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Sexismus und Stereotype – tief eingeprägt und einfach nicht loszuwerden

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Salzburg, Sommer 1999. Ich bin Baustellenleiterin im Heizungs-, Sanitär- und Lüftungsbereich und auf dem Weg zu einer Baustelle. Vor Ort treffe ich einen Kollegen. Wir steigen gemeinsam die Stufen in den ersten Stock hinauf. Wo wir auch hinkommen – es »grüßen« mich Kollegen und Arbeiter. Als Frau bin ich eine »Exotin« auf der Baustelle, aber auch lange genug im Geschäft, um keine Unbekannte mehr zu sein. Dennoch ist es kein Spaziergang. Hier treibe eine Frau ihr Unwesen, höre ich hinter meinem Rücken. Ich habe mich an das Gerede gewöhnt, mein Kollege hingegen hat es bisher meist belächelt und nicht geglaubt, dass ich einen schweren Stand in der »Männerwelt Baustelle« habe. Er schätzt mich – so wie die anderen Kollegen im Büro – als erfahrene Technikerin. Dort ist das Mann-Frau-Verhältnis kein Thema. Dort verliere ich normalerweise auch keine großen Worte darüber, was mir bei meinen regelmäßigen Baustellenbesuchen so alles unterkommt. Schließlich will ich nicht als Weichei gelten.

Nun erlebt mein Kollege zum ersten Mal hautnah, was einer Frau auf einer Baustelle widerfährt: wenig Originelles, viele Klischees von anzüglichen Bemerkungen über Blicke bis zu Pfiffen. Und dies trotz baustellenüblichem Outfit, das alles andere als weibliche Reize zur Geltung bringt. Selbst als wir mit einem Architekten sprechen, kommen aus dem Hintergrund sexistische Bemerkungen – unverhohlen, laut, dumm. Mein Kollege schaut mich erwartungsvoll an, auch der Architekt ist irritiert. »Wollen Sie nichts sagen?«, fragt er. Ich antworte ruhig und gelassen: »Glauben Sie wirklich, das würde irgendetwas ändern?« Er überlegt kurz: »Wahrscheinlich nicht.«

Wir setzen die Begehung der Baustelle fort – vorbei an vollgekritzelten und beschmierten Baustellenwänden. Immer wieder zu sehen: Genitalien und nackte Frauenkörper. Neben einer Kritzelei steht mein Name. Die beiden Männer sind irritiert und flüchten sich in eine überbetont normale Fortsetzung unserer technischen Gespräche.

Wir kommen im Treppenhaus zum Stehen und diskutieren angeregt. Plötzlich zucken wir alle zusammen, als ein Schraubendreher Millimeter von mir entfernt auf dem Estrich aufschlägt. Wir blicken nach oben. Aus dem zweiten Stock schiebt sich ein Kopf über das Geländer. Dann eine Hand. Ein Arbeiter zeigt mir grinsend den Mittelfinger. Das verstört nun auch meine beiden Begleiter nachhaltig. Plötzlich wird die Mann-Frau-Problematik zum brennenden Thema der Unterhaltung. Es geht so weit, dass mein Kollege mir rät, die Baustelle nicht mehr allein zu besuchen. Der Architekt pflichtet ihm bei. Auch als wir zurück ins Büro kommen, ist das Thema noch heiß. Die anderen Kollegen wundern sich vor allem über meine Ruhe und Gelassenheit – noch mehr, als ich von weiteren Vorfällen aus der Vergangenheit erzähle, die noch eindeutiger und unangenehmer sind. Die Tatsache, dass ich gelernt habe, damit zu leben, und nicht versuche, etwas zu ändern, das offensichtlich nicht zu ändern ist, verwirrt und beeindruckt die anderen. Auch, wenn das für meine Kollegen etwas Neues ist: Ich bin seit jungen Jahren beinahe täglich damit konfrontiert.

Von irgendwelchen Regeln oder Verboten will ich nichts hören. Ich möchte anspruchsvolle Projekte betreuen. Dafür habe ich gekämpft, nun will ich mir das nicht streitig machen lassen – schon gar nicht aus Fürsorge oder Rücksichtnahme. Stolz? Mut? Dummheit? Ich weiß es nicht. Aber der beschriebene Tag verändert auch für mich vieles. Ich beschließe, anderen einfach nicht mehr zu erzählen, wann ich bei einer Überprüfung der Lüftungsanlage alleine im vierten Untergeschoss auf der Baustelle unterwegs bin. Und das, obwohl mir klar ist, dass ich – wenn mir ein Mann in solchen Momenten zu nahekommen sollte – alleine auf mich gestellt wahrscheinlich körperlich unterlegen bin.

Selbstredend muss sich keiner meiner männlichen Kollegen jemals Gedanken machen, wenn er mit Arbeitern alleine ist. Bei der Begegnung unter Männern gibt es keine Respektlosigkeiten und keine Übergriffe. Und auch, wenn ich gelernt habe, diesen Unterschied zu akzeptieren, so trifft mich die Erkenntnis, wie verschieden die Gegebenheiten sind. Ich muss jederzeit damit rechnen, dass die Grenzen nicht eingehalten werden und der eine oder andere eine Handlung ausführt, die im günstigsten Fall nicht korrekt und im ungünstigsten Fall wirklich gefährlich ist.

Eine große Rolle spielt in diesem Zusammenhang natürlich auch das Thema »Alkohol«: Egal ob bei Weihnachtsfeiern oder Dachgleichen: Zu viel Alkohol kann die Stimmung kippen und manche Hemmungen fallen lassen. Gleichzeitig ist es aber wichtig, mit den Kollegen zu feiern, um – nun ja – dazuzugehören. Trotzdem trinke ich niemals mit – und muss dennoch den Schein wahren. Ab und zu lasse ich mich von den Arbeitern in ein Lokal einladen. Meistens bestelle ich hier Bacardi-Orange oder Cola-Rum und bitte an der Bar darum, nur die Säfte einzuschenken und den Alkohol wegzulassen. So habe ich mir den Ruf erworben, trinkfest zu sein. Tarnen und täuschen – ich bin nicht stolz darauf, aber es funktioniert. Und irgendwie ist es auch Selbstschutz: Hätte ich mitgetrunken, hätte ich womöglich die Kontrolle verloren.

Diese Gedanken und Erlebnisse aus meiner Zeit als Technikerin hatte ich auch im Hinterkopf, als ich mich zum ersten Mal damit beschäftigte, warum es in unserer Gesellschaft so schwierig ist, Geschlechterausgewogenheit im Management von Unternehmen anzustreben.

Ich gehe gedanklich noch weiter zurück ins Jahr 1990: Steinzeit? Ich bin eine von drei Schülerinnen unter 600 Schülern einer Technischen Schule. Wenn ich auf die Toilette muss, steht mir im gesamten Schulgebäude genau eine Damentoilette zur Verfügung. Wenn wir Unterricht in der Werkstatt im Nebengebäude haben, begleitet mich ein Lehrer zur Herrentoilette, um sicherzustellen, dass ich dort ungestört bin. Der Weg zur Damentoilette im Hauptgebäude würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Zugegeben, das alles war vor einer Ewigkeit. Heute, im Jahr 2019, ist doch sicherlich alles ganz anders, oder? Nun, zumindest, was die Anzahl der Damentoiletten betrifft …

Heute bin ich längst keine Technikerin mehr. Es hatte mich zunächst ins Marketing verschlagen, dann ins Consulting. Seit mehr als zwölf Jahren arbeite ich nun als Organisationsberaterin und habe mein eigenes Unternehmen. Neben der wirtschaftlich orientierten Beratung von mittelständischen Unternehmen wurde der Bereich »Geschlechterausgewogenes Management« mein Spezialgebiet. Ich arbeite mit Konzernen und Betrieben und erstelle »Unternehmenskulturanalysen«, um Hindernisse für Gender Balance und die damit verbundene Vielfalt an Führungsstilen auszumachen. Ein Teil der angestrebten Vielfalt ist »Female Empowerment« – also eine Unterstützung der weiblichen Belegschaft beim Ansteuern höherer Karriereziele.

Anstatt von Arbeitern bin ich nun also von Führungskräften und Vorstandsmitgliedern umgeben. Es sind Männer in Anzügen statt im Blaumann. Männer mit hoher Bildung und mit manikürten Fingernägeln. Und dennoch finde ich mich in Situationen wieder, die jenen von vor 20 Jahren stark ähneln. Selbstverständlich findet alles an anderen Schauplätzen und vor einem anderen Horizont statt, aber im Grunde ist die Problematik die gleiche geblieben: Frauen sind immer noch regelmäßig Sexismus und verbalen Übergriffen ausgesetzt. Ich entdecke mich nicht mehr selbst als Kritzelei auf Baustellenwänden, aber ich begegne vielen Frauen, die mir davon berichten, dass sie in gewisser Form immer noch als »die anderen« gelten und sich »ungleich« behandelt wissen. Viele dieser Geschichten werde ich in diesem Buch erzählen.

Wettbewerbsvorteil Gender Balance

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