Читать книгу Duftapotheke Bundle. Bände 1-3 - Anna Ruhe - Страница 27

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19. Kapitel

Als ich aufstand und mich aus der Wolldecke befreite, hielt Benno mich am Ärmel fest und sah zu mir hoch. Er kniff seine Lippen so stark aufeinander, dass sie ganz weiß wurden.

»Was ist denn?« Ich legte ihm meinen Arm um die Schultern. Trotzdem guckte mich Benno, ohne einen Ton zu sagen, finster an. Ich kannte meinen Bruder gut und merkte, dass er mir unbedingt etwas sagen wollte, sich wahrscheinlich vor Mats nur nicht traute. Also kniete ich mich hin und drückte meine Backe fest an seine. So machten wir das immer, wenn wir uns ein Geheimnis erzählten, das unsere Eltern nicht hören durften.

»Ich bin dadran schuld.« Benno hauchte seine Worte so leise, dass ich sie kaum verstand.

»Was? Nein!« Ich schob ihn vor mich, damit ich ihn besser sehen konnte. »So ein Quatsch! Das darfst du nicht mal denken!«

Aber Benno drückte sich mit Tränen in den Augen wieder fest an mein Ohr. »Doch! Ich hab den komischen Duft verloren. Und bestimmt macht der das alles. Vielleicht ist er ausgelaufen und macht alle verrückt.«

Ich strich ihm über die Backe.»Du hast recht. Wahrscheinlich ist der verloren gegangene Duft wirklich daran schuld. Aber doch nicht du! Hast du das verstanden?«

Benno kniff wieder seine Lippen aufeinander und nickte unsicher.

Ich griff mir seine Hand und gemeinsam gingen Mats, Benno und ich nach draußen. Zuallerst schaute ich mich nach Willem um und atmete auf, als ich ihn nirgends entdeckte. Im selben Moment sah ich aber die schwarze Limousine, die schon mal vor ein paar Tagen vor unserem Haus gehalten hatte.

Auch jetzt saß wieder ein Chauffeur mit weißen Handschuhen hinter dem Steuer. Im Gehen schaute ich mich nach der Dame um, die sich das letzte Mal so lustig verkleidet hatte. Sie trug heute wieder diese komplizierte Hochsteckfrisur unter einem Hütchen und ein genauso altmodisches Kleid. Und sie stieg gerade mit knallenden Absätzen die Stufen zur Villa Evie hoch. Vor unserer Haustür blieb sie stehen.

Ich lief schneller. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, rief ich ihr zu. Ich beeilte mich so, dass ich im Nullkommanichts direkt hinter ihr stehen blieb. »Wen suchen Sie denn?«

Die Frau stand mit dem Rücken zu mir und drückte auf die Klingel. Kurz wunderte ich mich. Hatte sie beim letzten Mal nicht braune Haare gehabt? Jetzt wirkten sie fast grau. Vielleicht eine Perücke? Wahrscheinlich täuschte ich mich nur, weil mich ihre Klamotten das letzte Mal so abgelenkt hatten.

In Zeitlupe drehte sich die Frau zu mir um und ihr schweres, nach Erde riechendes Parfüm stieg mir wieder in die Nase. Sie verzog keine Miene und ich merkte, wie ihr Blick mich plötzlich einschüchterte.

Ihre Augen … das gab’s doch gar nicht! Die Frau hatte keine Augenfarbe. Ihre Augen wirkten irgendwie fahl, nicht wirklich grau, sondern eher … farblos.

»Nun ja«, näselte sie mir endlich eine Antwort auf meine Frage entgegen. »Willem hat mir berichtet, dass eine neue Familie die Villa Evie bezogen hat, und ich wollte sie nur einmal sehen.«

Das klang eigenartig und ganz anders, als unsere vielen neugierigen Nachbarn, die uns auch ständig besuchen wollten. Normalerweise waren alle am Haus interessiert, nicht an uns. Bei der alten Dame klang es sogar so, als wären wir Tiere in einem Zoo, die man sich einfach angucken kommen konnte, wenn man Lust dazu hatte.

Ich streckte meinen Rücken durch und holte einmal tief Luft. »Wieso denn? Kennen wir uns?«

»Nein, Kindchen, wir kennen uns nicht.« Sie legte den Kopf schief und machte einen Schritt auf mich zu. Dabei klackte ihr vergoldeter Gehstock hart auf dem Boden auf. Ich zuckte zusammen und ging gleichzeitig einen Schritt rückwärts. »Ich bin die Baronin von Schönblom. Und mit wem habe ich die Ehre?«

Eine Baronin? Das wurde ja immer verrückter!

»Luzie«, antwortete ich und war sehr froh, als Mats und Benno sich zu mir stellten. »Luzie Alvenstein.«

Da öffnete Ma die Haustür. »Ja? Bitte?«, fragte sie die Fremde.

»Frau Alvenstein! Einen wunderbaren guten Tag wünsche ich. Ich bin Baronin von Schönblom und eine alte Freundin der früheren Besitzer. Ich liebe dieses Haus, und da ich mich zufällig in der Nähe befand, wollte ich einmal vorbeischauen, wie sich hier alles so entwickelt hat seit meinem letzten Besuch.« Sie machte so viele Schritte auf Ma zu, bis die zur Seite ging und die Frau in unsere Villa ließ.

»Heute ist es leider ungünstig!« Ma klang genervt.

Normalerweise ließ sie sich nicht so leicht überrumpeln. Aber die Baronin kümmerte sich nicht darum, ob ihr Besuch Ma gerade passte oder nicht. Wie eine Hausherrin blickte sie sich in der Diele um und sog die Luft durch die Nase ein. »Ahh! Diese Düfte!« Wieder klackte ihr Gehstock auf die Dielen und selbst Ma zuckte dabei zusammen.

»Ich muss sagen, ich bin erleichtert zu sehen, dass Sie den Originalzustand der Villa erhalten haben. Ich hatte ernsthaft Sorge, die neuen Besitzer könnten hier modernisieren wollen. Aber so wunderbare historische Häuser wie dieses muss man doch bewahren, nicht wahr?« Sie drehte sich zur Eingangstür zurück. »Nun denn, wenn es heute nicht gut passt, dann vielleicht ein anderes Mal. Die Villa weckt so viele schöne Erinnerungen!« Sie raffte ihren Rock und nickte Ma zu.

Im Vorbeigehen funkelte mich die Baronin mit ihren farblosen Augen an. Ich schluckte, weil ihr Blick mir unangenehm war und sie sich gleichzeitig zu mir vorbeugte.

»Ich rate dir, dich besser von Dingen fernzuhalten, die dich nichts angehen. Ihr werdet nur eine kurze Weile mit diesem Haus verbunden sein. Bald werdet ihr wieder gehen wollen – kein Grund, sich unnötig in Gefahr zu bringen, nicht wahr?« Sie zischte mir ihre Worte so leise zu, dass ich wieder zusammenzuckte, als ihr Stock kurz darauf auf den Boden klackte.

Hatte sie mich gerade vor etwas gewarnt? Oder war das eher eine Drohung?

Die Baronin hob ihr Kinn und stolzierte die Veranda hinunter. Ohne sich noch einmal nach uns umzudrehen, sagte sie: »Einen guten Tag wünsche ich.«

Sprachlos standen wir da, bis wir den Motor starten hörten und das Auto über die Pflastersteine davonrollte. Beim letzten Mal hatte ich die Frau einfach nur lustig gefunden. Aber dieses Gefühl war wie weggeblasen.

»Was sollte das denn gerade!« Ma schüttelte erst über die komische Begegnung den Kopf und lachte dann auf. »Wer war das überhaupt? Baronin Schönchen, oder wie noch mal?«

Kurz fühlte ich mich unendlich erleichtert und hoffte, dass ich mir Mas eigenartiges Verhalten von vorhin bloß eingebildet hatte und in Wirklichkeit alles in Ordnung war.

Ich lachte auch. »Baronin von Schönblom, hat sie gesagt.«

»Ach, na, ist ja egal. An neugierige Nachbarn sind wir doch gewöhnt.« Ma machte eine wegwerfende Handbewegung und sah nach draußen. »Hauptsache, sie geht uns nicht noch mal auf die Nerven und latscht wieder einfach ins Haus rein. So was!« Dann sah sie sich suchend um und ich wusste sofort, was jetzt kommen würde.

»Ich finde meinen Ring einfach nirgends …«, meinte Ma da schon. »Hast du vielleicht … irgendwo? Ich glaube, er hatte einen lila Stein. Ein sehr schöner Ring ist das.«

Ich seufzte. Wenigstens erkannte sie uns und fragte nicht nach Bennos Namen.

»Hast du schon mal oben nachgesehen?«, fragte ich. »Vielleicht liegt er im Schlafzimmer auf deinem Nachttisch oder so?«

Solange Ma weiter nach ihrem Ring suchte, prüfte ich, ob der Herd an war oder irgendwo Wasser lief, aber alles sah in Ordnung aus.

»Pa?«, rief ich durch den Flur. »Wo bist du?«

Keine Antwort. Ich ging die Treppe ins Obergeschoss hoch und lugte in die Zimmer. Aus dem Bad hörte ich Wasser plätschern. Pa stand also unter der Dusche. Das war auch beruhigend. Wenigstens war ihm wieder die Notwendigkeit der Körperpflege eingefallen.

Ich rauschte in mein Zimmer und griff mir den Schlüssel zur Duftapotheke. Zum Glück lag er noch auf meinem Nachttisch. Hinter mir lehnte Mats am Türrahmen und sah sich in meinem Zimmer um. Normalerweise wäre ich seinen Blicken gefolgt und hätte mir Sorgen darüber gemacht, was er wohl über mich und mein Zimmer dachte. Aber jetzt war mir das alles nicht wichtig genug. Ich schob nur den Schlüssel in meine Hosentasche und winkte die beiden Jungs zum Dachboden.

Zu dritt standen wir eine Minute später um den Heißluftballon und schauten hinein. Der Fleck auf den Stoffbahnen war noch gut zu erkennen. Mats beugte sich tiefer und griff sich den Flakon, der in einer der Stofffalten lag.

Ja, ganz sicher, es war ein Flakon aus der Duftapotheke.

Vorsichtig strich Mats über das wellige Etikett, auf dem die Tinte halb verlaufen war. »Liebloser Duft«, entzifferte er den Namen auf dem Etikett und sah uns sprachlos an.

»Sieht so aus, als ob du recht hattest, was deinen Vater betrifft.« Ich spürte, wie auch mein Herz schwer wurde. »Tut mir so leid.« Kurz entschlossen legte ich eine Hand auf Mats’ Schulter.

Der ließ sich auf eine Holzkiste sinken und rieb sich die Stirn. Langsam steckte er sich den leeren Flakon ein. »Danke«, sagte er nur leise.

»Das ist doch gut!« Benno setzte sich neben Mats und überlegte scheinbar, was er tun konnte, damit Mats wieder fröhlich wurde. »Dann ist dein Papa keiner von denen, die mit ›A‹ anfangen und mit ›loch‹ wieder aufhören. Leon hat Quatsch erzählt.«

Ich konnte nicht anders. Obwohl das alles furchtbar traurig war, lächelte ich, genau wie Mats.

»Was machen wir jetzt?« Benno zog mich am Arm. »Du hast doch gesagt, wir müssen heute die Eltern sein?«

»Ja, richtig!«, erwiderte ich. »Eltern kümmern sich um Probleme, stimmt’s? Bevor wir uns also um Mats’ Vater und auch um Ma und Pa kümmern können, müssen wir zuallererst zwei Dinge in Ordnung bringen: erstens herausfinden, wo der verschwundene Duftflakon abgeblieben ist, der alle alles vergessen lässt. Und zweitens müssen wir mehr über Willem Boer und diese durchgeknallte Baronin von Schönblom herausfinden. Die hat mir nämlich gerade zugeflüstert, dass wir uns aus allem raushalten sollen. Wer weiß, was die beiden miteinander zu tun haben. Aber auf jeden Fall müssen wir erst mal alles über dieses Vergessens-Chaos herausfinden und darüber, was Willem genau in der Duftapotheke tut.«

Mats zog sein Handy aus der Hosentasche. »Ich schau mal nach dieser Baronin.« Er tippte ihren Namen in eine Suchmaschine ein. »Du hast recht, es ist wirklich seltsam, dass die genau zu der Zeit auftaucht, in der die ganze Stadt alles vergisst.«

»Warum ist das so?«, fragte mich Benno. »Warum macht ein Duft, dass Mama und Papa alles vergessen?«

»Keine Ahnung.« Ich hob meine Schultern. »Vielleicht ist es ja ein bisschen so, wie wenn dich ein bestimmter Duft an etwas erinnert. Der Duft nach Sonnencreme lässt dich zum Beispiel an deinen letzten Urlaub am Meer zurückdenken, ein bestimmter Waschmittelgeruch an jemanden, neben dem du morgens im Kindergarten sitzt und so. Warum sollte ein Duft nicht auch das Gegenteil auslösen können und dich etwas vergessen lassen?«

»Über diese Baronin finde ich nichts im Internet. Bestimmt ist das ein ausgedachter Name.« Mats steckte sein Handy ratlos wieder ein. »Okay, also mal angenommen, das ganze Chaos liegt wirklich an dem verloren gegangenen Duftflakon, dann müsste die Vergesslichkeit der Leute bald wieder nachlassen. Der ›Duft der Kälte‹ hat es schließlich auch nicht ewig hageln lassen. Düfte verfliegen und verschwinden mit der Zeit einfach wieder von selbst. Kein Geruch hält ewig.«

»Na ja«, sagte ich. »Außer der Duft gehört nicht in die Abteilung ›Flüchtige Düfte‹. Sind dir etwa die Metallschilder an den Regalen in der Duftapotheke nicht aufgefallen?«

Mats’ Augen weiteten sich, als er sich erinnerte. »Du meinst diese komischen Kategorien, wie ›Traumhafte Düfte‹ oder ›Gefährliche Düfte‹ und so?«

Ich nickte. »Genau. Es gab auch ein Regal mit ›Ewigen Düften‹. Das heißt, es gibt anscheinend auch welche, die eine bleibende Wirkung haben. Was, wenn der fehlende Flakon genau aus der Abteilung ist?«

»Dann haben wir echt ein Problem!« Mats strich sich angestrengt über die Stirn. »Ich frage mich schon die ganze Zeit, was Willem eigentlich mit der Duftapotheke genau macht. Wozu sind die Düfte überhaupt gut? Meinst du, er verkauft sie?«

»Wahrscheinlich«, nickte ich. Magische Düfte wie die aus der Duftapotheke mussten sehr wertvoll sein.

Es war kühl hier oben auf dem Dachboden. Ich rieb mir die Arme und schaute noch mal auf den getrockneten Fleck im Heißluftballon. Mir fiel wieder etwas ein. »Ma hat gesagt, dass Willem heute Vormittag bei uns in der Villa Evie war und sie gefragt hat, ob alles in Ordnung ist. Er hat sich wohl ziemlich neugierig hier im Haus umgesehen.«

»Echt?« Mats’ Augenbrauen zogen sich fast ineinander. »Oh Mann. Ich zerbreche mir schon die ganze Zeit über ihn den Kopf. Ich kenne Willem ja seit Ewigkeiten, eigentlich mein ganzes Leben lang. Bisher war der für mich nur der muffelige Stinkstiefel aus dem Gewächshaus. Ich kenne ihn auch nicht anders als in seiner dreckigen Latzhose und mit seinem schlecht gelaunten Gesicht. Ich dachte immer, er ist einfach einer dieser uralten Kerle, die jeden Tag genau das Gleiche machen. Ist echt schwer, sich vorzustellen, dass er hier direkt neben unserem Haus etwas Böses aushecken könnte.«

»Können wir den Duft nicht bei ihm suchen?«, fragte Benno. »Wo wohnt Willem denn?«

Ich lachte. »Bestimmt nicht im Gewächshaus, oder?«

Für einen kurzen Moment kicherte sogar Benno bei der Vorstellung, der alte Willem würde sich abends auf einer Isomatte zwischen seine Pflanzen kuscheln.

»Ich hab echt nicht die leiseste Ahnung«, sagte Mats und schüttelte ratlos den Kopf.

»Dann sollten wir das herausfinden!« Ich verschränkte meine Arme. »Wer, wenn nicht Willem, würde sich sonst für ein kleines Duftfläschchen auf unserem Küchentisch interessieren? Nur er weiß doch, dass der Flakon aus der Duftapotheke stammt. Ich wette, er hat den Duft auf dem Küchentisch gesehen und ihn mitgenommen. Vielleicht will er sich jetzt an uns rächen, indem er irgendeinen Vergessens- oder Verrückt-werde-Duft an unseren Eltern auslässt.«

»Also gut«, lenkte Mats nach einem Moment ein. »Wir könnten vielleicht Frau van Velden nach seiner Adresse fragen?«

»Gute Idee!«, sagte ich. »Die hatte ja den Brief für Willem. Dann muss sie auch wissen, wo er wohnt!«

Duftapotheke Bundle. Bände 1-3

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