Читать книгу Anhäufen, forschen, erhalten - Anna Joss - Страница 4
Оглавление«Man betrachte alle diese Dinge in dem Museum mit rechten Augen und bedenke dann die erstaunlichen Mengen gleichartiger Dinge, die notwendig in Gebrauch gewesen sind; man denke an die Millionen Teller, die während des hier vergegenwärtigten Zeitabschnittes hergestellt und in Gebrauch genommen werden mussten; danach erwäge man den Zugriff aller vorstellbaren zerstörenden Ursachen auf diese unermessliche Anzahl von Stücken; man denke an die Tonnen Scherben, an die Trümmerberge, die zu dem, was übriggeblieben ist, hinzuzurechnen sind; man denke an die Sterblichkeitsquote all dessen, was zerbrechlich ist; an die wahrscheinliche Lebensdauer einer Untertasse oder einer Gemüseschale… […]
Nichts gleicht dem bis zum heutigen Tage angehäuften Kapital unserer Kenntnisse, unserem Haben im Buche der Geschichte so, wie diese Sammlung von Dingen, die der Zufall uns erhalten hat. All unser Wissen ist wie sie ein Rückstand. Unsere Geschichtsurkunden sind Strandgut, das ein Zeitalter einem anderen überlässt, wie es der Zufall will, und in vollem Durcheinander.
Doch kundige und fromme Hände heben da und dort auf, was von diesen Überbleibseln übriggeblieben sein mag, ordnen sie nach bestem Wissen und Können und setzen sie, so gut sie es eben vermögen, zu einem Gesamtbild zusammen, das uns ans Denken bringt und Umrisse erkennen lässt. Wenn wir sagen: ‹Stil Louis XV›, geben wir in Wirklichkeit nur einer dieser Zusammenstellungen von Reliquien und immer wiederkehrenden Wiederholungen einen Namen – mit all der Willkür, die dazu gehört. […]
Wie viele Lücken! Sicherlich. … Doch lasst uns ein wenig weiterdenken: wir werden dann alsbald finden, dass, hätten wir das Ganze, wir damit ganz und gar nichts anzufangen vermöchten. Es gäbe nämlich dann für unseren Geist nichts zu tun.»
Paul Valéry: Variationen über die bebilderte Keramik, in: ders.: Über Kunst. Essays, Frankfurt a. M. 1959 [Fr. 1931], S. 158–165, hier 163f.