Читать книгу Anima Overta - Anja Haverkock - Страница 6
ОглавлениеFest entschlossen
Anima öffnete leicht die Augen. Es war dunkel. Wie lange hatte sie wohl geschlafen? Sie erinnerte sich, bis weit in die Nacht hinein wach gelegen und gegrübelt zu haben. Ihr Kopf war noch immer schwer davon. Plötzlich hörte sie Lärm im Palasthof. Durch ihr Fenster flackerte Licht. Sie rieb sich die Augen und ging hin. Es sah so aus, als stünden Hunderte von Baumbergern mit Fackeln auf dem Hof. Anima kletterte auf den breiten Sims ihres Fensters und drückte die Nase gegen die durchscheinende Haut, die als Wetterschutz über das Gitter gespannt war. Wolken verschleierten die Monde. Doch im Schein der Fackeln blickte Anima auf ein Meer von mohnroten, fuchsroten, ebereschenroten, erdbeerroten, blutroten und braunroten Lichtspiegelungen.
Sie hatten den Roten Drachen gefangen!
Schwer vorstellbar, dass es nur wenige Tage her war, dass sie dieses Farbenspiel zum ersten Mal erlebt hatte. Doch jetzt wirkten die Farben fahl. Sie hatten ihre Leuchtkraft verloren. Die Flügel des Tieres hingen schlaff auf den Boden. Reglos lag es da. Der massige Körper, der vor kurzem noch kraftvoll und mächtig den Himmel beherrschte, wirkte ausgezehrt und abgemagert.
Die Hofbrigade drängte die gaffende Schar von Baumbergern zurück und bildete einen Ring um den toten Drachen. Die Späher in ihren Aussichtskörben hatten sich über die Seile in den Kronen der Königsbäume nah an das Geschehen herangebracht und beäugten es neugierig. Soeben trat die Königin in Begleitung ihres HofMedopifexius und den anderen Heilern auf die Verkündigungsterrasse.
Und mit einem Mal wusste Anima, was zu tun war.
Eilig schlüpfte sie in das blaubeerfarbene Kleid, das feinsäuberlich ausgebreitet über dem Hocker lag. Sie zog ihre Reisetasche unter dem Bett hervor, stopfte ein moosgrünes Kleid für kalte Tage, ein Unterkleid, ein paar Beinkleider und ein paar Füßlinge mit fester Borkensohle hinein. Dann griff sie nach dem Tuch neben der Waschschüssel und wickelte darin die zwei Brote mit Schwarzbeeraufstrich ein, die noch unangetastet auf dem Tisch bei ihrem Bett lagen, und legte sie mit einem gefüllten Wasserschlauch zu den Kleidern in die Tasche. Schließlich warf sie noch die Schatulle hinein, in der sie ihre Goldmünzen aufbewahrte. Ein paar von den Goldstücken steckte sie in die lederne Gürteltasche und band sie sich um die Taille. Das Wichtigste trägt man immer am Körper, hatte ihr Vater ihr beigebracht.
Dann schlich sie sich in das Studierzimmer von Herrn Gerismat Remisverbil, um seinen Atlas zu holen. Sie hatte nicht gewagt Licht mitzunehmen, falls der Herr Gerismat wieder einmal über dem Studium seiner Bücher eingeschlafen sein sollte. So tastete sie sich im Dunkeln an das Pult heran auf dem gewöhnlich der große Atlas lag, fand ihn, klappte ihn zu und klemmte ihn sich unter den Arm. Zurück in ihrem Zimmer packte sie das Buch, samt dem Kohlestiftstummel, der wie ein Lesezeichen aus der Mitte des Atlanten herausragte, zu den restlichen Sachen in ihre Reisetasche, warf sich ihren weißen Umhang über und machte sich auf den Weg.
Anima schnaufte, als sie endlich im Trichterboden der riesigen Krone des Palastbaums ankam. Die Grenzen des mächtigen dunklen Blätterdachs verschmolzen mit dem Nachthimmel. Die starken Arme der Äste, auf denen das Dach ruhte, strebten von der Mitte des Stammes aus in die Höhe. Ein kalter Wind fuhr Anima durchs Haar. Die Äste wogten leicht und das Dach rauschte.
Anima raffte ihr knöchellanges Kleid mit einer Hand, hob mit der anderen die Tasche auf und lief über einen der breiten schwarzen Arme bis dorthin, wo der Ast sich teilte. Die Astgabel bildete das Bett von Trinquallitas. Ein weiterer Arm gabelte sich zum Schlafplatz seiner Mutter, Cifalitas. Beide schliefen. Anima schob sich möglichst leise an Trinquallitas heran.
„Psst! Trinquallitas! Psst, wach auf!“, flüsterte sie.
Der Drache schlief auf dem Rücken. Den Bauch den wolkenverhangenen Monden zugewandt und die vier Tatzen von sich gestreckt. Er hatte einen Rumpf so lang wie zwei Cerquii und einen ebenso langen Schwanz.
Anima setzte die Tasche ab und kletterte über eine seiner Hintertatzen auf den Bauch. Trinquallitas war weich und warm und Anima versank beinahe in seinem flauschigen, weißen Fell. Auf Knien kämpfte sie sich bis zu seinem Kopf vor.
„Trinquallitas, du musst mich zum GroßMedopifexius bringen! Jetzt sofort!“
Der weiße Drache brummte wohlig, rollte sich auf den Bauch und schlief weiter. Anima hatte sich gerade noch mit einem Sprung in Sicherheit bringen können.
„Trinquallitas! Wach auf!“, rief sie lauter.
Da zuckte sie zusammen. Cifalitas! Hoffentlich war sie nicht wach geworden.
Doch Cifalitas hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
„Trinquallitas!“, rief sie gedämpfter. Sie stand nun vor dem mächtigen Kopf des Drachens. Die Lider waren geschlossen und darunter rollten die Augen hin und her, von denen jedes so groß war wie Animas Kopf.
„Alles wird kommen, wie es kommen soll“, brummte der Drache im Schlaf. Seine breite Nase war flach und nach oben gebogen und
Anima sah die fingerlangen Nasenhaare mit jedem Atemzug vor und zurück wehen. Das flauschige, kurze Fell in seinem Gesicht wuchs neben und unter dem Maul länger, sodass es aussah, als hätte er einen Kinn- und einen Backenbart.
Anima machte einen Schritt zur Seite und zog ihn an seinem hängenden Ohr.
„Komm zu dir! Wir müssen los!“
Trinquallitas hob schwerfällig die Lider. Seine Augen waren hellbraun und blickten friedlich und freundlich wie immer.
„Du musst mich ans Ende der Welt bringen, und das auf schnellstem Weg!“
In dieser Nacht erwiesen sich die Wolken als treue Verbündete. Unter ihrer schützenden Decke verbargen sie Anima und Trinquallitas vor dem verräterischen Mondenlicht. Anima hatte entschieden über die östliche Steilwand zu fliegen, dann nach Süden zu schwenken, um schließlich ihre Reise Richtung Westen fortzusetzen. Die Gegend, die sie dabei überflogen, war so gut wie unbewohnt. So würden sie von niemandem bemerkt werden.
Trinquallitas hatte die zarten Schwingen mit der durchscheinenden Flughaut gespannt, die dünner war als jedes Schreibblatt, das die baumbergschen Papierschöpfer zustande brachten, und trug sie im wogenden Auf und Nieder seines Körpers weiter fort vom Baumpalast.
Bald verschluckte die Nacht den letzten flackernden Schein vom Palasthof, und nur die dunklen Schemen des Königsbaumwaldes blieben zurück, wie Schattenrisse aus geschwärztem Papier auf nachtblauem Tuch. Wenig später verschmolzen die Schemen mit den Umrissen des Federwaldes und der alten Färberei im höher gelegenen Hintergrund. Und schließlich konnte Anima selbst den großen See nur noch als tiefschwarzen Fleck auf einem dunklen Landschaftsteppich ausmachen.
Auf Wiedersehen, Kohlbläuling, dachte sie und blickte in die Richtung, wo sie die kopfstehende Eiche vermutete. Das Schlüpfen deiner Kinder werde ich wohl verpassen. Aber bis zum Frühling bin ich zurück und dann sehe ihnen zu, wie sie flügge werden, mit Perscpiù! Das verspreche ich.
Es dauerte nicht lange, da zogen unter ihnen die ersten Ausläufer des Geröllwaldes vorbei. Anima erkannte die dunklen Umrisse der immergrünen Weichnadler, deren Äste bis auf den Boden hingen. Und da war auch die Kante, an der der Baumbewuchs abbrach; und dahinter... der Geröllhang!
Steil und dunkel fiel der Hang ab, der nur aus Steinen und Felsbrocken bestand. Die gleichmäßig schwarze Fläche weiter unten musste die senkrechte Felswand sein, die von der weiten Ebene der truscanischen Felder aufragte bis zum Grashochland, und die so aussah, als hätte sie sich vor Urzeiten in das untere Drittel der östlichen Flanke des Baumbergs gebohrt und den Erdrutsch ausgelöst, der als Geröllhang die Zeit überdauerte. Die vielen schäumenden weißen Stellen in der Tiefe waren Schaumkronen auf dem schwarzen Band des Finis, hervorgerufen durch das Wasser, das gegen die Steine und Felsbrocken klatschte, die dort zum Liegen gekommen waren.
Der Finis entsprang aus den Musdor-Bergen nordöstlich des Baumbergs. Von dort bahnte er sich den Weg durch das weite Grashochland bis an den Rand der felsigen Steilwand, mit der das Hochland unvermittelt endete. Doch statt sich über die Felskante in die Tiefe zu stürzen, floss er in einem steinernen Flussbett daran entlang bis er auf den Baumberg stieß. Dann machte er einen Knick nach Südosten und umrundete den Berg, traf nach unzähligen kleineren und größeren Wassertreppen auf das untere Ende der Steilwand, machte wieder einen Knick und floss an den Feldern der Truscani nach Norden weg.
Trinquallitas glitt über die Abbruchkante des Geröllhangs hinaus, drehte nach Süden ab und trug sie weiter über das Grashochland, das sich südöstlich des Flusses vor ihnen ausdehnte.
Animas Lider wurden schwer. Sie fröstelte, zog den Umhang enger und verkroch sich tief im Fell des weißen Drachen.
Die ersten Sonnenstrahlen des Tages kitzelten Anima wach. Ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken, als die Wärme ihr die nächtliche Starre aus den langen Gliedern schmolz. Sie streckte den Kopf aus Trinquallitas dichtem Fell und blickte einem Sonnenaufgang entgegen, der den Himmel vor ihr und das Land unter ihr rosarot strahlen ließ. Der Zauber des Lichts schwand, und zurück blieb ein weites, eintöniges Grasland; lange, grüngelbe Gräser, die im Wind wogten, soweit das Auge reichte. Anima sank in Trinquallitas Fell zurück und döste wieder ein. Einmal riss das Krähen eines Xincors sie aus dem Schlaf. Seine großen schwarzen Flügel verschwanden bald in der Ferne und es war wieder still.
Als sie das nächste Mal aufwachte war es wärmer geworden. Die Sonne stand tief, die langen Gräser wirkten bräunlich und ab und zu entdeckte Anima dazwischen Flecken ausgetrockneten, nackten Bodens. Sie aß ein paar Bissen von ihrem letzten Abendbrot aus ihrer Tasche und nickte wieder ein.
Irgendwann schreckte ein tiefes Grollen sie aus dem Dämmerschlaf.
„Trinquallitas! Was war das?“, fragte sie und streckte den Kopf aus seinem Fell. Da zerplatzte ein dicker Regentropfen auf ihrer Nase. Sie verzog das Gesicht und wischte ihn weg.
Plötzlich - nicht einmal einen Lidschlag lang – war es taghell. Vor Anima türmte sich ein düsteres Wolkengebirge auf. Dann donnerte es wieder. Unwillkürlich duckte sie sich.
„Nur keine Sorge“, brummte Trinquallitas.
„Aber so ein Gewitter ist nicht ungefährlich!“, rief Anima ihm gegen den auffrischenden Wind ins Ohr.
„Es kommt alles wie es kommen soll“, rief der Drache gleichmütig zurück. „Und ich kenne den Gewitterkessel.“
„Den Gewitterkessel?“
„Er liegt südlich vom Baumberg. Und da sollte ich doch erst mal hinfliegen, bevor wir nach Westen abdrehen, oder nicht?“
Wieder zuckte ein Blitz über den Himmel wie das grell leuchtende Gerippe eines sich verzweigenden Geästs. Wieder wurde die Nacht zum Tag. Aus der Einöde unter ihr, umringt von wild tanzenden Windhosen, erhoben sich drei Berge. Schon war es wieder dunkel und ein ohrenbetäubender Donner rollte über sie hinweg. Anima grub die Finger fester in Trinquallitas´ Fell.
„Trinquallitas, ich befehle dir umzudrehen!“, rief sie.
Der Wind steigerte sich zu unberechenbaren Sturmböen. Mal riss er ihr Haar zurück, mal peitschte er ihr die Strähnen in die Augen.
„Jetzt umzudrehen, würde nichts nützen. Wir stecken schon viel zu tief in der Gewitterfront“, brüllte der weiße Drache.
Ein Schwall Regentropfen peitschte Anima mitten ins Gesicht. Der nächste Blitz fuhr auf den höchsten der drei Gipfel herab wie ein gleißender Peitschenhieb. Vor Animas Augen schwirrten bunte Flecken. Jäh wurde es unerträglich heiß, so als fegte ein glühender Wüstensturm über sie hinweg. Dann zerriss ein so gewaltiger Donner die Luft, dass Anima sich die Hände gegen die Ohren presste. Als würde sie von einer gigantischen Welle erfasst, wurde sie im nächsten Augenblick vom Himmel gefegt.
Als sie wieder zu sich kam, strahlte der Himmel blau und die Sonne stach auf sie herunter. Das Blut pochte ihr hinter den Schläfen. Sie hing kopfüber in einem Busch. Vorsichtig befreite sie sich aus den Zweigen, ließ sich auf die Erde gleiten und wälzte sich stöhnend auf den Bauch.
Wo war sie? Was war passiert?
Langsam kam die Erinnerung.
Das Gewitter. Der Absturz. Trinquallitas. Wo war Trinquallitas?
Sie wollte nach ihm rufen. Doch ihr Hals fühlte sich trocken an und rau und sie brachte nur ein heiseres Keuchen hervor. Zwischen den Zähnen knirschte es, als würden sie geschmirgelt. Sie fuhr sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn und blickte sich um.
Sie lag in einer Sandkuhle. Alles schien gelb, golden oder ockerfarben. Um sie herum reckten zahlreiche trockene Sträucher ihre dürren Äste aus dem körnigen Grund. Vorsichtig richtete sie sich auf und bewegte zaghaft ihre Arme und Beine. Sie taten ihren Dienst. Fast ein Wunder nach einem solchen Sturz. Sand rieselte aus ihrem Kleid. Der blaubeerfarbene Stoff war zerrissen und hell von Staub. Anima schüttelte den Sand aus ihrer Gürteltasche. Ihren Umhang hatte sie offensichtlich verloren. Sie reckte sich, doch sie sah nur mannshohe vertrocknete Sträucher. Alles hier schien trocken und das nach einem solchen Wolkenbruch wie in der vergangenen Nacht.
Sie packte einen der größten Äste und bog ihn zur Seite. Stachliges dürres Gestrüpp, wohin man auch sah. Halt, in einem Busch über ihr flatterte etwas an einem Zweig: ein weißes Stück Stoff. Es war ein Zipfel ihres Umhangs! Der Rest hing zu einem dicken Klumpen geballt tiefer im Gestrüpp. Anima sprang hoch bis sie den Zipfel zu fassen bekam. Sie zerrte und zog. Doch die dürren Äste hatten sich in den Stoff gekrallt, als wollten sie ihn festhalten. Ein kräftiger Ruck, der Stoff riss los und Anima landete rücklings wieder in der Sandkuhle.
Der Umhang traf sie so hart, als wäre er um einen Stein gewickelt. Und irgendetwas klebte ihr an der Nase, etwas Lebendiges! Sie fuhr hastig mit dem Finger darüber.
„Iiiiih!“
Sie versuchte es wegzuschlagen. Doch es hing daran, als wäre es festgewachsen. Schließlich pflückte sie sich das zappelnde Ding mit langen Fingern vom Nasenrücken und schleuderte es von sich.
Anima tat einen tiefen Atemzug, erst dann wagte sie es, das windende Ding im Sand näher zu betrachten. Es war ein großer, fetter Wurm! Fast eine Elle lang und mindestens drei Finger dick. Er hatte eine kugelige Verdickung am Ende wie ein kahler, fleischiger Schädel. Zwei runde Ohren standen davon ab. Auf der kurzen Nase über dem Mundloch saß ein Horngestell mit zwei Gläsern. Dahinter quollen kugelige Glupschaugen aus den Höhlen. Die Ärmchen, die aus einer dunklen Weste über den schmäleren Gliedern unterhalb des Kopfes ragten, hielt das Wesen hochgerissen.
„HofGerismat Remisverbil!“, rief Anima verblüfft und stieß gleich darauf einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie nahm ihren Lehrer hoch und setzte ihn sich auf die Hand. Der röhrenförmige Körper war völlig starr, der Schlund weit aufgerissen.
Plötzlich klappte das Mundloch zu und alle Spannung wich aus dem Körper.
„P... P... Prinzessin“, wisperte der HofGerismat.
Der Schwanz, der gerade noch steif wie ein dürrer Ast über Animas Handteller hinausgeragt hatte, baumelte nun kraftlos hin und her. Schließlich zog er ein Taschentuch aus der Westentasche und tupfte sich den Schweiß vom kahlen Kopf.
„Dem Buchbinder sei Dank, dass Ihr es seid und nicht ein würmerfressendes Federtier oder Schlimmeres“, sagte er und seufzte.
Ohne seinen schwarzen Gelehrtenhut mit Quaste sah er nur halb so gebildet aus, dachte Anima.
„Was suchen Sie denn hier?“, fragte sie und setzte den Herrn Gerismat auf den Boden.
„Ich? Ihr fragt mich, was ich hier suche?“ Er schüttelte den Kopf und schob den Körper zu einer hochstehenden Schlaufe zusammen, dann streckte er sich wieder - wie er es immer tat, wenn er sich vorwärts bewegte - und verschwand unter Animas Umhang.
Mit einem kräftigen Ruck zog Anima den Umhang zu sich heran und zum Vorschein kam Animas Tasche. Der Verschluss war aufgesprungen und der Atlas lag aufgeschlagen im Sand. Gerismat Remisverbil erklomm gerade die offene Seite.
„Ihr habt mich doch hierher geschleift, eingeklemmt zwischen den Seiten dieses Atlanten. Einzig und allein diesem, meinem treuen Schreibutensil und Lesezeichen ist es zu verdanken, dass ich nicht dem Erstickungstod zum Opfer gefallen bin“, anklagend hielt er ihr den spitzen Kohlestift hin, der für gewöhnlich hinter einem seiner kleinen abstehenden Ohren steckte. „Zumindest für die Schatztruhen des Wissens, wenn schon nicht für meine Person, hatte ich gehofft, Euch eine gewisse Achtung vermittelt zu haben.“ Er schüttelte langsam den Kopf und steckte sich den Kohlestift, wie gewohnt, hinter das Ohr.
„Nun ja, wie dem auch sei.“ Er tupfte sich die Stirn trocken, holte den Gelehrtenhut aus der Tasche hervor und setzte ihn sich auf zum Schutz gegen die stechende Sonne. „Viel dringender ist jetzt die Frage, wo wir hier sind.“
„Im Gewitterkessel.“
Die Augen des HofGerismat weiteten sich.
„Ach du kratzende Schreibfeder, liegt das nicht weit südlich vom Baumberg? Wie sind wir denn hierhergekommen?“
Anima berichtete von Trinquallitas und dem nächtlichen Gewitter.
„Und wohin sollte Euch der weiße Drache bringen?“, fragte der Herr Gerismat.
„Nach Westen“, antwortete Anima.
„Und was wollt Ihr im Westen? Was wollt Ihr überhaupt außerhalb des Baumbergs, noch dazu allein?“
Anima erzählte vom GroßMedopifexius, der sich ans Ende der Welt zurückgezogen haben sollte, davon, dass sie ihn suchen wollte, damit er Perscpiù heilte, und dass niemand davon erfahren durfte, um den Baumberg nicht in Gefahr zu bringen.
„So eine verrückte Idee!“ Der Herr Gerismat schüttelte den Kopf und stieß ein gekünsteltes Lachen aus. „Wir sollten sehen, dass wir wieder nach Hause kommen.“
Anima schluckte, dann warf sie die Locken zurück und erwiderte fest: „Sie können gerne hier sitzen bleiben und Ihre Nase in Ihrem Atlas versenken! Ich gehe nach Westen! Und ich werde den GroßMedopifexius finden!“