Читать книгу Duftapotheke Bundle. Bände 1-3 - Anna Ruhe - Страница 17
Оглавление9. Kapitel
Ich hatte immer noch den beißenden Geruch in der Nase. Selbst als wir längst durch das gekippte Fenster aus dem Gewächshaus geklettert und wieder draußen an der frischen Luft waren. Mein Blick fiel auf Mats’ zusammengeknülltes Sweatshirt, mit dem er die Flüssigkeit aufgewischt hatte. Seltsam, aber daraus stiegen weiterhin Duftwolken auf.
Wer bitte entwickelte so ein blödes Parfüm und gab ihm dann diesen albernen Namen? Wer benutzte überhaupt so was? Und wozu?
Aber etwas anderes war noch viel seltsamer: Bevor wir in das Gewächshaus geschlichen waren, hatten sich zwar ein paar Sommerwölkchen vor die Sonne geschoben, aber jetzt hingen dichte graue Schleier über uns und verdunkelten den Himmel. Es fühlte sich an, als hätte hier draußen jemand das Licht ausgemacht. Dabei war es Juli und mitten am Tag. Außerdem hatte sich die Luft abgekühlt und alles fühlte sich plötzlich an wie im tiefsten Herbst. Dabei war doch Hochsommer!
Auf unseren Armen standen die Haare senkrecht nach oben und wir beeilten uns, zurück ins Haus zu kommen. Mats entsorgte sein Sweatshirt in unserer Mülltonne. Die Duftwolken, die immer noch aus dem Stoff aufstiegen, waren keinem von uns so ganz geheuer.
Niemand war zu Hause. Ma hatte sich heute Morgen mit einer endlos langen Einkaufsliste in den Baumarkt und Künstlerbedarfshandel aufgemacht. Die Renovierung der Villa Evie schluckte ihre gesamte Aufmerksamkeit. Aber ich wusste, dass das nur eine Phase war, die auch wieder aufhörte. Normalerweise dauerte es nie länger als ein oder zwei Wochen und Ma tauchte aus ihrem kaputten Museumskram auf und kehrte zurück in unser Familienleben. Dann hörte sie wieder zu, kochte uns leckere Mittagessen und war wieder ganz die Alte.
Wenn es um etwas wie Arbeit ging, waren meine Eltern grundverschieden. Pa arbeitete zwar auch gern als Musiklehrer, aber das tat er nur in der Zeit, in der er in der Schule war. Kam er nach Hause, war er voll und ganz bei uns. Ein paar Ausnahmen waren die Tage, an denen er Klassenarbeiten korrigierte oder irgendwas vorbereitete. Aber das hielt sich bei Pa in Grenzen. Ich konnte mich nicht erinnern, dass er jemals mit seinen Gedanken irgendwo anders war, wenn man mit ihm reden wollte. Heute traf er sich allerdings trotz Ferien mit einem seiner zukünftigen Kollegen auf einen Kaffee in der Stadt. Wahrscheinlich war er doch nervöser wegen der neuen Schule, als er zugab.
Das Haus war leer, dunkel und ziemlich kalt. Benno maulte, weil er Hunger hatte, also setzten wir uns an den Küchentisch und beschmierten ein paar Toastbrote mit Erdnussbutter. Ich ging zum Herd und setzte einen Topf Kakao auf. Während ich mir die Hände über der Gasflamme wärmte, dachte ich über den seltsamen Kälteeinbruch nach. Ich rührte die Milch um und bemerkte, dass die Fensterscheiben beschlugen. Ich stockte und schaute genauer hin. Da bildeten sich tatsächlich Eisblumen am Glas! Und dann, plötzlich und ohne Vorwarnung, ging es los. Ein Hagelschauer donnerte vom Himmel und knallte auf die Fensterbretter, auf denen Eiszapfen wuchsen und wuchsen.
»Oh mein Gott! Was ist das?!« Ich drehte mich zu Mats und Benno, die am Küchentisch saßen und mitten im Kauen aufgehört hatten.
Als wären wir selbst schockgefroren, starrten wir aus den Fenstern und sahen dem Unwetter draußen zu. Wir waren so fassungslos, dass wir erst gar nicht sahen, wie sich langsam eine Mütze, dann Haare und schließlich Augen am Küchenfenster hochschoben und zu uns hineinglotzten.
War das Willem? Ja! Er sah mich mit einer Mischung aus Wut und Entsetzen an. Eine sehr lange Sekunde lang fixierte er mich. Neben mir kochte die Milch über und ich nahm schnell den Topf vom Herd. Als ich wieder zum Fenster sah, war er verschwunden.
Ich wischte die tropfende Milch auf und fluchte. »Was will der hier?«
»Wie? Wer?« Mats sah konzentriert nach draußen, allerdings durch ein anderes Fenster.
Noch bevor mir eine Erklärung für Willems plötzliches Auftauchen einfiel, zuckte ich zusammen. Die Türglocke schrillte. Wie immer viel zu laut.
»Ich! Ich geh, ich!«, rief Benno und lief aufgeregt zur Eingangstür, als stünde da draußen der Weihnachtsmann.
»Warte!«, versuchte ich, ihn zu stoppen, und rannte ebenfalls zur Tür. »Wir wissen doch gar nicht, wer das ist.« Sicherheitshalber winkte ich Mats zu uns in den Flur. Ich war mir hundertprozentig sicher, dass nur Willem da draußen stehen konnte. Und wenn ich jemandem ganz bestimmt nicht öffnen würde, dann ihm. Wer wusste schon, was der schräge Typ hier wollte, nachdem er wahrscheinlich ausgekundschaftet hatte, dass wir allein zu Hause waren.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und spähte durch den Türspion. Aber draußen stand nicht Willem, sondern Hanne van Velden. Während ich öffnete, drückte Hanne bereits von außen die Tür auf und kam ins Haus hereingestiefelt. In ihren grauen Locken, die sie immer zu einem wuscheligen Dutt trug, hingen kleine Eiskügelchen. Ihre Backen zierten rote Kreise und sie schlotterte in ihrem tropfenden Rock.
»Was ist denn hier los?« Die Absätze ihrer Stiefeletten klackten über das Parkett im Flur. Misstrauisch sah sie sich um.
Ich hob die Schultern. »Wieso fragen Sie uns das?«
»Wen soll ich denn sonst fragen?« Hanne sah über unsere Köpfe hinweg in die umliegenden Zimmer. »Es hagelt, Kindchen! Und zwar nur über der Villa Evie!«
»Was?« Ich ging wieder Richtung Küche. Hannes Schuhe donnerten hinter mir auf den Fliesen. Vor dem größten Küchenfenster blieb sie stehen und stemmte ihre Arme in die Hüften.
Mir verschlug es fast den Atem, als ich begriff, was Hanne gemeint hatte. Es hagelte wirklich nur über der Villa Evie. Als ob eine hausgroße Unwetterwolke über uns schwebte, aber alle anderen verschonte. Ringsherum schien die Sonne auf die Nachbardächer und Vögel zwitscherten. Nur auf unseren Fensterbrettern wuchsen die Eiszapfen stetig empor und kleine harte Eiskügelchen krachten weiter gegen die Scheiben.
Das war doch ein schlechter Scherz, oder?
Hinter mir stand Mats und kratzte sich am Kopf. Ich versuchte, irgendetwas zu sagen, aber mir fielen einfach keine richtigen Worte dazu ein. Außerdem spürte ich ein schlechtes Gewissen in mir hochkriechen. Mir war, als ob wir an der ganzen Sache schuld wären. Genauer gesagt, als ob unser beziehungsweise Bennos Missgeschick in der Duftapotheke der Grund für all das hier war. Andererseits: Wie konnte ein Duftfläschchen, selbst wenn es zufälligerweise den Namen »Duft der Kälte« trug, so ein Unwetter auslösen?
Das war doch völlig unmöglich!
»Oh, ihr habt Kakao aufgesetzt?«, sagte Hanne und rieb sich ihre roten Hände.
»Äh, ja. Möchten Sie einen?«, fragte ich.
»Liebend gern!« Hanne hängte ihre Handtasche über einen Küchenstuhl und ließ sich darauffallen. Dabei klapperten ihre vielen Armreifen. »Seit meiner Kindheit ist so etwas hier nicht mehr passiert.«
Ich ging zum Herd hinüber, füllte ein paar Tassen und balancierte sie zum Tisch. Der süße, warme Kakao beruhigte und ließ mich wieder klarer denken. Benno krabbelte ebenfalls auf einen der Stühle. Doch bevor er sich ein weiteres von Mats belegtes Sandwich in den Mund schob, entdeckte ich etwas neben seinem Teller. Ich verschluckte mich vor Schreck.
Es war ein hellbrauner Flakon aus der Duftapotheke!
Hoffentlich bemerkte Hanne ihn nicht. Ich hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt etwas über die Duftapotheke wusste. Trotzdem musste ich die alte Dame irgendwie ablenken, damit ihr das Fläschchen nicht auffiel. Ich beschloss, Hanne erst mal, so gut es ging, in ein Gespräch zu verwickeln, das sie beschäftigt hielt.
»Wie ist eigentlich dieser Willem so?« Zuerst musste ich herausfinden, wie nahe sich die beiden standen.
»Willem, der Gärtner?« Hanne nahm einen kräftigen Schluck aus ihrer Tasse. »Ach, der ist ganz in Ordnung. Ein bisschen mürrisch manchmal. Aber so war er schon immer. Er meint das aber nicht böse, Kindchen. Willem ist sehr zuverlässig und immer hilfsbereit, wenn etwas nicht funktioniert.« Die alte Frau stellte ihre Tasse zurück auf den Tisch. Sie sah plötzlich verwirrt aus. »Mist, jetzt ist es wieder weg. Gerade noch ist mir etwas eingefallen, was ich dir unbedingt erzählen wollte. Ich hab irgendwo Glas klirren gehört und ein gelb flackerndes Licht hat mich daran erinnert, dass … dass …« Hanne rieb sich am Kinn. »Hach, wie ärgerlich, ich hab es vergessen! Das passiert mir ständig. Alt werden ist wirklich kein Spaß.«
Ich sah Hanne an und versuchte, unser Gespräch wieder auf Willem zu lenken. »Warum darf denn nie jemand in das Gewächshaus?«
»Ach, mit seinen Pflanzen ist Willem ein bisschen eigen.« Hanne winkte ab. »Das hat nichts zu bedeuten. Selbst als ich noch ein Kind war, hat er schon wie ein eifersüchtiger Liebhaber sein Gewächshaus bewacht. Die Pflanzen und Blumen sind sein Ein und Alles. Aber wie gesagt, er meint das nicht böse. So ist er eben.«
»Wieso gehört ihm überhaupt das Gewächshaus? Es steht doch auf dem Grundstück der Villa Evie, oder?«
Hanne wuschelte sich durch ihre Locken und ein paar letzte Hagelkörner fielen heraus. »Ich denke … nun, Willem muss es geerbt haben, so wie ich die Villa Evie. Zum Glück! Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn hier machen würde.«
Wieder schrillte die Klingel. Vorsichtig öffnete ich die Tür und lugte hinaus. Draußen stand eine Horde Nachbarn. Aufgeregt fragten sie, ob alles mit uns in Ordnung sei, und meinten, dass das ja ein unglaubliches Naturereignis über der Villa Evie wäre.
»Nicht zu fassen!«
»Schrecklich, und das mitten im Sommer!«
»Das sind ja besorgniserregende Zustände …«
Erleichtert sah ich, wie Mas Auto auf der Straße hielt und sie bepackt mit Taschen und Tüten durch das Unwetter rannte.
Wenn meine Mutter etwas richtig gut konnte, dann war es Nervensägen loswerden. Das konnte sie mindestens so gut wie alte Kirchengemälde neu pinseln. Ich atmete tief durch und strahlte Ma an, die klatschnass mit ein paar Nachbarn ins Haus trat.
»Hallo, mein Schatz! Was ist denn hier los?« Ma strich sich ihre tropfenden dunklen Haare aus dem Gesicht und warf mir ein Lächeln zu. Dann sah sie sich nach Benno um, der auf sie zurannte und genauso erleichtert darüber schien wie ich, weil sie endlich zu Hause war. Um uns herum schnatterten die Nachbarn, aber von so was ließ Ma sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie winkte uns und die Nachbarn in die Küche, um mehr über das seltsame Wetter rund um unser Haus zu hören.
Mats warf mir in all dem Durcheinander einen genauso ratlosen wie schuldbewussten Blick zu. »Ich geh dann besser mal. Muss nachsehen, ob bei mir zu Hause noch alles in Ordnung ist.«
Ich lächelte ihn an. »Mach das. Wir sehen uns, okay?«
»Okay.« Mats lächelte verstohlen zurück, er winkte Benno, der sich an Ma kuschelte, und verschwand zwischen den Nachbarn durch die Tür.
Ma war selbst so überrumpelt vom Hagel und der Kälte, dass sie erst mal allen etwas zu trinken einschenkte. Dabei sah sie immer wieder nach draußen ins Unwetter. Ich versuchte, den braunen Flakon im Auge zu behalten. Nicht, dass er auch noch umfiel. Doch in dem Gewusel unserer Küche entdeckte ich ihn nicht mehr.
Oh nein! Hektisch drehte ich mich im Kreis. Wo konnte der denn so schnell hingekommen sein? Wir durften auf keinen Fall eine dieser vielleicht-magischen Parfümflaschen verlieren!
Aber bevor ich mich ernsthaft auf die Suche machen konnte, hatte Ma bereits die letzten Nachbarn nach Hause geschickt. Als auch Hanne durch die Tür verschwunden war, setzten wir uns aufs Sofa und sahen zusammen dem Unwetter zu, wie es gegen unsere Fensterscheiben trommelte.
Als Ma uns fragte, was wir über das seltsame Wetter dachten, verschwiegen Benno und ich natürlich eisern die geheimen Düfte. Vielleicht wegen unseres schlechten Gewissens. Vielleicht aber auch nur, weil es einfach viel zu absurd klang, dass ein Parfüm dieses Chaos ausgelöst haben könnte. Jeder hätte uns doch sofort für völlig verrückt erklärt.
Trotzdem. Mir wurde ganz schlecht bei dem Gedanken, dass einer der Flakons verschwunden war. Hatte ihn womöglich einer der Nachbarn eingepackt? Was, wenn sie sich damit besprühten? Was, wenn der Flakon aus dem Regal mit den schmerzhaften Düften stammte oder etwas Gefährlicheres auslöste, als nur ein paar Blumen zum Wachsen zu bringen?
Erst als Pa nach Hause kam und sich zu uns aufs Sofa quetschte, löste sich das Unwetter endlich wieder in nichts auf. Erleichtert beobachtete ich, wie die Sonne sich durch die Wolken schob – auch wenn ich dabei nicht aufhören konnte, an den braunen Flakon zu denken. Hoffentlich tauchte er ganz schnell wieder auf!