Читать книгу Duftapotheke Bundle. Bände 1-3 - Anna Ruhe - Страница 12

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4. Kapitel

Auch am nächsten Tag klingelte es wieder an unserer Tür. Aber noch bevor sich irgendjemand in meiner Familie über den schrillen Ton der Klingel beschweren konnte, rief Benno lauthals: »Für miiich!«, und riss fröhlich die Haustür auf.

Tja, und da war er wieder. Offensichtlich wollte Mats nun endlich unsere berüchtigte Villa von innen sehen und ließ sich zuallererst von einem stolzen Benno das Kinderzimmer vorführen.

Wieso war ihm das so wichtig? Konnten ihm die Gerüchte um unser Haus nicht völlig egal sein? Dass es hier nicht wirklich Geister oder Hexenmeister gab, musste ihm doch klar sein.

Vorsichtig lugte ich durch die offene Kinderzimmertür und beobachtete Benno dabei, wie er seine Dinosaurier- und Piratenbücher auf dem Boden ausbreitete. Wenigstens schien Mats meinen kleinen Bruder ehrlich zu mögen, trotzdem bemerkte ich genau, wie er in die anderen Räume schielte.

»Und?« Ich lehnte mich an den Türrahmen. »Bist du jetzt enttäuscht, dass die Villa Evie doch nur irgendeine alte Bruchbude ist?«

Mats sah auf. »Äh … nö. Und nur irgendeine alte Bruchbude ist sie ganz sicher nicht.«

»Nicht? Was denn dann? Wieso interessierst du dich so wahnsinnig für das Haus?«

Jetzt war Mats derjenige, der nicht wusste, was er sagen sollte. An seinem Gesichtsausdruck konnte ich sehen, wie er angestrengt nach einer Erklärung suchte. »Also … sooo wahnsinnig interessiere ich mich gar nicht. Nur so wie alle anderen in der Stadt auch.«

»Na ja, Leon interessiert sich eher mäßig für die Villa, oder?«

Benno ließ seine Dinobücher los und stand auf. »Ich hab eine gute Idee! Wir spielen noch mal Hausentdecker, ja?«

Mats sah erleichtert aus. Ob das daran lag, dass Benno meine Fragen bremste, oder daran, dass er jetzt endlich das gesamte Haus gezeigt bekam, konnte ich schwer sagen. Andererseits, wenn es ihm so wichtig war, die Villa zu sehen, warum eigentlich nicht? Konnte mir ja egal sein, welchen Quatsch er sich dabei zusammenspann.

Also nickte ich. »Na dann spielen wir Hausentdecker, bevor Mats noch vor Neugierde platzt.«

Natürlich haspelte Mats irgendwas davon, dass er nicht platzen würde und schon gar nicht vor Neugierde, aber Benno zog ihn längst am Arm hinter sich her und hörte nicht weiter zu.

Als Erstes führte mein Bruder den Speiseaufzug vor. Dort hatte er ein paar seiner Kuscheltiere hineingesetzt und ließ sie hoch- und runterfahren. Benno zeigte im Vorbeigehen, dass sich im Treppengeländer die geschnitzten Blumen drehen ließen, und präsentierte die alten Einbauschränke, die es in fast jedem Zimmer gab. Die Schränke waren für ihn ein Riesenspaß, sie versteckten sich nämlich in den Holzvertäfelungen. Man musste nur auf einen senkrechten schmalen Spalt im Holz achten. Dann wusste man, dass sich dahinter die Wand öffnen ließ und wie von Zauberhand einen Schrank, groß wie eine Abstellkammer, erscheinen ließ.

In den Dingern konnte man so gut Verstecken spielen, dass man kaum eine Chance hatte, sich gegenseitig zu finden. Benno und ich hatten es an unserem ersten Tag einmal versucht, aber schnell wieder aufgegeben. Es hatte Benno dann doch keinen Spaß gemacht, mich eine gefühlte Stunde lang zu suchen. Außerdem gruselte er sich selbst so sehr in den dunklen Schränken, dass er jedes Mal absichtlich in seinem Versteck kicherte, damit er da schnell wieder rauskonnte.

Mats sah sich alles ganz genau an. Fast ein bisschen zu genau. Es fehlte nur noch, dass er sich Notizen machte und jeden Raum fotografierte. Deshalb beendete Benno seine Hausführung auch erst, als wir auf der Aussichtsplattform ankamen. Es war ein runder Raum in einem verglasten Turm auf dem Hausdach. Von hier blickte man weit über die Dächer.

In der Wand entdeckte ich eine rostige Kurbel. Ich griff danach und drehte sie. Erst quietschte es entsetzlich, aber dann machte mein Herz einen Satz. Wahnsinn, das Türmchen fing an, sich langsam um sich selbst zu drehen! Der Boden unter uns ruckelte und die Landschaft zog in Zeitlupe an uns vorbei.

Ich schnappte nach Luft und Benno klatschte in die Hände. »Unsere Villa hat ein Drehzimmer!« Er quiekte vor Freude und auch ich musste lachen.

Mats dagegen hing ein paar Sekunden die Kinnlade runter, doch dann fasste er ebenfalls nach dem Griff, um mir zu helfen. Jetzt, da wir zusammen daran kurbelten, bewegte sich der Raum fast doppelt so schnell.

Mats’ Hand und meine berührten sich. Aber weil es ihm nichts auszumachen schien, drehte ich einfach mit ihm zusammen weiter. Wahrscheinlich bemerkte er es gar nicht.

Trotzdem ließ ich jetzt den Knauf los und lehnte mich gegen eins der Fenster. Abwechselnd beobachtete ich die drehende Landschaft um uns herum und dann wieder Mats, der vor sich hin staunte.

»Warum bist du eigentlich immer allein?« Die Frage rutschte mir einfach so raus.

Für einen Moment sah er richtig geschockt aus, aber dann machte er wieder dieses Gesicht, das absolut nichts über ihn verriet. »Äh … bin ich doch gar nicht.«

Mir fiel auf, wie gemein meine Frage laut ausgesprochen klang, dabei hatte ich das gar nicht gewollt.

»Du hast ja auch nicht gerade eine Horde gackernder Mädchen im Schlepptau«, fügte er hinzu.

»Na ja, ich bin immerhin die Neue hier«, sagte ich nur und biss mir im nächsten Moment auf die Zunge. Die Antwort ließ meine erste Frage ja noch fieser klingen!

»Hör auf, ihn zu ärgern!« Benno knuffte mich in die Seite. »Mats ist mein Freund und gar nicht allein.«

Erleichtert lächelte Mats Benno an. »Danke, Kumpel!«

Mir tat meine Frage jetzt leid, obwohl ich mich schon fragte, warum er andauernd zu uns kam.

»Wart ihr eigentlich mal auf dem Dachboden?«, wechselte Mats einfach das Thema und ich war ihm dankbar dafür.

Benno schüttelte den Kopf und machte sich gleich auf die Suche. Als Erster kletterte er die steilen Stufen wieder runter, die in unseren drehbaren Aussichtsturm geführt hatten. Zusammen stöberten wir durch das oberste Stockwerk, bis wir eine schmale Tür in einer der Ecken unseres verwinkelten Flurs fanden. Hinter der Tür führten Stufen nach oben.

Der Dachboden wirkte wie ein Blick in die Vergangenheit. Und das hieß einiges in der Villa Evie. Rechts und links erhellten zwei runde Fenster den Raum unter einem spitzen Dach. Sonnenstrahlen beleuchteten den flirrenden Staub, wie Scheinwerfer die Artisten im Zirkus erhellten. Überall reihten sich alte Seemannskisten, Schränke und Schachteln in allen möglichen Formen und Größen aneinander.

Mats sah sich hier oben noch interessierter um, als er es sonst schon tat. Vor einem der Fenster stand ein riesiger viereckiger Korb. Benno kletterte sofort hinein und verschwand bis zu den Schultern darin.

»Was ist das?«, fragte er und verhedderte sich dabei in ein paar Seilen und einem Stück Stoff.

Mats ging einmal um den Korb herum. Er zeigte auf einen alten Kompass und ein Ledertäschchen, das an der Außenseite befestigt war. »Könnte ein alter Heißluftballon sein«, vermutete er.

Beeindruckt fuhr ich mit den Fingern über die geflochtenen Kanten und zog eine dunkle Spur. Ich wischte mir den Staub an meiner Jeans ab und stellte fest, dass die vielen Gerüche, die durch die Villa Evie waberten, auch hier zu riechen waren. Ich beugte mich in den Korb und entdeckte einen ausgelaufenen Parfümflakon. Er hatte einen mächtigen Fleck auf den Stoffbahnen des Heißluftballons hinterlassen.

Kurz wunderte ich mich und überlegte, ob ein einzelnes Parfümfläschchen die gesamte Villa mit ihrem Duft füllen konnte. Mit zusammengekniffenen Augenbrauen näherte ich mich mit der Nasenspitze dem Flakon. Aber der roch nach nichts mehr, genau wie der Fleck. Von hier kam es also nicht. Was ehrlich gesagt auch komisch gewesen wäre. Schließlich war es nicht nur ein einziger Geruch, der durch unsere Villa zog, sondern es waren mehrere gleichzeitig. Ein blumiges und herbes, süßes und bitteres Duftgemisch, für das mir absolut kein Name einfiel. Es erinnerte mich an nichts, was ich kannte. Vielleicht hatte ich deshalb das Gefühl, dass es nach einer Zeit roch, die längst vergangen war. Und die zog sich durch die Ritzen, saß in all dem alten Kram und verströmte ihren Duft noch stärker, sobald man eine der Gardinen bewegte oder sich auf eines der abgeschabten Samtpolster setzte.

Außerdem veränderte sich der Geruch, wenn man das Zimmer wechselte. Es roch in allen ähnlich, aber nie gleich. Je nach Zimmer stach einer der Düfte stärker heraus.

Ich legte den Flakon zurück und drehte mich weg, um mir den Rest anzusehen. Mein Blick blieb an einem der Schränke hängen, in dem ein paar Holzwürmer eine Party gefeiert hatten.

Die Schranktüren knarrten beim Öffnen. In der Innenseite hing ein ovaler Spiegel und ich schaute meinem mittelgroßen Ich mit den hellbraunen Haaren und den blaugrünen Augen entgegen.

Durchschnittlicher als ich ging echt nicht mehr. Nichts, absolut gar nichts Besonderes guckte mir aus dem Spiegel entgegen.

Schnell wendete ich mich den Kleidungsstücken zu, die im Schrank hingen. Ein barockes Ballkleid stach mir ins Auge, also zog ich es heraus. Ich hielt es mir hin und drehte mich damit. Wow, war das schön! Die Perlen auf dem bestickten Samtstoff schillerten, wenn man sie im Licht bewegte. Das Kleid sah aus wie aus einem Prinzessinnenfilm.

Selbst die Jungs bestaunten einen Moment lang die alten Klamotten. Sie fischten sogar aus ein paar Hutschachteln die passenden Zylinder, Hüte und Perücken und setzten sie sich nacheinander auf. Doch dann lehnte sich Mats an den Schrank und zog aus einer Hutschachtel einen von unzähligen leeren Parfümflakons. »Was ist das denn?« Er deutete auf die Fläschchen. Sie waren noch unbenutzt und sahen alle identisch aus.

Ich beugte mich ebenfalls darüber und zog einen vergilbten Zettel heraus, der dazwischenlag. Schnörkelige, kaum zu entziffernde Buchstaben in Tinte verrieten, dass hundert Flakons der Marke Priscilla an einen Herrn Daan de Bruijn geliefert wurden, nachdem die Flakons für vier Taler, dreizehn Groschen und acht Pfennig vorab bezahlt worden waren.

Ich stockte und hielt Mats den Zettel unter die Nase. »Guck mal. Ein Daan de Bruijn hat vor zwei Jahrhunderten leere Parfümflaschen bestellt. Meinst du, das ist derselbe wie in dem Brief, den der Postbote für Willem gestern vorbeigebracht hat?«

»Ach Quatsch. Das gibt’s doch nicht.« Mats nahm mir den Zettel aus der Hand und las ihn leise. »Du hast recht. Das ist echt ein Lieferschein aus dem Jahr 1869! Vielleicht war er einer der alten Besitzer?«

»Oder der Hexenmeister?«, fragte Benno dazwischen und kicherte.

Auch Mats musste grinsen. »Oder das.«

»Aber was hat dann Willem mit dem zu tun?«, überlegte ich laut vor mich hin. »Und warum kriegt der die Briefe? Müssten die nicht an Hanne gehen? Das Haus hat ja der Familie van Velden gehört, oder?«

Mats zuckte nur mit den Schultern, aber in seinen Augen sah ich genau, dass er auf diese Frage unbedingt eine Antwort haben wollte.

Duftapotheke Bundle. Bände 1-3

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