Читать книгу Duftapotheke Bundle. Bände 1-3 - Anna Ruhe - Страница 22
Оглавление14. Kapitel
Die Geräusche aus dem Nebenraum rüttelten an mir. Ich zwang mich, aus der Langsamkeit aufzuwachen, was gar nicht so leicht war.
Die Schritte wurden lauter.
Ich musste wacher werden! Jetzt! Mats seufzte immer noch vor sich hin und Benno nörgelte. Die beiden reagierten überhaupt nicht auf die Geräusche vor der Tür. Der »Duft der Langeweile« hatte uns fest im Griff. Mist, warum hatten wir den Duft auch hier ausprobiert und nicht woanders, wo wir sicher gewesen wären! Ich hätte mir doch denken können, dass hier jemand auftauchen konnte. Jemand, mit dem der Anrufer von vorhin hatte sprechen wollen.
Die Geräusche waren jetzt direkt vor der Tür. Mit großer Anstrengung zwang ich meinen Körper, sich zu bewegen. Ich griff Mats und Benno jeweils an einem Arm und zerrte die zwei durch die Tür im Regal zurück in das enge Büro. Leise schloss ich sie hinter uns.
Im gleichen Moment hörten wir, wie sich ein Schlüssel im Türschloss zweimal um sich selbst drehte und so die Tür zur Duftapotheke öffnete. Schwere Schuhe traten ein. Vor Schreck stieß ich gegen Mats, der neben mir stand und wie wild blinzelte, als wolle er sich selbst aufwecken. Ich spähte durch die Türritzen, um mehr zu erkennen.
Hinter mir schrillte plötzlich das Telefon los.
Oh nein! Die Schritte wurden wieder lauter. Hektisch sah ich mich um, auf der Suche nach einem Versteck. Gleich würde der, der da draußen war, hier hineinkommen und den Hörer abnehmen. Ich drückte Benno ganz fest an mich. Es blieb uns nur der Fahrstuhl, der uns hier runtergebracht hatte. Aber wenn wir ihn jetzt in Gang brachten, würde der Lärm der Eisenketten, die den Fahrstuhl hochzogen, uns sofort verraten. Das alte Teil war schon bei unserer ersten Fahrt so ohrenbetäubend laut gewesen, dass ich mich immer noch wunderte, dass das Ding unseren Pa nicht aufgeweckt hatte.
Das Telefon schrillte ein zweites Mal.
Nein, der Fahrstuhl war unsere einzige Möglichkeit! Einen anderen Ort gab es nicht und immerhin war der Fahrstuhl hinter einer dicken Tür versteckt.
Also schlüpfte ich mit Benno voraus und zog Mats hinter uns her. Die Tür im Regal, die das Büro von der Duftapotheke aus öffnete, schob sich auf. Im gleichen Moment schloss ich die Tür vor dem Fahrstuhl.
Jemand trat in das Büro ein. Ein dumpfes Rumsen war zu hören und kurz darauf ein erleichtertes Stöhnen.
Ich versuchte, durch die Ritzen im Holz zu spähen. Viel erkannte ich nicht, eigentlich nur Bruchstücke wie bei einem Puzzle. Aber es waren genug, um zu erkennen, dass sich tatsächlich Willem Boer in den Drehstuhl vor dem Schreibtisch gesetzt hatte. Er saß mit dem Rücken zu uns, aber seine verschmierte Latzhose und sein abgetragenes Cap über den grauen Locken waren auch von hinten unverkennbar.
Das Telefon hörte auf zu schrillen.
»Ja bitte?« Die Worte des Gärtners grollten langsamer als sonst ins Telefon. Ob ihn der »Duft der Langweile« genauso benebelte?
Pause.
»Versprechen kann ich gar nichts!«, sagte er und klang noch unfreundlicher als sonst schon. »Das muss Ihnen unter den derzeitigen Umständen doch klar sein.«
Wieder Stille.
»Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann. Sollte ich fündig werden, melde ich mich.«
Rums! Der Telefonhörer landete scheppernd auf der Gabel und ich hörte Willem leise fluchen. Trotzdem verließ er das Büro nicht.
Mats stand so unbeweglich wie eine Statue hinter mir und schien das Atmen aufgegeben zu haben.
Willem stellte irgendetwas auf den Schreibtisch. Ich wanderte mit zusammengekniffenen Augen am Spalt im Holz entlang, um mehr zu erkennen. Da stand ein Flakon. Ich beugte mich näher an den Spalt heran, um das Etikett zu erkennen, zuckte aber in der nächsten Sekunde zusammen. Oh Mann, Willem saß gar nicht mehr im Schreibtischstuhl. Wo war er hin? Hatte er uns etwa gehört?
Kurz warf ich Benno Blicke scharf wie Laserstrahlen zu. Jedes Mal wenn ich mit meinem Bruder Verstecken spielte, verriet ihn sein Kichern. Jetzt durfte ihm nicht der leiseste Mucks rausrutschen.
Mein Blick fiel auf die Türklinke rechts neben mir. Als wir hier angekommen waren, hatten wir den Knauf auf der linken Seite betätigt, aber wozu war eigentlich die Klinke da? Ich sah zu Mats hinauf und zeigte stumm darauf. Doch er schüttelte nur heftig den Kopf, damit ich ja nichts tat.
Auch wenn ich Willem nicht sehen konnte – seine Schritte kamen näher. Ob er uns gehört hatte und ahnte, dass jemand im Fahrstuhl steckte? Durch die Ritzen sah ich die hohe Gestalt des Gärtners. Um ein Haar hätte ich vor Schreck losgeschrien, als ich erkannte, dass er direkt vor uns stand. Ohne die Tür zwischen uns hätte er uns direkt in die Augen sehen können. Ich spürte, wie mir die Aufregung durch den Körper jagte und mein Herz zu hämmern begann.
Mats hielt seine Hand über den Türknauf, damit Willem im Fall der Fälle die Fahrstuhltür nicht öffnen konnte. Seine Hand zitterte.
Da klingelte noch einmal das Telefon.
Willem schnaufte genervt und drehte sich schwerfällig um. Ein neuer dumpfer Rums ließ mich darauf schließen, dass er nach seiner kurzen Suche wieder am Schreibtisch Platz genommen hatte. Vorsichtig traute ich mich, durch den Türspalt zu linsen. Ja, er saß auch jetzt mit dem Rücken zu uns. Das Telefon klingelte ein zweites Mal und er nahm ab.
»Hm?«
Vergeblich lauschte ich auf die Geräusche aus dem Hörer.
»Nein, eine Bestellung in diesem Umfang ist nicht mehr möglich«, knurrte Willem ins Telefon, ohne mit einem »Hallo« oder irgendeiner anderen Begrüßung anzufangen.
Er lachte kurz und kratzig. »Dies ist ein äußerst seltener Duft, Monsieur. Einer aus der Kategorie ›Besonders gefährlich‹. Davon sind mittlerweile nur noch geringe Mengen lieferbar. Die Zutaten halten nun mal nicht ewig. Aber … unter Umständen könnte ich Ihnen noch drei Milliliter zukommen lassen.«
Stille.
»Wie schön. Ich erwarte in den nächsten Tagen einen angemesseneren Preis von Ihnen, dann kann ich es vielleicht ermöglichen.«
Ohne ein weiteres Wort der Verabschiedung legte Willem den Telefonhörer auf die Gabel.
Ich drückte mich enger an die Türritzen und sah, wie er den Flakon vom Tisch nahm und ihn im Licht der Deckenlampe drehte, als ob er etwas darin suchte.
Ich hätte wirklich gern gewusst, was auf dem Etikett stand, aber es war unmöglich, es von hier aus zu erkennen. Alles, was ich sah, war, dass es eine dunkle Flüssigkeit in einem schmalen Fläschchen war.
»Dieses verdammte Pulver …«, raunte der alte Mann.
Plötzlich kam Bewegung in ihn. Mit einem Satz stand er auf, griff sich das Fläschchen und schob den Schreibtischstuhl an den Tisch zurück. Dann quietschte die Tür im Regal und im nächsten Moment klackte sie zu.
Wir waren wieder allein im Büro.
Ich atmete in einem langen Zug aus und lächelte zu Benno hinunter. Er stand stocksteif an mich gepresst und mir wurde ganz komisch ums Herz. Warum hatte ich ihm nur erlaubt, mit hierherzukommen? Was war ich denn bitte schön für eine große Schwester? Wenn Willem uns hier erwischt hätte! Dem war doch alles zuzutrauen!
Ich griff nach der Klinke statt nach dem Knauf und drückte sie nach unten. Nur einen winzigen Spalt schob ich die Tür auf und lugte in den finsteren Raum.
Neben mir tastete Mats nach einem der alten Drehlichtschalter und machte das Licht an. Ungläubig verharrten wir an Ort und Stelle. Vor uns lag nicht mehr das Büro, in dem Willem gerade noch gesessen hatte, sondern ein völlig neuer Raum.
Einer, der ganz neue Möglichkeiten bereithielt.
Wir hatten die Destille gefunden.
Sie war genauso beengend wie das Büro, nur mit der Ausnahme, dass statt eines Schreibtischs überall Reagenzgläser, Bunsenbrenner und die unterschiedlichsten Gefäße herumstanden. An der Decke flammten auch hier die gelben Gaslampen. Alles um uns herum erinnerte an das Labor irgendeines verrückten Professors. Es türmten sich kleine Kisten und Gläser mit Kristallen, Pülverchen, Blüten und getrockneten Pflanzenresten.
Auf einem der Holztische an der Wand stand eine breite Glaskonstruktion. Schmale, dicke oder runde Röhrchen und Reagenzgläser waren miteinander verbunden. Das Ganze sah so verzweigt und chaotisch aus wie die in Glas gegossenen Gänge eines Kaninchenbaus.
»Luzie? Was ist das?«, fragte Benno und ging auf die vielen verbundenen Glasröhrchen zu.
»Das ist eine Brennerei«, sagten Mats und ich gleichzeitig.
»Hier werden bestimmt die Düfte hergestellt«, fügte Mats hinzu und schloss die Fahrstuhltür hinter uns. In dem Moment wurde mir klar, dass Willem ja jederzeit zurückkommen konnte. Wenn er in der Duftapotheke angerufen wurde, dann kannte er ganz sicher auch dieses Zimmer.
Ich suchte nach einem neuen Versteck oder, besser noch, nach einem Ausgang. Und insgeheim verfluchte ich mich dafür, dass ich Pa heute Morgen nichts von der Duftapotheke erzählt hatte. Jetzt wusste niemand, wo wir abgeblieben waren. Niemand würde uns hier jemals finden, falls uns Willem doch erwischte.
Benno zog mich am Ärmel und riss mich aus meinen Gedanken.»Ich will nicht mehr hier sein. Ich will nach Hause!«
Ich lächelte Benno an und strich ihm über den Kopf. Als ich zu Mats hinübersah, war mir sofort klar, was er dachte. Er drückte sich mit aller Kraft gegen die Tür und hielt sie auf diese Weise verschlossen. Es war gefährlich, abzuwarten und zu hoffen, dass Willem vor uns die unterirdische Apotheke verließ. Nur, was blieb uns anderes übrig?
Mats flüsterte: »Vielleicht gibt es noch einen anderen Ausgang?«
Wir lauschten in die Räume nebenan und ich wünschte mir, dass sich hier einfach wie von Zauberhand ein zweiter Weg nach draußen auftat. In meiner Verzweiflung stemmte ich mich mit beiden Händen kräftig gegen jede einzelne Wand, in der Hoffnung, eine von ihnen würde nachgeben. Sich zum Beispiel drehen und uns direkt in den Garten führen. Natürlich passierte nichts in der Art. Um uns herum waren nur normale Wände.
»Was riecht denn hier auf einmal so komisch?«, fragte ich und wirbelte zu Benno herum. Er stand immer noch vor den Reagenzgläschen der Destille. Aber jetzt sah ich, dass ein Bunsenbrenner brannte und eine durchsichtige Flüssigkeit in dem Reagenzgläschen darüber brodelte. Bennos Augen wurden tellergroß, während Wasserdampf aus den Blubberblasen aufstieg und durch die Glasröhrchen zog. In einem der Röhrchen waren zerkleinerte Blüten und Blätter. Eine hellblaue Flüssigkeit tropfte aus dem Pflanzenmatsch in einen Flakon.
»Mann, Benno! Du solltest nichts hier unten anfassen! Schon wieder vergessen? Eine Armlänge Abstand zu allem!« Ich zischte meine Worte, so leise ich konnte, und suchte nach etwas, womit ich den Bunsenbrenner wieder ausmachen konnte. »Wie hast du den überhaupt angemacht?«
»Ich hab gedreht, dann hat ein Funke die Flamme da gemacht«, murmelte Benno leise.
Sprachlos schüttelte ich den Kopf. Am Ende der Destille fielen kleine Tröpfchen in einen dafür bereitgestellten Flakon. Hellblaue Dunstwolken stiegen daraus auf und waberten durch das Labor. Die Wolken glitzerten und es sah aus, als würden Tausende Glühwürmchen in den blauen Duftwolken tanzen.
»Jetzt wissen wir immerhin, wo und womit die Flüssigkeiten in den Fläschchen hergestellt werden«, versuchte Mats, mich zu beruhigen, und drehte mit einer schnellen Handbewegung den Bunsenbrenner einfach wieder aus. Das Köcheln in den Glasröhrchen ebbte ab, der Dampf verflog und die Tröpfchen wurden kleiner und fielen langsamer.
Der Boden des Flakons am Ende der Destille war mit einer hellblauen Flüssigkeit bedeckt. Es roch zart und gut. Eigentlich nach nichts Besonderem, jedenfalls nach nichts, was ich wiedererkannte. Bevor noch mehr Duftwolken aus dem Flakon stiegen und sich die Pfütze darin verbrauchte, griff ich mir einen Korken, der ebenfalls neben dem Flakon bereitlag. Eilig stopfte ich ihn in das Fläschchen und verschloss es.
Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Mats wieder sein Ohr gegen die Tür drückte, die in den Fahrstuhl zurückführte.
»Und? Ist er noch da?«, flüsterte ich.
Mats hob die Schultern. »Ich hab nichts mehr gehört. Falls ja, dann verhält er sich mucksmäuschenstill.«
»Okay, versuchen wir es.« Ich griff mir Bennos Hand. »Nichts wie raus hier!«
Langsam schob Mats die Tür auf. Er tat das so behutsam und vorsichtig, wie man eben knarrende uralte Türen öffnen konnte. Völlig geräuschlos gelang es ihm nicht. Wir quetschten uns wieder in der Enge aneinander und schoben das Metallgitter des Fahrstuhls vor uns zu. Ich drehte den Schlüssel und im nächsten Moment ratterten wir nach oben.
Ich überlegte, ob Willem auch einen Schlüssel für unseren Fahrstuhl hatte, und drückte uns ganz fest die Daumen, dass es nicht so war. Alles andere würde nämlich bedeuten, dass der Gärtner genauso einfach in die Villa Evie kam wie wir in die Duftapotheke.
Und das war ein ziemlich gruseliger Gedanke.
Endlich zu Hause verschloss ich den Fahrstuhl und drehte an dem geschnitzten Efeublatt im Treppengeländer. Die Holzwand schob sich wieder zusammen und der Fahrstuhl verschwand hinter der Wandvertäfelung.
Man konnte fast vergessen, was sich dahinter versteckte. So, als wäre hier nie etwas gewesen.