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Verkäufe

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Bestimmte Objekte waren sogar definitiv entbehrlich: Bereits in den 1890er-Jahren erklärten die Behörden des Schweizerischen Landesmuseums manche Stücke aus ihrer Sammlung als überflüssig für das Museum und verkauften sie.227 Gesetzlich verankert wurde der Verkauf in der Erweiterung des Bundesbeschlusses von 1902.228 Die «Freiheit des Handels», 229 so wurde damals argumentiert, sei notwendig, weil der zur Verfügung stehende Kredit nicht ausreiche für Ankäufe.230 Das finanzielle Argument sollte auch später immer wieder vorgebracht werden, unabhängig davon, ob der Museumsetat tatsächlich geschmälert worden war.231 Das erste Ziel der Museumsbehörden war, durch den Verkauf mehr Mittel für Objektkäufe zu erwirtschaften. In den 1910er- und 1920er-Jahren wurde der Verkauf von Sammlungsstücken wiederholt zu einem zentralen ökonomischen und sammlungspolitischen Steuerungsmittel des Landesmuseums. Das belegen die Gewinnzahlen: Wurden in den 1900er-Jahren jährlich bloss einige hundert bis tausend Franken durch den Verkauf von Sammlungsstücken erwirtschaftet, 232 so schnellten die Gewinne in den beiden Folgejahrzehnten immer wieder massiv in die Höhe, beispielsweise 1912 auf 14 059.70 Franken233 oder 1921 auf 27 189 Franken.234 Das waren beträchtliche Summen gemessen am jährlich gesprochenen Altertümerkredit von 50 000 Franken. Diese Verkäufe waren nur denkbar, weil die Verantwortlichen der Auffassung waren, dass innerhalb der Museumssammlung Überfluss bestand, und eine bestimmte Vorstellung davon hatten, was in eine staatliche Sammlung gehört. Ich will auf diese Kaufgeschäfte nun näher eingehen und zeigen, dass sich diese Praktiken nicht in den bisherigen Analyserahmen der Forschung zu Funktion und Bedeutung kulturhistorischer Museen einordnen lassen.

Die getätigten Kaufgeschäfte waren von zweierlei Art: Zum einen wurden Sammlungsstücke verkauft, die bereits als Handelsgut in die Sammlung gekommen waren. Zum anderen gab es den Verkauf von Objekten, die eigentlich in die Sammlung des Landesmuseums aufgenommen worden waren, um als Sammlungsgut aufbewahrt zu werden. Ihr Verkauf gestaltete sich schwieriger, denn sie mussten zuerst vom Sammlungsgut in Handelsgut umgewertet werden, um überhaupt verkauft werden zu können. Ein Beispiel für die erste Geschäftsart ist der Verkauf von den 1916 in Sitten erworbenen 380 langen Spiessen, 853 Armbrustbolzen und 490 Pfeileisen. Sie wurden in das Landesmuseum aufgenommen in der Absicht, den grösseren Teil davon wieder zu verkaufen. Für die eigene Sammlung wurden 190 Spiesse (entsprechend der Bewaffnung einer Kompanie) sowie eine Serie Armbrustbolzen behalten. 30 Spiesse wurden dem Museum im Schloss Valeria in Sitten geschenkt, die restlichen Gegenstände verkaufte man an Museen und Private im In- und Ausland. In der Schweiz ansässige, öffentliche Museen wurden preislich begünstigt.235

Dass Objekte bloss als Handelsgut in das Landesmuseum aufgenommen und nicht dauerhaft eingelagert wurden, widerspricht den gängigen Auffassungen über die Bedeutung von musealen Sammlungen und ihren Wertesystemen und Bewertungsprozessen. Ich möchte dies anhand der in der deutschsprachigen Museumsgeschichte vermutlich am häufigsten zitierten Studie von Krzysztof Pomian über die gesellschaftliche Bedeutung der Museen und ihrer Sammlungstätigkeit erläutern.

Pomian beschreibt folgenden Prozess, den Objekte grundsätzlich durchlaufen können: Dinge verlieren ihre Nützlichkeit, gehen vergessen und werden damit zu Abfall. Für gewisse Dinge ist dies aber nicht die letzte Station ihrer Karriere in der Welt der Artefakte. Sie können neue Bedeutung erlangen.236 Bestimmte Milieus (nach Pomian intellektuelle und künstlerische) würden sie beispielsweise aufgrund ihrer Seltenheit zu schätzen beginnen, was sie wiederum für andere (Reiche und Mächtige) interessant und erwerbenswert mache.237 Einmal errungen, werden diese Gegenstände vor zerstörenden Einflüssen geschützt aufbewahrt, 238 an einem abgeschlossenen, eigens zu diesem Zweck eingerichteten Ort, eben etwa in einem Museum. Hier werden sie «aus dem Kreislauf ökonomischer Aktivitäten herausgehalten»;239 ja, ihr Wert und ihre Bedeutung speisen sich gerade daraus, dass sie sich ausserhalb des ökonomischen Kreislaufs befinden, so Pomian.240 Pomian nennt diese Artefakte «Semiophoren» und unterscheidet sie von den «Dingen»: Dinge dienen als Produktionsmittel oder Konsumartikel. Sie sind dem Menschen nützlich, aber ohne «Bedeutung».241 Im Gegensatz zu den Semiophoren haben sie keine semiotische Seite und verfügen nur über eine physische Präsenz.242 Nach Pomian entziehen die Museen (im Gegensatz zu den Privatsammlern) die Semiophoren für immer der ökonomischen Zirkulation.243 Objekte kommen demzufolge in das Museum hinein, ohne es je wieder zu verlassen. Das Museum stellt in seiner «Dialektik von Nützlichkeit und Bedeutung»244 für die mit Bedeutung versehenen Objekte die Endstation dar, eine komplett von ökonomischen Prozessen abgekoppelte Welt, deren Gegenstände nicht mit volkswirtschaftlichen Parametern wie Gebrauchswert oder Tauschwert erfasst werden können. Die Beispiele der verkauften Waffen zeigen nun aber, dass dieses dialektische Modell den musealen Bedeutungsformationen nicht gerecht wird. Die Termini «Ding» und «Semiophor» greifen nicht. Die Waffen waren stets Handelsgut, und doch waren sie auf eine spezifische Art bedeutsam als zwischenzeitlich im Museum eingelagertes Sammlungsgut. Für die Sammlungsziele des Landesmuseums hatten die Waffenbestände aber keinen dauerhaften Sammelwert, sondern primär einen Tauschwert. Der Erlös ermöglichte es, die Sammlung, wie es hiess, «mit wertvollen Stücken zu vervollständigen».245 Ferner konnte der aktuelle Marktwert von Objekten davon mitbestimmt sein, dass sie sich einmal in einem staatlichen Museum befunden hatten.246 Folglich gibt es zwar Bedeutungsveränderungen zwischen dem Museum und dem «nicht-musealen Ort», nicht aber in der Verknüpfung, die Pomian macht. Mit Justin Stagl könnte man von «Aussenbedeutung» und «Binnenbedeutung» sprechen: Die Erstere bezeichnet die Bedeutung der Dinge vor dem Gesammeltwerden, während die Letztere die neue Stellung der Objekte durch die Eingliederung in eine Sammlung meint.247

Die Verkäufe zeigen, dass das Landesmuseum keine ökonomiefreie Zone war, wie Pomian es pauschal für die Museumswelt behauptet. Die materiellen Ressourcen, die dem Landesmuseum zur Verfügung standen, spielten eine entscheidende Rolle für die Zusammensetzung der Sammlungen.248 Pomians Modell eines marktfernen Museums ist mehr Ausdruck eines herrschenden Ideals seiner eigenen Zeit, als dass es die Museumsrealität des gesamten 20. Jahrhunderts beschreiben würde. Die Sammlungsstücke verfügten über vielfache Bedeutungen, und eine Komponente der Bedeutung war die gewerblich-wirtschaftliche. Es kann sogar von einem Marktdenken gesprochen werden: Wenngleich nicht erwartet wurde, dass das Landesmuseum wirtschaftlich produktiv ist, 249 so war die Direktion doch sehr darauf bedacht, dass das Landesmuseum bei all seinen Transaktionen «Gewinne» erzielte. Eine «Gratisabgabe»250 von Objekten wollte man unter keinen Umständen. Die Sammlung in ihren verschiedenen Bestandteilen wurde als staatliche Kapitalanlage angesehen. Das hatte der erste Museumsdirektor 1893 pointiert formuliert, als er den aktuellen Versicherungswert (537 157 Franken) der bisher erworbenen Altertümer angab und dazu meinte:

«Die Zeit wird lehren, dass diese Kapitalanlage in idealer, wissenschaftlicher und gewerblicher Hinsicht reichliche Zinsen tragen wird.»251

Ich komme nun auf die zweite Art von Kaufgeschäften zu sprechen. Es handelt sich um den Verkauf von Dingen, die zuerst als bleibender Wert für die Sammlung des Landesmuseums galten, dann aber umgewertet und zu Handelsgut erklärt wurden. Ein Beispiel dafür ist das ursprünglich zum Sammlungsbestand gehörende Zürcher Porzellan. So wurde 1912 die erste grosse «Doubletten-Auktion»252 mit Stücken aus den Sammlungen des Landesmuseums durchgeführt. Mehr als die Hälfte der versteigerten Gegenstände, 184 Stücke, waren Porzellanobjekte.253 Später folgten weitere Verkäufe und Tausche der «überflüssigen Depots von Zürcher Porzellan», 254 wie die Qualifizierung lautete. Das Zürcher Porzellan gehörte zum Herzstück von Heinrich Angsts privaten Sammlungsbemühungen. An der ersten Landesausstellung 1883, in der Abteilung «Alte Kunst», die Angst mitorganisieren half, konnte er auch Porzellan und Keramik aus seiner Sammlung präsentieren. Diese Ausstellung war nicht nur ein genereller Testlauf für die Publizität von Altertümern, sie wurde auch zum Motor ihrer Wertsteigerung. Als Angst Ende der 1870er-Jahre zu sammeln begonnen hatte, galt das Zürcher Porzellan noch nicht als sammelnswert; nun war es zum Sammlungsgut avanciert. Als Angst dann Museumsdirektor wurde, wertete er seine Porzellansammlung gleich selbst auf, indem er sie zum unabdingbaren Grundstock der Sammlung des Landesmuseums erklärte.255

Wie die Wertsteigerung des Zürcher Porzellans Ende des 19. Jahrhunderts scheint auch dessen Wertverlust mit der Person von Angst eng verbunden gewesen zu sein: Als sich Angst vom Museumsbetrieb distanzierte, befand sein Nachfolger Hans Lehmann, Teile von Angsts Lieblingsbeständen seien entbehrlich. Bei der ersten Auktion war es noch Angst, der als Mitglied der Landesmuseumskommission die Stücke für den Verkauf auswählte.256 Die Preise bestimmte die Firma, die die Auktion organisierte – viel zu tief, wie Angst fand.257 Ein Jahr vor seinem Tod, 1921, wurden Teile der Porzellanbestände aus dem Ausstellungsraum des Landesmuseums entfernt: Man ging daran, «sehr zahlreiches, mehrfach vorhandenes Material auszuscheiden und dadurch eine Überladung der Glasschränke zu steuern».258 Der Moment der Neubeurteilung und Neuordnung wurde «zur Komplettierung der Sammlungen durch neu erworbene wertvolle Stücke»259 genutzt.260 Auch hier zeigt sich, dass das Museum wirtschaftlich agierte: Was aussortiert wurde, war nicht wertlos, sondern von neuem, monetärem Wert. Das Zuviel wurde damit zu einer Kapitalanlage. Der Verkauf war kein Mittel zur Verkleinerung der Menge, sondern zur Verbesserung ihrer Zusammensetzung.

Das Urteil über die für «entbehrlich»261 erklärten Dinge lautete oft: Es handle sich um «gleichartige[s] Material», 262 «Doubletten», 263 folglich um mehrfach vorhandene, gleiche Dinge. Von diesen Dingen wurde dementsprechend auch im Plural gesprochen («Doubletten», nicht «Doublette»). Überzählig war das, was nicht einzigartig, sondern gleichartig war. Es hatte keinen Sammlungswert, aber einen Handelswert. Mit diesem Urteil widersprachen die Museumsbehörden aber gleich in zweifacher Hinsicht ihrem andernorts formulierten Wertesystem: Zum einen gab es nach ihrem Wertesystem eigentlich gar keine Objekte «mehrfach». Zum anderen wurden die bisher gesammelten Dinge als massgebend für die aktuelle Praxis angesehen und entsprechend geachtet.

Zum ersten Widerspruch: Das Landesmuseum sammelte Objekte aus der vorindustriellen Zeit. Das hiess, man ging davon aus, dass «auf dem ganzen Gebiete des Kunstgewerbes früherer Zeiten genau gleiche Objekte nicht erstellt wurden, soweit es sich nicht um Erzeugnisse des Metallgusses oder um mit Hülfe von Modeln und dergleichen hergestellte Gegenstände handelt».264 Trotzdem sprach man von «Gleichartige[m]»: Beim Kauf und Verkauf gelte das Prinzip, «Gleichartiges nur in besseren Exemplaren zu erwerben mit der Absicht, das Minderwertige abzustossen, um so die Sammlungen in ihrer Qualität zu heben, ohne sie überflüssigerweise auszudehnen».265 Die Qualität der Sammlung sollte also dadurch verbessert werden, dass Dinge ersetzt wurden – mit dem Zusatz, dass die Sammlung so nicht vergrössert werde, half man gleich noch, die allgemeinen Bedenken zu verringern. Schwierig ist die gewählte Begrifflichkeit: Wie kann ein Objekt «gleichartig» und doch auch «besser» sein als ein anderes Stück? Eine eigentliche Erklärung dafür findet sich nicht, aber viele widersprüchliche Antworten. Lehmann meinte, man wolle nicht auf die Frage eintreten, «was überhaupt in einer Altertumssammlung als Doublette bezeichnet werden könne, sondern nur bemerken, dass Doubletten in einer Sammlung jedenfalls nur ganz ausnahmsweise wertvolle Objekte sind».266 Indem jedoch vom Wertvollen respektive Wertlosen gesprochen wurde, machte man implizit deutlich, dass es letztlich um eine Bewertungsfrage ging.267 Und da die Museumsbehörden die entsprechende Deutungshoheit besassen, war die Sache damit vom Tisch.

Zum zweiten Widerspruch: Die Verkäufe wurden so dargestellt, als ob die weggegebenen Dinge nie einen Sammelwert besessen hätten. Sie galten aber früher einmal als wertvoll für die Sammlung, wie das Beispiel der Porzellansammlung illustriert. Doch die Museumsbehörden erläuterten die vorgenommene Umwertung nur selten. In den Inventarbüchern wäre eigentlich eine solche Information strukturell vorgesehen gewesen. Sie verfügten über die Spalten, wo die beiden Objektbewegungen, «Eingang» und «Ausgang» festgehalten werden konnten. In der Spalte «Ausgang» hätte eine Begründung für die Weggabe angegeben werden können. Sehr selten nur finden sich hier Einträge wie «Doublettenauktion», 268 «als unverwendbar, wertlos beseitigt», 269 «nicht schweizerisch»270 oder «mottenzerfressen».271 Diese wenigen Begründungen für die Weggabe rekurrieren insgesamt auf den bekannten Wertekanon: einzigartig, materiell intakt, aus der Schweiz.

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