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Orten und ordnen

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Auf den Vorschlag der Finanzdelegation von 1910, das Landesmuseum solle Sammlungsstücke abgeben, um den Platzmangel zu beheben, antworteten die Museumsbehörden damals wie folgt: Erst wenn der Erweiterungsbau vorhanden sei, könne entschieden werden, welche Stücke entbehrlich seien, weil in den vorhandenen Räumen keine «vollständige[…] Übersicht»197 über die Sammlung möglich sei.198 Aus den Kommissionsprotokollen und den Jahresberichten geht aber hervor, dass die Museumsangestellten einen wesentlichen Teil ihrer Arbeit genau dieser angeblich unmöglichen Tätigkeit widmeten: Sie versuchten, eine Übersicht über die Bestände zu gewinnen. Hauptsächlich ging es darum, festzustellen, was in welchen Räumen vorhanden war, und ein System zu entwickeln, um die Objekte lokalisieren zu können.

Hans Lehmann wollte den gesamten Sammlungsbestand systematisch erfassen. Nach seinem Amtsantritt 1903 wurde «sofort», wie es hiess, «an die Anlage eines Standortkataloges geschritten, d.h. an ein Inventar der sämtlichen, in den Museumsräumen und Depots aufbewahrten Gegenstände».199 Weiter war ein Assistent beauftragt, die neu erworbenen Objekte in Eingangsbüchern zu erfassen, indem er sie beschrieb und vermerkte, wo sie ausgestellt oder magaziniert wurden.200

In der Zeit von Lehmanns Vorgänger, Heinrich Angst, stand die buchhalterische Dokumentation zuhanden der Finanzkontrolle im Vordergrund: Es wurden Inventare der Objekte angelegt, die Auskunft erteilten über die laufenden Ausgaben, die Ankaufspreise der Altertümer und die Schätzungswerte der eingegangenen Depositen und Geschenke. Der «Buchhalter-Kassier» betreute diese Verzeichnisse.201 Die Finanzkontrolle des Finanzdepartements wie auch die Museumskommission überprüften von Zeit zu Zeit stichprobenartig, ob die erworbenen Objekte noch auffindbar waren. Sie schickten dafür einen Assistenten des Museums los, um bestimmte Objekte herauszusuchen und vorzuweisen.202 Nach der Einschätzung von Lehmann war nur ein seit längerer Zeit der Museumsverwaltung angehörender Beamter, der aus dem Gedächtnis wusste, wo sich was befand, in der Lage, die Gegenstände zu finden.203 Dass andere Suchhilfen fehlten, kann einerseits mit dem gehegten Ideal einer an den Ausstellungsraum gekoppelten überblickbaren Objektordnung erklärt werden. Andererseits wird daran auch die grosse Bedeutung der Objekte als Kapitalanlage erkennbar, wo das saubere Festhalten des monetären Werts zentral war. Die immense Grösse der Menge verlangte nun aber nach einem anderen Erfassungssystem, auch wollten die Museumsbehörden mehr als den Geldwert der Objekte festgehalten wissen.

Während seiner Amtszeit liess Hans Lehmann das System zur Erfassung der Sammlungsbestände mehrfach überarbeiten. In Zusammenarbeit mit dem eidgenössischen Finanzdepartement wurde versucht, ein Ordnungssystem zu finden, das die Angaben bündelte: diejenigen, die die Finanzkontrolle forderte (z.B. der aktuelle Versicherungswert), und diejenigen, die das Museumspersonal neu als wichtig ansah (z.B. eine Objektbeschreibung). Es wurde zu diesem Zweck ein Inventarbuch mit fortlaufender Nummerierung über alle Objekteingänge sowie nach Sach- und Materialgruppen angelegte Spezialkataloge und Inventare geführt, wobei die Standortangaben – in welchem Raum sich ein Objekt befand – nicht mehr fehlen durften. Parallel dazu wurden separate Standortkataloge angelegt.204

Das visuelle Moment blieb für die Orientierung in der Objektmenge weiterhin zentral: Immer wieder wurden die angelegten Bücher mit der Ordnung der Objekte im Museumsraum abgeglichen. Es wurde jeweils eine «Revision»205 durchgeführt, wie der Vorgang genannt wurde. Wenn auch Verzeichnisse die Merkleistung der Museumsmitarbeiter weniger strapazierten, mussten diese doch immer noch wissen, wie die Objekte aussahen, die sie innerhalb eines Raums suchten. «Übersicht gewinnen» muss wörtlich verstanden werden. Das Museumspersonal schaute sich die Dinge an, sichtete Stück für Stück die einzelnen Sammlungsbestände und suchte gezielt nach Objekten, deren Nummer, nicht aber deren Standort bekannt war – oder umgekehrt. Die Standortkataloge wurden aktualisiert, die vorhandenen Inventare überarbeitet.206 Anlass waren nicht selten räumliche Veränderungen: etwa wenn infolge der Kündigung eines Depots Gegenstände verlagert werden mussten.207

Ab den 1920er-Jahren wurde bei den Revisionen in den Depoträumen versucht, Objektgruppen ähnlich wie in den Ausstellungsräumen anzuordnen, «um auch in den Magazinen deren Übersicht und Studium zu erleichtern».208 Man wollte die ausserhalb der Ausstellungsräume befindlichen Sammlungsstücke «allfälligen Interessenten besser zugänglich […] machen».209 Damit waren die ersten Schritte in Richtung einer Studiensammlung vollzogen.

Anhäufen, forschen, erhalten

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