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Martina Kurz, Top-Verkäuferin von Drängl & Melkers

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Martina Kurz war immer die erste, die morgens im Shop von Drängl & Melkers in der Börsenstraße auftauchte. Noch bevor die Sekretärin Lisa gegen 9.00 Uhr erschien, nutze Martina Kurz diese frühen Morgenstunden, um in Ruhe in den Schubladen ihrer Kollegen herumstöbern zu können. Diese Spionageaktionen waren durchaus lukrativ für sie. Sie wusste schon lange vor der offiziellen Präsentation der neuen Immobilien im wöchentlichen Teammeeting, was auf den Markt kommen würde und konnte als erste ihre Kunden „heiß machen“. Gelegentlich schaffte sie es sogar, den Kollegen das Geschäft ganz wegzuschnappen, indem sie hinter ihren Rücken die Eigentümer besuchte, noch bevor diese die Bewertung der Immobilie vornehmen konnten. Sie erklärte dann den verblüfften Kollegen, dass sie bereits seit Jahren in gutem Kontakt mit dem Eigentümer stand und schon längst einen Auftrag für die Vermarktung bekommen hatte. Da alle Chefs, der neue wie der alte, die beste Verkäuferin stets wie eine Diva bei Laune halten wollten, konnte sie praktisch machen, was sie wollte, solange sie verkaufte. Sie hatte die uneingeschränkte Macht im Frankfurter Shop bei Drängl & Melkers.

Martina lernte schon früh, was es heißt, sich durchsetzen zu müssen. Sie wuchs bei ihrer Mutter auf, die sie damals nur widerwillig auf die Welt brachte, da die Schwangerschaft ihre Pläne als aufstrebende Konzertpianistin durchkreuzte. So verabschiedete sich die werdende Mutter im zarten Alter von 17 Jahren von ihren Träumen und dem Dirigenten und Vater ihres ungeborenen Kindes, der zusammen mit der ersten Sopranistin, einer vollbusige Schönheit, einen Vertrag der Prager Philharmonie annahm und den sie nie wiedersehen sollte. Die Mutter spielte seitdem abends in Cafés und Bars, um sich und das Kind durchzubringen. Tagsüber saß sie übermüdet und deprimiert mit dem Kind in der kleinen Wohnung, hörte Beethoven und Chopin und träumte sich weg, während Klein-Martina alles versuchte, um ihrer Mutter zu gefallen. Das Betteln um Liebe und Aufmerksamkeit erzeugte eine Art narzisstische Störung bei Martina, die dazu führte, dass sie paranoide Ängste vor Viren und Bakterien entwickelte, sodass sie immer mit einem Desinfektionsspray herumlief und sich und ihre Umgebung desinfizierte.

Sie trug ihre blonden, mittellangen Haare meist zum altmodischen Dutt hochgesteckt oder flocht sie zu Zöpfen. Ihr Gesicht war ein bisschen breit, es wirkte nahezu derb. Die auseinanderstehenden oberen Schneidezähne gaben ihr einen naiven, fast einfältigen Ausdruck. Ihr harmloses Erscheinungsbild unterstrich Martina noch damit, dass sie öfters im Dirndl ins Büro kam, vor allem dann, wenn sie bei älteren Damen auf Akquise-Tour ging, um an ihre Häuser zu kommen.

Heute war Martina schon um 8.00 Uhr im Office, denn es sollte eine neue Kaufberaterin anfangen und sie musste dringend noch einige Kontakte für sich sichern. Sie hatte mit Jochen Hartmann besprochen, dass sie der Neuen das Diplomatenviertel als Gebiet überlassen wollte. Ein sehr schwieriges Gebiet, da dort fast keine Häuser verkauft wurden. Sie gab das Gebiet gerne ab. Es kostete nur Zeit und brachte fast keinen Umsatz. Die meisten Häuser gingen dort nur unter der Hand weg. Es war fast unmöglich, als Makler dort etwas Neues zu akquirieren. Außer natürlich, irgendwelche durchgedrehten Eigentümer wollten Phantasiepreise, dann kamen sie zu Drängl & Melkers. Sie selbst hatte noch das Holzhausen-Viertel, das „Filetstück“ von Frankfurt, die begehrteste und teuerste Lage und natürlich auch größtenteils das Westend-Nord, ebenfalls eine Top-Adresse in Frankfurt. Das sollte reichen, um wieder zur Verkäuferin des Jahres bei Drängl & Melkers zu werden. Aber es gab einige interessante Häuser im Diplomatenviertel, die wirklich gut waren und die Frist, die Eigentümer zu kontaktieren, war schon abgelaufen. Drei Monate ohne eine gebuchte Aktion und der Kunde wurde im Pool der Datenbank freigegeben. Jeder Kaufberater konnte ihn dann für sich sichern, sobald eine Aktion erfolgte. Jetzt galt es schnell zu handeln. Sie desinfizierte rasch ihre Tastatur und die Maus, dann fuhr sie den Computer hoch, loggte sich ins Intranet der Firma ein. Klick, das erste Haus war sicher. Sie trug „NE“ ein: „Nicht erreicht.“ Klar, sie konnte doch jetzt nicht alle Eigentümer anrufen und schon gar nicht so früh, aber wer wollte schon ein „NE“ nachprüfen. Klick, klick, klick… jetzt hatte sie sich alle interessanten Häuser gesichert. Geschafft. Martina ging in die Küche, desinfizierte die Kaffeemaschine und holte sich einen Kaffee. Es blieb noch genügend Zeit, in Ruhe die Schubladen zu kontrollieren, bevor Lisa erscheinen würde.

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