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Angelina

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Angelina saß in ihrem geblümten Ohrensessel, neben ihr standen auf dem kleinen Nierentisch aus Kirschbaum der Nachmittagstee und ein kleines Stück Schwarzwälder Kirschtorte. Das Aroma von frisch aufgebrühter Minze verströmte einen angenehmen Duft im Wohnzimmer. Sie blickte hinaus in ihren Garten und schaute den Vögeln zu, die sich in ihrem Futterhäuschen tummelten. Angelina vergaß nie genügend Futter rauszustellen für ihre kleinen Freunde. Obwohl es schon Ende März war, wehte noch ein eisiger Wind, sodass die Vögel dankbar die Körner pickten. Sie genoss diese Nachmittagsstunde besonders, in der sie einfach da saß und nichts tat außer Tee zu trinken und den Vögeln zuzuschauen. Wie viele alte Menschen gliederte auch Angelina ihren Tag in feste Einheiten und Abläufe, die sie nur ungern veränderte. Obwohl sie keine Verpflichtungen mehr hatte außer sich selbst, das Haus und den Garten zu versorgen, schien es, als half dieser strenge Tagesablauf den schwerfällig gewordenen Motor ihres Lebens in Gang zu halten. Ihr Arzt hatte ihr schon vor zwei Jahren eine Hüftoperation vorgeschlagen, aber Angelina war schon immer sehr pragmatisch veranlagt und sagte dem Arzt, dass es sich nicht mehr lohnen würde, etwas an ihr auszutauschen. Mit 92 Jahren konnte man das eine oder andere Zipperlein ruhig in Kauf nehmen. Sie beklagte sich nie, sondern war dankbar über das, was ihr noch geblieben war. Geblieben war ihr vor allem die Erinnerung an ihren geliebten Mann Jack und ihren Sohn William. Beide kamen bei einem Flugzeugunglück 1964 ums Leben. Ihr Mann war ein leidenschaftlicher Pilot und Oberst bei der US-Air Force gewesen. Nach seinem Ausscheiden aus der Army 1955 flog er selbst noch kleine Privatmaschinen zum Spaß und vercharterte manchmal sich und seine Maschine, um prominente Persönlichkeiten im Rhein-Main- Gebiet zu wichtigen Veranstaltungen zu fliegen. Oberst Jack Owenson galt als einer der erfahrensten Piloten seiner Zeit und hatte im Krieg einige Orden für Tapferkeit erhalten. Sein Spitzname im Krieg war „Jack the Ripper“ gewesen, da er unzähligen Kampffliegern der „Krauts“ den Rumpf aufriss. Am 3. September 1964 flog Jack von Egelsbach nach Wiesbaden, um seinen Sohn William abzuholen. Ebenso wie sein Vater hatte dieser die militärische Laufbahn eingeschlagen und lebte in der Nähe von Boston. Er landete mit der Militärmaschine bereits am frühen Morgen in Wiesbaden und wartete auf seinen Vater. Es war der dreißigste Hochzeitstag des Ehepaars Owenson, den sie gemeinsam mit ihren Kindern und Freunden in ihrem kleinen Haus in Frankfurt feiern wollten. Vater und Sohn flogen gerade über Mainz/Rasberg, als das Triebwerk ausfiel. Jack versuchte, den Flieger im Gleitflug auf die Wiese hinter der Rasberger Grundschule zu landen, was ihm auch fast gelungen wäre, hätte ihm nicht das neu errichtete Kriegerdenkmal den linken Flügel abgerissen. Die Maschine prallte gegen eine 100 Jahre alte Eiche und ging sofort in Flammen auf. Jack und William starben noch in dem Wrack.

Angelina konnte den Verlust von Mann und Sohn nie überwinden. Sie bewahrte die Erinnerung an die Verstorbenen auf wie einen heiligen Schatz. Nichts im Haus veränderte sie in all den Jahren, als hätte sie Angst, dass der Geist des toten Gatten sich nicht mehr zurechtfinden würde oder es etwa nicht gutheißen könnte, wenn sie allein Veränderungen vornehmen würde. Selbst Jacks Zahnbürste stand noch immer im Bad. Das Einzige, was Angelina veränderte, war, dass sie alle Tische und Fensterbänke mit Fotos ihres Sohnes und Mannes vollstellte.

Das Telefon klingelte und schreckte Angelina aus ihren Träumen. Sie bekam selten Anrufe, denn die meisten ihrer Freunde lebten nicht mehr und ihr Bruder Alfredo war schwer dement als Pflegefall im Altersheim „Sunset“ untergebracht. Angelina besuchte ihn zweimal im Monat zusammen mit ihrer Tochter Rosalie, die noch Auto fuhr. Sie selbst scheute sich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln dorthin zu fahren. Angelina hasste außerdem Altenheime. „Einen alten Baum verpflanzt man nicht“, sagte sie dann immer trotzig zu ihrer Tochter Rosalie, die ihre Mutter gerne in der Obhut des Heimes gesehen hätte. „Ich komme alleine zurecht! Wie Du siehst, kaufe ich noch für mich ein, kümmere mich um Haus und Garten, Mila putzt ab und zu und Jacek hilft mir im Garten, das reicht, und wenn es nicht mehr geht, trinke ich eben einen Tee mit Fingerhut, Goldregen und Buchsbaum und basta, das Thema ist erledigt!“ Es klingelte immer noch und Angelina stand von ihrem geblümten Sessel auf und ging zu ihrem Telefon in den Flur. Natürlich hatte sie immer noch diesen uraltmodischen Apparat in quietschorange mit Wählscheibe. Der funktionierte doch und ISDN oder so ein neumodischer Kram kamen ihr nicht ins Haus. „Hallo, hier spricht Angelina Owenson.“ „Guten Tag, mein Name ist Martina Kurz von Drängl & Melkers, wie geht es Ihnen?“ „Gut, was wollen Sie denn, ich habe nichts bestellt!“, schnauzte Angelina ins Telefon, da sie wieder einen dieser schmierigen Vertreter vermutete, die ihr etwas verkaufen wollten, was sie nicht brauchte. „Entschuldigen Sie die Störung, ich hatte Ihnen ja letzte Woche einen Prospekt von uns zugeschickt. Wir suchen für unsere Kunden schöne Häuser, und da wollte ich Sie mal direkt fragen, ob Sie vielleicht daran gedacht haben, demnächst zu verkaufen?“ „Junge Dame, dieses Haus hat mein Mann Jack für uns 1950 gekauft und es wird erst verkauft, wenn ich gestorben bin und wie Sie sicher merken, ist das noch nicht der Fall, tut mir leid!“ Angelina legte ärgerlich auf, ohne die Antwort abzuwarten. Ja, sie erinnerte sich an einen Prospekt mit lauter teuren Häusern darin, „Dream-More von Drängl & Melkers“, den hatte sie gleich in den Papiermüll entsorgt. Wer, um alles in der Welt, wollte solche teuren Häuser kaufen?

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