Читать книгу Wildfell Hall - Anne Bronte, Anne Brontë, The Bronte Sisters - Страница 10

Siebentes Kapitel.

Die Excursionen.

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Nicht lange nachher, an einem milden, sonnenhellen Morgen, an dem es sich ziemlich weich ging, denn der letzte Schnee war kaum erst verschwunden, und hatte nur hier und da auf dem frischen, grünen Grase unter den Hecken noch einen schmalen dünnen Streifen zurückgelassen, neben dem jedoch hier und da bereits die jungen Himmelschlüsselchen unter ihrem feuchten, dunkeln Laube hervorlugten, und die Lerche über mir sang ihr Lied vom Sommer, und Hoffnung und Liebe und allen himmlischen Dingen, — befand ich mich draußen auf dem Hügelabhange, gab mich dem Genusse dieser Naturreize hin, und sah zu, wie es meinen jungen Lämmern und deren Müttern erging. Als ich mich, dabei einmal umschaute, erblickte ich drei aus dem Thal herauskommende Personen. Es war Elise Milward, Rosa und Fergus; ich ging ihnen also über das Feld entgegen, und erklärte mich, als sie mir sagten, daß sie nach Wildfell Hall gingen, bereit, mitzukommen, bot Elisen meinen Arm, den sie statt desjenigen meines Bruders auch gern annahm, und sagte diesem, daß er zurückgehen könne, da ich die Damen begleiten werde.

»Da bitte ich sehr um Entschuldigung!« rief er — »die Damen begleiten mich, aber nicht ich sie. Ihr habt alle die merkwürdige Fremde gesehen, nur ich bin noch nicht so glücklich gewesen, und ich konnte meine bedauernswürdige Unwissenheit nicht länger ertragen, und mußte, was auch kommen möge, meine Wißbegier ebenfalls befriedigen, weshalb ich Rosa bat, mit mir nach der Halle zu gehen und mich auch dort vorzustellen. Sie schwor hoch und theuer, daß sie es nicht thun werde, außer wenn Miß Elise auch mitkomme; ich lief also nach dem Pfarrhause und holte sie, und wir haben den ganzen Weg zusammengehakt und zärtlich wie ein Liebespaar miteinander gemacht — und jetzt nimmst Du sie mir ab und willst mich auch noch meines Sgazierganges und Besuches berauben. — Geh zu Deinem Felde und Vieh zurück, Du Bauer, Du passest nicht dazu, mit Damen und Herren umzugehen, wie wir, die weiter nichts zu thun haben, als in die Häuser unsrer Nachbarn zu laufen, in ihre geheimsten Winkelchen zu spionieren, ihre Geheimnisse auszuspionieren, und ihnen Löcher in den Rock zu hacken, wenn er nicht nach unserm Geschmacke gemacht ist — Du verstehst Dich gar nicht auf dergleichen feine Genüsse.«

»Könnt ihr nicht Beide gehen?« meinte Elise, ohne auf seine letzten Reden zu achten.

»Ja, gewiß, kommt alle Beide,« rief Rosa — »je mehr, desto lustiger — ich bin so überzeugt, daß wir alle gute Laune, die wir haben, brauchen werden, um sie in das große, finstre, düstre Zimmer mit seinen schmalen Gitterfenstern und trübseligen alten Möbeln mitzunehmen — wenn sie uns nicht etwa wieder in ihr Atelier führt.«

Wir gingen also Alle in copore, und die magere alte Magd, die uns die Thüre öffnete, führte uns in ein Gemach, wie mir es Rosa von ihrem ersten Besuch bei Mrs. Graham her beschrieben hatte — es war ein ziemlich geräumiges und hohes Zimmer, das aber von den altmodischen Fenstern nur schwach erhellt wurde — die Decke, Vertäfelung und das Kaminsims von düsterem, schwarzen Eichenholz — letzteres fleißig, aber nicht eben geschmackvoll geschnitzt — mit eben solchen Stühlen und Tischen, auf der einen Seite des Kamines einem alten, mit einer bunten Auswahl von Büchern vollgestopften Bücherschranke, und einem ältlichen Spinett auf der andern.

Die Dame saß in einem steifen, hochlehnigen Armstuhle, mit einem runden Tischchen, worauf sich ein Schreibpult und Arbeitskörbchen befand, auf der einen Seite, und auf der andern ihrem kleinen Sohne, der mit auf ihrem Knie gelehnten Ellbogen dastand und ihr mit ausfallender Geläufigkeit aus einem kleinen, in ihrem Schooße liegenden Buche vorlas, während sie ihre Hand auf seine Schulter gelehnt hatte, und zerstreut mit den langen Ringellocken spielte, die auf seinen elfenbeinweißen Nacken fielen. Sie bildeten einen angenehmen Contrast mit allen Gegenständen um sie her, da sie aber natürlich bei unserm Eintritte sogleich ihre Stellung veränderten, konnte ich das Familienbildchen nur während den, wenigen kurzen Sekunden, wo Rahel die Thüre offen hielt, um uns einzulassen, beobachten.

Ich glaube nicht, daß Mrs. Graham von unserm Anblicke besonders entzückt war; ihre ruhige Höflichkeit hatte etwas unbeschreiblich Frostiges; ich sprach jedoch nicht viel mit ihr, sondern setzte mich, ein wenig von dem Kreise entfernt, an das Fenster, rief Arthur zu mir, und unterhielt mich mit ihm und Sancho sehr angenehm, während die beiden jungen Damen seine Mutter mit unbedeutenden Redensarten abquälten, und Fergus mit übereinander geschlagenen Beinen und in die Hosentaschen gesteckten Händen ihr gegenüber in seinem Stuhl zurückgelehnt saß, und bald an die Decke, bald seiner Wirthin gerade ins Gesicht starrte, daß ich große Lust hatte, ihn zur Thüre hinauszuwerfen, bald leise ein Stück von einer seiner Lieblingsmelodieen vor sich hin pfiff, bald das Gespräch unterbrach, oder eine Pause mit einer impertinenten Frage oder Bemerkung ausfüllte. Einmal hieß es:

»Ich bin erstaunt, Mrs. Graham, wie Sie sich eine so verfallene, wackliche, alte Boutique, wie diese, zum Wohnen aussuchen konnten. Warum haben Sie nicht eine nette, kleine Cottage gemiethet, wenn Sie nicht im Stande waren, das ganze Haus mit Ihren Leuten zu füllen und es renovieren zu lassen?«

»Vielleicht war ich zu stolz dazu, Mr. Fergus,« antwortete sie lächelnd; »vielleicht hatte ich auch eine besondere Vorliebe für dieses romantische, altmodische Gebäude gefaßt — aber es besitzt wirklich auch viele Vorzüge vor einer Cottage — erstens, sehen Sie, sind die Zimmer größer, und höher, zweitens können die unbewohnten Gemächer, für die Ich nichts bezahle, zu Rumpelkammern dienen, wenn ich etwas hineinzustecken habe; und dann sind sie von großem Vortheil für meinen kleinen Sohn, der an Regentagen, wo er nicht ausgehen darf, darin herumlaufen kann, und dann habe ich auch den Garten für ihn zum Spielen, und für mich zum Arbeiten. Sie sehen, daß ich bereits einige Verbesserungen angebracht habe,« fuhr sie, zum Fenster gewendet, fort: »Dort in der Ecke ist ein Beet mit jüngeren Gemüse, und hier blühen schon einige Schneeglöckchen und Schlüsselblumen — und dort, im Sonnenscheine, öffnet sich eben ein gelber Crokus.«

»Wie können Sie es aber in einer solchen Lage aushalten — Ihre nächsten Nachbarn in zwei Meilen Entfernung, und keinen Menschen, der Sie besucht, oder hier vorübergeht? — Rosa würde in einer solchen Wohnung Wahnsinnig werden. Sie kann nicht leben, wenn sie des Tages nicht wenigstens ein halbes Dutzend verschiedene Kleider und Hüte sieht — von den Gesichtern darunter gar nicht zu sprechen; aber Sie können den ganzen Tag hier am Fenster sitzen und aufpassen, ohne auch nur eine alte Frau zu erblicken, die ihre Eier zu Markte trägt.«

»Ich möchte sagen, daß die Einsamkeit des Hauses eine seiner besten Empfehlungen gewesen ist — ich finde kein Vergnügen daran, am Fenster zu sitzen und nach den Vorübergehenden auszuschauen; und ich habe es gern still.«

»O, das ist so viel, als wollten Sie sagen, Sie wünschten, daß wir uns Alle um uns selbst bekümmern und Sie ungeschoren lassen.«

»Nein, ich bin einer weit ausgebreiteten Bekanntschaft abgeneigt; wenn ich aber einige Freunde habe, so sehe ich sie natürlich gern von Zeit zu Zeit. Kein Mensch kann in ewiger Einsamkeit glücklich leben. Wenn Sie daher mein Haus als Freund betreten, Mr. Fergus, so werde ich Sie willkommen heißen, wo nicht, so muß ich allerdings gestehen, daß es mir lieber ist, wenn Sie wegbleiben.«

Hierauf wendete sie sich zu Rose und Elisen, und richtete einige Worte an diese.

»Und, Mrs. Graham,« sagte er fünf Minuten später von Neuem, »wir stritten uns auf unserem Wege über eine Frage, die Sie am besten entscheiden können, da sie hauptsächlich Sie selbst betrifft — wir haben wirklich oft Diskussionen über Sie; denn Viele von uns haben weiter nichts zu thun, als von den Angelegenheiten unsrer Nachbarn zu sprechen, und wir, die einheimischen Erzeugnisse des Bodens, kennen einander so lange, und haben einander so oft besprochen, daß und dieses Spiel wahrhaft zum Ekel geworden ist, und ein Fremder, der sich unter uns niederläßt, eine unscheinbare Vermehrung unserer erschöpften Unterhaltungsquellen darbieten Nun, die Frage, oder Fragen, um deren Lösung wir Sie ersuchen —«

»Halt den Mund, Fergus!« rief Rosa in einem Fieber von Furcht und Zorn.

»Ich will nicht, sage ich Dir. Die Fragen, um deren Lösung Sie ersucht werden, sind: — Erstlich, Ihre Geburt, Familie und früherer Aufenthaltsort. Manche behaupten, Sie seien eine Ausländerin; Andere sagen, Sie seien eine Engländerin; manche, Sie seien im Norden, und Andere, Sie wären im Süden zu Hause; wieder Andere sagen —

»Nun, Mr. Fergus, ich will es Ihnen sagen. Ich bin eine Engländerin — und ich sehe nicht ein, warum Jemand daran zweifeln sollte — und ich bin weder im äußersten Norden, noch im äußersten Süden unserer glücklichen Insel geboren, und habe den größten Theil meines Lebens auf dem Lande zugebracht, und nun, hoffe ich, sind Sie zufrieden; denn ich habe jetzt keine Lust, weitere Fragen zu beantworten.«

»Nur diese eine —«

»Nein keine einzige mehr!« lachte sie, indem sie von — ihrem Stuhle aufsprang, an dem Fenster, wo ich saß, Zuflucht suchte, und sich in der Verzweiflung, und um den Verfolgungen meines Bruders zu entgehen, bemühte, mich ins Gespräch zu ziehen.

»Mr. Markham,« sagte sie mit beflügelten Worten und erhöhter Gesichtsfarbe, die ihre Unruhe nur zu deutlich blicken ließen, »haben Sie die schöne Seeaussicht vergessen, von der wir vor einiger Zeit sprachen? Ich denke, ich werde Sie nun bemühen müssen, mir den nächsten Weg dorthin zu beschreiben, denn wenn dieses schöne Wetter anhält, so werde ich vielleicht im Stande sein, hinzugehen und meine Skizze zu machen; ich habe alle übrigen Gegenstände er schöpft und sehne mich, diesen zu sehen.«

Ich war im Begriffe ihrem Wunsche zu entsprechen, wurde jedoch Von Rosa daran verhindert.

»O, sage es ihr nicht, Gilbert!« rief sie; — »sie soll mit uns gehen. Sie meinen gewiß die Bai, Mrs. Graham. Es ist ein weiter Weg für Sie, und für Arthur ganz unmöglich, hinzugehen. Aber wir hatten im Sinne, eines schönen Tages ein Picknick zu machen und sie anzusehen; und wenn Sie warten wollen, bis sich das schöne Wetter befestigt, so werden wir Alle hocherfreut sein, Sie bei uns zu haben.«

Die arme Mrs. Graham sah bestürzt aus, und wollte Entschuldigungen vorbringen; aber Rosa, die entweder mit ihrem einsamen Leben Erbarmen hatte, oder sich eifrig bemühte, nähere Bekanntschaft mit ihr anzuknüpfen, war entschlossen, sie mitzunehmen, und besiegte alle ihre Einwendungen. Man sagte ihr, daß die Gesellschaft nur klein sein, und blos aus Freunden bestehen solle, und daß die beste Aussicht von der Klippe, die volle fünf Meilen, entfernt liege, sei.

Ein hübscher Spaziergang für die Herren,« fuhr Rosa fort« »aber die Damen werden abwechselnd gehen und fahren; denn wir nehmen unseren Ponywagen mit, der groß genug ist, um den kleinere Arthur und drei Damen, und Ihr Zeichnenmaterial, und unsere Mundvoräthe zu fassen.«

Der Vorschlag wurde also endlich angenommen, und nach einigen Diskussionen über die Zeit und Art der beabsichtigten Excursion, erhoben wir uns und nahmen Abschied.

Wir waren aber erst im März; ein kalter, feuchter April, und zwei Wochen des Mai vergingen, ehe wir mit der vernünftigen Hoffnung, das Vergnügen angenehmer Aussicht, heiterer Gesellschaft, frischer Luft, guter Speisen und Getränke und Leibesübung, welches wir suchten, ohne die Beimischung von schlechten Wegen, kalten Winden und drohenden Wolken zu genießen, unseren Ausflug anzutreten wagen konnten. Dann aber zogen wir eines schönen Morgens unsere Streitkräfte zusammen, und machten uns auf den Weg. Die Gesellschaft bestand aus Mrs. und Master Graham, Mary und Elise Milward, Jane und Richard Wilson, und Rosa, Fergus und Gilbert Markham.

Mr. Lawrence war ebenfalls eingeladen worden, hatte es aber, aus ihm wahrscheinlich am besten bekannten Gründen, abgeschlagen, uns seine Gesellschaft zu schenken. Ich hatte ihn selbst darum gebeten. Als ich dies that, zauderte, er und fragte, wer Alles mitgehe. Da ich Jane Wilson nannte, schien er halb und halb zum Kommen geneigt zu sein, als ich aber in dem Glauben, daß dies eine weitere Versuchung sei, Mrs. Grahams Namen erwähnte, schien dieß gerade die entgegengesetzte Wirkung auszuüben, und er lehnte es gänzlich ab — die Wahrheit zu gestehen, nicht eben zu meinem Mißvergnügen, obgleich ich Ihnen kaum den Grund davon angeben könnte.

Es mochte etwa Mittag sein, als wir unseren Bestimmungsort erreichten. Mrs. Graham ging die ganze Strecke, bis nach den Klippen zu Fuße, und der kleine Arthur that den größten Theil des Weges über das Gleiche; denn er war jetzt bei weitem abgehärteter und gelenkiger, als zur Zeit, wo er in die Gegend gekommen war, und er wollte nicht gern mit Fremden im Wagen sitzen, während, alle seine vier Freunde, die Mama, und Sancho, und Mr. Markham, und Miß Milward zu Fuße waren, und entweder weit hinten, oder durch ferne Felder und Heckenwege hinwanderten.

Ich habe eine höchst angenehme Erinnerung an diesen Spaziergang auf der hier und da von grünen Bäumen beschatteten und mir blumenreichen Grasrändern und blühenden Hecken vom köstlichsten Dufte geschmückten, sonnenbeschienenen weißen Landstraße, oder durch mit lieblichen Blumen und dem glänzenden Grün des köstlichen Mai prangenden Wiesen und Heckenwege hin. Allerdings befand sich Elise nicht bei mir, aber sie war bei ihren Freunden in dem Ponywagen hoffentlich eben so glücklich, wie ich, und selbst, als wir Fußgänger die Landstraße verließen, um einen kürzeren Weg über die Felder einzuschlagen, und den kleinen Wagen in weiter Ferne hinter den grünen, laubigen Bäumen verschwinden sahen, haßte ich diese Bäume weder, weil sie den lieben, kleinen Hut und Shawl meinen Blicken entrissen, noch fühlte ich, daß alle diese Gegenstände zwischen meinem Glücke und mir lägen, denn ich war, die Wahrheit zu gestehen, in Mrs. Grahams Gesellschaft viel zu glücklich, um die Elise Milwards zu vermissen.

Erstere war zwar anfangs zum Verzweifeln ungesellig, und wie es schien, entschlossen, mit Niemandem, außer Miß Milward und Arthur zu sprechen. Sie und Mary gingen zusammen, meist mit dem Knaben zwischen sich: — wo es aber der Weg gestattete, ging ich stets auf ihrer andern Seite, während Richard Wilson die andere Seite Miß Milwards in Beschlag nahm, und Fergus sich nach Belieben hier und da umhertrieb,— nach einer Weile wurde sie jedoch freundlicher, und endlich gelang es mir, ihre Aufmerksamkeit fast ausschließlich zu fesseln — und dann war ich wahrhaft glücklich, denn wenn sie sich zum Sprechen herabließ, so hörte ich gern zu. Wo ihre Ansichten und Aussprüche mit den meinen übereinstimmten, entzückte mich ihr gesunder Verstand, ihr ausgesuchter Geschmack und Gefühl; wo sie von ihnen abwichen, war es doch stets die rücksichtslose Kühnheit, womit sie diese Verschiedenheit gestand und vertheidigte — ihre Ueberzeugtheit und ihr Scharfsinn, die meine Phantasie piquirten; und selbst wenn sie mich durch unfreundliche Worte oder Blicke und lieblose Schlüsse auf mich erzürnte, machte sie mich dadurch unzufrieden mit mir selbst, daß ich einen so ungünstigen Eindruck auf sie gemacht, und verlangender, meinen Charakter und mein Gemüth in ihren Augen zu recht fertigen und wo möglich ihre Achtung zu erringen

Endlich kam unser Spaziergang zu Ende. Die zu nehmende Höhe und Steilheit der Hügel hatte die Aussicht seit einiger Zeit verdeckt; als wir aber den Gipfel einer steilen Anhöhe erreicht hatten, und zu unseren Füßen hinabblickten, lag eine breite Lücke vor uns — und das blaue Meer bot sich unseren Blicken dar! — tief veilchenblau nicht todtenstill, sondern mit glitzernden Wellenkämmen bedeckt — winzigen, weißen Flecken, die auf seiner Brust schimmerten und durch das schärfste Auge kaum von den kleinen Seemöven, die sich darüber wiegten und deren weiße Flügel im Sonnenscheine erglänzten, zu unterscheiden waren; nur zwei bis drei Schiffe waren zu sehen, diese aber befanden sich in weiter Ferne.

Ich blickte meine Begleiterin an, um zu sehen, was sie von diesem herrlichen Schauspiele denke. Sie sagte nichts, blieb aber stehen, und heftete ihre Augen mit einem Blicke darauf, welcher mir versicherte, daß ihre Erwartungen nicht getäuscht worden seien. Sie hatte, beiläufig bemerkt, sehr schöne Augen — ich weiß nicht, ob ich es Ihnen schon gesagt habe — aber sie waren seelenvoll, groß, klar und fast schwarz — nicht braun, sondern von sehr dunklem Grau. Ein kühles, belebendes Lüftchen wehte vom Meere her — weich, rein und gesund; es ließ ihre Locken flattern, und verlieh ihren sonst zu blassen Lippen und Wangen eine lebhaftere Farbe. Sie fühlte seinen er heiternden Einfluß, und so ging es auch mir — ich fühlte es durch meinen ganzen Körper prickeln, wagte es aber nicht, seine Einwirkung kundzugeben, so lange sie so still blieb. Ihr Antlitz trug den Ausdruck milder Heiterkeit, welcher fast zu einem Lächelns exaltierter, froher Intelligenz aufloderte, als ihr Auge das Meine traf. Sie hatte noch nie so schön ausgesehen, noch nie hatte ihr mein Herz so warm entgegengeklopft, wie jetzt. Wenn wir noch zwei Minuten allein so stehen geblieben wären, so hätte ich für die Folgen nicht bürgen können. Zum Glück für meine Diskretion, vielleicht auch für meinen Genuß des Tages, wurden wir schnell zum Mahle — einer höchst respektablen Collation, beschieden, die Rosa, von Miß Wilson und Elise unterstützt, welche mit ihr und dem Wagen vor uns angekommen waren, auf einer erhöhten Stelle, von der aus man die See überschauen konnte, welche zugleich aber auch durch einen steilen Felsen und überhängende Bäume vor der Sonne geschützt war, aufgetischt hatte.

Mrs. Graham setzte sich in einiger Entfernung von mir nieder. Meine Nachbarin war Elise, die ihr Möglichstes that, um sich auf ihre sanfte, von aller Aufdringlichkeit entfernte Art angenehm zu machen und ohne Zweifel eben so reizend und fesselnd wie sonst war, wenn ich es nur hätte fühlen können. Bald aber begann sich mein Herz wieder für sie zu erwärmen und wir waren Alle, soviel ich sehen konnte, während des langen, geselligen Mahles äußerst heiter und froh.

Sobald dies vorüber war, forderte Rosa Fergus auf, ihr beizustehen, die Ueberbleibsel und die Messer, Teller u s. w. zusammenzuräumen und in die Körbe zu legen, und Mrs. Graham nahm ihren Feldstuhl und ihr Zeichengeräth und verließ uns, nachdem sie Miß Milward gebeten, die Aufsicht über ihren kostbaren Sohn zu übernehmen und ihm streng verboten, sich von der Seite seiner neuen Aufseherin zu entfernen, um sich nach einem höheren, steileren Punkte in einiger Entfernung zu begeben, von wo die Aussicht noch schöner war, und wo sie es vorzog, ihre Skizze aufzunehmen, obgleich ihr einige von den Damen sagten, daß es ein entsetzlicher Ort sei, und ihr riethen, es nicht zu versuchen.

Sobald sie fort war, fühlte ich, als ob der ganze Spaß des Picknicks zu Ende sei — obgleich sich kaum sagen läßt, was sie zur Heiterkeit der Gesellschaft beigetragen hatte. Ihren Lippen war kein Scherz, kein Lachen — entflohen, aber ihr Lächeln hatte meine Laune belebt; eine scharfsinnige Bemerkung oder ein heiteres Wort von ihr, hatte meinen Witz, mir selbst unbewußt, geschärft, und Allem, was die Uebrigen sagten oder thaten, neues Interesse verliehen. Selbst meine Unterhaltung mit Elisen war durch ihre Gegenwart lebhafter geworden, obwohl ich es nicht wußte; und nun sie fort war, hörte Elisens scherzhafter Unsinn auf mich zu belustigen — ja wurde mir sogar langweilig, und ich es müde, sie zu unterhalten; ich fühlte mich durch eine unwiderstehliche Anziehungskraft nach dem fernen Punkte gelockt, wo die schöne Künstlerin saß und einsam ihre Arbeit verrichtete — und ich versuchte nicht lange derselben Widerstand zu leisten, sondern stand, während meine kleine Nachbarin einige Worte mit Miß Wilson austauschte, auf und schlürfte leise hinweg. Einige schnelle Schritte, und ein kurzes, gelenktes Klettern brachte mich bald zu der Stelle, wo sie saß — einem schmalen Felsenvorsprung dicht am Rande der Klippe, welche steil zum felsigen Strande hinabschoß.

Sie hörte mich nicht kommen; als mein Schatten auf ihr Papier fiel, schrack sie, wie von einem elektrischen Schlage getroffen, zusammen und blickte sich hastig um — jede andere Dame meiner Bekanntschaft würde bei einem so plötzlichen Schrecken laut aufgeschrieen haben.

»O, ich wußte nicht, daß Sie es seien — warum haben Sie mich so erschreckt?« sagte sie etwas unwillig; — »ich kann es nicht leiden, wenn man mir so unerwartet über den Hals kommt.«

»Ei, für wen haben Sie mich gehalten,« sagte ich, »wenn ich gewußt hätte, daß Sie so ängstlich wären, so würde ich vorsichtiger gewesen sein: aber —«

»Nun, es thut nichts. Weshalb sind Sie gekommen? Kommen sie Alle?«

»Nein, dieser kleine Vorsprung würde kaum Platz genug für Alle bieten.«

»Das freut mich, denn ich bin des Redens müde.«

»Nun wohl, ich will nicht sprechen, sondern mich nur hersetzen, und zusehen, wie Sie zeichnen.«

»O, aber Sie wissen doch, daß ich das nicht leiden kann.«

»Dann will ich mich damit begnügen, diese herrliche Aussicht zu bewundern.«

Hiergegen machte sie keine Einwendung und zeichnete eine Zeitlang schweigend weiter. Ich konnte mich aber nicht enthalten, von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick von der herrlichen Aussicht zu unseren Füßen auf die schöngeformte, weiße Hand, welche den Bleistift hielt, und den graziösen Nacken und die glänzenden Rabenlocken, die über das Papier herabhingen, zu werfen.

»Jetzt,« dachte ich, könnte ich, falls ich Bleistift und ein Stück Papier hätte, eine schönere Skizze, als die ihre, machen, vorausgesetzt, daß ich die Fähigkeit besäße, das, was sich vor mir befindet, treu nachzubilden.«

Obgleich mir aber diese Genugthuung versagt blieb, war ich doch sehr zufrieden, neben ihr sitzen zu können, ohne etwas zu sagen.

»Sind Sie noch da. Mr. Markham?« sagte sie endlich, sich nach mir umsehend — denn ich saß etwas hinter ihr auf einem bemoosten Vorsprunge der Klippe. — »Warum gehen Sie nicht und unterhalten sich mit Ihren Freunden?«

»Weil ich ihrer müde bin, wie Sie, und sie morgen oder jederzeit noch genug sehen kann, während ich vielleicht, wer weiß wie lange, nicht wieder das Vergnügen, Sie zu sehen, haben werde.«

»Was that Arthur, als Sie fortgingen?«

»Er war bei Miß Milward, wo Sie ihn .gelassen hatten — in der besten Verfassung, hoffte aber, daß die Mama nicht lange ausbleiben werde. Sie haben mir ihn, beiläufig erwähnt, auch nicht anvertraut,« brummte ich, »obgleich ich die Ehre einer viel längeren Bekanntschaft hatte; aber Miß Milward versteht die Kunst, Kinder in Ruhe zu halten und zu belustigen,« fügte ich nachlässig hinzu, »wenn sie auch sonst zu nichts taugt.«

»Miß Milward hat viele schätzbare Eigenschaften, die Leute, wie Sie, nicht wahrnehmen oder beurtheilen können. Wollen S« Arthur sagen, daß ich in wenigen Minuten kommen werde?«

»Wenn das ist, so will ich, mit Ihrer Erlaubniß warten, bis diese wenigen Minuten vorüber sind, und dann kann ich Ihnen beim Herabsteigen dieses beschwerlichen Weges beistehen.«

»Ich danke Ihnen — bei dergleichen Anlässen komme ich ohne Beistand stets am Besten zurecht.«

»Aber ich kann wenigstens Stuhl und Skizzenbuch tragen.«

Diese Gunst schlug sie mir nicht ab; ich fühlte mich aber von ihrem offenbaren Wunsche, mich loszuwerden, etwas gekränkt und fing schon an, meine Hartnäckigkeit zu bereuen, als sie mich dadurch wieder ein wenig beschwichtigte, daß sie meinen Geschmack und mein Urtheil über einen zweifelhaften Punkt in ihrer Zeichnung zu Rathe zog. Meine Ansicht wurde glücklicher Weise von ihr gebilligt und die von mir vorgeschlagene Verbesserung ohne Anstand angenommen.

»Ich habe oft vergeblich gewünscht, sagte sie, »an das Urtheil eines Andern appellieren zu können, wenn ich kaum meinem Auge und Kopfe vertrauen konnte, nachdem diese so lange von der Betrachtung eines einzigen Gegenstandes in Anspruch genommen worden waren, daß sie fast unfähig wurden, sich eine gehörige Idee darüber zu machen.«

»Damit antwortete ich, »ist nur eins von den vielen Uebeln, denen uns ein einsiedlerisches Leben aussetzt.«

»Seht wahr,« antwortete sie, und wir versanken wie der in unser früheres Schweigen.

Etwa zwei Minuten später erklärte sie ihre Skizze für fertig, und machte das Buch zu.

Als wir zu der Stelle, wo das Mahl gehalten worden war, zurückkehrten, fanden wir sie von der ganzen Gesellschaft, mit Ausnahme Mary Milwards, Richard Wilsons und Arthur Grahams, verlassen. Der junge Herr lag, mit in dem Schooße der Dame ruhendem Kopfe, in tiefem Schlafe da, und der Andere saß, mit einer Taschenausgabe eines griechischen Autors in der Hand, neben ihr. Er ging nie ohne einen solchen Begleiter zur Ausfüllung seiner freien Augenblicke aus: alle Zeit, die nicht dem Studium, oder von seinem Körper zur Lebenserhaltung gebieterisch gefordert wurde, erschien ihm als verloren. Selbst jetzt konnte er sich nicht dem Genusse der reinen Luft und des glänzenden Sonnenscheins, der herrlichen Aussicht und der Musik der Wellen und des leisen Windes in den schützenden Bäumen über ihm hingeben — selbst nicht mit einer Dame neben ihm (allerdings keiner sehr reizenden, wie ich gestehen muß) — ohne sein Buch herauszuziehen und seine Zeit so gut als möglich zu benutzen, während er sein mäßiges Mahl verdaute und seine, nicht an viele Bewegung gewöhnten, milden Glieder ausruhen ließ.

Vielleicht darbte er sich jedoch von Zeit zu Zeit einen Augenblick ab, um mit seiner Gefährtin ein Wort oder einen Blick auszutauschen — auf alle Fälle schien sie sein Betragen keineswegs übel zu nehmen, denn ihre häßlichen Züge trugen einen Ausdruck ungewöhnlicher Zufriedenheit und Heiterkeit, und sie studiere, als wir ankamen, sein blasses, gedankenvolles Gesicht mit vieler Behaglichkeit.

Der Heimweg war mir keineswegs so angenehm, wie der erste Theil des Tages, denn jetzt befand sich Mrs. Graham im Wagen und Elise Milward war meine Begleiterin auf dem Wege. Sie hatte den Vorzug, welchen ich der jungen Witwe gegeben, bemerkt und fühlte sich offenbar hintenangesetzt. Sie gab ihren Kummer nicht durch spitzige Vorwürfe, bittere Sarkasmens oder schmollendes, mürrisches Schweigen kund, — denn alles dies hätte ich leicht hinweglachen können, sondern sie zeigte denselben durch einen milden, vorwurfsvollen Trübsinn, der mir in’s Herz schnitt. Ich versuchte, sie zu erheitern, was mir auch, ehe wir nach Hause kamen, einigermaßen gelungen zu sein schien; indem ich es aber that, machte mir mein Gewissen Vorwürfe, da ich wußte, daß das Band seither oder später zerrissen werden müsse, und ich dadurch nur täuschende Hoffnungen nährte und den schlimmen Tag hinausschob.

Als der Ponywagen Wildfell Hall so nahe gekommen war, als es die Straße gestattete — wenn sie nicht den langen, rauhen Heckenweg hinaufging, was Mrs. Graham nicht gestatten wollte, stiegen die junge Witwe und ihr Sohn ab, und überließen Rosen den Kutschersitz, während ich Elisen überreden, den Jener einzunehmen. Nachdem ich sie bequem hineingepackt, sie gebeten, sich vor der Abendluft in Acht zu nehmen und ihr eine freundliche gute Nacht gewünscht hatte, fühlte ich mich bedeutend erleichtert, und eilte, der Mrs. Graham meine Dienste anzubieten, um ihren Zeichnenapparat hinaufzutragen; — sie hatte jedoch bereits ihren Feldstuhl an den Arm gehangen und ihr Skizzenbuch in die Hand genommen und bestand darauf, mir mit der übrigen Gesellschaft Adieu zu sagen. Diesmal lehnte sie aber meine angebotenen Hilfeleistungen so gütig und freundlich ab, daß ich ihr fast verzieh.

Wildfell Hall

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