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Kein Einfluss auf den Geschenkfluss

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Ein Bereich aber lag bis zu einem gewissen Grad ausserhalb der Deutungshoheit der Museumsbehörden: die Objekte, die durch Schenkungen oder sogenannte «En-bloc-Ankäufe»175 in das Landesmuseum kamen. Mit En-bloc-Ankäufen wurden Sammlungen oder Objektgruppen bezeichnet, die als Einheit zum Kauf angeboten wurden. Dabei musste der angebotene Gesamtbestand erworben werden, auch wenn sich ein Interessent nur für ein Stück begeistern konnte.176 Die Museumsbehörden waren bereit zu solchen Geschäften, weil sie den üblichen Handelspraktiken entsprachen.

Anders gelagert war der Fall der geschenkweise angebotenen Objekte. Noch bevor die Debatte über das Raum-Menge-Verhältnis 1915 im Nationalrat zum zweiten Mal lanciert wurde, äusserte der Präsident der Landesmuseumskommission, Eduard Vischer-Sarasin, in einer Kommissionssitzung, «dass es sich empfehlen dürfte, wenn die Direktion in Zukunft bei der Annahme von Geschenken für das Landesmuseum etwas strenger vorgehen und alles das refüsieren würde, was für dessen Sammlung kein Interesse besitzt».177 Und Roman Abt, ein in Kunstkommissionen und -vereinen engagierter Bahningenieur aus Luzern, ab 1911 Mitglied der Landesmuseumskommission, 178 glaubte allein mit der Steuerung der Schenkungen erreichen zu können, dass im künftigen Erweiterungsbau «auch für nachfolgende Erwerbungen Raum bliebe».179

Die Geschenke wurden als Ursache für den Platzmangel angesehen, und Hans Lehmann wurde vorgeworfen, dafür mitverantwortlich zu sein. Gesetzlich war festgelegt worden, dass die Sammlung des Landesmuseums durch Ankäufe, Geschenke und Depositen geäufnet werden konnte.180 Die Museumskommission war es, welche über die Kauf- und Tauschofferten verfügte. Sie war zuständig für Objektankäufe bis zu einem Wert von 10 000 Franken; Ankäufe über 10 000 Franken mussten vom EDI genehmigt werden. Die Möglichkeiten des Direktors waren beschränkter: Ihm stand bloss ein jährlicher Ankaufskredit von 3000 Franken zur Verfügung.181 Geschenke anzunehmen oder abzulehnen lag nun aber allein im Ermessen der Direktion. Dass andere Museumsmitarbeiter mitentscheiden konnten, ist nicht anzunehmen, hatte Lehmann doch kaum je einmal Geschäfte delegiert.182 Doch sich um die Geschenke zu kümmern, bedeutete für den Direktor keine sehr grosse Handlungsfreiheit, denn bei der Annahme von Schenkungen galten andere Prinzipien als bei den Ankäufen. Schenkungen waren ein heikler Gabentausch, der verlangte, dass die Reputationsbedürfnisse und die emotionale Verfasstheit des Gegenübers berücksichtigt wurden. Bei der Entgegennahme von Geschenken müsse mit Vorsicht verfahren werden, «um nicht die Sympathien, die sich damit für das Museum bekunden, zu schmälern».183 Lehmann wollte Kränkungen unbedingt vermeiden, denn seiner Ansicht nach konnten durch Schenkungen wertvolle Dinge gesammelt werden, die sich käuflich nicht erwerben liessen, weil sie preislich für das Museum unerschwinglich waren oder gar nicht auf dem Kunstmarkt zirkulierten.184

Lehmann, so hat man den Eindruck, war bereit, auf gewisse Selektionen zu verzichten, um an wertvolle Objekte zu gelangen, und verteidigte daher seine Annahme von Geschenken bis zu einem gewissen Grad: Nach ihm waren die Donationen nicht nur quantitativ bedeutend für die Sammlung, sondern auch qualitativ wertvoll. Er rechnete vor, dass der Inventarwert der Geschenke im Eröffnungsjahr 1898 nicht halb so viel betragen habe wie derjenige der Ankäufe, 1923 aber fast gleich hoch gewesen sei.185 Werde bei den Ankäufen stets genau Rechenschaft abgelegt wegen der «räumlichen Verhältnisse», 186 so sei dies nicht im selben Mass möglich, wenn es sich um Geschenke und Legate handle, die dem Museum «stetsfort in reichem Masse zuflossen», 187 wenn man die Sympathien nicht verspielen wolle. Die Kommissionsmitglieder waren sich der besonderen Verhältnisse zwar bewusst, erwarteten vom Direktor aber trotzdem, dass er unerwünschte Stücke zurückweise und gleichzeitig «die Gebefreudigkeit des Publikums»188 nicht aufs Spiel setzte.189

Der besondere «Mechanismus der Schenkungen und Stiftungen»190 findet sich in museumskritischen Schriften beschrieben. Beispielhaft ist dafür Paul Valérys Essay über Das Problem der Museen von 1923. Valéry schrieb:

«Le mécanisme des dons et des legs, la continuité de la production et des achats, – et cette autre cause d’accroissement qui tient aux variations de la mode et du goût, à leurs retours vers des ouvrages que l’on avait dédaignés, concourent sans relâche à l’accumulation d’un capital excessif et donc inutilisable. […] Mais le pouvoir de se servir de ces ressources toujours plus grandes est bien loin de croître avec elles. Nos trésors nous accablent et nous étourdissent.»191

Die Urteile über die Objektmenge in den Ausstellungsräumen des Schweizerischen Landesmuseums gleichen demjenigen Paul Valérys: Sie wurde als zu gross und in ihrer Form als unzweckmässig empfunden. Schenkungen waren wichtig für den Aufbau der Museen gewesen. Nach dem «Institutionalisierungserfolg»192 zeigten sich die Museen aber oft überfordert, weitere anzunehmen, besonders wenn sie zuweilen noch mit besonderen Konditionen verbunden waren.193 Andererseits konnte dieses wahrgenommene «Übermass» im konkreten Umgang mit der Sammlung auch nützlich sein, wie sich zeigen wird.

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