Читать книгу Von Eltern mit Migrationshintergrund lernen (E-Book) - Angelika Schöllhorn - Страница 10
Denkanstösse und Anregungen für die Praxis
ОглавлениеDie folgenden Anregungen können Ihnen dabei helfen, den Alltag in Ihrer Einrichtung sowohl als pädagogische Fachperson als auch als Leitungsperson zu reflektieren. Auf der Basis der Interviews wurden Fragen entwickelt, welche für die Konzeption und die Durchführung neuer und bestehender Angebote hilfreich sein können. Diesbezüglich soll jedoch nicht ausgeblendet werden, dass für eine einzelne pädagogische Fachperson in vielen Fällen wenig Handlungsspielraum besteht und diese die Entscheidungsverantwortung für spezifische Angebote zu Bildung und sozialer Integration ausserhalb ihres Kernauftrags nur selten (allein) trägt. Dennoch ist es wichtig, dass pädagogische Teams inklusive der Leitungspersonen offen für Anliegen und Bedürfnisse der Eltern sind, diese aufnehmen und solche Hinweise, wenn möglich, an entscheidende Stellen weiterleiten. Denn es braucht in der Regel Anstösse von Einzelnen, damit sich etwas bewegen kann.
Erreichbarkeit der Eltern und Kinder
• Wie erreichen wir Eltern, die bisher kaum Angebote für Bildung und soziale Integration kennen und wenig Erfahrung mit Elternbildung haben?
• Wissen wir, welche Tage/Zeiten für eine Veranstaltung erwünscht wären?
• Welche Wege gehen wir, damit auch schwerer erreichbare Familien die Angebote kennenlernen und zur Teilnahme motiviert werden können?
Umsetzungsideen
• Eltern werden gezielt angefragt, welche Tage und Zeiten für eine Veranstaltung für sie günstig wären. Generell sollten Angebote mit der Erwerbstätigkeit zeitlich vereinbar sein.
• Termine werden möglichst früh angekündigt, damit Eltern dies bei der individuellen Arbeitsplanung berücksichtigen können (z. B. Schichtabtausch).
• Nach Einladungen wird bei den Eltern mehrmals nachgehakt, indem beispielsweise kurz vor der Veranstaltung angerufen und nochmals explizit auf die Veranstaltung hingewiesen wird. Für Informationen zu vorschulischen Angeboten gehen pädagogische Fachpersonen gezielt auf Eltern zu, z. B. auf dem Spielplatz, im Park, im Quartierrestaurant.
• Schulen ermöglichen es Vereinen, in ihren Räumlichkeiten regelmässig Schnupperangebote für Kinder und Jugendliche anzubieten, um einen ersten niederschwelligen Kontakt mit dem Angebot herzustellen.
• Bei der Entwicklung von neuen Angeboten können Schlüsselpersonen der Migrationsgruppen oder interkulturell Vermittelnde wichtige Hinweise zur Erreichbarkeit der Eltern geben und sollten daher bereits bei der Konzeptentwicklung einbezogen werden.
Niederschwelligkeit der Angebote
• Schaffen wir an unserer pädagogischen Institution Angebote, die für alle Familien finanziell tragbar sind?
• Welche Möglichkeiten bieten wir bei Elternveranstaltungen an, wenn Schwierigkeiten mit der Betreuung von Kindern eine Teilnahme verhindert?
• Wie ermöglichen wir Eltern, deren Deutschkompetenz noch gering ist, eine Teilnahme an Veranstaltungen?
Umsetzungsideen
• Zur finanziellen Förderung wird die Zusammenarbeit mit Stiftungen oder lokalen Behörden gesucht. Die bürokratischen Hürden für die Familien werden möglichst tief gehalten.
• Zur Betreuung der Kinder wird ein Raum organisiert, in dem Bücher und Spielmaterial zur Verfügung stehen, gegebenenfalls wird auch für ein Betreuungsangebot gesorgt (z. B. können in Schulen auch ältere Schülerinnen und Schüler diese Betreuung übernehmen).
• Pädagogische Institutionen arbeiten beim Planen und Durchführen von Angeboten mit Schlüsselpersonen der Migrationsgruppen zusammen, um schneller Vertrauens- und Verständnisbrücken zu den Familien aufbauen zu können.
• Mit interkulturellen Dolmetscherinnen und Dolmetschern findet ein kurzes Vorgespräch statt. Dabei können Rolle, Ziel, Programm und Ablauf und Dauer der Veranstaltung besprochen werden (→ weitere Informationen http://www.zwischensprachen.de).
Vernetzung zwischen den Angeboten
• Sind die Eltern über Angebote zur sozialen Integration ihrer Kinder in der Institution und in der Freizeit sowie über deren Sinnhaftigkeit informiert?
• Wie sind wir als pädagogische Institution mit anderen Anbieterinnen und Anbietern von Angeboten zu Bildung und sozialer Integration vernetzt?
Umsetzungsideen
• Es werden lokale Vernetzungstreffen mit verschiedenen Anbieterinnen und Anbietern von Angeboten aus dem Sozial- und Bildungsbereich organisiert, die eine Plattform für die gegenseitige Vorstellung der Angebote zur Verfügung stellen.
• Pädagogische Fachpersonen haben Kenntnis über verschiedene Angebote und machen konsequent und gezielt darauf aufmerksam.
• Die Zusammenarbeit mit bereits bestehenden Angeboten (z. B. Femmes-Tische) wird bewusst gesucht. Auf diese Weise kann in Erfahrung gebracht werden, welche Themen die Zielgruppe im Moment beschäftigen und wofür sie sich interessiert.
• Nach einem Elternabend an der Schule könnten Anbieterinnen und Anbieter in Form eines Marktplatzes ihre Angebote vorstellen.
• Im Quartier vernetzen sich schulische und ausserschulische Bildungsakteurinnen und Bildungsakteure mit den Eltern, um die Bildung der Kinder und Jugendlichen gemeinsam zu fördern (z. B. offene Sporthalle am Sonntag → weitere Ideen siehe https://bildungslandschaften-basel.ch).
Die Bedürfnisse der Familien hinsichtlich der Nutzung von Angeboten sind sehr heterogen. Angebote zu schaffen, die alle Familien gleichermassen erreichen, stellt eine grosse Herausforderung dar. Alles in allem erhalten alltagsnahe, niederschwellige und beziehungsfördernde Angebote jedoch grossen Zuspruch. Sowohl bei der Planung als auch bei der Durchführung von neuen und bestehenden Angeboten kann es deshalb zielführend sein, wenn dies gemeinsam und kooperativ geschieht. Denn der frühe Einbezug von Schlüsselpersonen in Migrationsgruppen sowie ein verstärkter Austausch und eine bessere Vernetzung mit anderen Anbieterinnen und Anbietern führen zu mehr Erfahrungswissen und können längerfristig zur Steigerung der Qualität von Angeboten zu Bildung und sozialer Integration führen.
Expertinnenmeinung:
Wenn wir die Forderungen nach chancengerechter Bildung für alle von Geburt an und durchgehenden Bildungsbiografien wirklich ernst meinen, braucht es ein Umdenken bei den Kantonen, Gemeinden, Organisationen und Fachpersonen. Angebote sollten vermehrt das Kind und seine Familie ins Zentrum stellen. Eine wirkungs- und qualitätsorientierte Planung der Angebote wird dazu beitragen, dass Eltern frühzeitig erreicht, in ihrer Elternkompetenz gestärkt werden und Zugang zu sozialen Netzen erhalten. Dies zeigen niederschwellige Begegnungsorte wie Familienzentren und Eltern-Kind-Gruppen mit professioneller Leitung. Die meisten Eltern wollen das Beste für ihr Kind und sie sind auch bereit, ihre Rolle wahrzunehmen. Es liegt an den pädagogischen Fachpersonen, den Eltern den Zugang zu den vielfältigen Informations-, Bildungs- und Gesundheitsangeboten zu ermöglichen, sie willkommen zu heissen und sie mit ihren Ressourcen an den Prozessen zu beteiligen. Das ist zeitintensiv, kostet und braucht spezifisches Wissen sowie eine vorurteilsbewusste Haltung. Doch profitieren werden schlussendlich alle Kinder und auch unsere Gesellschaft.
Maya Mulle, Netzwerk Bildung und Familie