Читать книгу Duftapotheke Bundle. Bände 1-3 - Anna Ruhe - Страница 18
Оглавление10. Kapitel
In dieser Nacht träumte ich einen wilden Traum. Ich stand in einem Raum aus Eisplatten, der keine Tür besaß und aus dem ich einfach nicht entfliehen konnte. Und die ganze Zeit schlich Willem mit knirschenden Schritten um mein Eishaus herum und riss Pflanzen aus der Erde. Ich versuchte zu erkennen, was genau er tat, doch wie auch bei den Fenstern des Gewächshauses war das Eis zu dicht und zu beschlagen, um irgendetwas sehen zu können.
Abgekämpft schreckte ich hoch und zog sofort die Bettdecke höher. Draußen war es bereits hell und die Sonnenstrahlen fielen durch die Omagardine auf mein Bett. Es dauerte einen Moment, bis mir die Ereignisse von gestern Nacht wieder einfielen, doch als ich an den Hagel, an Willem und die Duftapotheke dachte, wurde mir eins klar: Wir mussten diesen Flakon finden. Und wir mussten herausfinden, was er bewirkte.
Während ich mich anzog, tippte ich Mona schnell ein paar Zeilen auf meinem Handy. Endlich funktionierte unser Internetanschluss. Viel lieber hätte ich sie angerufen und ihr von allem erzählt, was in den letzten Tagen passiert war, aber dafür war jetzt keine Zeit. Stattdessen ging ich schnell Richtung Treppe.
Aus Bennos Zimmer leierte ein Hörspiel. Aber als ich meinen Kopf durch die Tür steckte, entdeckte ich meinen Bruder nirgends. Also ging ich nach unten in die Küche, aus der Klappergeräusche kamen. Mittlerweile war die Hälfte der Umzugskisten leer geräumt und ihr Inhalt lag verstreut herum.
Wenn sich meine Eltern aus irgendetwas nicht übermäßig viel machten, dann war es ein ordentlich aufgeräumtes Zuhause.
Benno saß auf dem Küchentisch und baute irgendetwas in einem der Kartons. Mit einem Papierflieger flog er darüber und machte Flugzeuggeräusche nach. Pa stand am Waschbecken und spülte das Frühstücksgeschirr. Dabei gab er auch Geräusche von sich, die sich aber mehr nach verängstigtem Gekreisch anhörten.
Ich grinste. »Was spielt ihr denn?«
»Alienangriff!« Benno zielte und ließ seinen Papierflieger gegen Pas Bein fliegen. Der jaulte übertrieben und tat so, als würde er in einer Pfütze aus Alienschleim ertrinken.
»Ich hab dich besiegt! Die Aliens übernehmen die Küche!« Benno kletterte zufrieden in seine Umzugskiste. Ich tippte mal darauf, dass dies sein Raumschiff sein sollte, und ging zur Spüle.
»Wo ist Ma?«, fragte ich.
»Mal wieder auf Zeitreise, wo sonst?« Pa lächelte mich an und nickte Richtung Arbeitszimmer. So nannte er ihren Zustand immer, wenn sie sich in irgendeins ihrer Lieblingsprojekte vertiefte. Dann war Ma nämlich so sehr in Gedanken, dass sie uns nur mit halbem Ohr zuhörte.
»Sie rührt irgendwelche Spachtelmassen an, mit denen sie den kaputten Stuck im Flur ausbessern will. Sie kann sich aber noch nicht auf einen Farbton festlegen. Das wird dauern. Aber irgendwann in den nächsten Tagen wird sie bestimmt eine Lösung für ihr Problem gefunden haben, es historisch belegen können und zu uns in die Gegenwart zurückkehren.«
Ich kicherte und griff nach der vollen Müslischale, die bereits auf dem Tresen auf mich wartete. Nachdem ich die Flocken samt Milch heruntergeschlungen hatte, fragte ich vorsichtig: »Sag mal, Pa, hast du zufällig so ein braunes Fläschchen mit Korkenverschluss weggeräumt, das hier gestern auf dem Tisch stand?«
»Nö. Was für ein Fläschchen denn?«
»Ein … Parfümfläschchen.«
»Seit wann benutzt du Parfüm?« Pa hob die Hände aus dem Spülbecken und drehte sich jetzt ganz zu mir um. Wow, das schien ihn echt zu beunruhigen.
»Ich … also, der gehört mir gar nicht, ich frag auch nur, weil ich ihn zurückbringen … also zurückgeben muss.«
»Aha«, machte Pa und klang nicht sonderlich überzeugt. Ich lächelte schnell und beugte mich über das Umzugskisten-Raumschiff, bevor er anfing, weiter nachzufragen. Vielleicht hatte Benno den Flakon ja einfach in sein Zimmer geschleppt?
In der Umzugskiste baute mein Bruder aus Legosteinen ein zweites Raumschiff. Konzentriert steckte er Steinchen auf Steinchen und ließ sich nicht von mir stören.
»Gut, dass Lego nicht aus Glas ist, was?« Ich warf ihm einen verschwörerischen Blick zu. »Wir müssen übrigens den braunen Flakon wieder zurückbringen. Wo hast du ihn hingestellt?«
Leider zog Benno nur eine ahnungslose Grimasse – und ich wusste, dass er ein ganz schlechter Lügner war.
Mist! Es wäre auch zu schön gewesen.
Aus dem Flur schrillte schon wieder die Klingel. Pa trocknete sich die Hände ab und ging zur Tür. Eine Minute später hörte ich ihn mit Hanne sprechen. Es klang, als wollte sie irgendetwas von ihm repariert bekommen.
Ich grinste. Wenn sie wüsste, dass Pa nicht gerade ein Handwerkertyp war, hätte sie ihn ganz bestimmt nicht gefragt.
Ich hörte Pa natürlich selbstsicher sagen: »Ach, das haben wir sicher gleich«, und: »Ich hole schnell meinen Werkzeugkasten.« Dann rief er uns zu, dass er gleich wieder da wäre und nur mal kurz nach nebenan ginge. Die Haustür klackte ins Schloss und im Flur war es wieder still.
Sicherheitshalber durchsuchte ich ein weiteres Mal gründlich die Küche, ich öffnete alle Schranktüren, zog jede Schublade auf und lugte sogar in den Mülleimer. Aber weit und breit kein brauner Flakon. Also beugte ich mich wieder über die Umzugskiste, in der Benno an seinem Raumschiff bastelte. »Du kannst nicht einfach Flaschen aus der Duftapotheke mitnehmen und sie dann auch noch verlieren. Wieso hast du sie überhaupt mitgenommen? Du hast doch gesehen, was passiert ist, als dieser Kälteduft ausgelaufen ist!«
Benno sah mich schuldbewusst an, protestierte aber trotzdem. »Ich hab die Flasche in meiner Hosentasche vergessen gehabt. Erst draußen hab ich sie wiedergefunden. Sonst hab ich gar nichts gemacht! Ich hab sie nur auf den Küchentisch gestellt und dann nix mehr. Außerdem hab ich sie nicht verloren! Jemand hat sie da weggenommen.«
»Jemand?« Ich hob eine Augenbraue. »Hat Mats den Duft etwa eingesteckt?«
Benno guckte beleidigt. »Weiß ich doch nicht!«
Oh Mann. Mit Fünfjährigen zu diskutieren, war völlig sinnlos.
Ich beschloss, Mats lieber selbst zu fragen. Wenn er wirklich den Flakon geklaut hatte, um auf eigene Faust weiterzuforschen, würde ich ganz schön sauer werden.
Als die Haustür hinter mir zufiel, klingelte gerade der Postbote zum Abschied an seiner Fahrradklingel.
»Bis morgen!«, trällerte er. Allerdings rief er das nicht mir zu, sondern Hanne.
Die beschnitt mal wieder ihre Rosen. Über den Gartenzaun hinweg hatte sie wahrscheinlich mit dem Postboten ein Schwätzchen gehalten. Der tippte sich jetzt an seine Mütze, zog noch zwei Briefe aus seiner Posttasche und steckte sie prompt in die Mülltonne. Dann radelte er pfeifend davon.
In die Mülltonne?
»Was machen Sie denn da?«, rief Hanne ihm hinterher, aber der Postbote hörte sie schon nicht mehr. Entgeistert drehte sich Hanne zu mir um. »Was ist denn mit unserem Briefträger auf einmal los?«
»Keine Ahnung«, sagte ich und hob die Schultern.
Hanne schnaubte ärgerlich durch ihre Nasenlöcher. »Unglaublich. Heute benehmen sich alle sehr seltsam! Ich war vorhin am Bankschalter und da haben sie mir doch ernsthaft erzählt, dass es heute kein Geld gäbe, weil sie die Codes für den Tresor vergessen hätten. Ihre eigenen Codes! Spielt denn jetzt die ganze Stadt verrückt?«
Ich kaute auf meiner Unterlippe herum und zuckte nur erneut mit den Schultern.
Mit spitzen Fingern klappte ich die Mülltonne auf und fischte die zwei Briefumschläge heraus. Sie schwammen in einem Rest brauner Soße. Auf dem obersten stand Hannes Name, und weil sicher auch die Soße von ihr war, reichte ich die triefenden Briefe schnell rüber.
»Ah, einer für mich, einer für Willem.« Hanne legte die Briefe in ihren Korb und lächelte mich an. »Danke, Lina!«
Luzie, dachte ich wieder entnervt, aber sie würde sich meinen Namen ja doch nie merken. Und plötzlich ärgerte ich mich, dass ich mir die Briefumschläge nicht genauer angesehen hatte. Ob auf dem Brief an Willem wieder dieser Daan de Bruijn stand?
Leise fluchte ich über mich selbst und ging nach drüben zu Mats. Immer noch verärgert, drückte ich auf das Klingelschild auf dem »Familie Jansen« stand.
Leon öffnete mir und fing sofort wieder an zu grinsen. »Was für eine hübsche Überraschung!«
»Hi«, erwiderte ich nur und lächelte verkrampft zurück.
»Sag mal, Mädchen mit Namen, Mats erzählt, dass es gestern bei euch gehagelt hat? So als hättet ihr für ein paar Stunden einen Wintereinbruch gehabt? Stimmt das echt?«
»Äh … ja.«
»Voll verrückt!«
»Ja, war ziemlich seltsam. Ist Mats da?«
Auf meine Frage grinste Leon noch breiter. »Mein Bruder, der Glückspilz.« Er zwinkerte mir zu und rief die Treppe hoch: »Mats. Besuch für dich!«
Leon drehte sich wieder zu mir. »Er ist oben, wie immer. Den Weg kennst du ja. Und ich bin hier unten, nur für den Fall …«
Bevor Leon seinen Satz beenden konnte, beeilte ich mich die Treppe hochzukommen. Oben empfing mich Mats schon an seiner Zimmertür. »Was gibt’s denn?«
»Hast du den Flakon, den Benno gestern aus der Duftapotheke mitgenommen hat?«
Mats’ Augen wurden tellergroß. »Benno hat einen Flakon mitgenommen?«
»Ja leider. Mein Chaos-Bruder hat nicht nur ein Fläschchen mitgenommen, er hat es gestern auch auf den Küchentisch gestellt, als alle Nachbarn zu Besuch waren. Aber leider ist das Fläschchen jetzt nicht mehr da. Ich dachte, vielleicht hast du es versteckt?«
Mats schüttelte den Kopf. »Ich hab den Flakon gar nicht gesehen. Bestimmt haben ihn deine Eltern aufgeräumt.«
Ich überlegte, ob mich Mats wohl anlügen würde, entschied mich aber dagegen. Was für einen Grund sollte er dafür schon haben.
Und meine Eltern …? Pa hatte ich ja schon gefragt und Ma? Ich bezweifelte, dass sie es einfach so weggestellt hätte, ohne uns danach zu fragen. Oder ohne einen großen Aufstand um das bestimmt wunderschöne antike Fläschchen zu machen.
»Meinst du, der ausgekippte Duft ist schuld, dass es gestern über unserem Haus gehagelt hat?« Ich sprach leise, weil mir meine Frage laut ausgesprochen noch blöder vorkam.
Kurz hing ein Schweigen zwischen uns in der Luft.
»Ehrlich, keine Ahnung.« Mats klang noch besorgter als ich. »Ein ziemlich komischer Zufall war es schon. Immerhin hieß er auch ›Der Duft der Kälte‹.«
»Ja, aber wie soll das denn gehen? Ich meine, glaubst du wirklich, dass ein Duft das Wetter verändern kann?«
Blumen waren die eine Sache – aber so etwas, das konnte doch gar nicht wahr sein. Ich brauchte eine Erklärung. An Hexenmeister und Zaubertränke wollte ich einfach nicht glauben. Es musste dafür eine richtige Erklärung geben!
»Kommst du noch mal mit in die Duftapotheke? Vielleicht finden wir da irgendetwas, das den Hagel erklärt? Oder zumindest irgendetwas, das uns hilft herauszufinden, was in dem verlorenen Flakon drin war.«
Mats warf mir einen vielsagenden Blick zu. »Klar komm ich mit! Irgendjemand muss dich ja schließlich vor Willem beschützen.«
»Pfft!«, machte ich und verdrehte die Augen. Was Jungs sich immer alles so einbildeten. »Das musst du erst beweisen, ob du das überhaupt draufhast. Also, los jetzt!«