinzipien und einzelnen Grundrechten. Der verfassungsrechtliche Ansatz im Unionsrecht wird sich gerade an dieser Frage beweisen müssen.[116] Der EuGH nutzt bereits die Primärrechtskonformität als Auslegungsmethode, also das Argument der Verfassungskonformität.[117] Zahlreiche sekundärrechtliche Akte sind zudem ausdrücklich nach ihren Begründungserwägungen im Lichte von Grundprinzipien, insbesondere einzelner Grundrechte, zu deuten. Die Grundrechte-Charta be- stärkt diese Konstitutionalisierung, ja ruft durch ihr Inkrafttreten zu einer transformierenden Durchdringung des Unionsverwaltungsrechts gerade auf, indem sie zahlreichen Interessen eine verfassungsrechtliche Dimension verleiht. Es gibt bereits eine Rechtsprechungslinie, welche individuelle Rechtspositionen grundrechtlich umdeutet, was eine grundrechtsorientierte Konstitutionalisierung befördert.[118] Dies verlangt die Überwindung von Verständnissen des Unionsverwaltungsrechts als Teil eines „Integrationsrechts“ oder „Binnenmarktrechts“, Konzeptionen, die sich überlebt haben. Von besonderer Bedeutung für diese Fortentwicklung sind die Garantien des Art. 41 GRC.[119] Diese Norm erinnert an das Rechtsinstitut des due process of law unter der US-Verfassung (5. und 14. Amendment), das die wichtigste Grundlage der allgemeinen Lehren des amerikanischen Verwaltungsrechts bildet.[120] Weiteres Potenzial bietet die Unionsbürgerschaft, die der EuGH bislang gegenüber der Unionsverwaltung allerdings kaum operationalisiert hat. Beide Anknüpfungspunkte könnten genutzt werden, das europäische Verwaltungsrecht und seine Dogmatik des Verwaltungsrechts im Lichte der in vielerlei Hinsicht exemplarischen nordeuropäischen Verwaltungsmodelle auszurichten.[121] Dies spricht das dritte Moment disziplinärer Identität an.

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