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Das Forschungsprojekt

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Am Anfang der Entstehungsgeschichte dieses Buches stand ein Forschungsprojekt. Eltern mit Migrationshintergrund wurden als Experten zur sozialen Integration und Bildungsentwicklung ihrer Kinder in der Schweiz befragt. Dabei stellt sich die Frage, weshalb genau diese beiden Themen, «soziale Integration» und «Bildungsentwicklung», in den Fokus gerückt wurden.

Die gelingende soziale Integration ist für das Lernen und Wohlbefinden aller Kinder bedeutsam. Sie wird sogar als Grundbedürfnis von Menschen definiert (Deci & Ryan, 1993). Dies wird auch von der aktuellen Gehirnforschung gestützt. Gemeinschaftserleben, soziale Unterstützung oder Wertschätzung setzen demnach psychische Energie frei, die als Vertrauen und Wohlbefinden erlebt werden (Bauer, 2010). Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass eine gelungene soziale Integration die grundlegende Basis für Motivation und Selbstwirksamkeit ist (ebd.). Ist dieses Grundbedürfnis nach sozialer Integration bedroht, sind Kinder und Jugendliche psychisch vor allem mit ihrem sozialen Status befasst und können sich weniger auf Lerninhalte konzentrieren. In diesem Zusammenhang zeigt beispielsweise eine Analyse der IGLU-Daten 2011 (Schulz-Heidorf & Schwippert, 2014) für den Schulkontext, dass der sozialen Integration im Klassenkontext eine besondere Bedeutung für die Selbstkonzeptentwicklung und die Leseleistungen der Schülerinnen und Schüler zukommt. Im Kontext von pädagogischen und Bildungsinstitutionen bedeutet soziale Integration für Kinder und Jugendliche daher, dass sie keinen Ausgrenzungsmechanismen ausgesetzt sind, die im Zusammenhang mit ihrer sozialen Herkunft, ihren Sprachfähigkeiten, ihrer äusseren Erscheinung oder ihrer Intelligenz und ihrem Verhalten stehen (vgl. Haeberlin, 1991).

Die Bedeutung von Bildung und ihre Entwicklung für Kinder und Jugendliche ist unumstritten. Um sich in dieser Welt zurecht- und einen angemessenen Platz darin zu finden, bedarf es sowohl eines Fundus an Wissen als auch eines Verständnisses von Zusammenhängen sowie einer sozial erwünschten Lebensweise. Die Bildungsentwicklung ist damit die Eintrittskarte für ein gelingendes Leben, von den Kinder- und Jugendjahren über das Erwachsenenalter mit Beruf, Familie und sozialem Umfeld bis ins hohe Alter. Die Basis für ein solchermassen gelingendes Leben wird in der Kindheit und Jugend gelegt und kann zu späteren Zeitpunkten nur mit hohem Aufwand nachgeholt werden. So zeigt die Forschung des Nobelpreisträgers James Heckman, dass die Investition in die frühen Jahre am erfolgversprechendsten ist (Heckman & Masterov, 2007). Unter Bildungsentwicklung verstehen wir, in Anlehnung an die Definition im Lehrplan 21 (Grundlagen), «einen offenen, lebenslangen und aktiv gestalteten Entwicklungsprozess des Menschen», welcher dem Individuum ermögliche, «seine Potentiale in geistiger, kultureller und lebenspraktischer Hinsicht zu erkunden, sie zu entfalten und über die Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt eine eigene Identität zu entwickeln» (D-EDK, 2015, S. 2). Dem Lehrplan 21 zufolge befähige Bildung «zu einer eigenständigen und selbstverantwortlichen Lebensführung, die zu verantwortungsbewusster und selbstständiger Teilhabe und Mitwirkung im gesellschaftlichen Leben in sozialer, kultureller, beruflicher und politischer Hinsicht [führt]».

Thematisch waren die Interviews auf die Ziele der Eltern in Bezug auf die Integration und Bildungsentwicklung ihrer Kinder, auf den eigenen Umgang mit diesen Themen, auf Herausforderungen und Unterstützungsbedarf aus ihrer Sicht ausgerichtet. Das Projektteam führte gemeinsam mit Studierenden der Pädagogischen Hochschule Thurgau Interviews mit Eltern durch, die sich vor allem hinsichtlich ihrer Herkunft, ihres Bildungshintergrundes und ihrer Aufenthaltsdauer in der Schweiz unterschieden. So entstanden 68 Interviews, die analysiert und ausgewertet wurden. Im Ergebnis haben wir zwölf Themenfelder identifiziert, die die interviewten Eltern im Zusammenhang mit der sozialen Integration und Bildungsentwicklung ihrer Kinder als wichtig erachten. Die Übersicht zu den Themenfeldern finden Sie auf Seite 25. Sie sind der Ausgangspunkt dieses Buches.

Die Elternsicht auf die jeweiligen Themenfelder ist so unterschiedlich wie die dahinterstehenden Geschichten. Damit wird deutlich, dass Zugangswege und Angebote passgenau auf die jeweiligen Familien abgestimmt und Lösungswege individuell geprägt sein müssen. Während manche Eltern für die Suche und Annahme von Unterstützungsangeboten motiviert werden müssen, fehlt es anderen Eltern an Informationen, wo und wie sie entsprechende Angebote in Anspruch nehmen können. Wieder andere Eltern brauchen keine Unterstützung, sie verfügen über ausreichend eigene Ressourcen, um entsprechende Unterstützungsangebote zu nutzen. Auf dem Weg zu diesen passgenauen Ansätzen hat sich für uns geklärt, dass der Migrationshintergrund nicht als entscheidendes Kriterium herangezogen werden kann. Vielmehr sollte er, neben bedeutsamen anderen Kriterien wie Bildungshintergrund der Eltern, die sozioökonomische Situation der Familie oder die Dauer des Aufenthaltes in der Schweiz, lediglich als ein Faktor mitberücksichtigt werden. Der Abschlussbericht des Forschungsprojektes steht als PDF zur Verfügung (Košorok Labhart et al., 2018).

Bei der Arbeit an diesem Buch mussten wir uns neben der inhaltlichen Arbeit mit einem Dilemma auseinandersetzen. Einerseits sollten die Sichtweisen von Eltern mit Migrationshintergrund aufgezeigt werden, andererseits wollten wir die Kategorie «Migration» nicht als Merkmal über die Diversität von Familien stellen oder gar eine Trennlinie zwischen «uns» und den «anderen» ziehen. Letztlich hat sich gezeigt, dass es neben den Unterschieden zwischen Familien mit und ohne Migrationshintergrund auch viele Gemeinsamkeiten zwischen allen Eltern gibt. Sowohl in Familien mit Migrationshintergrund als auch in schweizstämmigen Familien gibt es eine grosse Vielfalt der Familienkulturen. Wenn diese Vielfalt bewusst wahrgenommen wird, eröffnen sich der Zugang zu den Familien und der Blick auf gemeinsame Wege. Dabei ist der Blick auf das, was uns verbindet, vielleicht der wichtigste Baustein für eine gelingende Zusammenarbeit. Wir verfolgen somit einen inklusiven Ansatz, der davon ausgeht, dass die Hinzugekommenen in ihrer Individualität einen selbstverständlichen Platz in der Gesellschaft und die Möglichkeit erhalten, in vollem Umfang an ihr teilzuhaben. Das Buch in seiner jetzigen Form ist das Ergebnis dieser Auseinandersetzung, indem sowohl Besonderheiten der Situation von Familien mit Migrationshintergrund aufgezeigt werden als auch Themen, die allen Eltern gemeinsam sind. Damit wollen wir auch die Leserinnen und Leser einladen, sich auf eine «vorurteilsbewusste» bzw. kultursensible Zusammenarbeit mit Eltern einzulassen und sich selbst im Zusammenspiel mit den Eltern immer wieder neu zu reflektieren.

Von Eltern mit Migrationshintergrund lernen (E-Book)

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