Читать книгу Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium - Anna Cornelius - Страница 6

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1 Einleitung

„Wer ist der durch Gott von den Toten Auferweckte?“1 „Ist der auferstandene Jesus Christus, der Herr, den die neutestamentliche Verkündigung bezeugt, erkennbar derselbe wie der irdische Jesus, der Bote des Reiches Gottes, der um seiner Botschaft willen angefeindet und getötet wurde?“2 Diese zentralen Fragen nach dem Auferstandenen und seiner Relation zum Irdischen sind seit je her und auch heute noch im Bereich der Dogmatik oft gestellte und diskutierte Fragen.3 Diese Arbeit wird den Fragen nachgehen, sie dabei jedoch auf eine andere Ebene, nämlich auf die Ebene des Textes des Matthäus- und Lukasevangeliums, stellen.

Es soll im Folgenden untersucht werden, wie das Matthäus- und das Lukasevangelium jeweils die literarische Figur des Auferstandenen darstellen und welches Bild sie von ihm zeichnen. Darüber hinaus soll gefragt werden, wie sich die Darstellung des auferstandenen Jesus zur Darstellung des irdischen Jesus in den beiden Evangelien verhält, ob es sich jeweils um eine kohärente und in sich geschlossene Figurendarstellung handelt oder ob bei der Darstellung des Auferstandenen im Vergleich zur Darstellung des Irdischen ganz neue Akzente gesetzt werden.

Der Vergleich der Figurenzeichnung beider Evangelien soll dazu beitragen, das christologische Profil der beiden Evangelien, das in der Darstellung des Auferstandenen im Rückbezug auf die des Irdischen zum Ausdruck kommt, möglichst genau zu erfassen. Die Analyse der Figur des Auferstandenen in den Ostergeschichten sowie der Rückblick auf die jeweils vorangehende Darstellung des Irdischen und schließlich der Vergleich zwischen beiden Evangelien unter diesem Gesichtspunkt sollen also im Verständnis der Christologie des Matthäusevangeliums und des Lukasevangeliums weiterführen.

Um das Bild, das das Matthäus- und das Lukasevangelium vom Auferstandenen zeichnen, zu untersuchen und miteinander zu vergleichen, bietet sich die aus dem Bereich der Literaturwissenschaft stammende narratologische Methodik der Figurenanalyse an. Diese kann durch gezielte Fragestellungen vielfältige Beobachtungen im Text zutage fördern, die dann im Hinblick auf die mögliche Intention des jeweiligen Evangeliums ausgewertet werden können.

Die bisherige (historisch-kritische) Forschung zur Christologie in den Evangelien ist u.a. geprägt von einer Konzentration auf die Hoheitstitel Jesu.4 Erst in der letzten Zeit wurden einige narratologische Untersuchungen zur Jesus-Figur unternommen.5

Der Vorteil einer solchen narratologischen Analyse der Jesus-Figur liegt darin, dass sie vielschichtige und differenzierte Einblicke und Erkenntnisse liefert, indem sie die Jesus-Figur in ihrer Rolle und Funktion innerhalb einer Handlung, in ihren Beziehungen zu anderen Figuren sowie zur dargestellten Umwelt und in Beziehung zum Erzähler analysiert und dadurch dem Erzählcharakter der Evangelien besonders gerecht wird. In dieser Arbeit wird somit nicht nach dem historischen Jesus gefragt6, sondern nach dem erinnerten Jesus7, wie er als erzählter Jesus im Lukas- und Matthäusevangelium dargestellt ist. Denn insgesamt gilt: „Der erinnerte Jesus ist zugleich der erzählte Jesus.“8 Die Evangelien schildern nicht den historischen Jesus, sondern sie entwerfen unterschiedliche Jesus-Bilder, bei denen je unterschiedliche Intentionen leitend sind. Erzählungen sind damit stets Konstruktionen von Wirklichkeiten. „Ein genaues Textstudium muss somit dem spezifischen Charakter des jeweiligen Texts Rechnung tragen.“9 Narrative und linguistische Methoden tragen dazu bei, die Darstellung der Jesus-Figur innerhalb der jeweiligen Erzählungen genauer zu analysieren und vielfältige Beobachtungen am Text zutage zu fördern.10 Narratologische Methoden sind also Hilfsmittel, um die komplexe literarische Gestaltung der Texte und ihrer jeweiligen Jesus-Bilder erfassen und analysieren zu können.

Im Vergleich zur redaktionsgeschichtlichen Evangelienforschung zeichnet sich der in dieser Arbeit gewählte narratologische Ansatz dadurch aus, dass er sich konsequent auf das Kommunikationsgeschehen innerhalb des Evangeliums als einer Erzählung richtet und nicht mehr das spezifische Profil des Textes durch den redaktionellen Umgang des Verfassers mit den Quellen zu bestimmen sucht. Zudem geht es im narratologischen Ansatz nicht um die Bestimmung der Autorintention, sondern der Erzählintention.11 Dennoch ist die „Grenzlinie“ zwischen redaktionsgeschichtlichen und narratologischen Herangehensweisen nicht einfach starr zu ziehen, denn auch in redaktionsgeschichtlichen Arbeiten lassen sich oftmals narrative Elemente finden.

Im Verlauf dieser Arbeit werden zunächst ein Erzählmodell, das die Basis der Figurenanalyse bildet, und ein Figurenanalysemodell – jeweils in kritischer Auseinandersetzung mit in der Forschung gängigen Modellen – entwickelt.

Anschließend wird die literarische Figur des auferstandenen Jesus in den Ostererzählungen des Matthäusevangeliums (Mt 28,1–20) und des Lukasevangeliums (Lk 24,1–53) anhand der im Vorherigen entwickelten Kategorien der Figurenanalyse untersucht. Die angestellten Beobachtungen werden sodann ausgewertet hinsichtlich der möglichen (christologischen) Intention des jeweiligen Evangeliums.

Ein abschließender Vergleich zwischen den beiden Figurendarstellungen des Auferstandenen im Matthäusevangelium und im Lukasevangelium lässt das spezifische (christologische) Profil beider Evangelien noch stärker hervortreten. Die Ergebnisse zur literarischen Figur des Auferstandenen werden anschließend in Beziehung gesetzt zur literarischen Figur des irdischen Jesus im jeweiligen Evangelium. Hierfür wird – ausgehend von den Ergebnissen der Figurenanalyse des Auferstandenen in der jeweiligen Ostererzählung – in die vorherigen Kapitel des jeweiligen Evangeliums unter dem Aspekt zurückgefragt, ob die Darstellung der Jesus-Figur kohärent ist, also ob sich Übereinstimmungen in der Figurendarstellung des Auferstandenen und des Irdischen finden lassen, oder ob möglicherweise Akzentverschiebungen und Unterschiede auszumachen sind.

Bei diesen Rückblicken kann es selbstverständlich nicht um eine detaillierte Figurenanalyse des irdischen Jesus gehen, die sich auf das gesamte Evangelium bis hin zu den Ostererzählungen bezieht. Vielmehr werden einzelne Textabschnitte unter bestimmten, zuvor ermittelten inhaltlichen Gesichtspunkten herangezogen, um die Darstellung des Irdischen innerhalb dieser Abschnitte zu untersuchen.

Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium

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