Читать книгу Macht und Wort - Alexa Rudolph, Angela Steinmüller - Страница 8
DIE FINGER VERBRENNEN, DEN GEIST ENTFACHEN von Christian Endres 1.
ОглавлениеDer Auftrag kam nicht per Mail, Message oder Anruf wie gewohnt aufs Tablet, sondern per Brief. Ja, ein Brief, kein Witz. Ganz altmodisch. Oder auch nicht: Auf Papier und von Hand geschrieben, das sehr wohl – aber außerdem um einen rauen Stein gewickelt, mit einem Stück Schnur befestigt und wie ein unförmiger Baseball durch ein Fenster meiner Wohnung im ersten Stock geworfen.
Als ich mit zwei Einkaufstüten bepackt in meine winzige Bude trat, die zugleich mein winziges Büro ist (vielleicht ist’s auch genau andersherum), erwarteten mich Schnur, Schreiben, Stein und Scherben auf meinem Schreibtisch.
Vorsichtig fegte ich die Glassplitter zur Seite, säbelte die Schnur mit einem Messer auf, wickelte das Blatt vom Stein und stellte überrascht fest, dass mit dem Brief fünf zerknitterte Geldscheine gekommen waren, die für zwei Monatsmieten reichen sollten.
Ich strich das Papier glatt. Die Nachricht war kurz und in sauberen Druckbuchstaben geschrieben, die sich leicht zur Seite neigten. Es war ungewohnt, etwas Handschriftliches zu lesen, ohne Hintergrundbeleuchtung, ohne Zoomen und Scrollen.
Finden Sie 9783949452192.
Wichtig: Ermittlung komplett offline.
Hälfte der Bezahlung vorab & anbei.
Tut uns leid wegen des Fensters.
Aber Scherben bringen Glück.
Suchen Sie uns, wenn Sie haben, was wir wollen.
Wir erwarten Sie.
Mein detektivisches Interesse war angesichts der Kontaktaufnahme und der Nachricht definitiv geweckt. Die Kohle tat ihr Übriges dazu, mich die Anfrage ernst nehmen zu lassen; selbst nach Austausch der Fensterscheibe würde allein von dieser ersten baren Hälfte des Honorars genug übrig bleiben.
Zudem hatten ich und mein Ego einen interessanten, in mehr als einer Hinsicht lohnenswerten Fall bitter nötig.
Leider hatte ich keinen Dunst, was 9783949452192 bedeuten sollte, und es war ewig her, dass ich einen Auftrag ohne Online-Recherche und -Schnüffelei bearbeitet hatte. Wieso auch, in einer durch und durch digitalisierten Welt?
Ich klebte notdürftig ein Stück Karton von innen über das kaputte Fenster. Anschließend rasierte ich mich, zog ein sauberes Hemd an, band eine Krawatte um, schlüpfte in mein Jackett, setzte meinen Hut auf und ging los, um auf die altmodische Art ein paar Erkundigungen einzuholen.
Im Erdgeschoss trat ich auf die Straße und blickte zum Himmel. Jenseits des ewigen, allgegenwärtigen Stroms aus Überwachungs- und Lieferdrohnen konnte ich ein annehmbares Blau ausmachen. Keine Regenwolke weit und breit. Meine Bleibe würde fürs Erste demnach nicht geflutet werden.
Na also.
Dieser Fall ließ sich doch ganz gut an.