Читать книгу Duftapotheke Bundle. Bände 1-3 - Anna Ruhe - Страница 29
Оглавление21. Kapitel
Wir standen im Dunkeln und der Fahrstuhl unter der Treppe rumpelte tiefer und tiefer. Natürlich hatte ich keine Ahnung, ob Willem in der Duftapotheke war oder nicht. Und eigentlich hatte ich mir auch geschworen, Benno nicht mehr mitzunehmen. Aber im Moment konnte ich ihn ja nicht mit Ma und Pa alleine lassen. Solange er bei mir war, passte wenigstens überhaupt jemand auf ihn auf.
Mit einem Ruck blieb der Fahrstuhl stehen.
Wir lauschten in das Büro hinter der Tür. Nichts war zu hören, nicht das kleinste Geräusch. Aber wahrscheinlich wäre Willem sowieso mucksmäuschenstill gewesen nach dem ohrenbetäubenden Gerumpel des Fahrstuhls.
Mit feuchten Fingern drückte ich die Klinke hinunter und schob die Fahrstuhltür auf. Das Büro war stockdunkel. Ich atmete erleichtert aus, als niemand vor uns stand. Dann tastete ich mich vorwärts und fuhr mit der Hand die Wand entlang auf der Suche nach dem Drehschalter. Klack, da war er. Wieder flammten die Gaslampen über uns auf. Eine Sekunde lang sah ich gar nichts, weil mir das Licht nach der Dunkelheit in die Augen stach.
»Und was genau ist jetzt dein Plan?«, fragte Mats.
Warnend hob ich meine Hand und wartete, ob Willem doch nebenan war. Ich drückte mein Ohr an die Wand zur Duftapotheke und lauschte. Es war nichts zu hören. Vorsichtig drückte ich die Tür auf und ging durch das Regal. Auch hier knipste ich das Licht an.
Meine Anspannung ließ nach, als uns nur die funkelnden Flakons in ihren Regalen gegenüberstanden.
Wir gingen zur schweren Holztür, die zum Gewächshaus führte, und ich schob meinen Schlüssel ins Schloss. Dreimal ließ ich ihn klacken, dann schob ich die Tür auf. Ich war froh, dass auch hier noch keine Gaslampen über uns glühten und ich sie selbst anstellen musste. Leise schlichen wir durch den Flur auf die Treppe zu. Als wir zusammen im Geräteschuppen angekommen waren, lauschten wir wieder auf Willems Stiefelsohlen oder ein anderes Geräusch, das den Gärtner verraten würde. Aber alles war still. Also zog ich am Bodenhebel und wir drehten uns ins Gewächshaus.
Mats hielt mich an der Schulter fest, bevor ich einen Schritt tun konnte. »Bleib du am besten bei Benno! Ich geh da rein und hol den Brief. Falls Willem doch hier ist, könnt ihr zurück und Hilfe holen.«
Mir gefiel es nicht, dass Mats allein loswollte, aber er hatte recht. Es war klüger, wenn jemand von uns auf Benno aufpasste und im Fall der Fälle verhindern konnte, dass Willem uns alle gleichzeitig erwischte. Ich nickte und griff mir Bennos Hand. »Beeil dich!«
Mats lugte durch die Tür des Geräteschuppens und schlüpfte ins Gewächshaus. Angespannt hörte ich auf jedes Geräusch um uns herum. Das Zischen der Lampen, ein Vogel, der irgendwo draußen herumzeterte, und Bennos schneller Atem.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Mats endlich wieder zurück. Ohne ein Wort zu sagen, zog er am Bodenhebel und wir drehten uns zurück in den langen Flur, der zur Duftapotheke führte. Als der Boden unter unseren Füßen einrastete, hielten Benno und ich es nicht mehr aus und fragten gleichzeitig: »Hast du ihn?!«
Mats grinste und hielt uns einen weißen Briefumschlag vors Gesicht. »Lasst uns zurück! Ich will mir nicht vorstellen, was passiert, wenn Willem uns damit erwischt.«
Wir rannten los, die Treppenstufen runter in den Flur und zurück in die Duftapotheke.
Ich sah auf die schwere Holztür, die hinter uns zufiel. »Am besten, wir verbarrikadieren den Eingang, damit Willem hier nicht reinkommt.«
»Guter Plan!« Mats ging zum Holztresen, der mittig im Raum stand, und versuchte, ihn vorwärtszuschieben. »Fasst mal mit an.«
Benno und ich begriffen, dass Mats den Tresen vor die Tür stellen wollte, und schoben mit. Das Teil war verdammt schwer und bewegte sich nur langsam vorwärts. Es dauerte ewig, aber letztendlich schafften wir es. Willem kam hier so schnell nicht mehr rein und wir waren erst mal sicher.
»Und?« Benno zog Mats am Arm. »Was steht in dem Brief drin?«
Mats legte den Umschlag auf die Marmorplatte des Tresens. Altmodische Buchstaben waren darauf mit Tinte geschrieben. An Herrn Daan de Bruijn, stand da. Und darunter die Adresse der Villa Evie. Mats drehte das Kuvert um und versuchte, den Absender zu entziffern.
»Monsieur Emilien F. Bernard«, las er vor und als Nächstes irgendeine französische Straße und Stadt.
»Mach ihn endlich auf!«, nörgelte Benno.
Mats zögerte. »Wie denn? Wenn wir ihn aufreißen, dann können wir ihn danach nicht mehr zurücklegen. Wer weiß, vielleicht ist es ja etwas Wichtiges, das wir Willem nicht verheimlichen dürfen.«
»Aber der Brief ist nicht für Willem, sondern für Daan de Bruijn«, warf ich ein. »Und manchmal kann es ja auch passieren, dass man aus Versehen einen Brief aufmacht, weil man dachte, der ist an einen selbst. Postboten verwechseln manchmal die Briefkästen.« Ich zwinkerte. »Außerdem haben wir gerade wichtigere Probleme.« Kurz entschlossen griff ich mir den Brief und schob meinen Zeigefinger seitlich in den Umschlag. Dann riss ich ihn auf.
Innen lag ein violettes Papier. Ein dunkler und vertrauter Geruch stieg daraus auf. Ich zog einen Briefbogen hervor, faltete ihn auseinander und legte ihn wieder auf den Tresen zwischen uns.
»Ist das echt eine Bestellung?« Ich konnte gar nicht glauben, was ich da las. »Aber Daan de Bruijn lebt doch gar nicht mehr.« Ich tigerte ungeduldig an den Flakons entlang und dachte nach.
Diesmal fand Mats etwas im Internet, als er sein Handy hervorholte. »Das gibt’s doch nicht! Hier! Monsieur E. F. Bernard lebte von 1854 bis 1922. Er war ein französischer Glashersteller und Geschäftsmann. Mit seinen verschiedenen Flaschen der Marke Priscilla, die er bis zu seinem Tode erfolgreich weltweit vertrieb, erwarb Bernard ein stattliches Vermögen. Er verstarb auf seinem Landgut in der Normandie.«
Für einen Moment schwiegen wir alle. Mats starrte nur weiter auf sein Handy. »Der ist auch schon lange tot«, flüsterte er.
»Genau wie Daan de Bruijn«, sagte ich nur.
Mats hob den Kopf und sah mich an. »Schreiben hier ernsthaft Tote an Tote?«
»Ach Quatsch, wie denn?« Ich konnte mir ein ungläubiges Lachen nicht verkneifen. »Keine Ahnung, wer diese Bestellungen aufgibt, aber tot kann er nicht sein. Vielleicht benutzt derjenige einfach den Namen Bernard? Als eine Art Deckname? Um zu verheimlichen, wer er wirklich ist?«
Mats nickte. »Gute Idee, das könnte es sein.«
Ich drehte mich einmal um mich selbst. Okay, Zeit, mich wieder um das Problem mit meinen Eltern zu kümmern. Ich war jedoch bereits am letzten Regal angelangt, aber nirgends hatte ich einen Duft gefunden, der irgendetwas mit »Sich wieder erinnern« zu tun hatte. Es wäre auch einfach zu schön gewesen, wenn ich plötzlich über eine Art Gegenduft gestolpert wäre, der das ganze Problem für uns löste und verschwinden ließ.
Na ja, mal abgesehen vom »Duft der Endlichkeit« und seinen möglicherweise tödlichen Nebenwirkungen. Da gab es hoffentlich noch einen anderen Weg.
Hinter mir auf dem Tresen saß Benno und untersuchte das violette Papier im Briefumschlag. Ich drehte mich zu ihm. »Sag mal, erinnerst du dich eigentlich noch, aus welchem Fach du den Duft genommen hast?«
Benno sah aus, als ob er sich sofort wieder für alles, was gerade schiefging, schuldig fühlte.
Wortlos rutschte er vom Tresen und ging auf das unterste Fach eines Regals zu. »Ich glaub, da hab ich den rausgenommen.«
Ich schluckte. Auch das noch. Es war wirklich das Regal mit den ewigen Düften.
»Also gut«, sagte ich, um mir selbst Mut zu machen. »Wir müssen herausfinden, was für ein Duft das genau war. Es muss doch einen Gegenduft geben.«
Mats stellte sich neben mich. »Vielleicht gibt es so was wie eine Inventarliste? In Läden und Geschäften gibt es das doch immer. Da sind dann alle Sachen, die verkauft werden, aufgelistet.«
»Stimmt«, sagte ich. »Wenn wir so eine Liste finden würden, müssten wir sie nur mit den Flakons in den Regalen vergleichen und schauen, welcher Duft nicht mehr da ist.«
Ich ging nach drüben in das Büro und sah mich um. Viel gab es nicht, was ich hier durchsuchen konnte. Kein Regal, keinen Schrank und auch keine Aktenordner oder Hefter. Ich zog die Schreibtischschublade auf. Sie war immer noch genauso leer wie beim letzten Mal. Aber ein anderes Fach gab es nicht, in dem ich suchen konnte. Deshalb zog ich die Schublade ganz aus dem Schreibtisch und legte sie auf den Boden. Ich betrachtete den Schubladenboden, aber leider hing auch daran nichts.
»Und, schon was entdeckt?«, fragte Mats.
»Nein«, antwortete ich. »In der Schublade war nichts. Aber ich hab das Gefühl, dass sich jemand eine Menge Gedanken darüber gemacht hat, wie die Flakons in den Regalen stehen. Immerhin sind sie nach ihren Wirkungsweisen sortiert, also nach einem System. Jemand, der so sorgfältig ist, müsste sich doch die Mühe gemacht haben, die Düfte aufzulisten, oder nicht?«
Mats betrachtete die Schublade genauer. »Hast du schon in den Notizbüchern mit den Rezepten nachgeschaut?«
Ich schüttelte den Kopf und Mats ging nach nebenan, um sie zu holen.
Irgendwie glaubte ich nicht, dass dort wirklich etwas Wichtiges drinstand. Sie lagen einfach offen herum. Dabei gab es für fast alles in der Duftapotheke ein ausgetüfteltes Versteck, wie zum Beispiel den Eingang ins Labor, den unsichtbaren Fahrstuhl hinter der Holzvertäfelung oder den Schlüssel unter der Treppenstufe. Alles, was wichtig war, hatte einen ganz speziellen Ort, an dem es verschwand. In der Duftapotheke gab es keine Zufälle. Sie war ganz offensichtlich von jemandem entworfen worden, der ihr Geheimnis für sich behalten wollte.
Außerdem war eins der Notizbücher nach unserem ersten Besuch verschwunden. Wenn überhaupt, dann stand sicher dort etwas drin, was uns weitergeholfen hätte.
Benno saß immer noch neben mir und half, die Schublade zu untersuchen. Leider fanden wir auch keinen doppelten Boden, wie ich es schon öfter in Detektivfilmen gesehen hatte.
»Da, guck mal!« Benno quetschte sich in die Schreibtischöffnung, in der gerade die Schublade fehlte, und riss darin an etwas herum.
Ich spürte, wie mein Herz sofort schneller schlug. »Was hast du gefunden?«
Zwei Sekunden später hielt Benno mir einen vergilbten Umschlag vors Gesicht. Er strahlte stolz über beide Ohren.