Читать книгу Duftapotheke Bundle. Bände 1-3 - Anna Ruhe - Страница 10

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2. Kapitel

Noch während ich über den Spruch auf dem Schild nachdachte, klapperte es neben mir. Ich drehte mich zur Seite und entdeckte Hanne van Velden im Vorgarten.

»Einen ganz wundervollen, schönen guten Morgen!« Sie winkte mir mit ihrer Gartenschere in der Hand zu.

»Morgen«, antwortete ich und zwang mich zu einem Lächeln. Aber Hanne kümmerte sich längst wieder um ihre Rosensträucher und schnitt die vertrockneten Blüten ab.

Hanne van Velden war die Erbin der Villa Evie und unsere Mitbewohnerin. Na ja, zumindest fast. Sie hatte meinen Eltern den größten Teil der Villa verkauft. Nur die ehemalige Dienstbotenwohnung im seitlichen Teil des Erdgeschosses hatte sie behalten. In der wohnte sie angeblich schon seit Ewigkeiten, weil sie die ganze Villa zu groß für sich allein fand und keine Lust mehr hatte, sich darum zu kümmern.

Hanne war eine »etwas durchgeknallte, aber liebenswürdige Dame«. Zumindest hatte Pa das bei unserem Einzug in mein Ohr geflüstert. Mit ihrer flatternden Blumenbluse, den vielen Perlenketten um Hals und Handgelenke wirkte sie, wie aus einem anderen Jahrhundert übrig geblieben. Hoffentlich war sie nicht so altmodisch, wie sie aussah, und meckerte bei jeder Gelegenheit gleich rum. Mit alten Damen in Erdgeschosswohnungen war ja meistens nicht zu scherzen – auch so ein Spruch von Pa. Aber zum Glück ließ Hanne mich gleich wieder in Ruhe.

Benno verschwand mit seinem Ball hinterm Haus, also stand ich auf und lief ihm nach. Unter meinen Sohlen knirschte der Kies. Ich blinzelte und schaute an den verwaschenen Backsteinmauern hinauf zum Dach. Moos wuchs überall auf den Ziegeln und ein Blitzableiter schwankte besorgniserregend auf der Hausspitze.

Hinter mir auf dem Kopfsteinpflaster vor der Villa Evie bremste plötzlich ein Auto und hupte. Ich drehte mich um und hoffte für eine Sekunde, dass Mona gleich auf mich zustürzen würde. Aber aus der dunklen Limousine stieg nur eine ältere Frau. Ich drehte mich enttäuscht weg. Das musste Besuch für Hanne sein.

»Was hupen Sie hier rum? Gibt es irgendeinen Grund dafür?« Hanne klang ziemlich gereizt. Okay, befreundet waren die beiden also doch nicht.

Ich blieb erst mal stehen und schaute zum Auto. Die Frau war gar nicht selbst gefahren. Vorne am Steuer saß ein Chauffeur. Mannomann! Der trug einen dunklen Anzug und sogar Handschuhe und die Frau sah noch übertriebener aus. Und mindestens zwanzig Mal so altmodisch wie Hanne! Sie hatte echt ein violettes bodenlanges Samtkleid an, das so aussah, als gehörte es eigentlich einer vor hundert Jahren ausgestorbenen Schlossherrin. War heute irgendwo ein Karnevalsumzug?

»In der Tat gibt es einen Grund!« Die verkleidetet Lady ging auf das Gartentor zu. »Ich suche einen Herrn Boer, wenn Sie gestatten. Wäre es möglich, mich zu ihm zu geleiten?«

Ge…leiten? Ich kicherte in mich hinein. Die war ja schräg.

Hanne winkte sie barsch weiter. »Gehen Sie einfach nach hinten durch. Willem treibt sich bestimmt irgendwo im Gewächshaus rum. Sie finden ihn schon selbst.«

»Besten Dank.« Die Lady raffte ihren Rock und öffnete unser Gartentor. Mit erhobenem Kopf stolzierte sie an mir vorbei und ich überlegte, wie lange sie wohl für ihre kringelige Hochsteckfrisur unter dem winzigen Hütchen gebraucht hatte.

Nur ganz kurz sah sie mich im Vorbeigehen an und sofort strömte mir ihr schweres Parfüm entgegen. Oh Mann, roch das muffig! Irgendwie dunkel und erdig. Ugh! Das war doch kein Duft, den man sich freiwillig aufsprühte?

Als ich meinen Hals nicht mehr weiter verdrehen konnte, um sie zu beobachten, schlich ich ihr nach. Auf dem Rasen hinter dem Haus hielt Benno seinen Ball gerade unter dem Arm und sah zu einem älteren Mann in dreckverschmierter Latzhose hinauf. Er stand ungefähr einen Meter von Benno entfernt. Sein halbes Gesicht bedeckte der Schirm eines abgeschabten speckigen Basecaps. Ich erkannte nur seinen Mund und der sah so aus, als gebe er unfreundliche Töne von sich. Genau verstand ich sie nicht, aber seine Handbewegung machte unmissverständlich klar, dass Benno woanders spielen sollte.

»Hey, Benno, komm mal her!« Ich winkte meinen kleinen Bruder zurück und warf dem Alten einen bösen Blick zu.

Von einem Gärtner, der sich um das Gewächshaus hinter der Villa Evie kümmerte, hatte ich schon gehört. Auch dass es für uns alle strengstes Tabu war und nicht mehr zur Villa dazugehörte.

Dieses Gewächshaus war wieder so eine Sache. Fast das komplette Grundstück hinter der Villa Evie bestand aus einem uralten Glashaus von der Größe eines Einfamilienhauses. Eine »viktorianische Schönheit«, hatte Ma das Ding genannt. Okay, es war zugegeben ganz hübsch, ich verstand nur wirklich nicht, wieso es so riesig war.

Benno stapfte mir schlecht gelaunt entgegen, während sich der alte Mann an sein Basecap tippte und die Lady fast unterwürfig ins Gewächshaus führte.

Was die beiden wohl zu besprechen hatten?

Als ich mich wieder umdrehte, hatte Benno schon was Neues entdeckt. Jemanden, um genau zu sein. Gegenüber auf dem Nachbargrundstück ließ dieser Mats, der Junge, der angeblich besessen war von unserem Haus, einen Basketball hüpfen. Na super, die zwei Jungs wohnten also wirklich nebenan.

Ich spürte, dass er mich aus den Augenwinkeln beobachtete. Am besten, ich tat erst mal so, als hätte ich ihn nicht gesehen. Auf die Art konnte ich ihn prima ignorieren. Ich starrte geradeaus auf den Kiesweg und ging schnell weiter. Nichts wie weg, bevor ich mich noch mit ihm unterhalten musste. Bestimmt fiel mir nach einem »Hallo« sowieso wieder nichts ein.

Aber Benno lehnte schon am Gartenzaun und rief: »Haaallo? Was machst duuu?«

Mats lächelte, als hätte er nur auf das Stichwort gewartet, und kam näher. »Basketball spielen. Willst du auch mal?«

Benno juchzte vor Freude und kletterte sofort über die kniehohen Holzlatten auf das Nachbargrundstück. Geschlagen verabschiedete ich mich von meinem Plan, Mats zu ignorieren, und ging Benno hinterher. Mit genügend Sicherheitsabstand blieb ich hinter dem Zaun stehen.

Ich tippte darauf, dass Mats ungefähr in meinem Alter war, auf jeden Fall war er der jüngere der zwei Brüder.

Es war gut, dass ich mir Zeit gelassen hatte. Mittlerweile machte Mats Benno vor, wie man den Ball zum Korb hochwerfen musste, um ihn durchs Netz zu bekommen. Mats schaffte es jedes Mal und ein kleines bisschen nervte mich das. Es wäre zwar albern gewesen, wenn er mit Absicht danebengeworfen hätte, aber ich fand es trotzdem angeberisch von ihm.

Ich blieb erst mal, wo ich war, schob meine Hände in die Hosentaschen und beobachtete die beiden. Mats trug eins dieser bunten Basketballshirts aus Nylon, das hinter ihm herflatterte, wenn er rannte.

»Ihr seid also die Alvensteins, die neuen Nachbarn?«, rief er zu mir rüber und strich sich dabei durch seine kurzen dunklen Locken.

Ich nickte nur, weil er seine Frage und die Antwort darauf bereits in einen Satz gepackt hatte.

»Sorry wegen Leon vorhin«, redete er einfach weiter. »Vergiss, was er gesagt hat. Er kann ein ziemlicher Idiot sein.«

Da konnte was dran sein. Aber ich fragte mich trotzdem immer noch, was Leon vorhin genau gemeint hatte mit der »Gruselvilla«. Nachhaken wollte ich aber auch nicht, also hob ich nur die Schulter. »Ist schon okay.«

»Ich bin übrigens Mats, aber das weißt du ja schon.« Er lächelte und in seinen Backen tauchten Grübchen auf. »Und du?«

»Luzie. Und der Kurze heißt Benno.« Ich lächelte knapp zurück. »Hilf meinem Bruder nachher wieder über den Zaun, wenn ihr fertig seid, ja?« Damit nickte ich Benno zu und verdrückte mich Richtung Haus.

Hanne stand nach wie vor an den Rosensträuchern und schnitt einen verblühten Ast nach dem anderen ab.

»Ich wünschte, ich könnte sie noch einmal riechen«, sagte sie ganz plötzlich in meine Richtung.

Verwundert drehte ich mich zu ihr um. »Was möchten Sie gern riechen?«

»Meine Rosen natürlich.« Hanne winkte mich zu sich hinüber. »Als Kind habe ich den Duft so geliebt, weißt du?«

Ich ging zu ihr an die Sträucher. Hanne hielt mir eine der dicksten rosa Blüten hin. Also beugte ich mich vor und atmete den zarten Duft aus Sommer und Leichtigkeit ein. Die Rosen rochen wirklich gut, genau so, wie Rosen es eben taten.

Ich deutete leicht irritiert auf die Blüte. »Was ist so besonders an ihnen?«

»Ach, nichts im Grunde.« Hanne betrachtete verträumt ihre Rose. »Ich rieche sie nur kaum noch. Mein Geruchssinn hat mich vor langer Zeit verlassen. Schlimm, nicht? Das Leben verliert irgendwie an Farbe, wenn man nichts mehr riecht. Selbst das Essen schmeckt nach nichts.«

»Oh, das tut mir leid.« Extra für sie roch ich deshalb noch einmal an der rosa Blüte.

Verzückt sah mich Hanne an. »Ach … nur ein einziges Mal den Duft von blühenden Rosen, von Lavendel oder Flieder riechen können … das wär’s. Als Kind konnte ich von den vielen Düften rund um das Haus nie genug bekommen.« Sie seufzte und warf mir einen langen Blick zu. »Wie gefällt es dir denn so in der Villa Evie?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ist schon okay.«

»Schon okay?« Hanne hielt für einen Moment die Luft an. »Na, hör mal, Kindchen! Die Villa Evie ist ein ganz und gar einzigartiges Haus. Weißt du das denn gar nicht? Glaub mir, sie ist prall gefüllt mit Geschichten. Und Geheimnissen!«

In dieser Sekunde hatte sie meine volle Aufmerksamkeit. »Was denn für Geheimnisse?«

Aber Hanne schüttelte nur ihren Kopf und wandte sich einem neuen Rosenstock zu. »Manchmal direkt nach dem Aufwachen glaube ich, mich im Traum an etwas erinnert zu haben. Etwas, das ich vor sehr vielen Jahren im Haus entdeckt habe. Aber sobald ich wach bin, ist alles wie weggeblasen. Liegt bestimmt am Alter. Dafür scheint sich deine Mutter mit Leib und Seele auf die Suche nach den alten Geschichten im Hause zu machen, nicht?«

Ich verzog leicht genervt die Lippen und nickte. »Ist ihr Job. Sie findet alles toll, was alt ist. Je älter, desto besser.«

Hanne seufzte wieder und dabei klangen ihre Worte, als hätte sie mir gar nicht richtig zugehört: »Mir hat die Villa Evie nicht viel Glück gebracht. Ich habe in diesem Haus nur verlernt, die Dinge um mich herum zu riechen. Eigentlich bin ich froh, dass ich mich nicht mehr um das Haus kümmern muss. Aber es ist schön zu sehen, dass deine Mutter darin so aufgeht.«

»Na ja …«, fing ich an, aber da knirschten plötzlich die Sohlen der verkleideten Lady über den Kiesweg. Ihre Limousine wartete immer noch vor der Villa.

Hanne nickte in ihre Richtung. »Guck mal, sie würdigt uns keines Blickes. Aber das tun die nie. Alle, die Willem besuchen kommen, sind schrecklich eingebildet.«

Ich hob meine Augenbrauen. »Bekommt Willem denn oft Besuch von solchen Leuten?«

»Nein, das nicht. Aber alle von denen tragen ihre Nasenspitze viel zu hoch in der Luft!« Hanne legte die Heckenschere in ihren Korb, während die Limousine davonfuhr.

Einen Moment lang schaute sie an der Villa Evie hinauf, als wäre ihr plötzlich wieder etwas eingefallen. Aber dann griff Hanne sich schon ihren Korb und nickte mir zum Abschied zu. »Also dann, es war nett, mit dir zu plaudern, Lizzie.«

»Luzie«, murmelte ich und sah ihr nach, bis sie hinter ihrer eigenen Wohnungstür seitlich im Haus verschwand – während in meinem Kopf nur noch die Worte »Gruselvilla« und »Geheimnisse« umherschwirrten.

Duftapotheke Bundle. Bände 1-3

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