Читать книгу Duftapotheke Bundle. Bände 1-3 - Anna Ruhe - Страница 14
Оглавление6. Kapitel
Mats wohnte nicht in einer heruntergekommenen Villa, sondern in einem ganz normalen Einfamilienhaus. Sein Zuhause war supertoll stinknormal.
Er ließ uns einen kurzen Blick in die Küche und das Wohnzimmer im Erdgeschoss werfen, dann winkte er uns die Treppe hoch in den ersten Stock. Durch die hinterste der vier Türen schob er uns in sein Zimmer. Ich sah sofort, dass in diesem Haus definitiv keine Mutter wohnte, die ständig auf Flohmärkten herumschlenderte. Alles war neu und entweder nach praktischen oder bequemen Kriterien ausgesucht worden.
Mats’ Zimmer war wahrscheinlich das kleinste im ganzen Haus, aber mir gefiel es sofort. Es gab ein Bett, einen Schrank, ein Regal mit ein paar Büchern und Comics und einen Schreibtisch, auf dem ein Computer stand. Also alles, was man so brauchte.
Benno war schon auf Mats’ Bett geklettert und bewunderte die Poster und Sportabzeichen, die über der Nachttischlampe hingen.
Ich setzte mich auf den Schreibtischstuhl. »Bestimmt ist der Daan, an den der Brief geschickt worden ist, irgendein Nachfahre und hat nur denselben Namen wie sein Ururgroßvater bekommen. So was gibt es doch?«
»Möglich wär’s.« Mats zog einen kleinen Hocker heran und schaltete den Computer an. »Komisch nur, dass dann ein Brief an ihn in die Villa Evie geschickt wird, er aber gar nicht dort wohnt.«
Das Hintergrundbild auf dem Monitor war irgendein Basketballspieler, den ich natürlich noch nie gesehen hatte. Aber das erwähnte ich lieber nicht. Bestimmt war der superberühmt und Jungs konnten sich ja meistens nicht gut vorstellen, dass das, was sie selbst total super fanden, andere nur mittelmäßig bis gar nicht interessierte.
Mats tippte den Namen Daan de Bruijn ins Suchfeld ein und sofort erschienen eine Menge Bilder von Männern um die vierzig, manche mit Schlips, andere im Pulli. Schlauer wurden wir dadurch nicht, also suchten wir noch mal nach Daan de Bruijn und Villa Evie. Dazu erschien kein einziges Suchergebnis.
»Komisch«, sagte ich. »Irgendetwas muss es doch dazu geben, wenn hier immer wieder Post für ihn ankommt? Zu dumm, dass ich den Absender nicht gelesen habe.« Ich stand auf und sah durchs Fenster zum Gewächshaus hinüber. »Was passiert eigentlich mit den ganzen Pflanzen und Blumen? Weißt du das? Ich meine, wer beauftragt Willem, das Gewächshaus am Laufen zu halten?«
»Willem verkauft seine Pflanzen an Blumenmärkte, glaub ich.« Mats klickte sich, ohne aufzuschauen, weiter durch irgendwelche Fotos.
Ich setzte mich aufs Fensterbrett und ließ die Beine baumeln. »Ist Willem denn nicht schon Rentner?« Er musste jedenfalls schon über siebzig sein, schätzte ich.
Mats sah jetzt ebenfalls rüber zum Gewächshaus, seine Stirn in Falten gelegt. »Hm. Hab ich noch nie drüber nachgedacht. Willem war schon uralt, seit ich denken kann, und die Pflanzen sind wahrscheinlich sein Hobby. Irgendwas muss man ja machen, wenn man sonst nichts mehr zu tun hat.«
Das klang logisch, trotzdem kam es mir eigenartig vor. »Es ist aber schon komisch, dass außer Willem niemand da reindarf. Sind Hobbygärtner denn nicht immer extrem stolz auf ihre Pflanzen und freuen sich, wenn jeder sieht, wie schön sie blühen? Wer bitte hält so einen tollen Garten versteckt? Ich finde das verdächtig.«
»Verdächtig? Willem?« Mats lachte auf. »Was meinst du damit?«
Benno hatte sich mittlerweile alle Sportabzeichen und Medaillen umgehängt, die er finden konnte, und schlug vor, jetzt draußen »Basektballchampions« zu spielen.
Die Zimmertür öffnete sich und Leon schob seinen Kopf zu uns rein. »Naaa, Bruderherz?« Er grinste, als hätte ihm gerade jemand irgendetwas besonders Lustiges erzählt.
»Was gibt’s?« Mats’ Stimme klang kühler als sonst.
Leon schob die Tür ganz auf und kam ins Zimmer. Außer der Tatsache, dass sich beim Grinsen die gleichen Grübchen in Leons Backen gruben wie bei Mats, hatten die beiden nicht viel Ähnlichkeit miteinander. Leons Augen und Haare waren heller und nicht so lockig. Um den Hals trug er dicke Kopfhörer. Er gehörte definitiv zu der Sorte Jungs, die genau wussten, wie gut sie aussahen.
»Was für ein Zufall. Das Mädchen mit Namen ist hier!« Leon warf mir einen langen Blick zu und grinste dann noch breiter. »Lass mich raten: Mats hat seine Geisterhausbesichtigung bei euch schon hinter sich, stimmt’s?«
Mats stöhnte und stand auf. »Mach’s kurz, Leon. Wir wollten gerade rausgehen.«
»Genau! Wir spielen jetzt Basketballchampions!« Das war Bennos Stichwort und er stand auf. Meinem Bruder dauerte das alles hier sowieso viel zu lange.
»Na, dann viel Spaß.« Leon verabschiedete sich mit einem übertriebenen Augenzwinkern in meine Richtung. »Nervt Mats dich noch nicht mit seiner Verschwörungstheorie zu unseren Familienproblemen?«
»Was denn für Familienprobleme?«, fragte ich und sah zu Mats rüber.
Aber der schob Leon schon aus der Tür und hatte es plötzlich ziemlich eilig, mit Benno und mir aus seinem Zimmer zu kommen.
Draußen mühte ich mich ab, endlich einen Ball in den Korb über mir zu bekommen. Dabei warf ich immer wieder Blicke zu Mats und brannte darauf, ihn zu fragen, was Leon genau mit Verschwörungstheorien gemeint hatte. Welche Probleme gab es wohl in seiner Familie? Aber Mats ließ einfach keine Verschnaufpause entstehen, sondern scheuchte uns geradezu um den Basketballkorb. Dabei waren sein Gesichtsausdruck so verschlossen und seine Augen so … traurig, dass ich es nicht übers Herz brachte, ihn jetzt auszuquetschen.
Vielleicht war es besser, ich wartete, bis er es von selbst erzählen wollte.
Mein Puls hämmerte von Mats’ Gehetze, also kniete ich mich irgendwann erschöpft hin. Dabei spürte ich wieder den mysteriösen Schlüssel in meiner Hosentasche. Mir kam die Idee, dass er vielleicht zum Gewächshaus gehören könnte. Warum war ich darauf nicht schon früher gekommen? Ein versteckter Schlüssel passte doch perfekt zu einem verbotenen Haus.
Schnell ließ ich mir eine Ausrede einfallen und sagte, dass ich noch mit Mona zum Telefonieren verabredet war. Was sogar zur Hälfte stimmte, weil ich mir vorgenommen hatte, sie heute noch anzurufen. Ich würde es nur etwas später tun.
Allein machte ich mich zum Gewächshaus auf. Ich wollte Benno da lieber raushalten. Er war wirklich noch zu klein, um Detektiv zu spielen. Unauffällig schlich ich mich zum zweiten Mal um das gläserne Haus. Aber auch heute waren die Scheiben beschlagen und man sah rein gar nichts. Ich überlegte, ob ich den Schlüssel besser am Abend ausprobieren sollte, wenn ich sicher sein konnte, dass der Gärtner nicht mehr hier war. Entfernt hörte ich, wie sich die Tür öffnete und wieder schloss. Metall klackte dreimal in Metall, dann sah ich, wie Willem Boer mit dem Rücken zu mir über den Rasen zur Straße davonging.
In Gedanken jubelte ich. Sobald der alte Gärtner außer Reichweite war, schlich ich mich zum Eingang und versuchte, den Schlüssel in das gusseiserne Schlüsselloch zu stecken. Aber er passte nicht. Außerdem war die Tür mit einer Kette und einem zweiten Schloss verschlossen.
Geknickt, dass ich mich getäuscht hatte, umrundete ich ein letztes Mal das Gewächshaus und bemerkte, dass sich die Glasscheiben wie Fenster nach innen öffneten. Auf der Suche nach einer, die nicht verriegelt war, drückte ich mich gegen jede einzelne Scheibe, bis endlich eine nachgab und sich aufschieben ließ. Vorsichtig quetschte ich mich durch den Spalt und kletterte ins Gewächshaus hinein.
Zwischen den Pflanzenkübeln und Beeten sah ich mich um. Es war immer noch wunderschön hier. Langsam ging ich zwischen den endlosen grünen Feldern hindurch. Ein paar Blüten kannte ich sogar. Hier wuchsen Veilchen, weiße Lilien, Orchideen und Vergissmeinnicht. Das Gewächshaus war kaum zu überblicken, so riesig und neblig war es. Und jetzt, so ganz allein, bildete sich doch eine Gänsehaut auf meinen Armen und mulmig war mir auch. Was ich wohl entdecken würde, wenn ich herausfand, wozu dieser Schlüssel gehörte?
Ich atmete die vielen ungewohnten Gerüche ein, die die Pflanzen verströmten. In einem Beet, das bestimmt fünf Meter lang war, wuchs ausschließlich Lavendel. Ich ging dicht daran vorbei und strich mit meiner Hand durch die lila Blüten. Der kräftige Kräuterduft stieg dadurch noch intensiver aus den Pflanzen auf.
»Luzie? Bist du hier irgendwo?« Mats’ Rufen riss mich aus meinen Gedanken. Er stand draußen vor dem Gewächshaus und versuchte, durch die beschlagenen Scheiben hineinzuspähen.
»Hier bin ich! Hier drinnen.« Ich suchte nach dem Fenster, das sich öffnen ließ, und schob meinen Arm hindurch, um Mats zu winken. Benno folgte ihm natürlich auf Schritt und Tritt.
»Wusste ich’s doch. Ich hab Willem weggehen sehen und dich nirgends mit einem Telefon entdeckt. Was machst du da?« Mats funkelte mich an. »Was, wenn er dich erwischt?«
Ich verzog etwas genervt das Gesicht.»Was soll schon sein? Es ist doch nur ein Gewächshaus! Na los, kommt rein!«
Mats zögerte. Aber Benno kletterte längst durch die Öffnung, hing allerdings im Nullkommanix mit seinen kurzen Beinen in der Luft. Mats grummelte vor sich hin und half ihm. Dann schob er sich hinterher.
Zusammen gingen wir die Gänge entlang. Zwischendrin verlor ich ein paar Mal die Orientierung, weil die Beete um uns herum einfach kein Ende nahmen. Die feuchte Luft duftete nach so vielen fremden Dingen. Es roch kräftig und schwer nach dunklen Kaffeebohnen, bitter wie Kardamon und süß wie Kakao. Dann wehte wieder eine frische Sommerbrise aus Minze und Melisse. Es duftete zuckrig nach Süßholz und Anis, unerwartet nach scharfem Ingwer, der mich sofort wach rüttelte, als wäre ich mit jemandem zusammengestoßen.
Manche Düfte wirkten laut und schrill, andere sanft und leise. Manchmal verschwammen sie ineinander, dann konkurrierten sie plötzlich, als kämpften sie um einen Platz auf dem Siegertreppchen. Und irgendwie fiel es mir schwer zu glauben, dass all diese Düfte nur von den Blumen kommen konnten.
Erst als Mats an der geöffneten Glasscheibe stehen blieb, und uns wieder nach draußen winkte, war mir klar, dass wir das Gewächshaus einmal umrundet hatten. Nichts hatten wir gefunden. So ein Mist!
Benno zog an mir, damit ich stehen blieb. »Luzie? Ist das Gewächshaus wie die Welt auf dem Glubos?«
»Was meinst du damit? Was für ein Glubos?«
»Na, der Glubos aus der Bibliothek. Der, der so groß ist wie ich!« Benno strahlte mich stolz an und ich begriff endlich, was er mir sagen wollte. Mein kleiner, genialer Bruder hatte etwas entdeckt, auf das ich von allein nie gekommen wäre.
Ich nahm Benno an die Hand und nickte Mats zu, der ziemlich erleichtert wirkte, endlich von hier verschwinden zu können.
»Wir müssen dir was zeigen«, sagte ich nur und winkte Mats in Richtung Villa. »Benno hat was herausgefunden!«