Читать книгу Mein geliebter Jäger - Anna Zabo - Страница 9
Kapitel 5
ОглавлениеSilas machte sich nicht die Mühe, sein Schwert im Äther verhüllt zu lassen. Ein Nutzen davon, dass Rhys ihm einen geblasen hatte – er hatte mehr als genug Kraft, um einen Illusionszauber um die Klinge herum aufrechtzuerhalten. Es war schwerer, geschmiedete Gegenstände vor sterblichen Augen verborgen zu halten. Diese besondere Klinge – ein römischer Gladius – war von einem Phönix in seinem eigenen Feuer aus Silber und Diamanten geschmiedet worden. Sein Schwert war einer der sehr wenigen Gegenstände, die einen Seelenlosen verletzen konnten. Nur die Schwerter der Götterboten waren gefährlicher. Eine solche Arbeit mit einer Illusion zu belegen, war schwierig, selbst wenn seine Füße die Erde berührten.
Doch Rhys' Energie in Silas' Blut sorgte dafür, dass es so leicht war wie Atmen.
Nicht, dass die Klinge im Moment überhaupt eine Rolle spielte. Wenn die Seelenlosen auf dem Ocean-Liner waren, konnte Silas sie nicht finden. Sie mussten hier sein, die Götterboten lagen niemals falsch.
Silas schlenderte die große Treppe hinunter, die in die eleganteste der vielen Bars des Schiffes führte. Die Seelenlosen waren eitel und wurden von Menschenmengen angezogen, von der elementaren Energie, die Menschen besaßen, und von ihren Seelen. Je mehr Menschen sich an einem Ort befanden, desto heller brannten die kleinen Fackeln ihrer Elementarenergie. Die Seelenlosen würden nach dem Geschmack der Energie suchen und ihm folgen, bis sie ihre Beute gefunden hatten.
Fae waren für die Seelenlosen noch verlockender, da sie große Energiespeicher und unsterbliche Körper hatten. Hätte Silas sich nicht in einen Illusionszauber gehüllt, um seine Energie zu verdecken, würden sie ihn zuerst jagen. Aber er wollte sein Überraschungsmoment nicht verspielen, indem er sie auf sich zog. Später würde er diesen Trick vielleicht anwenden.
Nur ein paar von den acht würden heute hervorkommen, um die Lage auszukundschaften und zu berichten. Normalerweise wurde den Jüngeren diese Aufgabe zugeteilt. Die erste Nacht der Jagd war immer die leichteste. Wenn die älteren hervorkamen, würde es interessanter werden.
Wenn er diese verfluchten Wesen nur finden könnte. Wenn sie heute Nacht nicht einmal jagten, hätte er die Nacht auch mit Rhys verbringen können.
Allein der Gedanke an Rhys schickte einen Stich Verlangen direkt durch ihn hindurch. Dem Feuer der Lust folgte ein kalter Schauer der Angst. Splitter. Rhys leuchtete wie der Mond in einer wolkenlosen Nacht. Kein Seelenloser konnte dem widerstehen. Bei der Menge an Energie und dem Hauch Faeblutes würde er den Seelenlosen eine ganze Zeit reichen. Vielleicht sogar Jahre, ehe sie ihn in eine leere Hülle verwandeln würden.
Eine andere Art Feuer entflammte in Silas. Er würde jeden einzelnen Seelenlosen töten, bevor das geschah, oder er würde bei dem Versuch umkommen. Er würde nie zulassen, dass Rhys diesen Schmerz spürte. Den Göttern sei Dank war Rhys im Garten geblieben. Diese Menge an Leben war sogar heller als ein Viertel-Fae. Sie würde ihn schützen.
Er ging durch die Bar, suchte die Menge mit seinen Blicken ab. Nichts. Vielleicht in der Disco. Oder vielleicht hatten sie sich entschieden, in der Dunkelheit eines der Theater zu jagen.
Er nahm sich einen Moment Zeit, um nach dem Garten zu spüren. Selbst jetzt, da er von dessen Existenz wusste, war er kaum wahrnehmbar. Nur so stark wie ein einzelnes afrikanisches Veilchen, das sich eine halbe Meile entfernt befand. Das war besorgniserregend. Er hätte ihn spüren können müssen und er sollte jetzt aus ihm schöpfen können. Zur Hölle, er hätte wissen sollen, was Rhys war, noch bevor dieser die Drinks auf ihm verschüttet hatte.
Es sei denn, Rhys trug einen Illusionszauber, einen, den Silas auf Distanz nicht durchschauen konnte.
Er grübelte weiter darüber nach. Ein Illusionszauber würde erklären, warum Rhys allein umherzog, warum kein anderer Fae ihn gefunden hatte. Ein so großer Teil des Wissens über Splitter war von Mythen und Legenden umgeben. Sie könnten eigene Abwehrmechanismen besitzen.
»Brauchen Sie etwas, Sir?« Ein Kellner schaute ihn an.
Wie lange stand er schon in der Mitte der Bar?
»Nein, mir geht es gut.« Silas bewegte sich auf die Tür zu. Er musste sich konzentrieren. Die Seelenlosen finden. Sie erledigen. Sobald die Sonne sich über dem Ozean erhob, konnte er zu Rhys zurückkehren und ihn endlich in eine ihrer Kabinen zerren und ihn ficken, bis keiner von ihnen mehr denken konnte. Vielleicht würde das das verzweifelte Verlangen befriedigen, das seine Gedanken abschweifen ließ und durch das sein Schwanz durchgehend halb hart war.
Es war gefährlich, so abgelenkt zu sein. Junge Seelenlose waren weniger schwierig zu besiegen, aber noch immer tödlich genug. Silas schlüpfte aus der Bar und fand die Disco. Nur Menschen hier. Er versuchte es als Nächstes in den Theatern.
Die ersten beiden waren halb voll mit Menschen – und nur mit Menschen. Im dritten schnappte eine Frau in einer der hinteren Ecken nach Atem, als sie sich auf dem Schoß ihres Partners bewegte. Ihr Stöhnen war über den Ton des Actionstreifens hinweg, den sie nicht beachteten, kaum zu hören.
Er zwang sich dazu, den Kinosaal gründlich abzusuchen, trotz der wachsenden Hitze seines Verlangens. Es war eine Sache, Rhys zu verführen, während sein Illusionszauber sie umgab, aber eine ganz andere, in der Öffentlichkeit zu vögeln, wie die Menschen es taten.
Silas hatte das nie gemacht. Es nie gewollt, bis zu diesem Moment. Wie wäre es wohl, an so einem Ort zu sitzen und Rhys einen runterzuholen, ohne dass der Schutz seines Illusionszaubers sie umgab? Wo jeder sie bemerken könnte?
Feuer lief Silas' Rücken hinunter. Eine klauenartige Hand bedeckte seinen Mund. »Suchst du nach etwas, Fee?« Fauliger Atem an seinem Gesicht.
Oh Scheiße. Orkus möge ihn im Boden versinken lassen!
Der Seelenlose biss in seine Schulter und Schmerz explodierte in Silas' Nerven. Jahrhundertelange Disziplin übernahm. Er taumelte vorwärts und warf die Kreatur über sich hinweg. Kleidung und Fleisch rissen, als Silas den Seelenlosen durch die Luft und auf die abgedunkelte Rampe des Kinosaals schleuderte. Dünne Linien eisigen Feuers brannten auf seiner Schulter.
Silas achtete nicht darauf, wo die Kreatur landete. Er rannte zum Ausgang. Es war eher ein strategischer Rückzug, nicht etwa ein aus Angst geborener. In der Lobby gab es mehr Platz und es war heller. Die Chance, einen Menschen mit seinem Schwert zu treffen, war geringer. Die Götterboten verziehen viele Dinge, aber nicht, wenn er aus Versehen einen Menschen mit dem von einem Phönix geschmiedeten Schwert tötete.
Keiner der Kinobesucher bemerkte den Kampf. Die Seelenlosen woben ihre eigene Art von Illusion, um die menschlichen Sinne zu täuschen.
Silas stolperte ins Foyer. Bei den Göttern, wie hatte er die Schmerzen und das Taubheitsgefühl vergessen können, die so ein Biss mit sich brachte?
Leichtsinnig und dumm war es, sich so erwischen zu lassen.
Gift wütete durch seine Glieder, verlangsamte ihn. Keine Zeit, sich zu heilen.
Schritte hinter ihm. Verdammt noch mal! Er drehte sich um und schwang sein Schwert in Richtung des Seelenlosen, der ihn verfolgte – und verfehlte ihn.
Verfehlt. Zum ersten Mal seit fünf Jahrhunderten. Er konnte nicht anders, als geschockt einen Schritt zurück zu machen.
Mehr brauchte es nicht. Der Seelenlose erwischte seine Schulter, als Silas sich drehte, vergrub seine Krallen darin und schleuderte ihn mit dem Gesicht voran gegen die Wand. Sein Nasenbein brach und Blut floss ihm das Gesicht hinunter. Die raue Tapete an Silas' verletztem Gesicht brannte wie Säure auf seiner Haut. Lichtpunkte tanzten in seinem Blickfeld. Er wollte aus tiefstem Halse schreien, aber die Genugtuung würde er der Kreatur nicht geben.
Alles roch nach Blut.
»Der große Silvanus also.« Eine männliche Stimme, tief und kalt, sprach in sein Ohr. »Ich dachte immer, der Gott des Waldes würde eine Herausforderung darstellen.«
Erneut sanken Zähne in Silas' Fleisch, noch tiefer als zuvor. Qualen durchfluteten ihn, doch dieses Mal folgte eher Zorn als Scham. Silas drehte den Griff des Schwertes in seiner Hand und rammte es rückwärts in die Magengrube der Kreatur. Die heulte auf und ließ ihn los. Der Seelenlose musste sich von seiner Klinge gezogen haben, denn das Gewicht auf dem Schwert verschwand.
So viel zum Thema Überraschungsmoment. Silas drehte sich um, lehnte sich Halt suchend gegen die Wand.
Der Seelenlose war einst ein Mann gewesen und hatte noch immer diese Gestalt, doch er hatte einen blutigen Schlund mit gezackten Zähnen als Mund und vogelartige Klauen als Hände. Braunes Haar, schwarze Augen und ein Gesicht, das attraktiv gewesen wäre, wäre es menschlich.
Der Seelenlose spuckte Silas an und zog sich zurück, eine klauenartige Hand auf die Wunde in seinem Bauch gedrückt. Teile des Fleisches fielen herunter und verwandelten sich in Asche. Dann war es also ein junger. Wäre er älter, hätte der Hieb ihn höchstens verlangsamt.
»Doch nicht so leicht.« Silas veränderte den Griff um sein Gladius und wischte sich mit seinem Ärmel das Blut vom Mund. »Und Herausforderung genug, um dich auszulöschen.«
Die Kreatur bleckte ihre Fangzähne. »Aber zu welchem Preis, Silvanus? Das Meer ist dir kein Freund.«
Wieder sein Name. Woher kannte die Kreatur den? Silas stieß sich von der Wand ab und stakste auf den Seelenlosen zu. Blut aus der Wunde an seiner Schulter lief seinen Nacken hinunter und tränkte sein Hemd.
Der Seelenlose versuchte zurückzuweichen, doch er taumelte auf den Boden.
»Langsam oder schnell«, sagte Silas. »Egal, auf welche Art, die Götter werden deinen Körper bekommen.« Er blieb stehen, als er die am Boden liegende Kreatur erreichte.
»Und der Meister wird deine Seele nehmen.« Die Kreatur stürzte sich auf Silas' Bein. Vergrub ihre Fänge und Klauen in seiner linken Wade.
Silas fluchte und hieb mit dem Schwert nach dem Hals der Kreatur. Seine Muskeln wappneten sich gegen den Aufprall, doch die Klinge glitt sauber hindurch. Der Körper löste sich in Asche auf. Der Kopf prallte einmal vom Boden ab, ehe dasselbe mit ihm passierte.
Stille, abgesehen von seinem abgehackten Atem. Silas riskierte es, sich im Foyer umzuschauen. Niemand, Fortuna sei Dank. Sein Illusionszauber war in Fetzen, genauso wie sein Körper.
Tausende von Messern tobten in seinem Blut. Das war wirklich schlecht gelaufen. Stolz war das Einzige, was ihn aufrecht hielt. Er hatte viel Schlimmeres überlebt, aber nicht seit einer langen Zeit.
Und niemals, während er mitten auf dem Ozean umhertrieb.
Silas entfernte sich humpelnd von den Aschehäufchen auf dem Boden. Oh, das würde die Menschen verwirren, aber sie würden es wegputzen und niemand würde daraus schlau werden. Sein Anzug saugte Blut gut auf. Er hinterließ kaum eine Spur. Außerdem war der Teppich dunkelrot. Gut.
Er hielt inne und steckte sein Schwert in die Scheide der dunklen Leere des Äthers. Er hatte kaum noch elementare Kraft übrig und benötigte sie, um sich selbst zu verstecken. Die Blutung zu stoppen, wenn er es konnte.
Der Seelenlose hatte viel getrunken, als er Silas' Haut durchbrochen hatte. All die Kraft, die er von Rhys bekommen hatte, war verschwunden, genauso wie ein Großteil seiner eigenen Energie. Er hatte kaum genug, um einen Illusionszauber zu wirken. Sich zu heilen, würde warten müssen.
Bei Merkurs Eiern! Warten auf was? Bis er in den Garten zurückkehrte? Bis er Rhys fickte, ihn dazu benutzte, um Kraft zu erlangen, als wäre er eine Fae-Version der Seelenlosen? Silas fing sich ab, als er gegen die Wand des Flurs taumelte. Ein tiefes Verlangen nach dem Viertel-Fae ergriff seinen Körper.
Die Dinge, die er mit Rhys anstellen wollte – die Dinge, die er tun musste…
Nein.
Er würde nicht zu einem von ihnen werden. Niemals. Seine ungezügelte Lust, sein unkontrolliertes Verlangen nach Rhys hatte ihn beinahe umgebracht. Der Garten würde als Energiequelle reichen müssen. Vor einem Tag wäre er mehr als genug gewesen. Er würde es so weit schaffen, dann in eine Ecke kriechen und sich heilen.
Sieben Seelenlose blieben noch. Und schon jetzt war er blutverschmiert und vergiftet, nur weil er seinen Schwanz nicht in seiner Hose behalten konnte. Silas schlug gegen die Wand. Schmerz schoss seinen Arm empor und er bereute die Bewegung sofort.
Es war besser für Silas, sein Versprechen, zu Rhys zurückzukehren, zu brechen, als ihn in die Falle zu locken und ihn als eine verdammte Batterie oder einen Lustsklaven zu missbrauchen.
Silas war einst beides gewesen.
Er stieß sich von der Wand ab. Nein, er würde eher einen ehrenhaften Tod sterben, als zu dem zu werden, was er am meisten verabscheute.
Er atmete tief und zittrig ein, ehe er sich weiter Richtung Garten bewegte. Es würde reichen. Es musste reichen. Er durfte nur nicht in die Bar gehen. Musste sich von Rhys fernhalten.
***
Rhys durchblätterte einen Bildband über New York City, der viele schöne Fotografien von Orten beinhaltete, die auf dem glänzenden Papier realer wirkten als im echten Leben. Battery Park, mit unberührtem blauem Wasser im Hintergrund. Die Brooklyn Bridge in goldenem Licht, ohne Autos oder Menschen. Times Square ohne auch nur einen Schnipsel Müll in Sicht. Er war an den meisten Orten gewesen, er wusste, wie sie wirklich aussahen und welche Teile die Fotografen geschickt rausgeschnitten hatten.
War Silas wohl schon mal in New York gewesen? Wahrscheinlich, wenn er so alt war, wie Rhys vermutete. Zur Hölle, er könnte da gewesen sein, bevor sie die Wolkenkratzer gebaut hatten. Der Gedanke an Silas, gekleidet im Kolonialstil mit engen Hosen und einem langen Mantel sorgte dafür, dass sich Wärme in Rhys' Bauch ausbreitete.
Er griff nach seinem Drink, dank Vasil war es schon der dritte an diesem Abend. Seit zwei Stunden saß er hier und hatte schon fast alle Bücher in dem kleinen Bücherregal durchgeschaut. Bei den meisten handelte es sich um Bücher über New York, groß und voller Farbfotografien. Einige waren zerknickte Taschenbücher, die wahrscheinlich von früheren Reisenden zurückgelassen worden waren – King, Patterson, Roberts.
Jedes einzelne Buch, das er bisher durchgeblättert hatte, ließ ihn an Silas denken, gekleidet in verschiedenen Kostümen oder teilweise unbekleidet.
Er musste den Kopf endlich von dem Fae frei kriegen.
Fae.
Je länger er hier saß, desto dümmer kam er sich vor. Würde Silas überhaupt zurückkommen? Er rieb sich über die Stirn. War irgendetwas hiervon real? Gab es wirklich eine Gefahr oder war das nur eine günstige Gelegenheit gewesen, ihn abzuservieren? Er hätte sich einen Film anschauen können. Oder Gesellschaftstänze lernen können. Oder Zigarren rauchen und Brandy trinken – was auch immer man auf Kreuzfahrten wie dieser so machte. Irgendetwas Interessanteres, als sich Bildbände anzuschauen.
Die Erinnerung an Silas' Kuss lenkte ihn von seiner wachsenden Frustration ab. Der Zug von Silas' Händen, die sich in seinem Haar vergraben hatten, der Geschmack seines Spermas. Sein Aufschrei voller Hingabe und Lust.
Rhys seufzte und schob die Gedanken beiseite. Blätterte eine Seite weiter. Der Central Park. All die Grünflächen. Wie würde es sein, dort zu vögeln? Oder in einem echten Wald? Nackt, sein Rücken in die dunkle Erde gepresst und Silas, der seine Beine auseinanderdrückte, während er in ihn eindrang.
Die Enge in seinem Magen breitete sich bis in seinen Schwanz aus. Verdammt, Silas kehrte besser bald zurück. Er war sich nicht sicher, wie lange er die Fantasien noch zurückhalten konnte und es wurde immer schwieriger, seine Erektion zu verbergen, trotz des großen Buchs auf seinem Schoß.
»Sind diese Plätze belegt?«
Rhys wäre vor Schreck beinahe in die Luft gesprungen, als eine Frau ihn ansprach. Er hatte sie nicht kommen hören. Einen Moment lang konnte er sie nur anstarren.
»N… nein.«
Ihr Lachen war glockenhell. »Oh, es tut mir so leid. Ich wollte dich nicht erschrecken. Alle anderen Tische sind belegt. Du sahst aus, als könntest du etwas Gesellschaft vertragen.« Sie lächelte, wobei eine Reihe weißer Zähne zwischen ihren rubinroten Lippen zum Vorschein kam.
Rhys stieß den Atem aus. »Du kannst dir gerne einen aussuchen.« Er deutete auf die anderen beiden Stühle und versuchte sich seinerseits an einem Lächeln.
»Das ist wirklich lieb von dir.« Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, die Handfläche nach unten zeigend. »Radmila.« In ihrer Stimme schwang der Hauch eines Akzents mit, anders als der von Silas. Er glich eher dem von Vasil.
Rhys nahm ihre Hand und drückte sie sanft, ehe er sie wieder losließ. »Rhys.« Obwohl ihre Haut weich war, fühlte sie sich an wie Eis. Kalt. Hart darunter. Sein Puls beschleunigte sich. Leute sollten sich nicht wie Eisskulpturen anfühlen.
»Es ist mir eine Freude.« Wieder das gleiche Lächeln. Sie setzte sich auf den Stuhl, der Rhys am nächsten war.
Nur selten schenkte er der körperlichen Attraktivität von Frauen so viel Aufmerksamkeit, aber diese hier – sie war anders. Schokoladenfarbenes Haar, das sich wie Wasser bewegte, fiel ihr fast bis auf die Schultern. Tiefbraune Augen zierten ihr rundes Gesicht. Ihre Haut war beinahe leuchtend, wie Perlmutt. Wäre sie ein Mann, würde es ihm sehr schwerfallen, ihr einen Wunsch abzuschlagen.
Radmila runzelte kaum wahrnehmbar die Stirn, bevor ihre Gesichtszüge sich glätteten. »Bist du allein, Rhys?« Sanfte Worte.
Er schauderte. Irgendetwas an dieser Frage sorgte dafür, dass sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Er sollte nicht antworten, doch die Antwort fiel trotzdem aus seinem Mund. »Ich warte auf einen Freund.«
»Wir warten ebenfalls auf jemanden.« Sie schaute kurz zurück zur Bar. »Vielleicht können wir uns gemeinsam die Zeit vertreiben.«
Wir. Rhys folgte der Richtung, in die sie geblickt hatte. Ein blonder Mann kam auf sie zu, die rechte Hand in seiner Tasche. Seine blauen Augen verschlugen Rhys den Atem, obwohl er erst den halben Raum durchquert hatte – blass wie ein Sommermorgen. Er war dünn – dünner als Silas – und er hatte ebenso marmorne Haut wie Radmila.
Sie ergriff die linke Hand des Mannes, als er sich zu ihr gesellte. »Hat der Kellner unseren Freund gesehen?«
»Vor einiger Zeit, aber nicht kürzlich.«
Gott, die Stimme des Mannes. Sie war geschmeidig und fließend wie der Klang einer Oboe. Rhys umschloss das Buch auf seinem Schoß mit seinen Händen. Sein Instinkt sagte ihm, vor den beiden zu fliehen, doch als der Blick des Mannes zu ihm wanderte und an ihm hängen blieb, konnte er nicht wegsehen.
»Ich sehe, du hast einen neuen Freund gefunden.«
Noch mehr, als Radmilas Lächeln es geschafft hatte, ließ das Lächeln des Mannes das Blut in Rhys' Adern gefrieren. Er würde alles tun, um den Mann berühren zu dürfen, von ihm berührt zu werden. Der Gedanke stieß Rhys ab, auch wenn er gleichzeitig hart wurde.
»Rhys, das ist Jarek.«
Jarek machte einen Schritt auf ihn zu und bot ihm seine rechte Hand an.
Er versuchte, sie nicht zu ergreifen. Versagte. Kalte Haut. Eiserner Griff. Rhys konnte nicht loslassen.
»Ich bin sehr erfreut, dich kennenzulernen, Rhys.«
Die Art, wie Jarek seinen Namen sagte, wie das Verlangen in den Augen des blonden Mannes brannte, ließ Rhys' Knochen in Flammen aufgehen.
»Er wartet ebenfalls auf einen Freund«, erklärte Radmila. Sie ließ die Hand ihres Partners los.
»Ah, ich verstehe.«
Diese Worte und die plötzliche Kälte seiner eigenen Haut ließen Rhys seine Hand zurückziehen. Oder er dachte zumindest darüber nach. Seine Hand blieb fest in Jareks Griff.
»Nein, Rhys. Das geht so nicht.« Jarek nahm das Buch von Rhys' Schoß und legte es auf den Tisch. »Warum setzt du dich nicht zwischen Radmila und mich? Dann können wir uns ein bisschen unterhalten?«
Rhys stand auf, obwohl sein Verstand ihn anschrie, es nicht zu tun. Oh Gott. Wo zur Hölle war Silas? Er musste ihnen entkommen, diesen… Leuten?
Alles, was er tun konnte, war das, was Jarek ihm befahl. Sie rückten die Stühle so zurecht, dass sie näher beieinandersaßen, Rhys zwischen den beiden.
»Nun.« Jarek streichelte mit dem Daumen über Rhys' Handrücken. »Auf wen wartest du?«
Scharfe Nadelstiche malträtierten Rhys' Lunge, als er versuchte, nicht einzuatmen, und darum kämpfte, nichts zu sagen. Dennoch kam es ihm über die Lippen. »Silas.«
»Silas?«
»Quint.« Die Worte auszusprechen, fühlte sich an, als hätte man ihn in Glas geschubst und dann über die Scherben gezerrt.
Radmilas Lachen erklang. »Er hat seinen Namen umgestellt.«
Jarek lächelte, zeigte dabei einen Mund voller Zähne, die falsch waren. Jeder einzelne war spitz, wie bei einem Sägeblatt. »Und weißt du, wo Silas ist?«
Bei dieser Frage hatte Rhys zumindest kein Problem, sie von allein zu beantworten. »Nein.«
»Wann wird er zurückkehren?«
»Beim ersten Tageslicht.« Denn Vampire – das war es, was diese zwei sein mussten – konnten Sonnenlicht nicht ertragen. Doch momentan war es dunkel und Silas war nicht hier.
Warum war Silas nicht hier?
»Natürlich«, murmelte Jarek. Er hob Rhys' Hand an seinen Mund und leckte darüber. »Du bist überaus entzückend. So voller Angst.« Er drehte Rhys' Hand um und kratzte mit den rasiermesserscharfen Zähnen über sein Handgelenk. Dann biss er zu.
Jareks Mund fühlte sich an, als würde Säure sein Fleisch verätzen. Rhys konnte nicht einmal schreien. Nur einen Sekundenbruchteil später verebbte der Schmerz. Jarek zog sich zurück.
Bissspuren und Blut, aber die Wunde war so klein, dass sie wie der Biss eines Katzenbabys aussah. Wenn sich ein kleiner Biss so anfühlte, würde Rhys einen richtigen Biss niemals überleben.
»Nun«, sagte Jarek. »Reiche Radmila deine andere Hand.«
Gott, nein. Aber er tat, wie ihm geheißen.
Radmila biss ihn genauso, wie Jarek es getan hatte, und es hatte denselben Effekt auf ihn. Am Ende atmete er die Luft in flachen Atemzügen ein. Als sie eine Hand losließ, sagte sie Jarek etwas in einer Sprache, die Rhys nicht verstand. Er lachte als Antwort.
Jarek strich mit einem Finger Rhys' Hals hinab. »Weißt du, was dein Freund Silas Quint ist?«
Die Antwort bahnte sich ihren Weg aus Rhys' Kehle, obwohl er versuchte, Jareks Berührung zu entkommen. »Fae.«
»Und hat der Fae dir gesagt, was du bist?«
»Ich…« Was er war? Erinnerungen an ihr Gespräch beim Abendessen kamen Rhys in den Kopf. »Er sagte, ich wäre ziemlich einzigartig auf der Welt.«
Radmila schnaubte.
Jarek schnalzte mit der Zunge. »Nun, nun. Die Fee hat ihm die Wahrheit gesagt.«
»Aber nur einen Teil davon.« Ihre Hand umkreiste sein Handgelenk. »Ich will mehr von ihm.«
»Ja«, sagte Jarek. »Aber nicht hier.« Er erhob sich und zog Rhys ebenfalls auf die Beine. »Mach dir keine Sorgen. Dein Fae wird dir schon bald Gesellschaft leisten.«
Radmila stand auf und verhakte ihren Arm mit Rhys'. »Es ist eine perfekte Nacht für einen Spaziergang an Deck.«
Sie führten ihn zu dem dunklen Glas der Außentüren, die sich öffneten, als sie sich näherten. Die Nacht war windig und kühl, gefüllt mit dem Geruch des Ozeans. Eine Mondsichel hing über dem Wasser, warf ein weißes Licht auf das pechschwarze Wasser. Es wäre wunderschön, wäre er nicht zwischen zwei Vampiren eingeklemmt. Wo war Silas? Er sollte diese Kreaturen jagen!
»Ich möchte dich fast laufen lassen«, flüsterte Jarek ihm ins Ohr. »Nur um deine Hoffnung sterben zu schmecken.«
Ein Laut entkam seiner Kehle, doch es war nicht mehr als ein Wimmern.
Radmila leckte über Rhys' Hals. »Oh, aber das ist sie gerade, oder nicht?«
Sie führten ihn zu einem im Schatten liegenden Tisch nahe des Schotts. Jarek drückte ihn hart gegen die Metallwand. Kleidung zerriss und seine Krawatte wurde ihm vom Hals gerissen. Sein Hemd folgte, die Knöpfe klackerten auf dem Holzboden. Kalte Lippen fuhren über sein Schulterblatt. Jareks Zähne durchdrangen Rhys' Haut und Muskeln.
Flammende Stacheln bohrten sich in sein Fleisch. Rhys' Kehle schmerzte, als würde er schreien, doch ihm entkam nur ein leises Wimmern. Diese Laute schienen Jarek nur weiter zu beflügeln. Finger gruben sich in seine andere Schulter und drangen ebenfalls in das Fleisch ein.
Rhys würde sterben. Gott, er wollte sterben. Dann würden diese Qualen, das brennende Feuer in seinem Blut, endlich aufhören.
Aber das tat es nicht. Als Radmila Jarek beiseitedrängte, ebbte es für einen Moment ab. Sie sagte etwas, doch die Worte ergaben keinen Sinn. Jarek lachte wieder und trat zurück. Radmila kam dafür näher.
Rhys brannte, als hätte jemand sein Knochenmark angezündet. Als sie sich zurückzog, hätte er vor Erleichterung aufgeschrien, wäre er dazu in der Lage gewesen, überhaupt einen Laut von sich zu geben. Das hier passiert nicht wirklich. Das kann gar nicht passieren.
Sie rissen ihm die restlichen Kleider vom Leib, der Stoff gab ein lautes Ratschen von sich, als er nachgab. Das einzig andere Geräusch in der Nacht war das dumpfe Summen des Schiffes und das Klatschen des Wassers gegen den Schiffsrumpf. Keine Schritte. Niemand, der ihn retten würde.
Jarek hob Rhys hoch und drapierte ihn auf dem Tisch. Das kalte, offene Metallgewebe kratzte an Rhys' nacktem Rücken. Im Vergleich zu dem, was vorher geschehen war, glich es beinahe einer angenehmen Berührung.
Die Atempause hielt nicht lange an. Radmila schwebte in sein Blickfeld, die Zähne vollständig gebleckt. Sie fuhr mit einer Klaue seine Wange entlang, die Parodie einer Liebkosung. Die Wunde schmerzte, als hätte man Sand hinein gerieben. Der scharfe, metallene Geruch von Blut stieg ihm in die Nase. Er schmeckte den bitteren Geschmack in seinem Mund.
Dann fielen die Vampire über seinen Körper her. Eis schnitt durch seine Beine. Feuer pulsierte in Wellen durch ihn. Er fühlte das Ziehen und Reißen seines Fleischs und das Brennen von Säure, das folgte, wenn Gischt die Wunden bedeckte. Zähne gruben sich wie gläserne Dolche in seine Brust. Radmilas Haar fiel gegen die Überreste seines Gesichts und seiner Schulter. Die feinen Strähnen bewegten sich wie Maden, bevor sie sich in sein Fleisch gruben. Rhys' Nerven schrien und schienen ihm aus dem Leib gerissen zu werden. Ein Summen füllte seine Ohren und Blitze durchzuckten sein Blickfeld. Doch er wurde nicht ohnmächtig, konnte es nicht. Schließlich kam ihm etwas, das einem Wehklagen glich, über die Lippen.
In seinem Kopf schrie Rhys einen einzigen Namen wieder und wieder.
Silas!