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Jochen Hartmann, GF von Drängl & Melkers

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Ein angenehmer erfrischender Duft nach Zitrone und Zedernholz zog durch die Büroräume. Der Designer Raymond Matt hatte diesen Duft eigens entworfen und ihn zusätzlich mit verschiedenen exklusiven Pheromonen versetzt, um die Kaufbereitschaft potentieller Kunden zu steigern. Die Kosten dieses Duftsprays waren allerdings so hoch, dass Jochen Hartmann sich überlegte, ob es nicht günstiger wäre, den Kunden im Shop eine Brise Koks anzubieten. Er hatte seine Assistentin Lisa angewiesen, diesen Duft äußerst sparsam zu verwenden. Ausschließlich bei 1a-VIP Kunden sollte diese Kostbarkeit versprüht werden. Dass es jetzt duftete, hatte einen anderen Grund. Hartmann hatte keine seiner Drogen oder Beruhigungspillen dabei, sodass er zwei Sprühstöße opferte und tief durchatmete. Er lief in seinem gläsernen Chefbüro wie ein Tiger auf und ab. Dabei strich er sich immer wieder kreisförmig über seinen deutlich hervortretenden Bauch, was ein Zeichen äußerster Nervosität bei ihm war.

Die Mittagssonne blitzte zwischen den Hochhäusern hindurch und warf ein warmes, helles Licht in die schicken, modernen Büroräume in der Börsenstraße. Auf zwei Ebenen mit über 250 qm feinster Bürofläche waren die Räumlichkeiten mit viel Glas und teuren USM-Möbeln ausgestattet worden. Farblich abgestimmt im CI (Corporate Identity) der Firmenfarben Orange und Anthrazit, entsprach es der kataloghaften Vorstellung eines modernen Vorzeige-Büros. „Teuer und Edel“, das war das Motto und Beuteschema von „Drängl & Melkers Wohnimmobilien“.

Jochen Hartmann, der ehemalige Gebrauchtwagenhändler aus Friedberg, hatte von einem Bekannten erfahren, dass der aufstrebende Shop von „Drängl & Melkers Wohnimmobilien“ in Frankfurt verkauft werden sollte und witterte darin die Chance seines Lebens. Seit er zusammen mit dem entlassenen Mitarbeiter des Star-Architekten Stephan Wächter sein Traumhaus auf Mallorca gebaut hatte, eine 500 qm große Villa an den Klippen in der Nähe von Andratx, war er der felsenfesten Überzeugung, dass er alles wusste, was man über Immobilien wissen musste. Verkaufen, das konnte er schließlich auch, zwar Gebrauchtwagen, aber da sah er keinen so großen Unterschied zu gebrauchten Immobilien. Die hatten auch alle ihre Macken und die Kunst war es eben, diese vorteilhaft ins Licht zu rücken.

Seine Spezialität war es gewesen, den jungen Frauen, die gerade ihren Führerschein in der Tasche hatten, Unfallwagen zu verkaufen. „Schöne Frau“, pflegte er dann stets galant zu sagen, wenn er schick gekleidet mit einem 2000 Euro teuren Armani-Anzug und gegelten Haaren vor den meist unsicheren Frauen stand, „schöne Frau, sehen Sie doch mal diesen traumhaften VW Polo Baujahr 95, tipptopp in Schuss, der Kofferraum hinten ist nur leicht verbeult, aber ein kleiner Schlag mit diesem Schraubenzieher und schon springt er auf. Natürlich ist der Schraubenzieher inklusive.“ Auf den Einwand der Frauen, doch lieber einen nichtverbeulten Wagen zu nehmen, erwiderte er stets: “Sehen Sie, junge Dame, Sie müssen das Ganze philosophisch betrachten. In jeder Katastrophe steckt auch etwas Gutes, das hat schon Nietzsche 1895 gesagt!“ (Diesen Part veränderte er stets zu seiner eigenen Unterhaltung und wechselte zwischen Nietzsche, Goethe, Adenauer und Napoleon in der sicheren Überzeugung, dass sein Halbwissen den Bildungsstand der Abiturientinnen in Hessen deutlich überragte.) „Stellen Sie sich doch mal vor, Sie sind beim Einparken: Bornheim, Berger Straße! Sie sind spät dran, weil ihr Liebster Sie zum Dinner ins „Rink“ eingeladen hat. Sie fahren bereits eine halbe Stunde verzweifelt herum, um einen Parkplatz zu finden, dann endlich fährt ein Smart raus. Sie nun rein, aber es ist knapp, sehr knapp...“ Um der Situation die nötige Dramatik zu geben, legte er seine Hand ans speckige Kinn, kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn, sodass er eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Bulldogge bekam. „Würden Sie nicht sagen“, an dieser Stelle variierte er die Tonlage und wechselte zwei Oktaven rauf und runter, denn das hatte er sich von seinem Allianz-Vertreter abgeschaut, der ihm schon unzählige Versicherungen verkauft hatte, und der nebenbei Laienschauspieler bei den Theaterfestspielen in Bad Vilbel war, „würden Sie nicht sagen, dass es vorteilhaft ist, wenn das Auto bereits eine Macke hätte, sonst wäre der Abend mit dem Liebsten doch gelaufen! Sie würden sich die ganze Zeit über eine neue Beule am Auto ärgern.“ Dann grinste er breit, sodass sein Goldzahn links unten blinkte. Je nach Sonneneinstrahlung reflektierte der Zahn das Licht so stark, dass ein heller Blitz herausschoss, der die jungen Kundinnen meist erschreckte.

Den gleichwohl mäßigen Erfolg mit seinem Autohandel konnte er an und für sich verschmerzen, da er bereits als 18-Jähriger ein beträchtliches Vermögen von seinem Großvater geerbt hatte, und der Handel mit den Pflanzen des Gewächshauses seiner Eltern florierte ebenso. Allerdings war nun das meiste Geld in den Bau der Villa in Andratx geflossen… und er pflegte neuerdings einen kostspieligen Lebensstil, vor allem, da er seit vier Monaten eine feste Freundin in München hatte, die er schließlich verwöhnen musste.

Hartmann wurde zunehmend nervös, weil er den Eindruck bekam, zu teuer gekauft zu haben. Der Laden musste unbedingt gut laufen, dachte er und strich sich über seinen Bauch. Er würde alles tun, um die Top-Verkäuferin Martina Kurz zu halten, sie war das Rennpferd in seinem Stall. „Ich muss sie mit den besten Deals füttern“, überlegte Hartmann, „außerdem werde ich noch mehr Kaufberater einstellen“, so viele wie möglich, schließlich kosteten ihn diese ja nichts und Konkurrenz belebt das Geschäft. „Mal sehen, wie sich Anna Goldmann machen wird.“ Sie hatte am Montag gerade den Vertrag unterschrieben und sollte das Team im Verkauf unterstützen.

Für den aufstrebenden Shop von Drängl & Melkers in der Börsenstraße hatte Hartmann einen viel zu hohen Kredit aufgenommen und infolgedessen sein Ferienhaus auf Mallorca an seine Patentante Pauline verkauft. Seine Patentante litt unter Bluthochdruck und konnte zwar keine Flugreisen mehr machen, aber aus Mitleid mit ihrem Ziehsohn, der noch nichts Richtiges im Leben auf die Beine gestellt hatte, kaufte sie ihm das Haus schließlich ab.

Beide wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass das Haus praktisch wertlos war. Der Architekt hatte damals gerade seine Zulassung verloren. Das Gericht befand ihn schuldig, aufgrund falscher Statikberechnungen den Einsturz der Decke einer Villa in Portals Nous herbeigeführt zu haben, bei dem ein echter Van Gogh zerstört und die Haushälterin so stark verletzt wurde, dass diese nun gelähmt im Rollstuhl saß. Jürgen Hartmann kam damals das günstige Angebot des Architekten (ohne Zulassung) sehr entgegen. Seine Luxusvilla ganz oben in den Hügeln vor Andratx konnte damals nur gebaut werden, weil der Ex-Architekt den zuständigen Bauamtsleiter Carlos de la Roca bestochen hatte, in der Höhe einer sechsstelligen Summe, die das baldige Ausscheiden des Angestellten zur Folge hatte. Seine Tante Pauline hatte aber vor einer Woche Post vom Rathaus in Andratx bekommen. Julian Fernandes, der neue Bauamtsleiter, war gerade dabei, alle Bauanträge der letzten vier Jahre zu prüfen, die im Rathaus Andratx genehmigt worden waren und schrieb alle Eigentümer an, deren Häuser und Villen nicht den gesetzlichen Normen und Vorschriften entsprachen. Saftige Strafen winkten und in schlimmen Fällen wurde sogar der Rückbau angedroht.

Nicht nur, dass der Hartmann-Villa eine echte Baugenehmigung fehlte, viel schlimmer war, dass der Felsen, auf dem das Haus stand, nicht abgesichert war und die Erosion unaufhaltsam daran nagte. Ein Drittel des Gartens war bereits im Meer versunken und die Kosten, um den Fels dauerhaft mit Beton zu sichern, waren teurer, als eine neue Villa zu bauen. Doch auch davon wusste Jochen Hartmann noch nichts, denn der Hausverwalter, der sich um die Villa kümmern sollte, kassierte zwar monatlich ein ordentliches Honorar, tauchte aber höchstens dann auf, nachdem Hartmann sich ansagte und im Moment war natürlich nicht an Urlaub zu denken, er hatte ja schließlich das Geschäft erst übernommen und gerade eine riesige Summe an Peter Geiling, den ehemaligen Shop-Leiter von Drängl & Melkers, überwiesen.

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