Читать книгу Wildfell Hall - Anne Bronte, Anne Brontë, The Bronte Sisters - Страница 6
Drittes Kapitel.
Eine Controverse.
ОглавлениеZwei Tage nachher machte Mrs. Graham einen Besuch in Linden-Car, gegen alle Erwartungen Rosa’s, die die Idee hatte, daß die geheimnisvolle Bewohnerin von Wildfell Hall die gewöhnlichen Pflichten des civilisirten Lebens gänzlich aus den Augen setzen würde — in welcher Ansicht sie die Wilsons unterstütztem welche behaupteten, daß weder ihr Besuch, noch der der Milwards bis jetzt erwiedert worden sei
Jetzt wurde indeß der Grund der Unterlassungssünde erklärt, wenn auch nicht ganz zu Rosa’s Zufriedenheit
Mrs. Graham hatte ihren Sohn mitgebracht, und als meine Mutter ihr Erstaunen und gab, daß er so weit gehen könne, antwortete sie:
»Es ist ein weiter Weg für ihn, aber ich mußte ihn entweder mitnehmen oder den Besuch ganz unterlassen, denn ich lasse ihn nie allein, — und werde Sie bitten müssen, Mrs. Markham, mich bei den Milwards und Mrs. Wilson zu entschuldigen, wenn Sie sie wieder sehen, da ich fürchte, mir das Vergnügen, sie zu besuchen, versagen zu müssen, bis mein kleiner Arthur im Stande sein wird, mich zu begleiten.«
»Aber Sie haben eine Dienerin,« sagte Rosa, »könnten Sie ihn nicht bei der lassen.«
»Sie hat ihre eignen Geschäfte zu besorgen und ist überdies zu alt, um einem Kinde nachzulaufen, und Er zu lebhaft, um sich immer bei einem ältlichen Frauenzimmer aufzuhalten.«
»Aber Sie ließen ihn doch zu Hause, um in die Kirche zu gehen?«
»Ja, einmal, aber ich würde dies auch unter keinen andern Umständen gethan haben und denke, daß ich es in Zukunft so einrichten muß, daß ich ihn mitbringe oder selbst zu Hause bleibe.«
»Ist er denn so bösartig?« fragte meine Mutter ungemein entsetzt.
»Nein,« entgegnete die Dame mit trübem Lächeln und streichelte das lockige Haar ihres Sohnes, der ihr zu Füßen auf einem niedrigen Schemel saß, »aber er ist mein einziger Schatz, und ich sein einziger Freund, so daß wir uns nicht gern von einander trennen.«
»Aber, mein liebes Kind, das nenne ich Verzärteln,« sagte meine freimüthige Mutter, »Sie sollten sich bemühen, diese thörichte Zärtlichkeit zu unterdrücken, um sowohl Ihren Sohn vor Ruin, als sich selbst vor dem Auslachen zu retten.«
»Ruin, Mrs. Markham.«
»Ja, Sie verziehen dadurch das Kind; — selbst in seinem Alter sollte er nicht immer an dem Schürzenbande seiner Mutter hängen, er sollte lernen, sich dessen zu schämen.«
»Mrs. Markham, ich bitte Sie, dergleichen Dinge wenigstens in seiner Gegenwart nicht zu sagen. Ich hoffe, daß sich mein Sohn nie der Liebe zu seiner Mutter schämen wird,« sagte Mrs. Graham mit einer Energie, die die Gesellschaft in Erstaunen setzte.
Meine Mutter versuchte sie durch eine Erklärung zu beschwichtigen, sie schien aber zu denken, daß bereits genug über den Gegenstand gesprochen worden sei, und lenkte das Gespräch kurz auf etwas Anderes.
»Gerade wie ich dachte,« sagte ich zu mir, »das Gemüth der Dame ist keines von den mildesten, trotz ihres lieblichen, blassen Gesichts und der hohen Stirn, auf die Nachdenken und Leiden ihren Stempel gedrückt zu haben scheinen.
Ich war die ganze Zeit über an einem Tische auf der andern Seite des Zimmers, anscheinend in das Lesen einer Nummer der Ackerbauzeitung versenkt, die ich bei der Ankunft unserer Besucherin zufällig vor mir hatte sitzen geblieben, hatte mich, als sie hereintrat, da ich nicht übermäßig höflich sein wollte, blos vorbeugt und meine frühere Beschäftigung fortgesetzt.
Nach einer Weile bemerkte ich jedoch, daß sich mir Jemand mit leichten, aber langsamen und zagenden Schritten nähere. Es war der kleine Arthur, der von meinem, zu meinen Füßen liegenden Hunde, Sancho, unwiderstehlich angezogen wurde.
Als ich aufblickte, sah ich ihn etwa zwei Schritte von mir stehen und mit seinen hellen, blauen Augen sehnsüchtig nach dem Hunde schauen, aber an seine Stelle geheftet, nicht etwa aus Furcht vor dem Thiere, sondern aus schüchterner Abneigung, sich seinem Herrn zu nähern.
Einige Aufmunterung von meiner Seite bewog ihn indeß, heranzukommen; er war zwar scheu, aber nicht mürrisch. In einer Minute kniete er auf dem Teppich und hatte seine Arme um Sancho’s Hals geschlungen und ein paar Minuten später saß der kleine Bursche auf meinem Knie und betrachtete begierig die verschiedenen Abbildungen von Pferden, Rindern, Schweinen und Musterhäusern,die sich in dem Hefte vor mir befanden.
Ich blickte von Zeit zu Zeit nach seiner Mutter hin, um zu sehen, wie ihr die neue Freundschaft gefalle, und bemerkte an dem unruhigere Ausdruck ihres Auges, daß ihr die Lage in welcher sich das Kind befand, aus dem einen oder andern Grunde unbehaglich war.
»Arthur,« sagte sie endlich, komm her, »Du störst Mr. Markham, er will lesen.«
»Nicht im Geringsten, Mrs. Graham, ich bitte, lassen Sie ihn bleiben. Ich unterhalte mich eben so gut, als er,« wendete ich ein. Dessenungeachtet rief sie ihn aber mit Hand und Auge schweigend an ihre Seite.
»Nein, Mama,« sagte das Kind, »laß mich erst die Bilder ansehen, dann will ich kommen und Dir erzählen, was es ist.«
»Wir werden am nächsten Montag, den 5. November, eine kleine Gesellschaft haben,« sagte meine Mutter, »und ich hoffe, daß Sie es nicht abschlagen werden, daran Theil zu nehmen, Mrs. Graham. Sie können ja Ihren Kleinen mitbringen, wir werden wohl im Stande sein, ihn zu unterhalten, und dann können Sie den Milwards und Wilsons Ihre Entschuldigung selbst machen, sie werden hoffentlich Alle hier sein.«
»Ich danke Ihnen, ich gehe nie zu Gesellschaften.«
»O, das wird nur eine Familiengeschichte sein — wir gehen zeitig zu Bett und Niemand ist da außer uns, die Milwards und Wilsons, von denen Sie die Meisten bereits kennen, und Mr. Lawrence, Ihr Gutsherr, den Sie doch kennen lernen sollten.«
»Ich kenne ihn bereits ein wenig, aber Sie müssen mich für diesmal entschuldigen, denn die Abende sind jetzt schon dunkel und feucht und ich fürchte, daß Arthur zu zart ist, um sich ihnen ungestraft auszusetzen. Wir müssen den Genuß Ihrer Gastfreundschaft verschieben, bis die Tage wieder länger und die Nächte wärmer werden.«
Rosa brachte jetzt, auf einen Wink von meiner Mutter, eine Weinflasche mit Gläsern und Kuchen aus dem Schranke unter dem Eichenbuffet und präsentierte den Gästen die Erfrischungen. Sie genossen Beide etwas Kuchen, schlugen aber den Wein, trotz der gastfreien Versuche der Hausfrau, ihnen denselben aufzubringen, hartnäckig aus. Arthur besonders zog sich von dem rothen Nektar, wie entsetzt und von Ekel ergriffen, zurück und wollte weinen, als man in ihn drang, denselben zu nehmen.
»Es thut nichts, Arthur,« sagte seine Mutter. »Mrs. Markham denkt, daß es Dir gut thun wird, da Du von Deinem weiten Wege müde warst, aber sie wird Dich nicht zwingen, ihn zu trinken, es wird wohl auch so schon gehen. Er verabscheut schon den Anblick des Weines,« fügte sie hinzu, und der Geruch desselben macht ihn fast krank. Ich habe ihm, wenn er unwohl war, mitunter etwas Wein oder schwachen Cognac in Wasser als Medicin eingegeben, und in der That Alles was ich konnte, gethan, um ihn dazu zu bringen, denselben zu hassen.«
Alle, mit Ausnahme der jungen Witwe und ihres Sohnes, lachten.
»Nun, Mrs. Graham,« sagte meine Mutter, indem sie sich die Lachthränen aus den hellen, blauen Augen wischte, »nun, Sie setzen mich in Erstaunen. Ich hatte wirklich geglaubt, daß Sie mehr Verstand hätten — das arme Kind wird wirklich zu einem Ofenhocker werden, wenn Sie darauf bestehen.«
»Ich halte es für ein vortreffliches System,« unter brach sie Mrs. Graham mit unerschütterlichem Ernste. »Hierdurch hoffe ich ihn wenigstens von einem herabwürdigenden Laster zu retten — ich wollte, ich könnte die Reizungen zu jedem andern für ihn eben so unschädlich machen.«
»Dadurch,« sagte ich, »werden Sie ihn aber nie tugendhaft machen. Worin besteht die Tugend, Mrs. Graham? — Liegt sie darin, daß man fähig und bereit ist, der Versuchung zu widerstehen, oder darin, daß man keine Versuchungen hat, denen man widerstehen kann? Ist derjenige ein starker Mann, der große Hindernisse überwältigt und erstaunliche Thaten verrichtet, wenn auch durch große Körperanstrengung und auf Gefahr einiger späteren Müdigkeit, oder der, welcher den ganzen Tag auf seinem Stuhle sitzt und nichts Mühsameres zu thun hat, als das Feuer zu schüren und seine Nahrung zum Munde zu führen? — Wenn Sie wollen, daß Ihr Sohn ehrenvoll durch die Welt geht, so dürfen Sie nicht versuchen, ihm die Steine aus dem Wege zu räumen, sondern ihm lehren, fest darüber hinwegzugehen; nicht darauf bestehen, ihn an der Hand zu führen, sondern ihn allein dahinzuschreiten lernen lassen.«
»Ich werde ihn an der Hand führen, Mr. Markham, bis er Kraft hat, allein zu gehen, und so viele Steine, als ich kann, auf seinem Pfade räumen und ihm lehren, die übrigen zu vermeiden, oder, wie Sie sagen, fest darüber zu wandeln; denn wenn ich mein Aeußerstes in dieser Beziehung gethan habe, wird immer noch genug vorhanden sein, um alle Gelenkigkeit, Festigkeit und Umsicht, die er je besitzen wird, in Anspruch zu nehmen. — Es ist ganz gut, wenn man von edlem Widerstande und Prüfungen der Tugend spricht, aber zeigen Sie mir von fünfzig — oder fünfhundert Männern, die der Versuchung unterlegen sind, nur einen einzigen, der die Tugend behauptet, um zu widerstehen. Und warum sollte ich es für sicher halten, daß mein Sohn eine Ausnahme von Tausenden sein wird — und mich nicht lieber auf das Schlimmste vorbereiten und annehmen, daß er wie sein — wie die übrigen Menschen sein wird, wenn ich nicht Sorge trage, es zu verhindern?«
»Sie sprechen höchst schmeichelhaft für uns,« bemerkte ich
»Von Ihnen! das ich nicht wüßte; ich spreche von denjenigen, die ich kenne — und wenn ich sehe, wie das ganze Menschengeschlecht — mit wenigen seltenen Ausnahmen — auf dem Pfade des Lebens hinstolpert und schwankt, in jede Grube sinkt und sich die Schienbeine an jedem Hindernisse, welches auf seinem Wege liegt, zerstößt, soll ich da nicht alle Mittel in meiner Macht anwenden, um ihm einen ebeneren und sicheren Weg zu verschaffen?«
»Ja, aber das sicherste Mlttel dazu würde sein, ihn wo möglich gegen die Versuchung zu stärken, nicht aber sie aus seinem Wege zu räumen.«
»Ich will Beides thun, Mr Markham. — Gott weiß, daß er von Versuchungen, innern sowohl wie äußern, genug bestürmt werden wird, wenn ich auch Alles gethan habe, was ich kann, um das Laster für ihn so uneinladend zu machen, als es seinem eignen Wesen noch verabscheuenswerth ist. Ich selbst habe allerdings nur wenige Verlockungen zu dem, was die Welt Laster nennt, gehabt, aber doch Versuchungen und Prüfungen anderer Art erfahren, die bei vielen Anlässen mehr Wachsamkeit und Widerstandsfähigkeit erfordert haben, als ich bisher gegen sie aufzubieten im Stande gewesen bin, — und dies, glaube ich, werden die Meisten anerkennen, die an das Nachdenken gewöhnt sind und gegen ihre angeborene Verderbniß zu kämpfen wünschen.«
»Ja,« sagte meine Mutter, die nur halb verstand, worauf sie zielte, »Sie werden aber einen Knaben nach sich selbst beurtheilen wollen — und, meine liebe Mrs. Graham, lassen Sie sich bei Zeiten — noch vor dem Irrthume, — dem verderblichen Irrthume, wie ich ihn nennen kann, selbst die Erziehung des Knaben zu übernehmen, warnen. — Sie können sich, weil sie in einigen Dingen talentvoll und gut unterrichtet sind, für die Aufgabe gewachsen halten, sind es aber wirklich nicht, und glauben Sie mir, daß Sie, sobald Sie auf dem Versuche bestehen, es bitterlich bereuen werden, wenn das Unglück geschehen ist.«
»Ich werde ihn also wohl in die Schule schicken sollen, damit er die Autorität und Liebe seiner Mutter verachten lernt?« sagte die Dame mit etwas bitterem Lächeln.
»O nein; wenn Sie aber wollen, daß ein Knabe seine Mutter verachten soll, so muß sie ihn zu Hause behalten und ihr Leben damit zubringen, ihn zu verzärteln und seinen Thorheiten und Launen sklavisch zu; genügen.«
»Darin stimme ich Ihnen vollkommen bei Mrs. Markham; aber, von meinen Grundsätzen und meinem Verfahren kann nichts entfernter sein, als solche verbrecherische Schwäche.«
»Nun, Sie behandeln ihn aber wie ein Mädchen, Sie werden ihm den Muth rauben und eine Mamsell aus ihm machen — das werden Sie gewiß thun, Mrs. Graham, was Sie auch denken mögen. Ich muß aber nur Mr. Milward veranlassen, mit Ihnen darüber zu sprechen — er wird Ihnen die Folgen davon auseinandersetzen, er wird es Ihnen sonnenklar hinstellen und Ihnen sagen, was Sie thun sollen und so weiter — und ich zweifle nicht, daß er im Stande sein wird, Sie in einer Minute zu überzeugen.«
»Es ist unnöthig, den Vikar zu bemühen,« sagte Mrs. Graham mit einem Blicke auf mich, — ich werde sowohl über das unbegrenzte Vertrauen meiner guten Mutter zu dem alten Herrn gelächelt haben — »Mr. Markham hier hält seine Ueberzeugungsfähigkeit für der Mr. Milwards wenigstens gleich. Wenn ich nicht auf ihn höre, würde ich mich auch nicht überzeugen lassen, und wenn Jemand von den Todten auferstände, möchte er Ihnen sagen. — Nun, Mr. Markham, da Sie behaupten, daß ein Knabe nicht vor dem Bösen beschirmt, sondern hinausgeschickt werden soll, um dagegen allein und Beistandslos zu kämpfen, nicht gelehrt werden soll, die Fallstricke des Lebens zu vermeiden, sondern kühn in dieselben hin, oder über dieselben weg, wie es sich nun eben trifft, zu stürzen — die Gefahr eher aufzusuchen, als sie zu vermeiden und seine Tugend von der Versuchung zu nähren, —wollen Sie — «
»Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie unterbreche« Mrs. Graham, aber Sie gehen zu weit. Ich habe noch nicht gesagt, daß man einem Knaben lehren solle, sich in die Fallstricke des Lebens zu stürzen oder selbst mit Willen die Lockung aufzusuchen, um seine Tugend durch die Ueberwindung derselben zu üben; ich sage nur, daß es besser ist, Ihren Helden zu bewaffnen und zu kräftigen, als den Feind zu entwaffnen und zu schwächen, und wenn Sie ein Eichbäumchen in einem Gewächshaus aufziehen, es Tag und Nacht sorgfältig pflegen und vor jedem Windhauche beschirmen wollten, so können Sie nicht er warten, daß es ein kräftiger Baum wird wie der, welcher draußen auf dem Bergabhange aller Einwirkung der Elemente ausgesetzt und selbst nicht vor der Macht des Sturmes geschützt, aufgewachsen ist.«
»Zugegeben — würden Sie aber das Gleiche in Bezug auf ein Mädchen sagen?«
»Nein keinesfalls.«
»Nein, Sie möchten sie zärtlich und vorsichtig pflegen lassen, wie eine Gewächshauspflanze — ihr lehren, sich an Andere zu schmiegen, um sich lenken und stützen zu lassen und sie so viel als möglich schon vor der bloßen Kenntniß des Bösen bewahren. Wollen Sie aber so gut sein, mir zu sagen, weshalb Sie diese Unterscheidung machen? Denken Sie etwa, daß sie keine Tugend hat?«
»Sicherlich nicht.«
»Nun, aber Sie behaupten, daß Tugend nur durch die Versuchung hervorgerufene wird, und Sie denken, daß ein Frauenzimmer nicht zu wenig der Versuchung ausgesetzt, oder mit dem Laster oder irgend einem demselben nahe kommenden Gegenstande bekannt gemacht werden kann, — Sie müssen es also entweder für so wesentlich Verderbt oder so schwach halten, daß es der Versuchung nicht widerstehen kann — und wenn es auch rein und unschuldig ist, so lange es in Unwissenheit und Zwang gehalten wird, so muß, da es der ersten Tugend ermangelt, wenn man ihr lehrt, wie man sündigt, eben so viel sein, als es zu einer Sünderin zu machen, und je größer sein Wissen, je weiter seine Freiheit ist, desto tiefer wird seine Schlechtigkeit sein, während das edlere Geschlecht eine angeborene Neigung zur Tugend besitzt und von einer größeren Stärke beschirmt wird, die sich durch Prüfungen und Gefahren nur um so mehr entwickelt —«
»Der Himmel bewahre mich, so zu denken,« fiel ich endlich in die Rede.
»Nun wohl, so müssen Sie denn denken, daß sie beide schwach und zum Irren geneigt sind, daß aber der höchste Schatten eines Unrechts das Weib ins Verderben stürzt, während der Charakter des Mannes durch einige praktische Bekanntschaft mit verbotenen Dingen gekräftigt und verschönert und seine Erziehung dadurch gehörig beendigt wird. Eine solche Erfahrung wird für ihn — um ein ideales Bild zu gebrauchen — wie der Sturm für die Eiche sein, die er, wenn er auch die Blätter abreißt und die kleinen Zweige zerbricht, doch in ihren Wurzeln nur noch fester macht und in ihren Fasern abgehärtet und verdichtet. Sie verlangen, daß unsere Söhnen Alles durch eigene Erfahrung erproben sollen, während unsere Töchter nicht einmal von der Erfahrung Anderen Vortheil ziehen sollen. Ich möchte aber, daß beide von der Erfahrung anderer und den Lehren einer höheren Gewalt solchen Vorteil ziehen sollen, daß sie im Voraus das Böse meiden und das Gute wählen können um keines Experimentalbeweises bedürfen, um ihnen das Unrecht der Uebertretung zu zeigen. Ich möchte ein armes Mädchen nicht gegen ihre Feinde unbewaffnet und unwissend über die Fallstricke, welche auf ihrem Wege liegen, in die Welt hinausschicken eben so wenig sie aber auch bewachen und bewahren, bis sie aller Selbstachtung und alles Selbstvertrauens beraubt, die Macht oder den Willen verlieren würde, sich selbst zu bewachen und zu bewahren, und was meinen Sohn betrifft, so möchte ich, wenn ich dächte, daß er zu dem, was Sie einen Weltmann nennen, der das Leben mitgemacht hat und sich auf seine Erfahrung etwas zu Gute thut, aufwachsen würde, selbst, wenn er insofern davon Vortheil zöge, daß er sich endlich zu einem nützlichen und geachteten Mitgliede der bürgerlichen Gesellschaft ernüchterte, lieber, daß er morgen sterbe. — Ja, tausendmal lieber,« wiederholte sie ernstlich, indem sie ihren Liebling an sich drückte und mit inniger Liebe seine Stirn küßte. Er hatte seinen neuen Freund bereits verlassen und eine Zeitlang am Kniee seiner Mutter gestanden, in ihr Gesicht geblickt und in schweigender Verwunderung auf ihre unverständlichen Reden gehorcht.
»Nun, die Damen müssen immer das letzte Wort haben,« sagte ich, als ich bemerkte, wie sie aufstand und von meiner Mutter Abschied nahm.
»Sie mögen so viele Worte sprechen, als Sie wollen, — nur kann ich nicht verweilen, um Sie anzuhören.«
»Nein, so geht es immer; Sie hören von den Gründen einer Streitfrage nur so viel, als Sie wollen, und das Uebrige kann in den Wind gesprochen werden.«
»Wenn Sie danach verlangen, etwas mehr über den Gegenstand zu sagen,« entgegnete sie, als sie Rosa die Hand gab, so müssen Sie mich eines schönen Tages mit Ihrer Schwester besuchen, und ich werde dann mit aller Geduld, wie Sie nur wünschen können, Alles, was Sie darüber sagen wollen, anhören. Es würde mir lieber sein, Ihre Vorlesung zu erhalten, als die des Vikars, weil es mich weniger dauern würde Ihnen am Ende der Predigt zu sagen, daß ich gerade dieselbe Meinung behalte, wie zu Anfang derselben — was, meiner Ueberzeugung nach, bei jedem von den beiden Logikern der Fall sein würde.«
»Ja, natürlich,« entgegnete ich, entschlossen, eben so ausfordernd, wie sie zu sein, »denn wenn sich eine Dame herabläßt, auf Gründe, die ihren Ansichten zuwiderlaufen, zu hören, so ist sie immer im Voraus entschlossen, ihnen Widerstand zu leisten, nur mit ihren körperlichen Ohren zu hören und die geistigen Organe fest gegen die stärksten Argumente verstopft zu halten.«
»Guten Morgen, Mrs. Markham,« sagte meine Gegnerin mit einem mitleidigen Lächeln, machte dann, ohne mich einer weiteren Entgegnung zu würdigen, eine leichte Verbeugung und war im Begriff zu gehen.
Ihr Sohn hielt Sie aber mit kindischer Impertinenz fest, indem er rief:
»Mamma, Du hast Mr. Markham keine Hand gegeben.«
Sie wendete sich lachend um und hielt mir ihre Hand hin. Ich gab ihr einen boshaften Druck, denn ich war ärgerlich über das Unrecht, welches sie mir vom ersten Augenblicke unsrer Bekanntschaft angethan hatte. Sie war, ohne etwas von meinem wahren Charakter und meinen Grundsätzen zu wissen, offenbar gegen mich eingenommen und schien nur darauf bedacht zu sein, mir zu zeigen, daß ihre Ansichten über mich in jeder Beziehung weit unter denjenigen standen, welche ich selbst hegte.
Ich war von Natur empfindlich, sonst würde mich dies nicht so geärgert haben. Vielleicht war ich auch von meiner Mutter und Schwester und einigen anderen Damen meiner Bekanntschaft etwas verzogen, und doch war ich keineswegs ein Geck, davon bin ich vollkommen überzeugt, mögen Sie es sein oder nicht.