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2.

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Zuerst musste ich herausfinden, wofür diese Zahlen standen.

Eine Adresse? Eine Serien- oder Rechnungsnummer? Ein Lotterielos? Ein Nummernschild? Eine Servernummer? Einen Schiffscontainer im Hafen? Eine Implantat-Registriernummer? Ein Schließfach in einer Bank oder an einem Bahnhof? Einen Flug, ein Flugzeug oder einen Zug? Ein Formular des Ministeriums? Eine Tracking-Nummer zur Sendungsverfolgung oder für ein Haustier?

Die Ziffernkolonne konnte alles Mögliche sein, zu allem Möglichen gehören. Und wenn wir schon dabei waren: war sie vollständig oder ein Fragment, und wenn, der Teil am Anfang, in der Mitte oder am Ende?

Viele Variablen.

Doch ich hatte über die Jahre ein paar nützliche Kontakte geknüpft, darunter Spezialisten für die obskursten Dinge und Disziplinen.

Einer dieser Experten war der alte Leo, der früher einmal mit allem gehandelt hatte, wofür es eine Nachfrage gab, egal wie abseitig, illegal oder gefährlich. Sie erwischten ihn, er saß seine Zeit ab, und nun hockte er hauptsächlich in der Kneipe im Erdgeschoss des Mietshauses gegenüber.

Dort erwischte ich ihn trotz der frühen Stunde. Wie üblich sah Leo aus, als hätte er in der Bar oder auf der Bank davor übernachtet. Ich setzte mich auf den Hocker neben ihm an die Theke, an der in einigem Abstand nur noch ein anderer alter Zausel saß und die Morgennachrichten in den Feeds und Blogs auf seinem Tablet las.

»So was schon mal gesehen?«, fragte ich Leo und schrieb die Zahlen, die ich mir eingeprägt hatte, mit dem Finger und etwas stinkendem Grauschwarz aus dem nächsten Aschenbecher auf den Tresen.

Leo nippte an seinem starken, schwarzen Kaffee, dem lange vor Mittag der erste starke, goldene Whiskey folgen würde, und zog an seiner Zigarette. »Ich glaub, solche Nummern haben sie früher für diese Dinger benutzt. Diese … wie hießen sie noch? Genau, diese … Bücher.«

Bücher? Da klingelte bei mir gar nichts; ich nickte, weil ich mir das nicht raushängen lassen wollte. Außerdem spürte ich wieder einmal, dass meine Gedanken wie ein Lesegerät über fehlende, lückenhafte Daten stolperten, die nicht mehr da waren, wo sie hätten sein sollen, wo sie einmal gewesen sind. Ältere Menschen wie Leo hatten vermutlich in manchen Bereichen noch ein paar Erinnerungsfragmente mehr. Wir anderen … wir spürten oft, dass etwas fehlte, ohne je zu wissen, was genau.

Wenn ich mich nicht irrte, waren diese Bücher so etwas wie eReads – sie gehörten einer nebulösen und wilden Ära der Unordnung an, der Zeit vor dem Krieg, der vieles verwandelt, einige Erinnerungen geraubt und verändert hatte. Vor der Zäsur. Vor dem Ministerium und der Ordnung.

Genau genommen sprachen wir hier über verbotene Dinge.

Nicht, dass mich das davon abgehalten hätte, mich weiter zu erkundigen. »Eine Idee, wo ich mehr erfahren könnte?«

»In einer Bücherei?«, schlug Leo müde vor. »Du weißt schon. Wo früher angeblich die ganzen alten Bücher standen.«

Ich hatte keinen blassen Schimmer. »Schall und Rauch, mein Alter.«

»Das«, sagte Leo nach einem weiteren Schluck Kaffee bewusst umständlich, »ist so nicht ganz korrekt.«

»Was soll das heißen?«

»Ich glaub, mit einem Whiskey könnt ich mich gleich viel besser erinnern, Junge …«

Macht und Wort

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