Читать книгу Anima Overta - Anja Haverkock - Страница 8

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Durch Schlick und Schilf

Das Sandblatt schoss talwärts. Anima saß in dem Blatt und krallte sich an dem eingerollten Rand fest. Sie war so schnell, dass es ihr den Atem raubte. Der Fahrtwind zerrte an den Haaren und ihr schme

rzte der Nacken. Rechts und links von ihr wölbten sich Sandwände nach oben. Bei jeder Biegung schaukelte ihr Blatt von einer Seite zur anderen. Manchmal so hoch, dass die Spitze ihres Sandblattes über den Rand der Bahn hinausragte und sie fürchtete, herausgeschleudert zu werden.

Der Dornbusch! Wo war der Dornbusch? Hatte sie ihn vielleicht schon verpasst?

Heilige Mutter Erde! Da! Mitten in der Bahn ragte das Gerippe eines vertrockneten Strauches auf! Es leuchtete zartrosa in der Morgendämmerung!

„R E C H T S!“, schallte es ihr ins Ohr.

Anima warf sich nach rechts. Die Spitze des Blattes schwenkte, und sie schossen rechts an dem Dornbusch vorbei.

Schnell vorbei! Sehr schnell! Und es war eine sehr scharfe Rechtskurve! Das Blatt stieg die linke Seitenwand hoch, die Spitze schoss über den Rand... und flog aus der Kurve.

„Aaah!“

Anima klammerte sich an das Sandblatt. Ein, zwei, drei Herzschläge lang segelte es durch die Luft, dann krachte es zurück auf den Boden. Anima knallte mit dem Oberkörper gegen ihre Knie, sodass die Zähne aufeinanderschlugen. Das Blatt schrappte quer durch den Sandkanal, dass die Funken sprühten und ein entsetzlich schleifendes Quietschen ertönte. Anima spürte wie sich ihr die Härchen im Nacken aufstellten. Dann neigte sich die Spitze des Blattes wieder nach vorne, es gewann an Fahrt, und raste weiter talwärts.

„Bremsen! Ihr müsst bremsen!“, brüllte Gerismat Remisverbil. „Wir sind in der falschen Bahn!“

Und wie um alles in der Welt sollte sie bremsen?

Das Sandblatt schoss durch eine Senke. Und im nächsten Augenblick schoss es aus dem Sandkanal.

„Aaah!“, schallte es ins Nichts.

Wie von einer Schleuder geschossen, flogen sie durch die Luft; über ihnen der rosa leuchtende Morgenhimmel, unter ihnen weites, spiegelndes Wasser. Anima hielt den Atem an. Eine halbe Ewigkeit. Dann setzte das Blatt auf dem Wasser auf, Gischt spritzte hoch, es hob wieder ab, setzte wieder auf, hob wieder ab; wie ein Stein, der flach über einen See sprang. Die Abstände, in denen es das Wasser berührte wurden kürzer und schließlich senkte sich die Spitze des Blattes und tauchte ins Wasser ein. Ein mächtiger Schwall schwappte über den Rand ins Blatt und brachte es mit einem Ruck zum Stehen. Es schaukelte noch ein paar Mal vor und zurück, dann beruhigte es sich und schwamm.

Anima war vollkommen durchnässt. Sie schüttelte sich. Wassertröpfchen spritzten aus ihren Haaren und glitzerten im Licht der aufgehenden Sonne wie Tausend Diamanten. Mit einem zarten Prasseln vereinten sie sich wieder mit dem See.

Der See erstreckte sich weit. Viel weiter als der Badesee der Baumberger. Kreisrund lag er zwischen den drei Bergen. Der sandige Berg der Goldkörper sah jetzt karg aus, und der Hügel, vor dessen Ufer sie nun dahin trieb, wirkte dagegen wie eine grüne Oase. Nicht so grün wie zu Hause, aber dennoch grün, weitläufig von Büschen und niederen Bäumen überzogen. Der dritte Hügel kam Anima in der Ferne vor wie ein Flickenteppich. Gelbe, grüne und rote Flicken breiteten sich über ihn wie eine bunte Decke.

Es war still.

Nur ein schwaches Plätschern war zu hören. Erst jetzt bemerkte Anima, dass sie noch immer den Rand des Sandblattes umklammert hielt. Sie löste die verkrampften Hände und streckte sie langsam. Dann legte sie eine Hand an die Stirn und blinzelte gegen die glitzernde Wasseroberfläche in die Richtung, aus der das Plätschern kam.

Ein kleines fischartiges Wesen zappelte dort, als würde es auf dem Trocknen liegen. Es sah aus wie ein kleiner Aal. Und es hatte einen eigenartigen Kopf, beinahe wie ein Hut.

„Gerismat Remisverbil!“ Anima verschlug es den Atem. „Sind Sie das?“

Statt einer Antwort wippte ihr der kleine Gelehrtenhut mit seiner Quaste entgegen. Rasch drehte sie sich auf den Bauch, paddelte zu ihm und fischte den HofGerismat aus dem See. Er würgte, rückte hustend seine Fliege zurecht, wrang die Quaste seines Gelehrtenhutes aus und stülpte ihn sich auf den kahlen Kopf. Triefend und erschöpft hockte er in Animas hohler Hand. Ein jämmerlicher Anblick!

Unwillkürlich sah Anima an sich hinunter.

Die Haare klebten an ihr wie Algen, ihr Kleid hing da wie ein schmutziger Lumpen, und ihre Wadenwickel waren über den zerschundenen Knöcheln durchgescheuert. Auch nicht besser, dachte sie.

Plötzlich hörte sie jemanden rufen, und dann ein platschendes Geräusch, als wäre etwas ins Wasser gefallen.

Da schwirrte ein Stein haarscharf an ihrem Gesicht vorbei und plumpste hinter ihr in den See.

„In Deckung!“, rief der Herr Gerismat, schnalzte mit einem Satz auf Animas Kopf und drückte ihn nach unten. Schon schlug ein Stein gegen die Blattwand und versank im Wasser.

„Haben Sie das gesehen?“ Anima blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Man wirft mit Steinen nach mir!“

Ihr kleines Boot schwankte so sehr, dass es fast kenterte. „Nach uns!“, verbesserte der Herr Gerismat und ließ sich in die offene Gürteltasche gleiten. „Man wirft mit Steinen nach uns.“

Vorsichtig hob Anima den Kopf. Ihr Sandblatt trieb nicht weit vom Ufer entfernt. Mehrere Gestalten standen dort bis zu den Knöcheln im Schlick. Sie waren lang und mager und hatten einen krummen Rücken. Immer wieder bückten sie sich, kratzten mit den Fingern Steine aus dem Matsch und schleuderten sie nach ihnen. Hinter den dürren Buckligen stieg das Land sanft an. Hüfthohes Gras zog sich den Hang hinauf, und dort wo er steiler wurde wuchsen Gruppen von Büschen und Sträuchern. Drei weitere Gestalten eilten mit einem seltsam hopsend humpelnden Gang durch das Gras auf das Ufer zu. Drohend streckten sie Anima die langen Arme entgegen und brüllten: „...wegkommst... keine raffgierigen Goldkörper... verschwinde!“

Da schoss etwas an den Buckligen vorbei, schlug eine Schneise in das hohe Gras und preschte wenige Augenblicke später aus dem Halmenwald hervor. Es war etwa so groß wie ein

Sinca, hatte ein braungrau gelocktes Fell, tellergroße behaarte Ohren, eine lange spitze Schnauze und einen langen, haarlosen Schwanz mit einem breiten, löffelähnlichen Ende. Kläffend stürzte es sich ins Wasser und hielt geradewegs auf Anima zu. Seine Nase teilte das Nass wie der Kiel eines Schiffes. Seine Ohren trieben im Wasser hinterher. Es war so schnell, dass Anima sich unwillkürlich zurücklehnte. Das Sandblatt schwankte, und Anima ruderte mit den Armen... da spürte sie einen dumpfen Schlag vor die Stirn. Das Rufen und Bellen verstummte. Dann wurde es dunkel um sie.

Das Nächste, was sie wieder bewusst wahrnahm, war ein bohrendes Gefühl in ihrem Rücken. Etwas schob sie zwischen Schilfhalmen durch das Wasser. Sie hatte Mühe die Nase über Wasser zu halten. Der Kopf dröhnte ihr. Sie hörte immer noch wütenden Lärm. Doch entweder war es nur ein eingebildetes Nachhallen in ihrem geschundenen Kopf oder es war weit entfernt. Da packte jemand sie hinten am Ausschnitt ihres Kleides und schleppte sie durch das Schilf, schleifte sie über den Uferschlamm und ließ sie dann fallen.

Anima prustete und spuckte und versuchte sich den Matsch aus dem Gesicht zu wischen. Als sie die Stirn berührte, zuckte sie zusammen vor Schmerz. Eine faustgroße Beule wölbte sich darauf.

„Fuß, Hugo, Fuß!”, rief eine rauchig sanfte Stimme. “Gut g´macht! Hast se prima aus dem See gefischt!“

Sie hörte schmatzende Schritte, ein Tätscheln und dann ergoss sich ein Schauer über Anima, dass ihr der Matsch in kleinen Rinnsalen die Schläfen herunterlief.

Anima lugte durch halbgeöffnete Lider. Die Schnauze, die Tellerohren, der Löffelschwanz! Das Tier neben ihr sah aus wie das, das im Wasser auf sie zugeschossen war, nur das Fell war deutlich heller.

„Weg mit dir!“, presste sie zwischen den Zähnen hervor.

Das Tier hoppelte auf zwei langen Hinterläufen und zwei kurzen Vorderläufen hinter einen mageren, hochgeschossenen Jungen.

„Ja Hugo, hast´e Worte?“, sagte der. „Dankbarkeit kennt die wohl nich. Die will dich nich! Die schickt dich wech!“

Anima sah, dass ihre Gürteltasche neben ihr im Schlick lag. Die Schnalle des Gürtels war offen und hatte sich in einer Schlaufe ihres Kleides verhakt. Der Überwurf der Tasche hing schlapp nach hinten. Die ganze Tasche war voller Schlamm. Anima verzog das Gesicht. Doch im nächsten Augenblick wurde ihr bewusst, dass der Herr Gerismat von dieser Schlammlawine erdrückt worden sein musste. Lebendig begraben. Elendig erstickt.

Da flogen plötzlich kleine Matschklümpchen aus der Tasche und ein feingliedriger Schwanz streckte seine Spitze heraus. Anima griff zu und zog, und schon hielt sie den Herrn Gerismat in den Fingern. Er baumelte ihr kopfüber vor der Nase herum, hob die Ärmchen und grinste verlegen.

„Ich dachte, Sie wären tot“, keuchte Anima empört. Dann öffnete sie die Finger und ließ Gerismat Remisverbil fallen.

Blitzschnell schoss die Hand des Jungen vor und fing den Bücherwurm auf. Der Junge hockte sich auf einen kleinen Felsbrocken und setzte Gerismat Remisverbil behutsam neben sich.

„Getreuen Dank“, sagte der Herr Gerismat und verneigte sich steif.

Anima schüttelte den Kopf. Die Sonne schien vom Himmel und das Gesicht begann ihr unter dem trocknenden Lehm zu jucken. Sie erhob sich, das Kleid schwer von Dreck, und wusch sich notdürftig im seichten Uferwasser. Vom See selbst war nichts mehr zu sehen. Das hohe Schilf versperrte die Sicht wie eine Wand. Schließlich ging sie aus dem Wasser heraus, ließ sich auf ein trockenes Fleckchen Gras fallen und blickte sich um. Das kniehohe, grüngelbe Gras, in dem sie saß, zog sich ein gutes Stück den Hang hinter ihr hinauf und verschwand dann in einem Wald von Büschen.

„Bist du ein Grauhäuter?“, fragte sie und blickte den Jungen argwöhnisch an. Obwohl er das Mannesalter noch nicht erreicht hatte, war sein Rücken bereits gebeugt, als wäre das Leben eine schwere Last, die ihn ständig niederdrückte. Seine Kleidung, die nur aus einem schmutzigen, fellartigen Überwurf bestand, hing lose um seine magere Gestalt.

„Jou“, antwortete er.

Sein Gesicht lief zum Kinn hin spitz zu. Es wirkte gräulich und ein paar Matschspritzer waren auf den hohlen Wangen getrocknet. Er hatte eine schmale Nase und seine Augen waren sonderbar grau und braun.

„Und warum wirfst du dann nicht mit Steinen nach mir, wie deine Artgenossen?“, fragte Anima und verengte die Augen.

Der Junge schaute zu ihr herüber. „Die halt´n dich für nen Goldkörper“, meinte er.

„Und du tust das nicht?“

Animas Magen knurrte laut und der Junge grinste.

„Na Hugo, hamm wer auch für die was zum Beißen?“

Hugo, der sich hinter einen Busch zurückgezogen hatte, keine Armlänge von seinem Herrn entfernt, stellte seinen nackten löffelförmigen Schwanz in die Höhe, hob sein Hinterteil leicht an und ließ ein Ei hervorkullern. Animas Augen weiteten sich.

„Guter Kerl“, lobte der Junge. Dann nahm er das Ei vorsichtig auf, rieb es bis die dunkelgrau, gesprenkelte Schale glänzte und drehte es prüfend zwischen Daumen und Mittelfinger, bevor er es ihr gab. Anima zögerte.

„Na was is? Magst´e nich?“, fragte er.

„Doch, doch“, beeilte sie sich zu versichern. Hilflos drehte und wendete sie das Ei.

Der Junge schüttelte schnaubend den Kopf, nahm das Ei wieder an sich und holte mit der freien Hand einen spitzen Stein unter seinem Überwurf hervor. Dann ließ er sich neben Anima im Gras nieder und drehte den Stein solange auf der Eioberfläche bis ein kleines Loch aufbrach. Er setzte es an seine schmalen grauen Lippen und saugte. Schließlich hielt er es Anima hin. Sie runzelte unentschlossen die Stirn. Dann stieß sie einen Seufzer aus, nahm das Ei, kniff die Augen zusammen und saugte den glibberigen Inhalt aus, bis auf den letzten Tropfen. Es schmeckte gut, fast wie Weißdistelgelee. Und es füllte das Loch in ihrem Magen, ein wenig.

„Chmchm“, machte Gerismat Remisverbil. „Sie denken also nicht, dass wir – ich zitiere: `raffgierige Goldkörper` sind?“

„Goldkörper? Ihr? Nee! Sonst hätt´n Hugo und ich euch bestimmt nich geholfen, was Hugo?“

„Der Geschichtsschreiber in mir“, dabei rückte Gerismat Remisverbil seine Fliege zurecht, „vermutet eine alte Fehde zwischen dem Volk der Goldkörper und der Grauhäuter als Ursache für den beidseitigen Hass. Liege ich richtig?“

„Fehde? Von ner Fehde weeß ich nix“, antwortete der Junge. Dabei schob er die Unterlippe vor und zuckte mit den knochigen Schultern.

„Aber irgendeinen Grund muss es doch geben, warum ihr die Goldkörper hasst?“, meinte Anima.

„Na sicher doch. Musst ´e doch nur ansehn, ich meeen, so fett wie die sin. Und wie die schon redn. Und was die essen...“ Der Junge schüttelte angewidert den Kopf. „Na, und dann das ganze affige Getue um ihr Gold.“

„Heißt das etwa, ihr seid gar nicht hinter ihrem Gold her?“, wollte Anima wissen.

„Hamm die das gesacht?“ Er blickte Anima an und schnaubte. „Klar hamm ´se. Sach ich doch: affiges Getue. Klar, die verstehn was vom Baun, Berchbau und Hausbau un so. Und klar, hätt ´n wir gern so Häuser wie die. Ich meen, wer hätt nich gern en Dach überm Kopf, wenn´s gewittert. Das könn wer halt nich. Aber dafür kenn wer uns mit Tiern aus un hamm unsren Ovalaclanasus. Ne, Hugo? Ihr gebt uns alles, was wir zum Leben brauchen: was zum Anziehn un och was zum Beißen. Und wir kümmern uns um euch. Ihr seid unser Goldschatz! Und glaub ma nich, dass da auch nur en Goldkörper seine Finger ran kricht, ne!“, sagte er und tätschelte Hugo.

„Denken Sie denn, die Goldkörper möchten Ihren Ovalaclanasus stehlen?“, hakte Gerismat Remisverbil nach.

„Na da kannst´e drauf wettn, dass die auf unsre Ovalaclanasusse scharf sin! Ich men, jeden Tach Teigpampe, da wird jeder zum Dieb für en paar Eier oder nen Eimer Milch von unsrem Ovalaclanasus.“

„Euer, euer „Tier“ gibt auch Milch?“ Anima wollte nicht glauben, dass sie das glibberige Ei ausgelutscht hatte, wo sie doch köstliche, warme Milch hätte kriegen können.

„Und warum sind Sie im Gegensatz zu Ihren Artgenossen nicht überzeugt davon, dass wir zu den Goldkörpern gehören?“, fragte Gerismat Remisverbil.

„Die da hat zwar ne ziemlich große Klappe, doch von men Hugo will sie nix wissen, das is klar. Außerdem sieht sie nich aus wie ene von denen. Sie is viel zu dünn, mit grünen Augn und ner Haut die schimmert wie das Wasser unsres Sees, wo nen Haufen Algen wachsen.“

„Schön, dass wenigstens einer Augen hat für diese Unterschiedlichkeit. Den anderen Grauhäutern ist das nicht aufgefallen!“, sagte Anima.

„Das denk ich mir. Die hamm nich mehr als en komisches Schwimmding auf ´m Wasser gesehn un dass sich was Helles drin bewecht. Mehr können die gar nich sehn, wegen der grauen Haut über ´n Augen.“

Anima runzelte die Stirn. „Und du hast keine graue Haut über den Augen?“, fragte sie mit eindringlichem Blick.

„Nee. Ich hab en kaputtes Aug. Siehst´e?“ Er zog die Haut unter dem rechten Auge herunter, dass die roten Äderchen sichtbar wurden und wandte sich abwechselnd Gerismat Remisverbil und Anima zu.

Das war das Sonderbare an seinen Augen! Eins war braun und klar, das andere grau und von einem milchigen Film überzogen.

„Die hamm mich immer damit aufgezogn. Halbgrauhaut genannt un so. Der Paps von meinem Paps soll nich von hier gewesn sein. Is von irgendwo anders zum Gewitterkessel gekommn. Un is auch wieder gegangn. Keine Ahnung wohin. Is mir auch egal. Aber wegen ihm, hab ich wohl nur en Aug mit ner grauen Haut drüber. Das Andre is ganz klar. Un so seh ich auch: ganz klar. Nich so verschwommen und unklar wie die andern.“

Plötzlich rührte sich Hugo. Er hob seine lange Schnauze und schnüffelte. Seine Schnurrbarthaare sahen aus, als würden sie die Luft abtasten.

„Psst!“, zischte der Junge.

Im nächsten Augenblick hörten sie wütendes Bellen, das rasch näher kam.

„Ovalaclanasusse! Sie kommen den Buschwald runter! Schnell! Wir müssen wech von hier!“

Der Junge packte den Gerismat und schnalzte mit der Zunge. Sofort hörte Hugo auf zu knurren und folgte seinem Herrn.

„He! Moment! Ihr könnt mich doch nicht einfach sitzen lassen!“, rief Anima ihnen nach.

„Ich würde vorschlagen Ihr folgt uns unverzüglich“, presste Gerismat Remisverbil etwas atemlos zwischen den Fingern des Jungen hervor.

Anima hörte Gekläffe und kehlige Laute und sie drehte sich um. Die Grauhäuter, die sie zuvor am See mit Steinen beworfen hatten, rannten mit geballten Fäusten aus dem Gebüsch oberhalb des Hanges. Sie stürmten in ihrem seltsam humpelnden Gang die Schneisen herab, die ihre Tiere durch das Gras Richtung Seeufer frästen.

Animas Magen zog sich zusammen. Sie raffte ihre Gürteltasche an sich und stolperte los.

Der Junge war mit Hugo und dem Herrn Gerismat bereits im Schilf verschwunden. Ihre Fußabdrücke im Schlick füllten sich schon wieder mit Wasser. Bald würde nichts mehr davon zu sehen sein. Anima zwängte sich zwischen den Schilfröhren hindurch. Der Schlick unter ihren Sohlen fühlte sich kalt und glitschig an. Er schloss sich um die Füße als wollte er sie festhalten.

„He!“, rief sie mit gedämpfter Stimme. „Herr Gerismat! Und du, du Junge!“

„Ich heeß Claus Oculrus!“, klang es leise und rau von irgendwoher.

„Wo seid ihr?“

Das Wasser reichte Anima schon bis zu den Oberschenkeln, als ihr plötzlich etwas von hinten durch die Beine hindurchtauchte und sie hochhob.

„Hilfeee!“

Es war weich und haarig und nass.

„Kannst´e nich mal still sein? Sonst lässt dich Hugo wieder alleen weiterwaten“, hörte sie es aus dem Schilf vor sich.

Anima biss sich auf die Lippen. Dann senkte sie den Blick. Es war tatsächlich Hugo! Sein Schwanz lenkte sie geschickt durch das Schilf. Nur ein leises Gluckern und Schleifen war zu hören, wenn die Halme an Hugos Körper entlang schabten und wieder zurückfederten. Anima griff nach dem Fell hinter Hugos Ohren und hielt sich daran fest. Zwei Armlängen voraus, entdeckte sie Claus Oculrus. Der Junge kämpfte sich durch das Wasser, das ihm bis zu den Hüften stand.

„Was wollen die von mir? Warum lassen die mich nicht einfach in Ruhe?“, fragte Anima.

„Die hamm Angst“, antwortete er.

Anima Overta

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