Читать книгу Duftapotheke Bundle. Bände 1-3 - Anna Ruhe - Страница 21
Оглавление13. Kapitel
Ich drehte mich um und rannte durch die Duftapotheke zur Tür, die vom Gewächshaus hierherführte. Schnell schob ich meinen Schlüssel ins Schloss und drehte ihn so lange, bis ich sicher sein konnte, dass die Tür verriegelt war.
»Wir müssen unbedingt mehr über diese komischen Düfte herausfinden!« Mit angewinkelten Armen sah ich die Jungs an, die mir hinterhergekommen waren. »Das ist doch alles total unheimlich!«
Benno lugte hinter uns ins kleine Büro, als befürchtete er, der mysteriöse Anrufer könnte dort plötzlich aufgetaucht sein.
»Superunheimlich!« Mats strich sich durch seine dunklen Locken. »Wer ruft hier bitte an und legt dann gleich wieder auf?«
»Du hast doch gesagt, dass eins der Notizbücher fehlt. Weißt du noch, was drinstand?«
»Ne. So genau hab ich es mir nicht angeschaut. Aber von außen sah es genauso aus wie die anderen.« Mats ging zum Tresen und griff sich die zwei übrig gebliebenen Notizbücher. Beide hatten einen dunkelbraunen Ledereinband und an den Ecken feine Messingbeschläge. Vorne drauf waren drei goldene Buchstaben eingeprägt: D. d. B.
»D. d. B.?«, las ich laut und kaute auf meiner Unterlippe. »Ist das die Abkürzung für Daan de Bruijn?«
Mats nickte langsam. »Wahrscheinlich. Wir sollten den nächsten Brief, der hier für ihn ankommt, unbedingt abfangen! Dann wissen wir auch, wer an ihn schreibt.«
Ich nickte und beugte mich wieder über das Notizbuch. »Also, was steht dadrin?«
Mats schlug das oberste der Bücher auf. Das Papier war an den Rändern braun und glänzte speckig. Es war also schon oft angefasst worden. »Ich hab bloß dieses hier angeschaut und da stehen Rezepte drin.«
Tatsächlich, auf den Seiten standen Zutatenlisten. Sie ähnelten denen aus Kochbüchern, nur dass sie aus eigenartigen Dingen bestanden. Die meisten Buchstaben waren durch ihre breiten Schwünge, Bögen und Verzierungen schwer zu entziffern. Mats versuchte es trotzdem. Er blätterte und blätterte und las dabei die Rezepte laut vor. Es gab ein »Odeur aus grünem Neid«, einen »Liebesduft«, »Eine Brise Angst«, »Ein Hauch Mitgefühl« und viele weitere Düfte für und gegen fast alles. Mir fiel dabei auf, dass jedes Rezept in eine Kategorie eingeteilt war. Entweder war es ein flüchtiger oder ewiger, heilender oder verletzender Duft. Das waren dieselben Bezeichnungen, wie sie auf den Metallplättchen standen, die an den Regalen der Flakons befestigt waren.
Bei einem Rezept hielt Mats inne und seine Augenbrauen zogen sich fast ineinander. »›Duft der Endlichkeit‹? Ist das ein Duft, der alles zu Ende gehen lässt, oder was?«
Allein der Gedanke ließ mich erschauern. Meine Augen flogen über die Buchstaben.
»Aber warum soll man das dann benutzen?«, fragte Benno.
Ich hob nur die Schultern und betrachtete immer noch die geschwungenen Buchstaben, als Mats schon längst aufgehört hatte vorzulesen. »Sonst steht da nichts?«
Mats blätterte um und schüttelte den Kopf. »Ne, mehr steht da nicht. Aber gut zu wissen, dass es einen Duft gibt, der andere Düfte aufheben kann.«
»Na ja.« Ich lachte. »Die Nebenwirkung ist nur leider nicht so toll. ›Gelegentlich tödlich‹? Da ist ein bisschen Hagel im Vergleich nicht so schlimm, oder?«
Ob der »Duft der Endlichkeit« hier irgendwo im Regal stand? Um das herauszufinden, ging ich noch mal an den unzähligen Flakons entlang.
Benno kletterte auf den Tresen und ließ seine Beine baumeln. »Ich versteh nicht, wo man die Sachen reintun soll, um den Duft zu machen?«, fragte er.
Mats und ich schauten uns kurz an. »Eine Destille, steht hier drin«, sagte er. »Wie im Chemieunterricht, oder?«
»Ich fass es nicht! Guckt mal, da!« Im Regal vor mir blubberte in einem der Flakons eine gelbe Flüssigkeit. Auf den Flaschenhals war einer dieser alten Parfümzerstäuber geschraubt. Zusätzlich war der Flakon mit einer roten Banderole versiegelt. Ich erkannte darauf ein gedrucktes Giftsymbol. Auf dem Etikett stand tatsächlich »Duft der Endlichkeit«.
Zum ersten Mal seit wir hier einen Fuß reingesetzt hatten, war mir ein Flakon unheimlich und anfassen wollte ich den erst recht nicht.
Die Jungs kamen näher und schauten genauso unsicher auf das Fläschchen wie ich.
Mein Kopf schnellte zu Benno herum. »Vergiss nicht: Du darfst wirklich absolut niemals einen der Flakons anfassen! Schon gar nicht, wenn ein rotes Warnsiegel dran ist!« Mir wurde ganz kalt bei der Vorstellung, Benno wäre dieser Flakon kaputtgegangen.
»Gut zu wissen, was hier so alles rumsteht«, nuschelte Mats mehr zu sich selbst. Er sah wieder so aus, als wäre er ganz in sich selbst versunken. Als könne er sich nicht entscheiden, ob er am liebsten gehen würde oder weiter nachforschen wollte.
Mit weichen Knien zog ich Benno drei Schritte rückwärts und las die Etiketten der anderen Flakons im Regal vor uns.
»Hier steht ein ›Wahrhaftiger Duft‹. Meint ihr, das ist so eine Art Wahrheitsserum? Also jeder, der das riecht, muss sofort ehrlich sein, ob er will oder nicht?«
Für einen Moment kam mir der verrückte Gedanke, was wohl passieren würde, wenn ich Mats damit besprühte. Ob er mir dann etwas verraten würde, das er mir bislang verschwieg? Etwas, das sein Interesse an unserer Villa erklärte oder die angeblichen Verschwörungstheorien, von denen Leon gesprochen hatte?
Da sah mir Mats geradewegs in die Augen, so als hätte er meine Gedanken gelesen. »Schwer zu sagen. Ist ja nicht so einfach zu beurteilen, ob jemand, nachdem er den ›Wahrhaftigen Duft‹ gerochen hat, ehrlicher ist als davor. Das weiß ja nur der, der den Duft riecht.«
Da hatte er leider recht. Ein bisschen schuldbewusst über meinen Gedanken drehte ich mich wieder den Regalbrettern zu. Okay, eins nach dem anderen: Die Duftapotheke konnte offenbar vieles sein. Manche Düfte waren lustig und harmlos. Sie ließen einfach Blumen wachsen und wieder verschwinden oder sie veränderten das Wetter. Das war ja erst mal nicht weiter schlimm. Aber sie konnten scheinbar auch sehr gefährlich werden.
Das hier war definitiv keine kleine Parfümerie, so wie ich anfangs gedacht hatte. Aber es war etwas, das ich unbedingt verstehen wollte. Wozu war sie erfunden worden und wie funktionierte sie genau?
Langsam, aber sicher wurde mir klar, dass ich diesen Raum nie verstehen würde, wenn ich die Flakons nur von außen anschaute.
Ich suchte nach etwas ähnlich Harmlosen wie dem »Rankenden Duft«, bis mir eine Flasche mit farblosem Inhalt ins Auge fiel. Sie stand in der Abteilung der »Flüchtigen Düfte«, was schon mal beruhigend war. Auf dem Etikett stand »Langweiligster Duft der Welt«. Ich konnte nicht anders und kicherte leise.
Egal, was die Düfte alles konnten und wozu sie auch gut waren, der, der sich die Namen ausgedacht hatte, hatte definitiv einen Dachschaden. Aber egal, ich hatte mir einen Plan überlegt. Ich wollte einmal genau beobachten, wie die Düfte funktionierten. Vom ersten Moment an, wenn sich der Korken öffnete. Bisher hatten sie uns jedes Mal überrascht. Vielleicht hatten wir dabei etwas Wichtiges nicht mitbekommen. Ich atmete tief ein und griff mir die abgefüllte Portion Langeweile.
»Der hier sieht doch ungefährlich aus, oder?« Ich hielt Mats den Flakon hin. »Wir sollten mal einen Test machen, wenn wir mehr über diese Duftgeheimnisse rausfinden und ihre Wirkung verstehen wollen.«
Mats zögerte noch. »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.«
Ich hielt den »Langweiligsten Duft der Welt« in die Höhe. »Gefährlicher als der ›Rankende Duft‹ ist er ganz sicher nicht«, beruhigte ich ihn, »und eine Banderole mit einem Giftzeichen oder einen Warnhinweis hat der auch nicht. Langeweile tut nicht weh. Sie ist nur nervig.« Ich holte ein zweites Mal tief Luft. »Seid ihr mutig genug für ein kleines Experiment?«
»Ich will!«, rief Benno und sprang vom Tresen. »Kann ich den Korken rausmachen! Ja? Bitte!«
Ich lachte über Bennos Ungeduld und hielt den Flakon vorsichtshalber erst mal höher, dann sah ich zu Mats. Er hatte seine Arme vor der Brust verschränkt und ließ sich mit einer Antwort Zeit. In seinem Gesicht kämpfte die Neugier mit der Angst.
»Also gut«, entschied er sich schließlich. Sein Forscherdrang hatte also gewonnen. »Langeweile kann man aushalten. Versuchen wir es!«
Ich kniete mich hin, damit Benno leichter an den Korken kam. Den Flakon hielt ich sicherheitshalber mit beiden Händen fest. Nicht dass noch mal alles auf einmal auskippte. Wer wusste schon, wie unangenehm sich eine komplette Ladung Langeweile anfühlte?
Mit einem leisen Plopp zog Benno den Korken. Milchige Wolken stiegen hervor und schwebten durch den Raum. Ich konzentrierte mich auf die Schwaden um mich herum, um ja nichts zu übersehen. Trotzdem roch ich zwei Sekunden lang gar nichts und wunderte mich. Erst dann schlug mir ein Geruch entgegen, der mich fast aus den Schuhen haute.
Igitt! Der langweiligste Duft der Welt war weder langweilig noch war es ein Duft. Aus dem Fläschchen stank es nach verschimmeltem Essen, Weihrauch, Käsefüßen und einem Hauch Schwefel.
»Ich rieche gar nichts«, hörte ich Mats noch sagen. Er stand ein paar Schritte von mir entfernt. Doch bevor er seinen Satz richtig beendet hatte, keuchte auch er angeekelt und hielt sich die Nase zu.
Benno kreischte vor Spaß, Aufregung und weil der Geruch so scheußlich war. Ich fragte mich, wieso sich bitte jemand so was zusammenmischte? Einen widerlichen Geruch mit dem Ziel, sich dabei zu langweilen? Wie bescheuert! Alles stank, also nahm ich Benno den Korken aus der Hand und stopfte ihn zurück in den Flakon.
»Wahrscheinlich ist das Haltbarkeitsdatum überschritten.« Ich lachte und stellte das Fläschchen zurück an seinen Platz. Dabei fiel mir auf, dass sich die Flüssigkeit im Inneren bereits zu einem Drittel geleert hatte. Das war komisch, wir hatten den Flakon doch wirklich nur ganz kurz geöffnet.
Benno saß mittlerweile im Schneidersitz auf dem Boden, stützte sein Gesicht in die Handflächen und nörgelte: »Ich merk gar nix!«
»Stimmt, ich auch nicht«, sagte ich und lehnte mich neben Mats gegen den Tresen. Eigentlich wollte ich alles weiter genau beobachten, aber mein Körper tat etwas anderes, als mein Kopf vorschlug. Hinter mir hörte ich das gleichmäßige Ticken des Sekundenzeigers langsamer und gleichzeitig lauter werden. Ich drehte mich zur Wanduhr um und beobachtete den Sekundenzeiger, der über der Zahl Vier hing.
Wie seltsam, er bewegte sich ja gar nicht mehr?
Ich wartete.
Nichts.
Ich begann zu zählen: »Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig«, aber der Sekundenzeiger blieb, wo er war.
Mats seufzte leise, ohne zu erklären, warum. Leider konnte ich mich nicht zu ihm umdrehen und nachfragen. Ich wollte auf keinen Fall den Moment verpassen, wenn dieser verdammte Sekundenzeiger sich endlich weiterbewegte.
Ticktack, machte es da und dann noch einmal Tick.
Ich verharrte in meiner Position, wartete auf ein neues Tack und starrte auf die Uhr.
Siebenundzwanzig, achtundzwanzig, neunundzwanzig, dreißig …
»Ohhh Maaaaannn!«, maulte Benno. »Das ist dooooof hiiiier!«
Ich versuchte, die Unordnung in meinem Kopf zu verscheuchen und mich daran zu erinnern, dass ich etwas herausfinden wollte. »Die Zeit hängt fest. Merkt ihr das? Sie vergeht nicht richtig.«
Mats spähte zur Wanduhr. Dann zu mir. »Zählst du deshalb die ganze Zeit wie eine Irre leise vor dich hin? Ich hab mir schon Sorgen gemacht.«
Benno schlurfte zu uns rüber und setzte sich neben mich auf den Tresen. Wie immer ließ er die Beine baumeln. Langsamer als sonst, aber wenigstens baumelten sie wieder.
Nach einer gefühlten Ewigkeit nahm der Sekundenzeiger wieder Fahrt auf. Langsam begriff ich, dass der Langeweile-Duft sehr wohl wirkte, doch bevor ich diesen Gedanken richtig greifen konnte, quietschte plötzlich etwas hinter der Tür zur Duftapotheke.
Ich zuckte vor Schreck zusammen. Oh nein! Etwas knarrte, dann donnerten Schritte durch den Gang. Es war der Flur, der vom Gewächshaus in die Duftapotheke führte. Die Schritte wurden schneller und immer lauter.
»Weg hier!«, wollte ich rufen, aber die Taubheit des Dufts hielt mich an meinem Platz gefangen.