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2. Verengung zum rechtswissenschaftlich-dogmatischen Verwaltungsrecht

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Auch nach dem Scheitern der Frankfurter Paulskirchenverfassung (1849) hat sich die Rechtsstaatsidee im liberalen Bürgertum erhalten und drängte nun, abgelöst von der politischen Verfassungsfrage und dem Anspruch demokratischer Partizipation, auf eine Beschränkung der Staatsgewalt gegenüber dem Einzelnen. Wegweisend schied Carl Friedrich von Gerber (1865) das Verwaltungsrecht aus dem Staatsrecht aus, wollte es dann „in seiner Selbständigkeit erkannt“ wissen und erklärte, wenn „der Begriff des Rechtsstaats irgend eine reelle Bedeutung hat, so ist sie gerade die, dass mehr und mehr auch auf dem Gebiete der Verwaltung feste rechtliche Bestimmungen gegeben werden, welche der Willkür den Boden entziehen“.[15] Bereits 1856 war auf gesetzespositivistischer Grundlage Josef Pözls „Lehrbuch des bayerischen Verwaltungsrechts“ erschienen, worauf aus württembergischer Perspektive, aber mit gemeindeutschem Anspruch unter Übernahmen aus dem französischen Verwaltungsrecht Friedrich Franz Mayers „Grundzüge“ (1857) und „Grundsätze des Verwaltungsrechts“ (1862) folgten, die zunächst kaum rezipierte Ansätze der Aufstellung eines Systems der Rechtsinstitute und eines Allgemeinen Teils erkennen lassen.[16] Rechtsvergleichung bezog Mayer zwar primär auf die deutschen Einzelstaaten, rezipierte dabei gleichwohl etwa mit Gabriel Dufours „Traité général de droit administratif appliqué“ (11843–1846; 21854–1857) Literatur, die Jahrzehnte später auch noch Otto Mayer heranziehen sollte. Für die Etablierung des Faches bedeutsam war die Einrichtung von verwaltungsrechtlichen Lehrstühlen, in Württemberg 1842, in Preußen 1881 einsetzend, und einer Verwaltungsgerichtsbarkeit, ab 1863 in Baden und ab 1872 in Preußen, die Entstehung einer verwaltungsrechtlichen Zeitschriftenlandschaft und die zunehmende Publikation einschlägiger Darstellungen, unter anderem aus der Feder von Ernst von Meier, Georg Meyer, Otto von Sarwey, Edgar Loening und Karl Freiherr von Stengel,[17] die mehr oder minder das juristische neben dem staatswissenschaftlichen Moment herausstellten und die Gliederung nach dem Ressortprinzip durch ein abstrakteres Unterteilungsprinzip ersetzten.

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Den erratischen Versuch, die Weite der alten Polizeiwissenschaft in einer modernen Verwaltungslehre fortzuschreiben, unternahm der hegelianisch inspirierte Gesellschaftstheoretiker Lorenz von Stein (Die Verwaltungslehre, 7 Theile, 1865–1868), der in seinem Konzept eines sozialen Königtums die Verwaltung als den tätigen, arbeitenden Staat mit einer Korrektivfunktion gegenüber der Gesellschaft ausstattete. Da das Verwaltungsrecht dabei „aus dem Wesen des zu Verwaltenden“ zu bilden sei,[18] konnte ihmzufolge die Verwaltungsrechtswissenschaft lediglich als unselbständiges „Correlat der Verwaltungslehre“ begriffen werden, wenngleich ausgebildet zu einem „System des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts“.[19] Programmatisch sprach von Stein von einem europaweit „vergleichenden Verwaltungsrecht“ und schichtete einen die Organe und Prinzipien betreffenden „allgemeinen Theil“ von einem auf die Verwaltungsgebiete und -aufgaben bezogenen „besonderen Theil“ ab.[20] Seinem gemeineuropäischen Ansatz zufolge nahm er dabei die Verhältnisse zahlreicher europäischer Staaten in den Blick, etwa in dem 1876 in zweiter Auflage erschienenen „Handbuch der Verwaltungslehre mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England, Deutschland und Österreich“ oder noch ausgreifender in dem seit 1860 erscheinenden „Lehrbuch der Finanzwissenschaft“, in dem in der fünften und letzten Auflage 1885/1886 darüber hinaus auch Italien und Russland in die Darstellung einbezogen wurden. Nicht ohne ein gewisses nationales Selbstbewusstsein sah von Stein dabei die deutsche Verwaltungstätigkeit als eine Art gelungene Synthese aus Englands staatsfreier Selbstverwaltung und Frankreichs nahezu selbstverwaltungsfreier Staatsverwaltung an. Wie sehr gerade das französische Verwaltungsrecht zeitgenössisch interessierte, belegt nicht zuletzt Robert von Mohls dreibändige Enzyklopädie „Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften“ (1855–1858), die einen umfangreichen Bericht speziell über die französische Literaturentwicklung lieferte. Bei aller Bewunderung der Systematik von Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft in Frankreich fehlte nicht die Kritik an der hohen Zentralisation sowie der weit ausgedehnten Staatstätigkeit.

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Rechtspolitische Anstöße, insbesondere in Richtung einer eigenständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit, vermittelte der rechtsliberale Rudolf von Gneist, der ausgehend vom englischen Verwaltungsrecht und der Idee des selfgovernment mit zahlreichen rechtsvergleichend gehaltenen Schriften für Rechtsstaatlichkeit und Selbstverwaltung eintrat, unter anderem für eine ehrenamtliche Beteiligung an der Verwaltung, um so den Gegensatz zwischen Obrigkeit und Bürger abzumildern. So resümierte er 1869 im Vorwort zu „Verwaltung – Justiz – Rechtsweg. Staatsverwaltung und Selbstverwaltung nach englischen und deutschen Verhältnissen“ die Vorbildwirkung der „Vergangenheit und Gegenwart Frankreichs und Englands“ für die bürgerliche Freiheit in Deutschland. Insgesamt neigte von Gneist zu einer Idealisierung der englischen Verhältnisse, denen er das unter dem Partikularismus der Klassen leidende französische System diametral entgegensetzte. Das deutsche Staats- und Verwaltungswesen schien ihm dagegen insbesondere auf Grund der ausgeprägten gesellschaftlichen Harmonie durchaus ebenbürtig. Von Gneists rechtsvergleichende Methode zielte keineswegs auf eine kritiklose Rezeption von historisch und sozial inkompatiblem fremden Recht, sondern auf ein auf die deutschen Verhältnisse und Reformbedürfnisse passendes Destillat. In den universal angelegten Arbeiten von Gneists wie auch von Steins spiegelt sich in gewissem Maße auch das Nachglimmen des alten Polizei- und Wohlfahrtstaatsgedankens wider. Der aufkommende Rechtsstaat führte allerdings zu einer Funktionsverlagerung der Verwaltung von der vorsorgenden zur vollziehenden Gewalt, wodurch das „Verwaltungsrecht die gültige und äußerliche Formulierung der Verwaltung selbst“ wurde.[21]

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Die Schwächen der zunächst vorherrschenden staatswissenschaftlichen Darstellung der verwaltungsrechtlichen Materien lagen auf der Hand. Noch einer Stoffordnung nach Verwaltungszweigen und einer entsprechend additiven wie narrativen Darstellungsweise verpflichtet, vermochte sie kaum, Gemeinsamkeiten und Querverbindungen zwischen den einzelnen Materien des Verwaltungsrechts herauszuarbeiten. Aufgrund dieser Systematisierungsdefizite war die Entwicklung eines veritablen Allgemeinen Teils des Verwaltungsrechts nicht zu erreichen, obwohl entsprechende Versuche einzelner Vertreter dieses Ansatzes zu verbuchen sind. Dem Durchbruch zum Allgemeinen Teil im Wege stand auch ein Ballast an heute mitunter abstrus anmutenden volkswirtschaftlichen, technischen, historischen und politischen Argumentationsführungen und Erwägungen.

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Letzteres durchaus auch als Stärke der staatswissenschaftlichen Herangehensweise anerkennend, die durch den „Anschluß an das System der Verwaltungslehre“ ein „umfassendes Kulturbild der Gegenwart“ liefere und „künftigen Geschlechtern vielleicht noch interessanter sein“ werde als die Sicht der „rein juristischen Seite“[22], hat Otto Mayer die juristische Methode in der Verwaltungsrechtswissenschaft auf ihren „unübertroffenen Höhepunkt geführt“[23]. Er gilt als der „eigentliche Schöpfer und Klassiker der modernen deutschen verwaltungsrechtlichen Methode“[24], in der politische und historische Erwägungen weitgehend eliminiert waren. Ihm gelang die Herausarbeitung verwaltungsrechtlicher Institute und eines Allgemeinen Teils des Verwaltungsrechts, dem auf Grund des erreichten Abstraktionsgrades eine starke Folgewirkung vergönnt war. Unter Konzentration auf die Rechtsform prägte er bis heute relevante Grundbegriffe des „wohlgeordneten Verwaltungsrechts“ des bürgerlichen Rechtsstaates, unter anderem den „Verwaltungsakt“, den „Vorrang“ und den „Vorbehalt des Gesetzes“, um so der Herrschaft des Gesetzes auch im Einzelfall die Bahn zu ebnen.[25] War namentlich der Verwaltungsakt der zeitgenössischen Wissenschaft durchaus geläufig, Mayer gestaltete ihn, orientiert an der Urteilsähnlichkeit des französischen acte administratif, zu einem der Verwaltung zugehörigen obrigkeitlichen Ausspruch, „der dem Untertanen im Einzelfall bestimmt, was für ihn Rechtens sein soll“.[26] Mayer hatte neun Jahre vor Erscheinen des ersten Bandes seines Hauptwerkes „Deutsches Verwaltungsrecht“ (2 Bde., 1895/1896) in einer richtungsweisenden Monographie die französische Verwaltungsrechtswissenschaft dargestellt,[27] die anders als das anglo-amerikanische Verwaltungsrecht in den europäischen Staaten des ausgehenden 19. Jahrhunderts vielfältig rezipiert wurde und als die international elaborierteste galt. Sein rechtsvergleichendes Projekt verfolgte er dabei zunächst im Wege einer systematischen Durchbildung des ihm keineswegs hinreichend geordnet und allgemeingültig erscheinenden französischen Verwaltungsrechts. Mayer entwickelte hierzu Ordnungsbegriffe und begründete ein neues Darstellungssystem, nicht mehr ausgerichtet an den Zuständigkeiten, wie bei den französischen Juristen, sondern am Modus, am „Wie“ des Verwaltungshandelns, d.h. an den Einwirkungsformen der Exekutivgewalt. So verlieh er anknüpfend an seine am französischen Recht entwickelte Systematisierung auch der deutschen Wissenschaft vom Verwaltungsrecht eine neue Gestalt mit sehr eigenständiger Ausrichtung, nicht zuletzt einseitig auf die obrigkeitlich auftretende, befehlende und eingreifende Verwaltung.

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Der programmatische Verzicht auf die Berücksichtigung administrativer Zweckkategorien und die Reduktion des Verwaltungsrechts auf eine Rechtsformenlehre barg das Risiko, die Rückbindung an die Verwaltungswirklichkeit einzubüßen. Bereits Loening hat die Ausblendung der Verwaltungszwecke moniert und Mayer „Begriffsphantasien“ vorgeworfen, „die mit den realen Rechtsinstituten nichts gemein haben“.[28] In Deutschland wie in Frankreich stieß die juristische Methode denn auch auf Widerstand vornehmlich in den Reihen der Verwaltungspraktiker, in geringerem Maße aber auch in der Richter- und Professorenschaft, sollten sich die verwaltungspolitischen Argumentationsmuster doch als überaus stabil erweisen. Gänzlich überholt erscheint heute Mayers doktrinäre Ablehnung des öffentlich-rechtlichen Vertrages, die aus einer überscharfen Trennung von subordinationsrechtlich geprägtem öffentlichen Recht und auf Gleichordnung angelegtem Zivilrecht resultierte.[29] Die auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge tätige und leistende Verwaltung hat Mayer auch bei seinen grundlegenden Ausführungen zur öffentlichen Anstalt nicht ausreichend in den Blick genommen. Die Fundamente der modernen Verwaltungsrechtswissenschaft beruhen so auf einem Akt absichtsvoller Selbstbeschränkung und der Ausklammerung gerade der modernen Seite der zeitgenössischen Verwaltung und ihres Rechts.[30] Mayer ging es um die Entwicklung eines veritablen allgemeinen Teils des Verwaltungsrechts, der mit den Ordnungsfiguren und Instrumenten der staatswissenschaftlichen Methode nicht einzulösen war und dessen Ausarbeitung unter der Berücksichtigung noch unausgegorener, sich im Fluss befindlicher Rechtsentwicklungen möglicherweise gelitten hätte.

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In einer bis zum Ersten Weltkrieg währenden Phase der Konsolidierung dominierte Mayers formalistischer Ansatz, der wirkmächtig in Fritz Fleiners „Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts“ (11911) fortgeschrieben, im Fortgang der insgesamt acht Auflagen (81928) jedoch zunehmend modifiziert und aktualisiert wurde.[31] In diese Zeit bürgerlicher Sekurität fallen zentrale rechtsdogmatische Monographien unter anderem zum fehlerhaften Staatsakt und zur Ermessenslehre aus der Feder des jungen Walter Jellinek,[32] Karl Kormanns Versuch zu einem „System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte“ (1910) sowie Ottmar Bühlers Studie über „Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung“ (1914). Der spätestens mit der Kriegswirtschaft und Kriegsfolgenbewältigung unübersehbar gewordene Ausbau des Interventionsstaates mit seinem ungeheuren Aufgabenzuwachs[33] ließ Bühler 1919 eine gewaltige Umstellung von Verwaltung und Verwaltungsrechtslehre diagnostizieren, nicht zuletzt auch eine Schwerpunktverlagerung vom Landes- auf das Reichsrecht.[34] Mayers vielzitiertem Diktum aus dem Vorwort zur dritten Auflage seines Verwaltungsrechtslehrbuches vom August 1923 „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht“ widersprach Fleiner, demzufolge die Neugestaltung des Verfassungsrechts einen „starken Einfluß auch auf das Verwaltungsrecht ausgeübt“ hat,[35] aber auch Albert Hensel, der nicht zuletzt auf die „Neugestaltung der wirtschaftlichen Betätigung des Staates in halböffentlichrechtlichen Formen“ und den „Zusammenschluß der den Staat und stärker noch die Verwaltung beeinflussenden Kräfte in Organisationen“ mit einer „scheinbar rein privatrechtlichen Struktur“ hinwies.[36]

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Fleiner nahm in seine Darstellung einen Abschnitt „Neue Organisationsformen“ (§ 8) auf, insbesondere zu den „öffentlichen Betrieben“ und der „Verwaltung mit den Mitteln des Privatrechts“ in Form der „gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung“. Im Besonderen Teil von Walter Jellineks stärker gesetzespositivistisch ausgerichteten enzyklopädischen Darstellung zum „Verwaltungsrecht“ (1928) fehlten weder die „Verwaltung durch beliehene öffentliche Unternehmer“ noch die „Öffentliche Fürsorge“ oder Fragen der Sozialversicherung; im Allgemeinen Teil fand sich die Anerkennung des „öffentlichrechtlichen Vertrages“ ebenso wie die der „schlichten Hoheitsverwaltung“.[37] Zweckerwägungen spielten namentlich beim sog. freien Ermessen eine Rolle, anders als in Adolf Merkls österreichischem Entwurf, der die „Phantasmagorie einer rechtsfreien Verwaltung wie Rauhreif in der Bestrahlung der Sonne“ zerstieben sehen wollte.[38] Die mit der steten Zunahme des Stoffes unvermeidliche Ausdifferenzierung der Fächer führte zur Verselbständigung von Sozial- und Steuerrecht. Das öffentliche Wirtschaftsrecht systematisierte Ernst Rudolf Huber nach Grundformen und Rechtsschutzgesichtspunkten in seinem wegweisenden „Wirtschaftsverwaltungsrecht“ (1932).[39] Das Kommunalrecht wie die Kommunalwissenschaften überhaupt erlebten einen Bedeutungsgewinn, der noch vor dem Ende der Weimarer Republik auch die Verwaltungswissenschaft erfasste.[40]

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