Читать книгу Duftapotheke Bundle. Bände 1-3 - Anna Ruhe - Страница 19
Оглавление11. Kapitel
So unauffällig wie möglich schlenderten wir auf das Gewächshaus zu. Die Eisenkette, die die Eingangstür sonst verriegelte, baumelte offen herab. Wir konnten also sicher sein, dass Willem irgendwo im Inneren herumschlurfte.
Mit den harmlosesten Gesichtsausdrücken, die wir hinbekamen, versuchten wir, etwas hinter den dampfigen Glasscheiben zu erkennen. Wenn Willem gerade im Gewächshaus war, dann sollten wir auf keinen Fall riskieren, von ihm gesehen zu werden. Wir hatten zwar versucht, in der Duftapotheke unsere Spuren zu beseitigen und die Scherben verschwinden zu lassen, aber sicher hing dort immer noch dieser beißende Geruch in der Luft und verriet, dass da unten etwas schiefgegangen war.
Falls Willem von der Duftapotheke wusste, hatte er uns bestimmt bereits in Verdacht.
Doch da war es schon zu spät. Schwere Stiefel polterten im Inneren auf dem Steinboden und im nächsten Augenblick stieß Willem die Tür auf. Seine Augen zogen sich sofort zu Schlitzen zusammen.
»Verschwindet! Ich habe es euch bereits einmal gesagt: Wenn ihr auch nur einen einzigen Schritt in mein Gewächshaus wagt, dann werdet ihr mich kennenlernen.« Willems Stimme knurrte bedrohlich. »Glaubt mir, das Ausmaß meines Ärgers vermögt ihr euch in euren kleinen Hirnen nicht im Entferntesten auszumalen!«
Ich ging instinktiv einen Schritt rückwärts.
»Habt ihr das verstanden?« Willem warf mir einen letzten scharfen Blick zu, dann drehte er sich um, verriegelte das Gewächshaus und ging. Ich sah ihm hinterher, bis er verschwunden war. Meine Handflächen schwitzten.
Was redete der denn immer so komisch? Das war ja fast unheimlich.
Mats zeigte auf das Fenster, durch das wir das letzte Mal geklettert waren. Es war geschlossen.
»Was machen wir jetzt bloß?«, überlegte ich laut vor mich hin.
»Nichts. Außer du willst eine Fensterscheibe einschlagen.«
Ich hob meine Augenbrauen. »Mitten am Tag? Was, wenn unsere Eltern das mitkriegen? Wenn Ma hört, dass ich eine historische Glasscheibe kaputt gemacht habe, kriege ich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens Hausarrest.«
Mats seufzte. »Dann können wir nichts machen außer warten.«
Genervt zwirbelte ich an einer Haarsträhne. Im Warten war ich nicht sonderlich gut, und je länger der Flakon verschwunden blieb, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Schlimmes damit passieren konnte.
Meine Augen suchten die Wand des Glashauses ab, aber es änderte nichts. Die Fenster waren geschlossen. Und irgendwo, nur ein paar Meter unter uns, wartete die Duftapotheke mit all ihren Geheimnissen.
Frustriert blickte ich den weiten Weg bis zur Villa Evie hinüber.
Da fiel mir plötzlich etwas auf.
Aufgeregt drehte ich mich zu Mats. »Sag mal, kam dir der Flur, der zur Duftapotheke führt, nicht auch viel zu lang vor?«
»Was?«, fragte Mats perplex.
»Na, ich meine, wozu hat jemand überhaupt diesen Flur gebaut? Es wäre doch viel einfacher gewesen, die Duftapotheke direkt unter das Geheimversteck zu bauen.«
In Mats’ Augen wackelten immer noch Fragezeichen. Er verstand überhaupt nicht, worauf ich hinauswollte.
»Überleg mal!« Ich versuchte es noch mal anders und winkte ihn zurück Richtung Villa Evie. »Da geht eine Treppe runter in einen Flur, der dann in die Duftapotheke führt. Und der Flur ist wahnsinnig lang. Ganz sicher ist der nicht gebaut worden, damit jemand nur seine alten Fotos irgendwo aufhängen kann, meinst du nicht auch?«
Jetzt begriff er langsam, was ich meinte. Zumindest bekam er wieder diesen fieberhaften Ausdruck im Gesicht. »Du glaubst, der Flur ist so eine Art Geheimgang? Aber wohin sollte der Gang denn führen außer in die Duftapotheke? Eine zweite Tür hab ich da unten nicht entdeckt. Du?«
»Ne. Ich könnte mir aber vorstellen, dass der Gang so lang ist, weil die Duftapotheke gar nicht unter dem Gewächshaus liegt, sondern unter der Villa Evie!«
Mats’ Blick schnellte zum Haus hinüber. »Das würde ja bedeuten, dass es vielleicht einen zweiten Zugang gibt?«
»Genau! Das müssen wir herausfinden!«
Sobald Mats und ich die Haustür der Villa Evie aufdrückten, hopste Benno uns auch schon entgegen. Wie nicht anders zu erwarten, hängte er sich sofort an Mats’ Fersen. Wir würden meinen Bruder für heute nicht mehr loswerden, so viel stand fest. Ich musste also einen Weg finden, wie wir Benno mit in die Duftapotheke nehmen konnten, ohne dass wieder eine Katastrophe passierte.
Pa lag auf dem Sofa im Salon, las Zeitung und hörte Musik. Also hatte er Hannes Problem entweder schon gelöst oder es noch schlimmer gemacht, bis sie freiwillig einen Handwerker gerufen hatte. Und Ma war offensichtlich noch am »Zeitreisen«.
Ein bisschen komisch kam es mir ja vor, dass sich keiner der beiden so richtig um Benno kümmerte. Aber bestimmt lag Pa erst seit einer Minute da auf dem Sofa und es sah jetzt nur so aus.
Ich rief ein fröhliches »Bin wieder da!« und winkte Mats und Benno in die Bibliothek, während Pa nur ein müdes »Hallo« zurückbrummte.
Hinter uns schloss ich vorsichtshalber die Flügeltür zur Bibliothek und sog den Duft nach Papier, Druckerschwärze und Holz ein.
»Okay, Benno!« Ich schlug den strengsten Tonfall an, den ich hinbekam. »Wenn du unbedingt dabei sein willst, gibt es ab jetzt eine superwichtige Regel für dich. An die musst du dich halten, egal, was passiert! Klar?«
Benno sah zu mir hoch, klimperte mit seinen blauen Augen und sagte keinen Ton. Diesen Blick hatte er echt gut drauf, damit bekam er Ma und Pa immer rum. Allerdings hatte er vergessen, dass ich seine große Schwester war und ihn längst durchschaut hatte.
»Also, wenn du noch mal mit uns in die Duftapotheke willst, dann darfst du KEINEN Flakon, KEIN Fläschchen, nicht mal die Notizbücher, also nichts, GAR NICHTS in der Duftapotheke anfassen! Klaro?«
Benno sah weiter zu mir hoch und nickte so ehrfürchtig, als würde er einen heiligen Schwur ablegen.
Ich drückte streng meinen Rücken durch. »Und das gilt für jeden Tag, nicht bloß heute! Immer eine Armlänge Abstand zu allem. Versprochen?«
»Versprochen!«, sagte Benno.
Mats stupste ihn an und lächelte. »Wir verlassen uns auf dich, Kumpel.«
Benno strahlte, als wäre gleichzeitig Weihnachten und Ostern, und ich ging halbwegs beruhigt zum Globus hinüber.
Hiermit hatten wir den Geheimzugang im Gewächshaus gefunden. Vielleicht waren darauf ja noch mehr Hinweise zur Duftapotheke versteckt? Ich drehte den Globus hin und her und las die eigenartigsten lateinischen Pflanzennamen. Nur leider fand ich absolut nichts, was in irgendeiner Form auf die Villa Evie hinwies.
Wir mussten also weitersuchen.
Mats streifte an den Bücherregalen entlang und überflog die Titel auf den Einbänden. Benno untersuchte weiter den Globus und ich zog eine der zusammengerollten Landkarten aus einem Ständer. Sie waren auf grobe Stoffbahnen gedruckt und so groß, dass man sie aufhängen musste, um sie ansehen zu können. Ich las die welligen Aufkleber auf den Leinenrücken: Amazonas, Atlantik, Tundra, Neuseeland, Papua-Neuguinea, Arktis und so weiter. Aber das hatte alles nichts mit der Villa Evie zu tun.
Mir fielen wieder die Schnitzereien unserer Holztreppe im Flur ein, die den Schlüssel zur Duftapotheke versteckt gehalten hatten. Jetzt wunderte ich mich über mich selbst, dass ich darauf nicht schon früher gekommen war: Bestimmt war in der Treppe noch mehr als nur ein Schlüssel versteckt.
»Wir suchen am falschen Ort!«, rief ich den Jungs zu und lief raus in den Flur.
Vom Sofa hörte ich Pa inzwischen schnarchen, also schob ich leise die Schiebetür zum Salon zu, nachdem mir auch die Jungs hinterhergekommen waren. Ich stellte mich direkt vor die geschwungene Treppe im Erdgeschoss und sah an ihr hinauf.
»Was machen wir hier?«, fragte Mats.
Langsam stieg ich ein paar Stufen hoch und drehte an der Holzblüte im Geländer, bis sich das Brett über dem Schlüsselversteck zur Duftapotheke öffnete. »Hier muss noch mehr sein. Wenn dadrin der Schlüssel war, ist hier vielleicht auch der Eingang. Am besten, wir drehen einmal an jedem geschnitzten Blatt und jeder Blüte.«
Mats nahm sich den oberen Teil der Treppe vor, Benno tat das Gleiche in der Mitte und ich ganz unten. Wir drehten und drehten, aber nichts passierte. Es gab einfach so viele dieser Schnitzereien im Geländer. Erst am untersten Ende der Treppe fiel mir etwas auf: Da war ein unauffällig geschnitztes Efeublatt, das inmitten all der Blüten hervorstach, wenn man genauer hinsah. Man erreichte es nicht, außer man kniete sich auf alle viere. Als ich daran drehte, knarrte und quietschte es laut unter unseren Füßen. Das gab’s doch nicht! Vor uns schob sich die Holzverkleidung unter der Treppe wie eine Jalousie ineinander. Hätte mich gestern jemand gefragt, was unter unserer Treppe ist, hätte ich geschworen, dass da nur ein hohler Raum sein konnte.
Mit offenem Mund ging ich vor Mats die Treppe hinunter und schaute auf das, was bis vor Kurzem noch der massive Unterbau der Treppe gewesen war: eine Wand aus Holz, hinter der jetzt ein verschnörkeltes Metallgitter zu sehen war. Es sah ein bisschen aus wie ein Fahrstuhl, nur schon sehr alt.
»Was steht da?«, fragte Benno und zeigte auf ein Emailleschild, das darübergenagelt worden war.
»Von innen verschlossen halten«, las Mats leise vor.
Es war ein Wunder, dass meine Eltern nach dem Lärm nicht längst angerannt kamen, also versuchte ich, das Gitter extraleise aufzuschieben, aber natürlich war es verriegelt. Reflexartig schob ich eine Hand in meine Hosentasche und griff nach dem Schlüssel. Der hatte uns schließlich auch die unterirdische Tür zur Duftapotheke geöffnet.
Als er tatsächlich passte und sich sogar drehen ließ, jubelten wir alle.
Im Salon verstummte Pas Schnarchen, also schlüpften wir schnell durch die Tür. Wir standen in einem Hohlraum unter der Treppe. Es war eng und ich erkannte rein gar nichts, was nach einem Weg aussah, der uns in die Duftapotheke führte. Links, rechts und vor uns nichts als holzverkleidete Mauern.
Benno drückte Mats und mich weiter in den engen Raum unter der Treppe und zog das Gitter vor uns wieder zu. Dann warteten wir. Aber außer ein paar Lichtstrahlen, die sich durch die Ritzen im Holz zu uns in die Dunkelheit drängten, passierte nichts.
»Vielleicht musst du noch abschließen? Das stand zumindest auf dem Schild«, schlug Mats vor.
Das stimmte! Ich schob meinen rechten Arm an ihm vorbei und drehte den Schlüssel von innen im Schloss herum. Es klackte und wir hörten, wie sich kurz darauf die Holzvertäfelung von außen zuschob.
Mein Herz setzte beinahe aus. Was, wenn wir hier drin festsaßen? Es war wirklich furchtbar dunkel und ich erkannte gar nichts mehr. Aber sehen brauchten wir auch nichts, denn im nächsten Moment gab der Boden unter unseren Füßen nach und rutschte nach unten. Gleichzeitig schrien Benno und ich vor Schreck auf. Es ratterte und wir hörten Eisenketten aneinanderreiben. Immer tiefer sausten wir abwärts.
Mit einem unsanften Ruck hielt der Boden unter uns plötzlich wieder an. Ich rumpelte gegen Mats und stieß mir den Ellenbogen an der Holzwand. Trotzdem versuchte ich, Benno irgendwie festzuhalten. Um nicht mit ihm zusammen umzukippen, machte ich einen Ausfallschritt und trat mit Schwung auf einen fremden Fuß.
»Autsch«, jammerte Mats leise.
Verlegen blieb ich stocksteif stehen. »Sorry!«
Mitten in die stille Enge hinein, in die wir uns quetschten, hörten wir ein unheimliches Rattern. Dann schob sich vor uns etwas auf.