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Die Einführung von Nachweisakten 1937

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In der Zwischenkriegszeit professionalisierte und differenzierte sich der Handel mit Kunst und Kunsthandwerk in der Schweiz und in den umliegenden Ländern zunehmend.1 Die Museumsvertreter waren verunsichert über dieses neue Marktumfeld. Sie zweifelten, ob ihre eigene Urteilsfähigkeit und Fachkompetenz noch ausreichte. Konnten sie den Wert eines Objekts adäquat beurteilen? Waren ihre Ankäufe auch echt und die Objekte, die sie erwarben, in materiell gutem Zustand? Bislang hatten die Museumskonservatoren bei den Erwerbungen auf ihren Kennerblick vertraut, den sie dank der akademischen Schulung oder einem langjährigen Selbststudium und der beständigen Anschauung von Objekten im Sammlungsalltag erlangt hatten. Zudem vertrauten sie auf die Beziehungen zu den wohlbekannten Objektbesitzerinnen und -besitzern sowie zu den Händlern, die ihnen qualitätsvolle Objekte garantierten. Aber nun war der Kreis der Händler grösser und unüberschaubarer geworden im sich kommerzialisierenden Handel. Es war von Fälschungen zu hören, die auf dem Markt zirkulierten. Die Museumsvertreter begannen an der dauerhaften Gültigkeit ihrer Urteile zu zweifeln.2

Der Wandel in der Erwerbungspraxis von Sammlungsstücken war wesentlich dafür verantwortlich, dass sich ein neuer Wissensanspruch im Museumswesen entwickelte. Am Landesmuseum manifestierte sich dies exemplarisch in der Einführung einer neuen Dokumentationsform. Ab 1937 wurden zu wichtigen Sammlungsgegenständen Akten angelegt, in denen der neue Direktor, Fritz Gysin, alle «Angaben über Herkunft, Schicksal, Restaurierung, Publikationen usw.»3 eines Sammlungsstückes festgehalten haben wollte. «Nachweisakten» wurde die Dokumentationsform genannt. Dabei handelte es sich um Inventare mit historisch-genealogischen Angaben über die Objekte. Beim Erwerb von Objekten wollte man neuerdings einerseits wissen, wo ein Stück herkam und welche bisherigen Handwechsel es gegeben hatte. Andererseits wollte man seinen materiellen Zustand und allfällige frühere Restaurierungs- und Konservierungsmassnahmen kennen.

Die Museumsmitarbeiter, welche am Landesmuseum mit der Erwerbung, Inventarisierung und Ausstellung betraut waren, hatten in der Regel eine Ausbildung in Kunstgeschichte oder Ur- und Frühgeschichte. Sie wurden Konservatoren genannt. Während die Konservatoren bezüglich der Herkunft von Objekten selbst nachzuforschen begannen und ihre Ergebnisse dokumentierten, waren sie in Bezug auf Fragen der Objektmaterialität auf fremde Hilfe angewiesen. Sie sahen die entscheidende Hilfestellung zur Überprüfung der Qualität der Objekte ausserhalb ihrer Disziplinen.4 Wie ihre Kollegen an anderen Museen auch, setzten die Mitarbeiter des Schweizerischen Landesmuseums grosse Hoffnungen in die neu entwickelten Techniken und Methoden aus Chemie und Physik und versprachen sich von ihnen neue fundierte Gewissheiten über die Echtheit von Altertümern. Aber erst in der Nachkriegszeit wurde der gewünschte Infrastrukturausbau für chemische und physikalische Untersuchungsmethoden am Landesmuseum realisiert und der technische Unterhalt der Objekte professionalisiert, indem ausgebildete Restauratoren angestellt werden konnten.

Unter dem Titel «Forschen» legt dieses Kapitel das Augenmerk auf die Suche nach neuen Erkenntnissen am Landesmuseum im Zeitraum zwischen 1930 und 1970. Es war eine vielfältige Forschungspraxis, die von der Neuerfassung bestimmter Wissensbestände (Echtheit und Herkunft der Objekte) über die anwendungsorientierte Restaurierungs- und Konservierungsforschung bis zur Grundlagenforschung reichte. Die vier Forschungsjahrzehnte am Landesmuseum weisen einige Merkmale auf, die für die Forschung in der Schweiz zu der Zeit typisch waren: eine arbeitsteilige Spezialisierung, der Versuch, eine Grundlagenforschung zu etablieren, die unabhängig von der anwendungsorientierten Forschung bestand, eine generelle Verwissenschaftlichung und Experimentalisierung, die sich weg von der Werkstatt und ihren realmassstäblichen Lösungsfindungen bewegte, hin zum Labor, das auf Simulation und Modellkonstruktion abstellte, sowie grosse Investitionen in die Forschungsinfrastrukturen, besonders in den 1960er-Jahren.5

Zuerst geht es im Kapitel «Auf der Suche nach der ‹inneren Geschichte› der Objekte» um das neue Erkenntnisinteresse an der historisch-geneaologischen Dimension der Objekte und um die entsprechenden Forschungsaktivitäten. Die Handelsbeziehungen um 1930 veränderten sich und damit einhergehend die Forschungsinteressen; bestehende Gewissheiten wie jene über die «Echtheit» eines Objekts und über neue Objektpraktiken wurden verabschiedet. Die Museumsbehörden generierten mit ihren Nachforschungen und Informationsbeschaffungen neues Wissen, das erst noch formalisiert werden musste. Während die Nachforschungen der Konservatoren zur Herkunft der Objekte bereits Anfang der 1950er-Jahre wieder in die Bedeutungslosigkeit versinken sollte, wurde die Frage nach der Materialgeschichte der Objekte zum brennenden Thema der 1950er- und 1960er-Jahre.

Wie die Forschungsinteressen hinsichtlich des Materialzustands der Sammlungsstücke sich entwickelten, thematisiert das Kapitel «Durchsichtige Sammlungsstücke». Angefangen mit der Darstellung der technischen Arbeiten am Objektmaterial vor 1930, werden daraufhin die enormen Entwicklungen der Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg aufgezeigt – vorangetrieben von den Mitarbeitern und endlich auch Mitarbeiterinnen des Landesmuseums und unterstützt von den politischen Behörden, die allesamt das Landesmuseum als eine Forschungsanstalt verstanden wissen wollten.6 Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Veränderungen in der Restaurierungsarbeit gelegt. Vom Einsatz von neuen Technologien versprach man sich mehr, als nur neue Aufschlüsse über den «ursprünglichen»7 Zustand der Objekte zu erhalten. Es gab die Hoffnung, dass ein Objekt auch wieder in diesen Zustand zurückgeführt werden konnte.

Anhäufen, forschen, erhalten

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