Читать книгу Duftapotheke Bundle. Bände 1-3 - Anna Ruhe - Страница 15

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7. Kapitel

Die Holzregale umringten uns wie endlose Mauern aus jahrelang ungelesenen Büchern. Benno hopste aufgedreht voraus.

»Was wollt ihr mir denn zeigen?«, fragte Mats.

»Das hier!« Benno blieb vor dem alten Globus stehen und drehte ihn.

Mats sah uns unbeeindruckt an. »Eine Weltkugel?«

Ich hob eine Augenbraue und schob ihn näher zu Benno. »Guck doch mal genau hin. Da ist nämlich keine Landkarte drauf.«

Benno hörte auf, den Globus zu drehen, und Mats beugte sich tiefer. Sein Blick wanderte über den Grundriss und die darin eingezeichneten Pflanzensymbole. »Soll das ein Garten sein?«

»Erkennst du es nicht?« Benno sah zu Mats hinauf und zeigte auf eine Stelle, an die eine Lavendelblüte gemalt war.

»Oh Mann. Ist das ein Grundriss vom Gewächshaus?« Mats sah ungläubig zu mir über Bennos Kopf hinweg.

Ich nickte. Mit meinem Finger fuhr ich an dem eingezeichneten Lavendelbeet entlang, bis ich auf eine Art Mauer oder Begrenzung zeigte. »Da ist das Fenster, durch das wir reingeklettert sind.«

Mats bückte sich noch tiefer. »Du hast recht! Das gibt’s doch nicht. Das ist echt das Gewächshaus. Aber wozu?«

Ich schob meine Hände in meine Hosentaschen. »Gute Frage. Vor allem: Warum malt das jemand auf einen Globus?«

Benno klatschte in die Hände und sah abwechselnd zu mir und Mats hoch. »Vielleicht ist das eine geheime Schatzkarte?«

Ich lächelte. »Du glaubst, Willem hat eine Kiste mit Gold in einem der Blumenbeete vergraben?«

»Ja! Bestimmt ist da ein Schatz.« Benno drehte aufgeregt am Globus herum. »Vielleicht war Willem ein Pirat und hat Gold geklaut.«

Mats klopfte Benno auf die Schulter. »Sorry, Kumpel, aber ich glaub nicht, dass du auf dem Globus eine gezeichnete Schatztruhe findest. Da sind nur Pflanzen und Blumen drauf.«

Aber Benno ignorierte Mats’ Kommentar einfach. So machte mein Bruder es mit jedem, der etwas sagte, was ihm nicht gefiel. Stattdessen hielt er den Globus an.

»Und das da?« Benno zeigte auf ein Symbol, das nicht zu den anderen passte. Es war eine schnörkelige Flasche, die einem Parfümflakon ähnelte. Nur stand daneben keiner dieser lateinischen Pflanzennamen wie sonst an allen Zeichnungen, die zum Beispiel Viola odorata oder Lavandula officinalis hießen.

»Die hat Ähnlichkeit mit den Fläschchen, die wir auf dem Dachboden gefunden haben«, murmelte Mats nachdenklich.

Ich pfiff beeindruckt und versuchte, mir das Symbol und den Grundriss genau einzuprägen. »Stimmt! Na los, finden wir heraus, was da ist!«

Mats zog sein Handy aus der Hosentasche und machte ein Foto. Dann liefen wir alle aus der Bibliothek. Im Gewächshaus brannte kein Licht, also waren wir uns sicher, dass Willem nicht zurückgekommen war.

Wieder empfing uns das dampfige Duftgemisch. Mats ging diesmal voraus, sein Gesicht stur auf das Handyfoto des Globus gerichtet. Mir kam es vor, als würden wir ewig zwischen den Stauden, Blumenbeeten und kleinen Bäumchen herumschleichen, bis Mats endlich stehen blieb und auf sein Handy zeigte. »Hier müsste es laut Grundriss sein.«

Ich stellte mich neben ihn und drehte mich um meine eigene Achse. Vor uns wuchsen zwei Zitronenbäumchen neben drei mächtigen Palmen. Sonst sah ich nichts, was irgendwie ungewöhnlich war.

Mats hatte den Kopf in den Nacken gelegt und suchte die Glasdecke über uns ab. »Was soll es denn hier geben, das etwas mit einem Flakon zu tun hat?«

Benno kroch auf allen vieren um die Palmen und Bäume herum und fing an, in den Blumentöpfen zu buddeln. Mats half ihm, während ich mich weiter umsah. Und da entdeckte ich es: Wenn man sich direkt vor die Zitronenbäumchen stellte und durch die Blätter hindurchschaute, sah man sie. Es war eine Tür, die zu einem Schuppen gehörte, und der stand wie ein viel zu großes Paket mitten im Gewächshaus.

»Ich hab’s!«, rief ich, stolperte aufgeregt zur Tür und riss an der Klinke. Es war nicht abgeschlossen und somit fiel ich fast hintenüber bei meinem Schwung. Während ich meinen Kopf durch die geöffnete Tür steckte, hörte ich Benno und Mats näher kommen. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, aber das, was ich sah, war es ganz sicher nicht.

Vor mir lag ein fensterloser Raum von der Größe einer Abstellkammer. Innen wirkte der Schuppen viel kleiner, als er von außen aussah. Rechts standen auf ein paar Holzbrettern nur noch mehr Tontöpfe und an der anderen Wand hingen Harken, Spaten und alle möglichen Gartengeräte.

»Ein Geräteschuppen?« Hinter mir atmete Mats einmal tief ein und wieder aus und ich konnte seine Enttäuschung förmlich hören. Dann drehte er sich wieder um und ging hinaus.

Ich legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die Holzdecke. Über mir baumelte eine alte Gaslampe. Ich fuhr mit meiner Handfläche über die Bretter der Wände und ertastete einen Drehschalter. Kaum hatte ich ihn betätigt, zischte es über mir und die Lampe flackerte auf. Ich ging ein paar Schritte im Schuppen herum. Dabei stieß ich gegen einen der Blumentöpfe am Boden. Er klirrte und brach auseinander.

Keine zwei Sekunden später steckte Mats seinen Kopf wieder zu mir in die Kammer. »Nicht so laut!«

Ich verdrehte die Augen. »Ach was!« Die Bemerkung war so was von überflüssig. Als hätte ich mir vorgenommen, mit Absicht einen Blumentopf hier drin zu zerdeppern!

Hastig fing ich an, die Tonscherben einzusammeln. Bestimmt fiel Willem ein fehlender Blumentopf bei den Massen gar nicht auf. Doch dann, als ich für die Scherben einen größeren Topf suchte, in dem ich sie unauffällig verschwinden lassen konnte, fiel mein Blick auf etwas anderes.

Da! Hinter einem Turm aus ineinandergestapelten Töpfen glänzte es. Es war ein Metallhebel oder ein Schalter, der wie die Handbremse im Auto schräg aus dem Boden ragte. Kurz entschlossen zog ich an ihm. Aber nichts passierte, also drückte ich ihn nach unten. Ich hörte, wie Mats ernsthaft mit Benno über einen möglichen versteckten Schatz diskutierte, den Willem laut meinem Bruder bestimmt in einem der Blumentöpfe vergraben hatte. Ich lächelte. Dafür mochte ich Mats wirklich.

Unter mir vibrierte der Boden. Erst ganz sacht, dann stärker, bis ein plötzlicher Ruck mich nach vorn stolpern ließ und ich gegen die Holzwand fiel. Die Steinplatten knirschten. Sie bewegten sich.

Ungläubig stützte ich mich mit den Armen an der Wand ab und sah auf meine Füße. Wirklich! Der Boden unter mir drehte sich. Ich drehte mich! Sogar die Wand kam in Bewegung.

Es war, als stünde ich auf einem Karussell.

Als die Steinplatten in eine neue Position einrasteten, lag dort, wo gerade noch die Tür des Schuppens gewesen war, eine Wand. Es war die Wand, die sich mit mir gedreht hatte. Sie teilte den Schuppen also in zwei Hälften. Jetzt verstand ich auch, warum mir der Schuppen von außen viel größer vorgekommen war. Ich hatte einen geheimen Raum gefunden. Das hier war echt ein gutes Versteck!

Ich drehte mich um und blickte auf eine schwere Holztreppe, die nach unten führte. Ging es da etwa in den Keller runter? Unter die Erde? Vorsichtig trat ich auf die oberste Treppenstufe und testete, ob sie mich halten würde. Auf dem Geländer lag Staub, in dem ich Handabdrücke erkannte. Es roch nach abgestandener Luft.

Das Holz der Stufen unter mir hielt. Ich trat auf die zweite, dann auf die dritte, bis ich auf der letzten Stufe angelangt war. Es war dunkel, nur von oben drang Licht aus dem Schuppen hierher. Vor mir lag ein Gang oder ein Flur. Genau konnte ich es nicht erkennen. Oben im Schuppen trommelten Benno und Mats gegen die Wand hinter den Werkzeugen.

»Wo bist duuu? Luuuziiie?« Bennos Kinderstimme klang verzweifelt.

»Hast du dir wehgetan?«, hörte ich Mats dazwischenrufen.

»Nein. Alles in Ordnung!« Ich stolperte wieder die Treppe hoch und zog diesmal den Hebel nach oben. Wieder hörte man das Geräusch von aneinanderreibendem Stein und der Boden samt Trennwand drehte sich zurück.

Mit feuchten Augen starrte Benno mich durch die Tür an, vor der gerade noch eine Wand gewesen war. Im nächsten Moment schlang er seine Arme um mich. »Wo warst du?«

Mats betastete die Wände und schwieg, so verdattert war er von dem, was gerade passiert war.

Ich griff mir Bennos Hand und winkte Mats in die Abstellkammer hinein. »Ich zeig’s euch.« Wieder drückte ich auf den Hebel und im nächsten Moment drehten wir uns zusammen um hundertachtzig Grad.

»Das gibt’s nicht!«, staunte Mats, als ich die beiden die Treppe runterwinkte und er in den Flur vor uns schaute. Benno drückte meine Hand fester und schob sich enger an mich heran.

Ich fand wieder einen dieser Lichtschalter, die man drehen musste, anstatt einfach draufzudrücken. Sekundenlang zischte die Luft, dann flammte eine Gaslampe auf und warf ihr flackerndes Licht auf uns. Benno entspannte sich in der Helligkeit und ging zwischen mir und Mats in den Flur hinein. Die Blümchentapete, die Steinfliesen und die Bilderrahmen an der Wand erinnerten mich sofort an die Villa Evie.

Mats blieb stehen und betrachtete ein paar der schwarzweißen Fotografien in ihren goldverzierten Rahmen. Das Fotopapier war an den Rändern vergilbt und die Porträts darauf ziemlich unscharf. Aus jedem Rahmen schaute uns derselbe Mann entgegen. Am unteren Rand waren kleine Messingschildchen genagelt und darin jeweils ein Datum und ein Ort eingraviert. Unter dem Foto vor mir stand: 23. April 1869, Amazonas. Auf dem dazugehörigen Foto sah man den Mann mit Tropenhelm in einem Kahn stehen, der über einen Fluss schipperte. Um ihn herum stapelten sich Holzkisten und im Hintergrund erkannte ich etwas wie Urwald.

Unter einem anderen Foto stand: 4. Dezember 1846, Tiroler Alpen. Darauf war derselbe Mann abgebildet, nur diesmal steckte er in einer uralten Bergsteigerausrüstung. Er war zwischen zwei anderen Männern angeseilt und stieg mit Spitzhake in der Hand einen Eisgletscher hinauf.

»Guckt mal!« Benno langweilten die Fotografien und er lief weiter in den Flur hinein. »Da ist noch eine Tür!«

Mats und ich drehten uns gleichzeitig zum Ende des Flures. Benno zog schon an der Türklinke, aber sie öffnete sich nicht. »Ist abgeschlossen.«

Tatsächlich: Da war eine kräftige Holztür mit einem gusseisernen Schloss. Ich drückte auf die Klinke und versuchte, die Tür zu öffnen.

»Ich hab doch gesagt, die ist abgeschlossen«, beschwerte sich Benno.

Ein bisschen mulmig war mir plötzlich. Immerhin standen wir in einem Kellergeschoss, in das man nur durch eine Geheimtür kam und von der offensichtlich niemand etwas wusste, außer vielleicht diesem Willem. Und jetzt war die Tür auch noch verschlossen. Bestimmt war dahinter das versteckt, worüber sich alle in der kleinen Stadt den Kopf zerbrachen. Aber was war so geheim – und womöglich so gefährlich –, dass jemand ein ganzes Untergeschoss baute, um es zu verstecken?

Mats sah mich schweigend an. Auch in ihm schienen Fragen herumzuwirbeln. Ich schob eine Hand in meine rechte Hosentasche und zog die Kette mit dem alten Schlüssel heraus.

»Was meint ihr?«, fragte ich. »Wie lange ist hier schon niemand mehr gewesen?« Ich versuchte, cool zu tun, obwohl mir vor Aufregung fast schwindlig war. Mit flattrigen Fingern schob ich den Schlüssel ins Schloss.

»Finden wir es heraus«, sagte Mats und sah dabei aus, als ob auch ihm das Herz bis zum Hals pochte.

Diesmal passte der Schlüssel perfekt und ich drehte ihn einmal und dann noch mal, bis er anschlug. Das Schloss klackte und die massige Tür öffnete sich. Mit angehaltenem Atem schoben wir sie auf.

Etwas erkannte ich sofort wieder: den Geruch. Es roch genau so wie in unserer Villa. Hinter mir drehte Mats an einem der alten Lichtschalter und vor uns erhellte sich der Raum in einem unendlichen Teppich von Farben.

»Ich wusste es!« Mats triumphierte. »Die Villa Evie hat ein Geheimnis!«

Duftapotheke Bundle. Bände 1-3

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