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Kapitel 5

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Das Universitätskrankenhaus von Bordeaux lag im Westen der Stadt, ein moderner Kasten in bunten Farben. Am Rande des Campus befand sich das alte Gebäude der Pathologie. Die Treppe zur Gerichtsmedizin war steil, und aus dem Keller schlug Anouk und Luc der Geruch von Desinfektionsmitteln entgegen. Der junge Gerichtsmediziner vom Tatort kam lächelnd auf sie zu, doch als er vor ihnen stand, hatte er nur noch Augen für Anouk. Der flirtet mit ihr, dachte Luc. In der Gerichtsmedizin, verrückt.

»Die Leiche von Caroline Derval …«, begann der Mann. »Wollen wir mal sehen. Viel habe ich noch nicht. Aber gehen wir mal rüber, Mademoiselle.«

Er nahm Anouk an seine Seite und führte sie in den Sektionssaal. Luc ließ den Gockel gewähren und folgte den beiden unaufgefordert. Auf einem Tisch lag Carolines Leiche, bedeckt mit einem Tuch. Luc fühlte sich in dieser Situation immer unwohl.

»Also, was haben wir? Sie ist erschlagen worden, das habe ich ja vorhin schon gesagt. Ich schätze, es war nicht um Mitternacht, sondern ein bisschen später, so gegen halb eins oder eins. Es war ein stumpfer Gegenstand.« Mittlerweile hatte der Gerichtsmediziner das Tuch umgeschlagen und zeigte auf die Wunde. »Es könnte ein Stein gewesen sein oder irgendetwas in dieser Gewichtsklasse.«

Verlain versuchte, nicht hinzusehen, als der Gerichtsmediziner das Tuch ganz beiseitelegte.

»Wurde sie vergewaltigt oder missbraucht?«

»Nein, sie wurde nicht vergewaltigt. Aber sie hatte Geschlechtsverkehr, kurz vor dem Tod. Doch keine Spur von Missbrauch, keine inneren Verletzungen. Sie hat sich nicht gewehrt. Wir haben auch Spermaspuren gefunden und lassen sie gerade durch die DNA-Datenbank laufen. Vielleicht war es ein Einschlägiger.«

Luc wandte sich Anouk zu. »Einvernehmlich. Kann also heißen, dass sie Sex mit ihrem geheimen Liebhaber hatte, der sie danach getötet hat.«

Anouk nickte. »Könnte sein … Merci«, sagte Anouk dann an den Gerichtsmediziner gewandt, der sie immer noch unverhohlen angrinste.

Anouk legte ihre Hand auf Lucs Schulter und schob ihn in Richtung Ausgang. Schnell verließen sie das kalte Gemäuer. Luc fröstelte. Er wollte diesen Ort, wo das junge Mädchen unter den blassen Neonleuchten lag, so schnell wie möglich hinter sich lassen, und Anouk schien es ganz ähnlich zu gehen.

Sie traten hinaus ins Licht des frühen Abends und atmeten tief durch. Langsam wurden die Schatten länger, aber es war immer noch angenehm warm. Gerade war es sechs geworden, bis elf war es hier noch hell, mindestens eine halbe Stunde länger als in Paris. Dort eilten die Menschen jetzt aus den Büros. In Richtung Bars im sechsten Arrondissement. In Richtung Apéro. In Richtung Abendunterhaltung. Auch Lucs beste Freunde. Und seine Freundin. Und er musste immer noch arbeiten. Im Aquitaine. So weit weg von zu Hause. Auch Luc wurde langsam von Hunger geplagt. Es war ein stressiger erster Tag gewesen. Viel stressiger, als er erwartet hatte, als er am Morgen in Paris losgefahren war.

»Wollen wir nachher noch was essen gehen?« Bevor Luc sich ein Herz fassen konnte, hatte Anouk die Chance ergriffen, ihn zu fragen.

»Sehr gerne«, er lächelte Anouk an. Luc wunderte sich über sich selbst – darüber, dass er so schnell Vertrauen fasste zu dieser Frau, dass er so gerne Zeit mit ihr verbringen wollte, und darüber, wie wenig erschöpft er nach diesem langen Tag war und wie sehr er sich auf den Abend mit Anouk freute. Was er heute aber wirklich nicht mehr schaffte, war, im Krankenhaus vorbeizuschauen. Er beschloss, den Besuch bei seinem alten Herrn auf den nächsten Tag zu verschieben.

»Erst schnell ins Commissariat, dann zu den Dervals, und dann trinken wir den Stress des heutigen Tages weg, okay?«

Anouk lachte. »So machen wir’s.«

Auf dem Weg rief Anouk die beste Freundin des toten Mädchens an. Schließlich hatten sie Anne-Françoise versprochen, sie zu informieren, sobald neue Erkenntnisse vorlagen. Anouk erklärte ihr, dass Caro nicht vergewaltigt worden war. Die anderen Einzelheiten verschwieg sie ihr.

Im Hof des Commissariats standen mehrere große Einsatzfahrzeuge. Es waren die Wagen der Sondereinheit CRS, die ihnen vorhin entgegengekommen waren.

Sehr ungewöhnlich, dachte Luc.

Die Flure waren wie ausgestorben. Im Büro erwartete sie Hugo. Der Kollege war sichtlich genervt.

»Was für ein Nachmittag …«, sagte er und rollte mit den Augen.

»Wieso?«, fragte Anouk. »Was war denn los, Hugo? Was machen die Mannschaftswagen im Hof?«

Hugo schaute kurz aus dem Fenster, blickte dann zur Tür, um sicherzugehen, dass niemand hereinkam. »Etxeberria ist total durchgedreht und hat die CRS bestellt.«

Luc glaubte, sich verhört zu haben. »Was? Wieso denn das?«

»Wir waren unterwegs nach Lacanau, und Hakim Tadjiane ist zur gleichen Zeit von dort nach Hause gefahren. Er ist nicht geflohen oder so. Es war einfach purer Zufall. Wir haben es von seinen Freunden an der Strandpromenade erfahren. Etxeberria hat alle in Sicherheitsgewahrsam nehmen lassen, damit sie ihn nicht darüber informieren, dass wir ihn suchen. Und dann hatte er Panik, dass Hakims Mutter ihm alles erzählt und er abhaut. Also hat er das Sondereinsatzkommando bestellt, und wir sind mit Pauken und Trompeten nach Brach gefahren und haben das Haus gestürmt. Hakim saß seelenruhig auf der Couch. Seine Mutter hatte ihm wie versprochen nichts erzählt. Die maskierten Jungs von der CRS haben ihn mit Handschellen aus dem Haus geführt und in den Gefangenenwagen gesteckt. Der ganze Ort war auf den Beinen. Die denken jetzt natürlich, dass wir uns ganz sicher sind, wenn wir da so ein Riesending draus machen.«

Luc senkte den Kopf. Er holte einmal tief Luft, konnte seine Wut aber trotzdem kaum zügeln. »Verdammt, ist der denn irre? Wenn wir Hakim wieder freilassen müssen, ist der doch nicht mehr sicher in dem Kaff. Und seine Mutter findet dort jetzt gar keine Ruhe mehr.«

Hugo nickte.

»Wo sind Etxeberria und Hakim jetzt?«

»Etxeberria ist auf dem Weg zum Staatsanwalt, um einen Haftbefehl zu beantragen. Er will keine Zeit verlieren.«

»Spinnt der Kerl jetzt völlig? Warum hat er mich nicht informiert?«

Luc stürzte ans Telefon. Er wählte Etxeberrias Nummer und atmete tief durch, um nicht laut loszubrüllen, doch es half nichts. »Commissaire? Hier ist Verlain. Das läuft so nicht. Es gibt keinen hinreichenden Tatverdacht. Sie werden Hakim heute Abend wieder herschaffen, und wir werden ihn morgen zusammen vernehmen. Wenn Sie das noch heute Abend ohne mein Einverständnis tun, ist Schluss mit lustig, dann zerre ich Sie vor die Innenrevision. Ich habe Sie gewarnt! Ich fahre jetzt mit Anouk zu den Dervals, und morgen früh sehen wir uns im Büro. Ich werde Inspecteur Preud’homme noch heute über Ihren Alleingang informieren. Und erzählen Sie dem Ermittlungsrichter bitte, dass ich persönlich keinen dringenden Tatverdacht sehe. Bonne soirée.«

Luc knallte den Hörer auf die Gabel, ohne eine Antwort abzuwarten. Anouk und Hugo sahen sich an und schwiegen. Der Moment schien endlos in dem riesigen Büro, das nun einer ausgestorbenen Bahnhofshalle glich.

Dann sagte Luc leise: »Das wirkte jetzt etwas cholerisch. Tut mir leid, dass Sie das mitbekommen mussten. Aber wenn Etxeberria so arbeitet, werden wir den Fall nie aufklären. Hugo, achten Sie bitte darauf, dass er heute Abend mit Hakim zurückkommt? Wenn es sein muss, machen Sie Überstunden. Dann kriegen Sie ein anderes Mal einen Tag frei. Ich fahre mit Anouk zu den Dervals, um mit Caros Bruder zu sprechen und noch mal dem Vater ins Gewissen zu reden.«

»Ja, natürlich. Kein Problem.«

»Danke. Wie wirkte Hakim nach seiner Verhaftung?«

»Er hatte keine Ahnung, worum es geht, und war natürlich total kleinlaut. Der kannte bisher nur die Gendarmerie von innen.«

»Komm, lass uns fahren«, sagte Luc zu Anouk. »Mal sehen, ob wir die ganze verbrannte Erde wieder umgegraben kriegen. Vorher gehe ich noch schnell zu Preud’homme.«

Er verließ das Büro und wurde im Vorzimmer des Inspecteurs rasch vorgelassen. Der alte Mann saß am Schreibtisch, wie vor ein paar Stunden, als er Luc begrüßt hatte.

»Na, haben Sie sich schon gut eingelebt? Ich hörte, Sie und Etxeberria haben schnell gearbeitet und schon eine Festnahme. Gute Arbeit, Commissaire.«

Luc lächelte müde. »Nun ja, Monsieur, ganz so einfach ist es nicht. Ich war mit Kollegin Filipetti bei einer anderen Vernehmung, als Etxeberria die Festnahme mit dem Sondereinsatzkommando gemacht hat. Es wäre gut, wenn wir den Mörder schon hätten. Aber gegen den Jungen liegen keine Beweise vor, und die voreilige Verhaftung könnte unabsehbare Folgen haben. Ich wollte nur, dass Sie meinen Standpunkt kennen.«

Preud’homme nickte. »Ich werde mit Etxeberria reden. Aber alles, was wir bisher wissen, deutet auf den Jungen als Täter hin, oder?«

»Das kann schon sein, aber es rechtfertigt nicht diese Art der Verhaftung. Wir fahren jetzt noch mal zu den Eltern des Opfers und schauen, was da vorhin passiert ist.«

»Gut, Commissaire. Und könnten Sie morgen bei der Pressekonferenz dabei sein? Ich würde gerne, dass die örtliche Presse Sie kennenlernt.«

Luc nickte und bedankte sich bei Preud’homme. Dann sprach er im Büro noch mal kurz mit Hugo und fuhr mit Anouk in Richtung Brach.

»Ich bin sehr gespannt auf Monsieur Dervals Reaktion nach Hakims Verhaftung. Jetzt fühlt er sich in seinen Vorverurteilungen wahrscheinlich komplett bestätigt«, sagte Luc.

»Ich verstehe Etxeberria nicht. Er sollte jetzt, wenn er schon mal in einem Mordfall ermitteln darf, mit dir zusammenarbeiten, um schnell den Mörder zu präsentieren. Als Team. Den Erfolg würden wir dann ja eh alle zusammen einheimsen.«

»Ja, auf den Erfolg hoffe ich und zwar möglichst schnell. Obwohl ich glaube, dass wir noch ein gutes Stückchen davon weg sind. Wir müssen unbedingt herausfinden, wer Caros neuer Freund war.«

Krokodile

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