Читать книгу Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium - Anna Cornelius - Страница 21

2.2.2.2.3 Intendierter Rezipient

Оглавление

In meinem Erzählmodell verwende ich anstelle des in vielen Erzähltheorien begegnenden Begriffs impliziter Leser1 in sprachlicher Anlehnung an Finnern den Begriff intendierter Rezipient. Finnern versteht jedoch unter diesem Begriff das kognitive Bild, das sich der reale Autor von seinem Leser gemacht hat. Parallel dazu existiert bei ihm das Bild, das sich der reale Leser vom Autor macht.2 Jedoch muss mit Schmid bemerkt werden, dass hier „eine verführerische Symmetrie“3 naheliegt. Denn der Schwachpunkt an Finnerns Konzept des intendierten Rezipienten besteht m.E. darin, dass wir in den Kopf des realen Autors nicht mehr hineinschauen können und dass wir daher nicht wissen, welches Bild vom Leser sich der reale Autor gemacht hat.4 Diese „doppelte Brechung“ des Rezipienten als mentales Konstrukt eines im Dunkeln liegenden realen Autors scheint mehr als problematisch zu sein. Der intendierte Rezipient ist daher in meinem Erzählmodell nicht der vom realen Autor, sondern der vom Text intendierte Rezipient.

Der intendierte Rezipient nimmt dabei in meinem Erzählmodell zwei von Schmid5 herausgearbeitete Funktionen wahr: Er ist zum einen der unterstellte Adressat, der vom realen Leser durch die Wortwahl des Erzählers und die von ihm verwendeten sprachlichen und kulturellen Codes rekonstruiert werden kann. Über die unterstellten Adressaten des Matthäusevangeliums kann z.B. gesagt werden, dass sie wahrscheinlich mit alttestamentlichen Texten vertraut waren, da der Erzähler an vielen Stellen alttestamentliche Zitate anbringt. Gleichzeitig ist der intendierte Rezipient aber auch ein idealer Rezipient, der jede Anspielung im Text versteht, ein Lesegedächtnis besitzt und über ein bestimmtes (historisches und kulturelles) Vorwissen verfügt. Der Text selbst und mit ihm der im Text intendierte Rezipient wird somit historisch sowohl im Matthäus- als auch im Lukasevangelium im 1. Jhd. n. Chr. verortet.6 Das mögliche Vorwissen des intendierten Rezipienten wird daher in den Fällen mit berücksichtigt, in denen der Text ein solches (historisches oder kulturelles) Wissen vorauszusetzen scheint und gezielt darauf anspielt. Dabei beziehe ich mich in diesem Punkt auf Eco und seinen Modelleser, der über ein bestimmtes, kulturell geprägtes enzyklopädisches Wissen verfügt.7 Darüber hinaus werden bei der Analyse des Textes das Lesegedächtnis des intendierten Rezipienten (das die vorhergehenden Kapitel des Matthäus- oder des Lukasevangeliums umfasst) sowie seine wahrscheinlichen und im Text intendierten Reaktionen und Rezeptionsemotionen (wie Empathie, Sympathie, Antipathie, Spannung, Furcht, Freude, Humor)8 stets mit berücksichtigt.

Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium

Подняться наверх