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Die enge Verschränkung von Objekterwerbung und -präsentation

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1890 beschloss die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft die Gründung und den Bau eines Nationalmuseums. Mit ihrem Entschluss, einen Bau zu errichten, brachte sie ein statisches Moment in die laufenden Sammlungstätigkeiten.63 Bisher hatte der Museumsbau an zweiter Stelle der Förderung auf Bundesebene gestanden: An erster Stelle kam die staatliche Erwerbung von Objekten. Nach zwei erfolglosen Versuchen (1799 und 1880), ein Nationalmuseum zu realisieren, wurde 1884 als erster staatlicher Akt für 60 000 Franken eine Sammlung prähistorischer Objekte erworben. Darauf folgend beschlossen die eidgenössischen Räte 1886, für weitere Ankäufe einen «Altertümerkredit» einzurichten in der Höhe von 50 000 Franken. Ganz im Sinn der föderalistischen Kräfte wurde der Kredit für zwei Aufgaben eingesetzt: zum Aufbau der bundesstaatlichen Sammlung und zur gezielten finanziellen Unterstützung der Kantone bei ihren Sammlungsbestrebungen. Die Frage, inwiefern der Kredit ein Schritt in Richtung Schaffung eines Nationalmuseums sei, wurde in den Räten zwar diskutiert, blieb aber vorläufig unbeantwortet. Daher wurden die erworbenen Objekte provisorisch «auf neutralem Territorium», 64 in den ehemaligen Archivräumen des Bundesratshauses, aufgestellt.65 Der Bund delegierte die Frage der Schaffung eines Nationalmuseums auf elegante Weise an die Kantone und stachelte deren Ehrgeiz an, indem er sie aufforderte, einen passenden kantonalen Bau und einen bedeutenden Sammlungsgrundstock als Ausgangspunkt für ein Nationalmuseum vorzuschlagen. Basel, Bern, Luzern und Zürich bewarben sich als Museumssitz; Zürich erhielt dann den Zuschlag.

1890 war die Errichtung eines Nationalmuseums beschlossen. Von da weg wurde die staatliche Aufgabe der Erwerbung und Bewahrung von Objekten in starker Abhängigkeit vom dafür geschaffenen Museumsbau und seinen Ausstellungsräumen gesehen. Sie wurden zur entscheidenden Bezugsgrösse für die Sammlung.66 Für die Museumsverantwortlichen wurde es zum Programm, durch das Zeigen von Dingen Wissen zu vermitteln. Das Publikum sollte sich durch die Betrachtung der Objekte im Ausstellungsraum bilden können.67 Was zählte, war die Objektpräsentation im Museumsraum.

Das Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Präsentationskonzept prägte die Sammlungspraxis des Landesmuseums in den folgenden Jahrzehnten entscheidend. Im Wettbewerbsprogramm für den Museumsbau, also in der Planungsgrundlage für die Städte, die sich um den Sitz des Museums bewerben wollten, wurde der enge Bezug von Sammlung und Ausstellungsraum propagiert. Das Museumsgebäude wurde als Behälter verstanden, um die Sammlungsstücke zu zeigen. Ziel war es, die Sammlung und das Museumsgebäude als ein über Jahrhunderte herangewachsenes Ensemble darzustellen. Man wollte die gesammelten Gegenstände «so weit wie möglich in ihre ursprüngliche Umgebung»68 zurückversetzt präsentieren: die Waffen in einer zeughausähnlichen, grossen Halle, die Kleinodien in einer Schatzkammer und so weiter.69 Es wurde festgelegt, welche Sammlungen wie viele Quadratmeter Raum im Museumsgebäude erhalten sollten.70 Und für jeden Gegenstand sollte in einer bestimmten Sammlungsabteilung «die genaue Stelle»71 im Raum bestimmt werden. Ein solches Konzept verlangte nicht nur nach einem genau bemessenen Raum, sondern auch nach einer berechenbaren Objektmenge. Beides fehlte. Die Realisation des Ensembles aus Bau und Sammlungsstücken wurde zum Problem, wie auch seine Handhabe im Sammlungsalltag.

Der Bau des Landesmuseums wurde unter der Leitung des Architekten Gustav Gull errichtet, zusammen mit dem Gebäude für die Kunstgewerbeschule der Stadt Zürich, das auf dem gleichen Gelände zu stehen kam.72 Als mit Bauen begonnen wurde, wusste niemand genau, welche Sammlungsstücke in das Landesmuseum kommen sollten, denn die Sammlung befand sich erst im Aufbau. Wenn auch die bereits vom Bund erworbenen Gegenstände und die Objekte, die der Museumsstandort Zürich beizusteuern hatte, bekannt waren, kamen doch stets neue Stücke hinzu. Das Landesmuseum wurde auf der Basis eines groben Ausstellungskonzepts gebaut, ohne dass detaillierte Entwürfe der Museumsarchitektur vorlagen. Die fehlende Planungsgrundlage in Verbindung mit dem Anspruch einer engen Verschränkung von Gebäude und Sammlung führte während des Bauprozesses zu Kompetenzstreitigkeiten und Reibereien zwischen der Bauleitung und den Museumsbehörden. Aus diesem Grund verzögerte sich das Bauvorhaben.73

Die Schwierigkeit, ein Ensemble von Sammlung und Museumsbau zu realisieren, machte sich besonders deutlich bemerkbar bei den «bauliche[n] Altertümer[n]», 74 die als verbindendes Element zwischen Sammlungsstücken und Museumsarchitektur direkt in das Gebäude eingesetzt wurden.75 Während des Baus wurden Steinportale, Zimmerdecken, Täfer und Türen erworben für den inneren Ausbau des Museumsgebäudes. Sie sollten gemäss Museumsdirektor Heinrich Angst nicht nur als «malerische und lehrreiche Sammlungsobjekte»76 dienen, sondern auch einen «unendlich bessern Rahmen und Hintergrund für die Altertümer selbst» abgeben, als es «moderne architektonische Gebilde»77 seiner Meinung nach konnten.

Das Ergebnis der alternierenden Tätigkeiten von Bauen und Erwerben war, dass zuletzt an vielen Orten die ausgestellten Objekte in Konflikt mit der architektonischen Substanz gerieten. Die Vorstellung, dass jedes Ding seinen festen Platz haben sollte, nun aber die Dinge und Plätze nicht zueinander passten, führte nach der Schilderung im Jahresbericht zu einer merkwürdigen Situation bei der Museumseröffnung von 1898. Das Gebäude war gleichzeitig überfüllt und leer: Einem Teil der bereitgestellten Vitrinen fehlte am Eröffnungstag der Inhalt. Leer, wie sie waren, blieben sie mit Vorhängen verhüllt.78 Zugleich beklagte die Direktion, dass zu wenig Platz vorhanden sei, um die stetig wachsende Objektmenge ausstellen zu können.79

Im Sammlungsalltag der folgenden Jahre lag das grösste Problem darin, wie die neu in die Sammlung eingegangenen Objekte im statischen Gefüge von Sammlung und Raum platziert werden sollten. Hans Lehmann, der 1903 die Nachfolge von Heinrich Angst als Direktor am Museum antrat, schreibt dazu:

«Überall stösst die angreifende Hand auf Schwierigkeiten, die durch die eigentümliche, individuelle Raumgestaltung, oder durch die für den Reichtum der Sammlung sehr drückende Enge des Gebäudes entstehen. Wohl wurde an manchen Stellen versucht, früher ausgestellte Objekte durch seither erworbene, charakteristischere oder bessere zu ersetzen; doch zeigte die Erfahrung, dass das bisherige Gleichgewicht der Anordnung und Verteilung der Objekte leicht zu Schaden kommt. Oft steht die Direktion vor der Wahl, interessante Objekte entweder im Depot zu behalten, oder dann in einer Weise auszustellen, die doch nur als ein Notbehelf und nicht als eine definitive Eingliederung betrachtet werden kann.»80

Das Landesmuseum war mit seinem «Reichtum der Sammlung»81 und der «sehr drückende[n] Enge des Gebäudes»82 nicht alleine. Diese Problematik war in der damaligen nationalen und internationalen Museumslandschaft allgegenwärtig.83 Salopp gesagt lässt sich von einem Systemfehler sprechen. Das geht aus der Dokumentation einer Konferenz in Mannheim hervor, wo sich 1903 die Direktoren von natur-, kunst- und kulturgeschichtlichen Museen aus den deutschsprachigen und skandinavischen Ländern trafen, um darüber zu beraten, «wie die Schätze der Museen weiteren Schichten des Volkes nutzbar gemacht werden können».84 Die Konferenzteilnehmer waren sich einig, dass man bei der Errichtung der Museen zu wenig an ein künftiges Wachstum der Sammlungen gedacht hatte und daher nun die vorhandenen Räumlichkeiten für die Objektmengen zu klein waren.85 Eduard Leisching, der Direktor des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie in Wien, brachte die Problematik folgendermassen auf den Punkt:

«Man dachte nie an das Wachsen der Sammlungen […]. Indem man versäumte, bei der Wahl des Platzes auf wachsendes Raumbedürfnis zu achten, hat man überall Museen, die von unten bis oben überfüllt, jeder inneren Bewegung beraubt sind und Gefahr laufen, zu ersticken.»86

Diese Raum-Menge-Problematik stellte sich zwar auch in Archiven und Bibliotheken, die mit vergleichbaren Bewahrungsabsichten wie die Museen geschaffen worden waren.87 Doch bei den Museen manifestierte sie sich in verschärfter Form. Das lag an den über das 19. Jahrhundert hinaus bestehenden Auffassungen vom Wesen des Museums: erstens in der Vorstellung vom Museum als Bewahrungsstätte einer abgeschlossenen Vergangenheit; zweitens in der Idee, dass das Ansehen des Museums mit der Grösse seiner Objektmenge wachse; und drittens im Anspruch, die Museumsbesucher durch die Präsentation aller Sammlungsobjekte in den Ausstellungsräumen zu bilden.

Ich will diese drei Auffassungen am Beispiel des Landesmuseums genauer darlegen und dabei zeigen, wie sie mit verschiedenen Machtfragen verbunden waren: der Frage nach der Zugänglichkeit der Sammlung für bestimmte Personenkreise, der Frage nach dem kantonalen oder regionalen und eidgenössischen Einflussbereich und der Frage nach den politischen und wissenschaftlichen Wirkungsmächten.

Vorweg ist Folgendes zu bemerken: Die Meinungsallianzen verliefen weder nach dem Schema Parlament gegen Museumsbehörden, noch waren eindeutige parteipolitische Grabenkämpfe auszumachen. Es gab wechselnde Lager von Befürwortern und Gegnern bestimmter Lösungsvorschläge. Als wichtige Scharnierstelle zwischen der politischen Exekutive und der Museumsdirektion wirkte die Landesmuseumskommission: Sie war 1891 als Kontrollinstanz eingesetzt worden, um die Geschäfte des Landesmuseums und seiner Direktion zu überwachen. Die Kommission stand unter der Oberaufsicht des Bundesrats. Der Bundesrat des Departements des Inneren, der für das Landesmuseum zuständig war, nahm an den Sitzungen der Landesmuseumskommission nur manchmal teil.

Über die Beziehungen der Kommissionsmitglieder zu den Parlamentariern ist in den Quellen wenig zu erfahren. Sicherlich bestanden zwischen ihnen teilweise engere Bindungen, denn die Mitglieder (Kunsthistoriker, Architekten, Archivare oder Museumsdirektoren) waren selbst oft politisch aktiv als Grossräte, Regierungsräte oder Ständeräte. Ferner war der Stadtpräsident von Zürich ständiges Mitglied der Kommission.88 Die einzelnen Positionen der Mitglieder innerhalb der Museumskommission zu eruieren, ist aber kaum möglich. Namentliche Nennungen sind in den Sitzungsprotokollen selten. Für die Debatten in den Ratssessionen verfassten die Kommission und der Museumsdirektor jeweils zuhanden des Bundesrats Stellungnahmen, wobei die Stellungnahmen der Kommission meist auf einem vom Museumsdirektor erstellten Papier basierten. Der Bundesrat übernahm die Stellungnahmen oft eins zu eins.

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